Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §6 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde der HVSS (geboren am 2.1.1967), vertreten durch Dr. Gerald Hausar, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntnerring 2/10-11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 11. August 1995, Zl. Fr 1693/95, betreffend 1. Ausweisung und 2. Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung , zu Recht erkannt:
Spruch
1. Soweit die Beschwerdeführerin mit dem angefochtenen Bescheid ausgewiesen wurde, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
2. Soweit damit der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung zurückgewiesen wurde, wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 11. August 1995 wurde die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 und Abs. 3 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen und ihr Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Irak zurückgewiesen.
Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß die Beschwerdeführerin am 26. März 1995 über Wien-Schwechat in das Bundesgebiet eingereist sei, ohne im Besitz des erforderlichen Reisedokuments bzw. einer Aufenthaltsberechtigung zu sein. Am 28. März 1995 habe sie einen Asylantrag eingebracht, der mit Bescheid vom 31. März 1995 gemäß § 3 Asylgesetz 1991 abgewiesen worden sei. Nach dieser Bestimmung könne einem Asylantrag nur dann stattgegeben werden, wenn es sich beim Asylwerber um einen Flüchtling handle und der Tatbestand der direkten Einreise vorliege. Das Bundesasylamt Traiskirchen habe ihr die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt. Eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung komme nur jenen Asylwerbern zu, die gemäß § 6 Asylgesetz direkt in das Bundesgebiet eingereist seien. Da bei der Beschwerdeführerin der Tatbestand der direkten Einreise, wie auch im Asylverfahren festgestellt worden sei, nicht vorgefunden habe werden können, komme ihr somit auch nicht die von ihr behauptete Aufenthaltsberechtigung zu. Aufgrund dieser Tatsache und da ihr Antrag auf Gewährung von Asyl abgewiesen worden sei, seien für die Beschwerdeführerin die fremdengesetzlichen Bestimmungen anwendbar. Der rechtskräftige Abschluß des Asylverfahrens sei für die Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörde nicht erforderlich.
Die belangte Behörde führte nach Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen weiter aus, daß die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer illegalen Einreise nach Österreich den Tatbestand der Umgehung der Grenzkontrolle des § 17 Abs. 2 Z. 6 Fremdengesetz erfülle. Da mit dem Irak kein Sichtvermerksabkommen bestehe, sei sie zur sichtvermerksfreien Einreise in das Bundesgebiet nicht berechtigt gewesen und deshalb unter Mißachtung der Bestimmungen des Fremdengesetzes in das Bundesgebiet gelangt. Sie sei innerhalb eines Monates nach ihrer Einreise betreten und der Bescheid der Erstbehörde sei innerhalb eines Monates erlassen worden. Die Rechtsordnung messe der Beachtung der zwischenstaatlichen Regelungen über die Einhaltung paßrechtlicher (nunmehr fremdengesetzlicher) Vorschriften ein solches Gewicht bei, daß selbst bei Einmaligkeit von Verfehlungen gegen diese Normen ein schwerwiegender Verstoß gegen erhebliche öffentliche Interessen des österreichischen Staates vorliege.
Die Behörde erster Instanz habe festgestellt, daß die Beschwerdeführerin für einen Aufenthalt nicht über ausreichende Barmittel verfüge. In der Berufung gegen diesen Bescheid habe die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, daß durch das Bundesbetreuungsgesetz dieser speziellen Situation Rechnung getragen werde. Mangels eines daraus abzuleitenden Rechtsanspruches reiche aber nach Ansicht der belangten Behörde die Bundesbetreuung für den Nachweis der Einbringung der Mittel zum Unterhalt nicht aus.
Über Anträge gemäß § 54 FrG habe die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, zu entscheiden. Der Berufungsbehörde komme daher vorerst keine Entscheidungskompetenz zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung zu.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil sie einerseits die Voraussetzungen des § 6 Asylgesetz 1991 erfülle und andererseits den Asylantrag innerhalb einer Woche ab dem Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet gestellt habe. Gemäß § 7 Abs. 1 und Abs. 3 leg. cit. sei sie zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Gemäß § 9 Asylgesetz 1991 sei § 17 FrG auf Flüchtlinge, die Asyl hätten, sowie auf Asylwerber mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung und auf Fremde mit befristeter Aufenthaltsberechtigung nicht anwendbar. Sie sei vom Irak über den Iran in die Türkei eingereist und es bestehe in diesen Staaten kein wirksamer Schutz vor Abschiebung in den Irak, wo sie aufgrund ihrer illegalen Ausreise zumindest mit Folterungen zu rechnen gehabt hätte. Insofern wirft die Beschwerdeführerin der belangten Behörde auch die Verletzung von Verfahrensvorschriften vor.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung kommt nämlich nur einem Asylwerber zu, "der gemäß § 6 Asylgesetz 1991 eingereist ist". Daß dies bei der Beschwerdeführerin der Fall gewesen sei, war die belangte Behörde jedoch nicht gehalten anzunehmen. Die Beschwerdeführerin kam nämlich nicht direkt aus dem Staat (Irak), in dem sie behauptet, Verfolgung befürchten zu müssen (§ 6 Abs. 1 Asylgesetz 1991), und es lagen keine konkreten Anhaltspunkte vor, daß ihr die Einreise gemäß § 6 Abs. 2 Asylgesetz 1991 formlos zu gestatten gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/18/0743). Die Beschwerdeführerin reiste auf dem Landweg vom Irak in die Türkei (der Beschwerde zufolge über den Iran) und von dort nach Österreich. Für die Frage, ob ein Asylwerber zum vorläufigen Aufenthalt gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 berechtigt - und daher eine Ausweisung gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 1991 unzulässig - ist, ist zwar nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch maßgeblich, ob der Betroffene in den Durchreisestaaten verfolgt oder von einer Rückschiebung bedroht war und daher wegen des Vorliegens der in § 37 Abs. 1 oder 2 FrG genannten Gründe bei seiner Einreise nicht zurückgewiesen hätte werden dürfen und ihm die Einreise gemäß § 6 Abs. 2 Asylgesetz 1991 zu gestatten gewesen wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 1997, Zl. 97/21/0229, und vom 27. Februar 1998, Zl. 97/21/0241 m.w.N).
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren - und auch in der Beschwerde - bezüglich ihrer Situation in dem bzw. den durchreisten Staaten zwar allgemeine Ausführungen betreffend die Frage der Verfolgungssicherheit in einem durchreisten Staat gemacht, jedoch keine auf ihren konkreten Fall bezogene Behauptungen aufgestellt. Sie hat damit nicht in ausreichend konkretem Maße auf die zum Zeitpunkt ihrer Durchreise durch die Türkei in diesem Staat herrschende Situation und damit auf eine für sie allenfalls bestehende Verfolgungs- oder Rückschiebungsgefahr hingewiesen, sodaß die belangte Behörde nicht dazu verhalten war, sich im Sinne der angeführten Rechtsprechung mit ihrer Situation hinsichtlich der Einhaltung des Refoulement-Verbotes in bezug auf die in § 37 Abs. 1 und 2 FrG genannten Gefahren auseinanderzusetzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1997, Zl. 96/21/0821).
Die Beschwerdeführerin bestreitet die Feststellung der belangten Behörde nicht, daß sie ohne das erforderliche Reisedokument in das Bundesgebiet eingereist sei. Der Verwaltungsgerichtshof hegt gegen den auf dem Boden dieser Sachverhaltsannahme gezogenen Schluß, daß sie sich hier unrechtmäßig aufhalte, keine Bedenken. Die Beschwerdeführerin meint aber, der angefochtene Bescheid hätte deswegen nicht auf § 17 Abs. 2 Z. 6 FrG gestützt werden dürfen, weil sie nicht im Sinn dieser Gesetzesstelle binnen eines Monats nach der Einreise betreten worden sei. Sie habe sich vielmehr unverzüglich nach ihrer Einreise bei den österreichischen Behörden gemeldet und einen Asylantrag gestellt.
Auch dieser Vorwurf führt nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin nämlich auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach für die Erfüllung des Tatbestandes des § 17 Abs. 2 Z. 6 (erster wie auch zweiter Fall) FrG entscheidend ist, daß der Fremde nach rechtswidrig erfolgter Einreise (in der dort umschriebenen Art) im Zustand des unrechtmäßigen Aufenthaltes (§ 15 Abs. 1 FrG) innerhalb eines Monats nach einer solchen Einreise entdeckt wird, der Anlaß des Entdecktwerdens hingegen ohne rechtliche Bedeutung ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1996, Zl. 96/21/0396 , m.w.N.). Die belangte Behörde ist daher angesichts der am 26. März 1995 erfolgten Einreise der Beschwerdeführerin und der Stellung ihres Asylantrages am 28. März 1995 zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß sie innerhalb der Monatsfrist der genannten Bestimmung betreten worden ist.
Konnte somit die belangte Behörde die Ausweisung der Beschwerdeführerin zutreffend auf § 17 Abs. 2 Z. 6 FrG stützen, so kann dahinstehen, ob auch der weitere von der belangten Behörde herangezogene Ausweisungsgrund des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG vorliegt.
Die Beschwerdeführerin sieht sich aber auch dadurch in ihren Rechten verletzt, daß die belangte Behörde ihren an die Behörde erster Rechtsstufe gerichteten Antrag gemäß § 54 FrG zurückgewiesen habe. Die belangte Behörde hätte darüber nicht absprechen dürfen.
Zunächst ist festzustellen, daß ein Spruch, der - wie im vorliegenden Fall - dahin lautet, daß ein Antrag zurückgewiesen wird, grundsätzlich nicht in der Weise umgedeutet werden kann, daß er eine bloße Feststellung der Unzuständigkeit der Berufungsbehörde darstellt, die nicht als abschließende Entscheidung über diesen Antrag qualifiziert werden könnte (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Mai 1996, Zl. 94/05/0370). Im Beschwerdefall bedeutet das, daß die belangte Behörde nicht nur ihre Unzuständigkeit zu einer meritorischen Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin ausgesprochen hat. Sie hat vielmehr zu Unrecht diesen Antrag zurückgewiesen, weil dieser an die Behörde erster Instanz gerichtet war und von dieser zu behandeln gewesen wäre (vgl die hg. Erkenntnisse vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0041, vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0048, und vom 8. Oktober 1997, Zl. 96/21/0542).
Die Beschwerde war daher, soweit sie gegen die Ausweisung der Beschwerdeführerin gerichtet ist, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen. Soweit damit aber der Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung zurückgewiesen wurde, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. Oktober 1998
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen Zurückweisung wegen Unzuständigkeit Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996210257.X00Im RIS seit
11.07.2001