Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Kontr. Gsellmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Adlan M***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 44 HR 85/19d des Landesgerichts Leoben (AZ 4 St 7/19g der Staatsanwaltschaft Leoben), über die Grundrechtsbeschwerde des genannten Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 20. August 2019, AZ 1 Bs 103/19k, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Adlan M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Beschluss vom 22. Juli 2019, GZ 44 HR 85/19d-45, verlängerte das Landesgericht Leoben gemäß § 173 Abs 6 StPO in Verbindung mit § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 1, Z 2 und Z 3 lit a StPO die über Adlan M***** am 6. Juli 2019 verhängte Untersuchungshaft.
Seiner dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss vom 20. August 2019, AZ 1 Bs 103/19k, nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort.
Dabei erachtete das Beschwerdegericht den Beschuldigten dringend verdächtig, er habe „im Zeitraum von Juli 2013 bis Dezember 2013 in L*****, H***** (Syrien) und andernorts sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der aus der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat im Irak (ISI) hervorgegangenen terroristischen Vereinigung Jabhat al Nusra Front (Anführer Sayfullah S*****) und weiteren, von dieser beeinflussten Splittergruppen um Abu Umar S***** und seinen Vater Ruslanbek M***** im Wissen, dadurch diese terroristische Vereinigung und deren strafbare Handlungen, nämlich deren Ziel der Errichtung eines nach radikal islamistischen Grundsätzen ausgerichteten, als Kalifat bezeichneten, Gottesstaates auf Grundlage der als islamisches Recht bezeichneten Scharia und deren zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zu fördern, beteiligt, indem er Vermögenswerte, und zwar einen von ihm in L***** erworbenen PKW Audi Q7 bereitstellte, mit Kalaschnikow-Gewehren ausgestattet für Lager der terroristischen Vereinigung Wachdienste hielt, Sporttrainings absolvierte und für die Mitglieder der terroristischen Vereinigung wusch und kochte“ (BS 2).
Diese dringende Verdachtslage subsumierte das Oberlandesgericht dem Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 (§ 278 Abs 3 zweiter und dritter Fall) StGB.
Das Oberlandesgericht erachtete bereits diesen Tatverdacht als hafttragend und ging daher auf den weiteren dem erstgerichtlichen Beschluss zugrundeliegenden Tatverdacht nicht ein (vgl RIS-Justiz RS0120817 [T1, T6]).
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Adlan M*****.
Das Beschwerdevorbringen, welches auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten zu AZ 4 St 202/13z der Staatsanwaltschaft Leoben im Jahr 2015 sowie die mit Verfügung vom 2. April 2019 gemäß § 193 Abs 2 Z 2 StPO angeordnete Fortführung des Verfahrens Bezug nimmt, orientiert sich mit dem Vorbringen, es wäre nicht überprüfbar, ob tatsächlich ein neues Beweismittel vorliege, nicht an der angefochtenen Entscheidung. Demnach wurden die belastenden Angaben des Zeugen Sa*****, welcher Adlan M***** als in Syrien aufhältigen Kämpfer identifizierte (AZ 716 St 35/15z und 16 St 252/14p der Staatsanwaltschaft Wien), erst nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen diesen bekannt (BS 6 iVm BS 5).
Das Beschwerdegericht hat mit Note vom 8. August 2019 dem Beschuldigten bekannt gegeben, es bestehe die Möglichkeit, dass der dringende Tatverdacht „bloß auf § 278b Abs 2 und § 278e Abs 2 StGB“ gestützt werde, wodurch „der Haftgrund der bedingt obligatorischen Untersuchungshaft nach § 173 Abs 6 StPO“ entfalle. Zugleich wurde der Beschuldigte darüber informiert, dass der bisher nicht angenommene Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b oder c StPO erwogen werde. Es wurde dem Beschuldigten Gelegenheit zur Äußerung binnen drei Tagen eingeräumt.
Der Beschwerdeführer behauptet, es hätte „eine Einvernahme und konkrete Befragung des Beschuldigten“ dazu erfolgen müssen, und stützt sich dabei auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, welcher diese Aussage jedoch nicht zu entnehmen ist (14 Os 76/05s, 77/05p). Vorliegend hat das Oberlandesgericht dem Beschuldigten mit der erwähnten Note rechtliches Gehör (vgl dazu RIS-Justiz RS0120050 [T3, T4]) gewährt. Das Erfordernis einer Beschuldigtenvernehmung im Haftbeschwerdeverfahren ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dass die dreitägige Frist für die Stellungnahme „unzumutbar kurz“ wäre, ist mit Blick auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (§ 9 Abs 2 StPO) nicht nachvollziehbar.
Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme von Haftgründen nur darauf, ob sich diese angesichts der vom Beschwerdegericht zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS-Justiz RS0117806).
Das Beschwerdegericht stützte seine Überzeugung vom Vorliegen der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO auf den Tatzeitraum von mehreren Monaten, die einschlägige Vorstrafenbelastung sowie auf die Tatsache, dass der Vater des Beschuldigten selbst eine terroristische Gruppe gegründet habe und im Internet an Propagandavideos mitwirke, weshalb eine Kontaktaufnahme und abermalige Radikalisierung des Beschwerdeführers indiziert wäre. Die Tatbegehungsgefahr könne nicht dadurch, dass sich der Beschuldigte in einem Überwachungstool des LVT Steiermark befinde, seinen nunmehr sechsjährigen Aufenthalt in Österreich und die Unterhaltspflicht gegenüber drei Kindern und seine Erwerbstätigkeit entkräftet werden, zumal diese Umstände teilweise auch während des Tatzeitraums vorgelegen seien (BS 7 f). Dass diese Begründung gegen die Kriterien logischen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze verstoße (vgl RIS-Justiz RS0118317), zeigt die Grundrechtsbeschwerde, die lediglich auf vom Oberlandesgericht ohnehin erwogene Umstände verweist, nicht auf. Soweit der Beschwerdeführer kritisiert, es bleibe unklar, von welchen Vorstrafen die Beschwerdeentscheidung ausgehe, wird der diesbezügliche Verweis auf den in ON 15 der erstgerichtlichen Akten enthaltenen Strafregisterauszug außer Acht gelassen (BS 7). Mit der Argumentation, bei der Beurteilung der Haftgründe könne es nicht darauf ankommen, wie sich der Vater des Beschuldigten verhalte, wird die Begründung des Oberlandesgerichts betreffend die Verantwortung des Beschwerdeführers übergangen, von seinem Vater dazu gezwungen worden zu sein, „in Syrien aufhältig zu sein und die entsprechenden Handlungen zu tätigen“ (BS 6). Was das laufende Schuldenregulierungsverfahren an der Tatbegehungsgefahr ändern sollte, wird in Übereinstimmung mit dem Beschwerdegericht nicht klar.
Mit dem Vorbringen, der Haftzweck könne auch durch gelindere Mittel gemäß § 173 Abs 5 StPO erreicht werden, zeigt der Angeklagte nicht auf, worin dem Beschwerdegericht, das die Substituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel verneinte (BS 9), ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (RIS-Justiz RS0116422 [T1]).
Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Textnummer
E126341European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00112.19P.1001.000Im RIS seit
18.10.2019Zuletzt aktualisiert am
18.10.2019