TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/24 W258 2143741-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.07.2019
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Entscheidungsdatum

24.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W258 2143741-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alserstraße 20, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX und am 05.04.2017, in einer asylrechtlichen Angelegenheit zu Recht:

A) Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht

zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in Folge kurz "BF") stellte am 13.11.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.11.2015 gab der BF an, er sei am XXXX geboren und besitze die Staatsbürgerschaft der Islamischen Republik Afghanistans (in Folge kurz "Afghanistan"). Er sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an. Er sei traditionell verheiratet und habe drei Kinder. Er habe keine Ausbildung absolviert und spreche Paschtu als Muttersprache. Als Wohnanschrift gab der BF Jalalabad, XXXX an. Er habe als Kraftfahrer für einen Politiker gearbeitet. Die Taliban hätten dessen Haus angegriffen, worüber der BF die Polizei informiert habe. Danach sei er von den Taliban sowohl telefonisch als auch mittels Drohbrief mit dem Tode bedroht worden, woraufhin er geflüchtet sei.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge "belangte Behörde") am 27.09.2016 gab der BF eingangs an, dass ihm das Protokoll der Erstbefragung nicht übersetzt worden sei. Als Geburtsort gab der BF das Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Nangarhar an. Seine Eltern, seine zwei Brüder und eine verheiratete Schwester würden im familieneigenen Haus in XXXX leben. Seine Brüder würden als KFZ-Mechaniker für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgen. Die finanzielle Situation sei im Vergleich zu seiner Anwesenheit in Afghanistan etwas schlechter geworden. Seine Ehefrau und Kinder seien derzeit ebenfalls in XXXX aufhältig, jedoch bei seinen Schwiegereltern. Er sei für sechs Jahre Berufskraftfahrer gewesen und habe diesen Beruf bis eine Woche vor seiner Ausreise im September 2015 ausgeübt. Als Linientaxifahrer sei er die Route Kabul - Jalalabad einmal täglich befahren. In seiner Freizeit gehe er laufen, spiele Fußball und Cricket und gehe jeden Freitag in die Moschee. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte er nun näher aus, im Zuge eines nächtlichen Besuchs bei seinem Freund XXXX über eine Lautsprecherkundgabe mitbekommen zu haben, dass Taliban das Haus des XXXX , einem hochrangigen Militäroffizier, und des XXXX , einem Staatsanwalt beim Geheimdienst, angreifen wollen und jeder zuhause bleiben solle. Bei dem vermeintlichen Angriffsziel habe es sich um das etwa 100 Meter entfernte Nachbarhaus seines Freundes XXXX gehandelt. Daraufhin habe der BF die etwa 30 Minuten entfernte Distriktverwaltung von dem geplanten Angriff der Taliban verständigt. Am nächsten Tag habe er davon erfahren, dass es zu Kämpfen gekommen sei. Dabei seien einige Wachleute verletzt und viele Taliban ums Leben gekommen. XXXX sei nach wie vor in der Regierung und sein Sohn XXXX sei mittlerweile in Österreich. Konkret habe der Angriff vom 23.04 auf den 24.04.2012 um 23 Uhr stattgefunden. Die Taliban seien aus der Ortschaft XXXX im Distrikt XXXX oberhalb des Distrikts XXXX gekommen. Drei Monate später habe man seinem Bruder nach dem Verbleib und Beruf des BF gefragt. Zwei bis vier Monate später habe ihn der Dorfvorsteher insgesamt zweimal darüber verständigt, dass Personen nach ihm gefragt hätten. Dann sei dem BF klar gewesen, dass die Taliban ihm Probleme machen werden. Die Taliban hätten erfahren, dass der BF die Distriktverwaltung vom geplanten Angriff der Taliban auf das Haus des XXXX verständigt habe.

Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mangels Glaubhaftmachung einer persönlichen Verfolgung oder Gefährdung ab. Ebenso wies sie den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen mangels konkreter Anhaltspunkte, wonach der BF im Falle der Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein könne, ab. Sollte es die Sicherheitslage erlauben, wäre dem BF auch eine Rückkehr in seinem Heimatort möglich. Ferner erteilte die belangte Behörde keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise setzte sie eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

Gegen den abweisenden Bescheid wendet sich die gegenständliche Beschwerde des BF vom 22.12.2016, in der er im Wesentlichen zu den im Bescheid vorgehaltenen Widersprüchen und zur Sicherheitslage in Afghanistan Stellung nahm.

Der angefochtene Bescheid wurde am XXXX 2016 durch Hinterlegung zugestellt und erwuchs am XXXX 2016 in Rechtskraft. Die am 22.12.2016 eingebrachte Beschwerde wurde mit mündlich verkündeten Beschluss vom XXXX zur AZ XXXX wegen Verspätung zurückgewiesen. Zugleich wurde mit Beschluss vom XXXX zur AZ XXXX , dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 03.02.2017 gegen die Versäumung der Beschwerdefrist stattgegeben. Diese Beschlüsse blieben unangefochten.

Die im Zuge des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebrachte Beschwerde vom 03.02.2017 entspricht der Beschwerde vom 22.12.2016.

In der am 05.04.2017 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF neuerlich zu seinem Vorbringen befragt.

Mit Schriftsatz vom 19.04.2017 nahm der BF zu den in der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderberichten Stellung. Der BF sei auch in größeren Städten nicht vor den Taliban sicher, da er bei diesen auf der schwarzen Liste stehe. Auch den Anmerkungen von UNHCR von Dezember 2016 sei zu entnehmen, dass auf Grund der sich ständig ändernden Sicherheitslage keine Unterscheidung von sicheren und unsicheren Gebieten vorgenommen werde. Damit könne davon ausgegangen werden, dass der BF in Kabul, Herat, Mazar-e Sharif und Jalalabad keine sichere Fluchtalternative vorfinde. Die Versorgungsmöglichkeit in Afghanistan sei auf Grund der zahlreichen Rückkehrer überstrapaziert. Aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 gehe hervor, dass dem afghanischen Staat keine ausreichende Schutzfähigkeit bzw -willigkeit zukomme.

Dem BF wurde am 12.10.2018 und am 01.07.2019 wegen Zeitablauf das aktuelle Länderinformationsblatt zu Afghanistan übermittelt und ihm freigestellt, binnen 14 Tagen dazu und zu etwaigen Änderungen im Privat- und Familienleben Stellung zu nehmen. In der Stellungnahme vom 04.07.2019 führte der Rechtsvertreter aus, dass er den BF nicht kontaktieren könne und er über keine aufrechte Meldeadresse verfüge. Eine Stellungnahme zu etwaigen Änderungen des Privat- und Familienlebens sei daher nicht möglich. Hinsichtlich der Länderinformationen verwies sie auf eine Gefährdung des BF, mit Zwang rekrutiert zu werden und - unter Verweis auf einschlägige Länderberichte - auf die schlechte sicherheits- und humanitäre Lage in Afghanistan.

Beweise wurden aufgenommen durch Einsicht in den Verwaltungsakt des BF (OZ 1), Einvernahme des BF als Partei sowie Einsicht in folgende Urkunden:

* Strafregisterauszug des BF vom 23.07.2019,

* ein in der mündlichen Verhandlung aufgesetztes Schriftstück der Dolmetscherin (Beilage ./I),

* einen Ausschnitt einer Afghanistan-Landkarte (Beilage ./II),

* das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 04.06.2019 (in Folge kurz als "LIB" bezeichnet, Beilage ./III),

* die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in Folge kurz als "UNHCR 30.08.2018" bezeichnet; Beilage ./IV),

* die vorgelegten Beilagen des BF:

o eine Bestätigung des Österreichischen Integrationsfonds vom 03.04.2017 über die Teilnahme an einer Deutschlerngruppe an 18 Terminen zu je zwei Stunden als Beilage ./2,

o eine Bestätigung von XXXX vom 03.04.2017 als Beilage ./3,

o eine Bescheinigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs vom 24.02.2017 vom Verein XXXX als Beilage ./4.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur individuellen Situation des BF:

Der männliche, volljährige BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Er spricht als Muttersprache Paschtu. Der BF ist verheiratet und hat drei minderjährige Kinder. Er wurde am XXXX in Afghanistan in der Provinz Nangarhar, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und ist ebendort aufgewachsen. Er hat keine Schulbildung, jedoch als KFZ-Mechaniker und als Linientaxifahrer für sechs bis sieben Jahre gearbeitet. Die zuletzt genannte Tätigkeit hat der BF bis kurz vor seiner Ausreise aus Afghanistan ausgeübt.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

Seine Kernfamilie besteht aus seinen Eltern, seinen zwei Brüdern, seinen drei Schwestern, seiner Ehefrau und seinen drei Kindern. Bis auf seinen Vater arbeiten alle männlichen Familienmitglieder als selbstständige KFZ-Mechaniker. Bis auf ein eigenes Haus besitzt die Familie kein Vermögen. Daneben hat er noch eine Tante und einen Onkel väterlicherseits sowie zwei Onkel mütterlicherseits, welche gemeinsam ein Handygeschäft betreiben und finanziell bessergestellt sind. Seine Frau und seine Kinder leben bei seinem Onkel väterlicherseits, der zugleich sein Schwiegervater ist. Alle eben genannten Familienangehörigen leben gemeinsam im Heimatdorf des BF, jedoch teilweise in unterschiedlichen Häusern.

Der BF ist im Sommer 2015, der genaue Zeitpunkt kann nicht festgestellt werden, schlepperunterstützt aus seinem Heimatdorf alleine in Richtung Europa ausgereist. Er ist unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet eingereist und hat am 13.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

In der Nacht vom 23.04. auf den 24.04.2012 fand im Heimatdistrikt des BF ein Angriff der Taliban statt. Eine daraus resultierende Bedrohung des BF lag und liegt nicht vor. Der BF wurde und wird durch die Taliban weder individuell bedroht, noch kam es zu Übergriffen der Taliban auf den BF.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Im Falle einer Rückkehr des BF nach Afghanistan wäre seine Familie in der Lage, diesen durch Geldüberweisungen finanziell zu unterstützen.

1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF ist seit seiner Antragstellung am 13.11.2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 im Bundesgebiet aufhältig. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF verfügt in Österreich über keine Verwandten und keine vergleichbaren engen sozialen Bindungen. Er besucht zwar Deutschkurse, spricht aber kein nennenswertes Deutsch. Er war in der XXXX für etwa vier bis fünf Monate bei einem Stundenlohn von drei Euro tätig. In seiner Freizeit geht er sportlichen Aktivitäten nach.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat des BF:

1.5.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan:

1.5.1.1. Allgemeines (LIB Kapitel 1. und 3.):

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil.

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5 % zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63 %) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37 % zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25 %. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. Bis Oktober 2018 fanden die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe.

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw Einfluss der afghanischen Regierung.

Die Regierung kontrolliert bzw beeinflusst mit Stand 22.10.2018 53,8 % der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9 % der Distrikte sind umkämpft und 12,3 % befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca 63,5 % der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8 % in Gegenden unter Einfluss bzw Kontrolle der Aufständischen und 25,6 % leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand.

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5 % sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11 % gegenüber dem Vorjahreswert. 42 % der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22 % und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26 % aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16 % der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen.

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31 % der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3 % im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48 % gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren ua Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61 % und die Zahl der Todesopfer erreichte 82 %. 9 % aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009.

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63 % der gesamten zivilen Opfer. 37 % davon werden den Taliban, 20 % dem ISKP und 6 % unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten.

Ungefähr 24 % der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14 % den afghanischen Sicherheitskräften, 6 % den internationalen Streitkräften und 4 % unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4 % gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück.

Die verbleibenden 13 % der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10 %), durch Beschuss aus Pakistan (1 %) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht.

UNAMA registrierte im ersten Quartal 2019 (01.01.2019 - 31.03.2019)

1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist. Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen. Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge).

1.5.1.2. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des BF, Nangarhar (LIB Kapitel 3.22.):

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und an den Gebirgszug Spinghar im Süden. Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.573.973 geschätzt. Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar.

Nangarhar zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion.

In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert; Nangahar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten. Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Taliban-Regimes von weniger Vorfällen berichtet worden war. In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen. Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt. Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 795 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Dabei handelte es sich um folgende Art von Vorfällen: 6 Entführungen, Verschleppungen; 10 Brandstiftung, Feuer; 1 Flughäfen, Flugverkehr; 2 Attentate, Attentatsversuche, 143 Bomben, Explosivstoffe, Attrappen; 33 Schießereien, Scharfschützen; 537 Verhaftungen, Tötungen; 63 Sonstige, undefiniert.

Nangarhar war die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Nangarhar 862 zivile Opfer (344 getötete Zivilisten und 518 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 1% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen ausgeführt, um gewisse Distrikte von Aufständischen zu befreien. Ebenso werden Luftangriffe durchgeführt; in manchen Fällen wurden Aufständische getötet; darunter auch IS-Kämpfer.

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz; zu diesen werden mehrere südliche Distrikte gezählt. Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren.

Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv. In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium. In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden.

Seit dem Jahr 2014 tauchen immer mehr Berichte zu einem Anstieg von Aktivitäten des IS in manchen abgelegenen Teilen der Provinz - dazu zählt auch der Distrikt Achin. Der IS zeigte weiterhin große Widerstandsfähigkeit, wenngleich die afghanischen und internationalen Kräfte gemeinsame Operationen durchführten. Die Gruppierung führte mehrere Angriffe gegen die zivile Bevölkerung und militärische Ziele aus - insbesondere in Kabul und Nangarhar.

Eine Anzahl Aufständischer der Taliban und des IS haben sich in der Provinz Nangarhar dem Friedensprozess angeschlossen. Im Zeitraum 01.01.2017 - 31.01.2018 wurden in der Provinz Nangharhar IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen Zivilisten, Auseinandersetzungen mit den Streitkräften und Gewalt) gemeldet.

1.5.1.3. Zur Sicherheitslage in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh (LIB Kapitel 3.5.):

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten:

Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts-und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren.

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

In der Provinz befindet sich ua das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North), sowie auch das Camp Shaheen.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Dabei handelte es sich um folgende Art von Vorfällen: 3 Brandstiftung, Feuer; 1 Flughäfen, Flugverkehr, 1 Angriff auf militärische Einrichtungen oder Rekrutierungszentren, 13 Bomben, Explosivstoffe, Attrappen; 10 Schießereien, Scharfschützen; 50 Verhaftungen, Tötungen; 15 Sonstiges, undefiniert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt.

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert.

1.5.2. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder.

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.

1.5.3. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB Kapitel 21.):

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 % aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw 1,8 %. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3 % zurückgingen und die Importe um 8 % stiegen.

1.5.4. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):

In den Jahren 2016 und 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 % gelegen hatte, um 1 %. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 % der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 % davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).

1.5.5. Projekte der afghanischen Regierung (LIB Kapitel 21.):

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 bis 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

1.5.6. Medizinische Versorgung (LIB Kapitel 22.):

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund zehn Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41 % der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt.

1.5.6.1. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung (LIB Kapitel 22.):

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90 % der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen.

1.5.6.2. Krankenhäuser in Afghanistan (LIB Kapitel 22.1.):

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung. In Mazar-e-Sharif gibt es ein öffentliches Krankenhaus (Alemi Krankenhaus).

1.5.7. Paschtunen (LIB Kapitel 16.1.):

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari. Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50 % der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen

1.5.8. Sunniten (LIB Kapitel 15.):

Etwa 99,7 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7 % Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan.

1.5.9. Rückkehrer:

Personen, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten, wurden Berichten zufolge von regierungsfeindlichen Gruppen bedroht, gefoltert oder getötet, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten, "Ausländer" geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land unterstützten. Heimkehrern wird von der örtlichen Gemeinschaft, aber auch von Staatsbeamten oft Misstrauen entgegengebracht, was zu Diskriminierung und Isolierung führt (UNHCR 30.08.2018 S 52 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (zB IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (zB IPSO und Anzahl der Rückkehrer/innen aus dem Ausland nach Provinzen). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (LIB Kapitel 23.). Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 allerdings keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten (LIB Kapitel 1.).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (LIB Kapitel 23.).

1.5.10. Zur Zwangsrekrutierung wehrfähiger Männer (UNHCR 30.08.2018 S 59 f):

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

1.5.11. Zur innerstaatlichen Fluchtalternative (Auszug UNHCR 30.08.2018):

"[...] Bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative muss insbesondere auf Folgendes geachtet werden:

(i) Zugang zu einer Unterkunft im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet

(ii) Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und Zugang zu grundlegender Versorgung im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet wie Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung

(iii) Lebensgrundlagen einschließlich des Zugangs zu Land für Afghanen, die aus ländlichen Gebieten stammen, oder im Fall von Antragstellern, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie für ihren eigenen Unterhalt sorgen (zum Beispiel ältere Antragsteller), erwiesene und nachhaltige Unterstützung zur Erreichung eines angemessenen Lebensstandards.

[...] Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Lebensgrundlagen hat oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfügt, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen. [...]"

2. Die Feststellungen ergeben sich aus der folgenden

Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF und zur allgemeinen

Lage:

Die Feststellungen zu den persönlichen Daten, seinem Gesundheitszustand, zum Leben, seiner beruflichen und schulischen Laufbahn und zu den Familienangehörigen des BF ergeben sich aus den im Wesentlichen gleichbleibenden, übereinstimmenden und schlüssigen Aussagen des BF im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren.

Dass der BF ca im Sommer 2015 aus seinem Heimatdorf ausgereist ist, ergibt sich auf Grund eines vorliegenden EURODAC-Treffers für Ungarn vom 18.07.2015 (OZ 1 AS 37), sodass der Aussage des BF, wonach er im September 2015 ausgereist sei, nicht zu folgen war.

Die Feststellung, dass der BF mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut sei, ergibt sich daraus, dass der BF von Geburt an in einem engen Familienband in Afghanistan aufgewachsen ist.

Die Feststellungen zu den familiären Bindungen, Privatleben und zur Integration des BF in Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Aussagen. Die Feststellung zu seinen Deutschkenntnissen ergibt sich aus den mangelnden Sprachnachweisen und seiner hg Befragung.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem Strafregisterauszug des BF.

Die Feststellungen zur Einreise und zum Asylverfahren sowie der Grundversorgung des BF ergeben sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt.

Die Feststellung, wonach die Familie des BF diesen bei einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell unterstützen könne, ergibt sich aus dem Umstand, dass bis auf den Vater des BF sämtliche Familienmitglieder berufstätig sind und nicht ersichtlich ist, warum diese ihn nicht unterstützen sollten. Daran ändert auch die aktuelle Wohnsituation seiner Frau und seiner Kinder nichts, welche sich derzeit bei seinem Schwiegervater aufhalten. Der BF führte in der mündlichen Verhandlung sogar selbst aus, dass es ihm in Afghanistan finanziell gut gegangen sei (OZ 18 S 14). Finanzielle Zuwendungen können ihm über das afghanische Bankennetz auch zukommen (siehe zB https://www.aib.af/, zuletzt abgerufen am 01.07.2019, wonach die Afghanistan International Bank alle Varianten des Bankwesens inklusive Online Banking anbietet).

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan ergeben sich aus den bei den jeweiligen Feststellungen angeführten Quellen, die sich auf mehrere, im Wesentlichen übereinstimmende Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen gründen. Insoweit in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zu Grunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuellen Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen:

Dass es in der Nacht vom 23.04. auf den 24.04.2012 (OZ 1 AS 109) zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und der afghanischen Sicherheitsbehörden im Heimatdistrikt des BF gekommen ist, ergibt sich aus den diesbezüglich glaubhaften und gleichbleibenden Angaben des BF und im Zusammenhalt mit den oben getroffenen Länderfeststellungen, wonach es in der Provinz Nangarhar zu militärischen Operationen kommt.

Dem Vorbringen des BF, er sei bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt, weil er diesen Vorfall den lokalen Sicherheitsbehörden gemeldet hat, konnte nicht gefolgt werden. Seine Aussagen waren diesbezüglich zum Teil widersprüchlich:

Während der BF in der Erstbefragung vor den Sicherheitsbehörden angab, er habe für einen Politiker als Kraftfahrer gearbeitet, dessen Haus die Taliban angegriffen hätten und er von den Taliban telefonisch und mit einem Drohbrief mit dem Tode bedroht worden sein will, gab er vor der belangten Behörde und dem erkennenden Gericht an, dass Nachbarn eines Freundes, ein Offizier und ein Staatsanwalt, angegriffen worden wären; ein Drohbrief und eine telefonische Bedrohung wurden nicht mehr erwähnt. Gewisse Widersprüche sind auf Grund der besonderen Situation des BF, der uU noch unter den Eindrücken der Flucht und von falschen Vorstellungen über uniformierte Sicherheitskräfte geleitet ist, während der Ersteinvernahme zwar denkbar, nicht aber, wenn wie hier, sich die Aussagen in ihrem Kernbereich stark unterscheiden.

Auch die Aussagen vor der belangten Behörde und dem erkennenden Gericht blieben zum Teil - im Bezug auf jene Umstände, aus denen der BF eine Bedrohung für sich ableiten möchte - widersprüchlich. Während der BF vor der bela

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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