Entscheidungsdatum
05.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W168 2176185-1/6E
W168 2176183-1/5E
W168 2176096-1/5E
W168 2176180-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerden von
1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.10.2017, ZL:
1092643402/151642810,
2.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, geben den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.10.2017, ZL:
1092643903/ 151642666,
3.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, geben den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.10.2017, ZL:
1092644301/ 151643298,
4.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, geben den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.10.2017, ZL:
1092644606/ 151643280, beschlossen:
A)
Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufgehoben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Die Erst- bis Vierbeschwerdeführer (BF1 bis BF4) gelangten unberechtigt in das Bundesgebiet und stellten am 28.10.2015 gemeinsam gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung gaben die BF1 und BF2 übereinstimmend befragt zum Fluchtgrund an, dass sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Minderheit der Turkman diskriminiert worden wären, bzw. die Kinder nicht in die Schule hätten gehen können.
Bei der Einvernahme der BF1 und des BF2 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 12.06.2017 führten diese unter Anderem aus, dass sie der Volksgruppe der Türken angehören würden, die alle in einem namentlich genannten Dorf wohnen würden. Die BF2 führte hierbei befragt zu ihrem Gesundheitszustand aus, dass sie unter Anfällen leiden würde. Bei solchen Anfällen könne sie nichts sehen und nichts wahrnehmen.
Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass ein Verlassen Afghanistans aus wohlbegründeter Furcht, bzw. asylrelevanter individueller Verfolgung nicht glaubhaft gemacht werden hätte können. Der Familie sei eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar. Die Familie würde der Volksgruppe der Turkmenen angehören. Zur Situation im Falle einer Rückkehr wurde insbesondere festgehalten, dass diese in ihrer Heimatprovinz (Herat) Land und ein Haus besitzen würden. Sie könnten Landwirtschaft betreiben. Die Heimatprovinz wäre von Kabul aus direkt erreichbar. Es würde eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehen. Die Familie könnte auch in Kabul sesshaft werden. Es wäre der Familie zumutbar sich durch eine Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Es wären keine konkreten Umstände hervorgekommen, dass diese bei einer Rückkehr nicht wieder am Erwerbsleben teilnehmen könnten. Es gäbe keine Hinweise dafür, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden. Den Länderfeststellungen zufolge sei die Lage insbesondere im Raum Kabul zufrieden stellend. Die BF könnten sich im Raum Kabul niederlassen bzw. dort sesshaft werden. Es wäre ihnen zumutbar dort durch die Annahme einer Arbeit den Lebensunterhalt zu bestreiten. Im Fall der Rückkehr bestünde für die BF keine Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK. Einer gemeinsamen Ausweisung des BF stünde auch nicht eine Verletzung des Art. 8 EMRK entgegen. Die BF verfügen über keine weiteren relevanten familiären oder freundschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich. Gründe für das Vorhandensein einer besonders berücksichtigungswürdigen besonderen Integration wären nicht hervorgekommen.
Gegen die gegenständlichen Bescheide des BFA erhoben die BF fristgerecht Beschwerde. In diesen wurde inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht, bzw. würden diese Bescheide im vollen Umfang angefochten werden. Begründend wurde insbesondere zusammenfassend hinsichtlich Spruchpunkt I ausgeführt, dass BF ausgeführt hätten, dass sie den Mord einer prominenten Person beobachtet hätten und somit einer Verfolgung ausgesetzt wären. Die BF1 hätte ihren Wunsch geäußert, dass sie sich nicht mehr verschleiern wolle, bzw. gerne arbeiten gehen wolle. Sie lehne die Bräuche und Zwänge ihrer Heimat ab und wolle, dass ihre Kinder so leben wie österreichische Kinder. Zu den Bescheiden der Kinder wurde weiters ausgeführt, dass bezüglich dieser seitens des BFA lediglich auf den Bescheid der Mutter verwiesen werden würde. Eigene Länderfeststellungen würden insgesamt fehlen. Alleine aus diesem Grund wäre die Vorgangsweise des BFA diesbezüglich schon rechtswidrig. Die belangte Behörde hätte sich nicht mit dem Einzelfall auseinandergesetzt. Alleine aus diesen Gründen wären die Bescheide bereits aufzuheben. Zu keinem Zeitpunkt hätte die Behörde die BF bezüglich ihrer westlichen Orientierung befragt, obwohl offensichtlich klar gewesen wäre, dass die BF sich durch ihren bisherigen Aufenthalt in Österreich einen weitaus westlicheren Lebensstil und eine westliche Denkweise angeeignet hätten, als dies von den regierungsfeindlichen Gruppen akzeptier werden würde. Dies würde insbesondere für die BF1 gelten. Zudem hätte das BFA nicht ausreichend gewürdigt, warum die Angaben bezüglich des Fluchtgrundes als nicht glaubwürdig, nicht schlüssig und nicht nachvollziehbar wären. Die BF hätten zudem angegeben, dass sie der türkischstämmigen Bevölkerungsgruppe angehören würden. Das BFA hätte mehrere diesbezügliche Fakten die auf eine Unterstellte politisch oppositionelle Gesinnung hindeuten würden in keinster Weise in ihrem Ermittlungsverfahren, in den Feststellungen und in der Beweiswürdigung bedacht. Auch deshalb wären die angefochtenen Bescheide rechtswidrig. Im Übrigen wären aufgrund der Tatsache, dass es sich bei den BF um eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern handelt, diese als besonders vulnerabel einzustufen sein. Bei einer Rückkehr würden diese sofort auffallen und nicht unerkannt bleiben. Weites würde die BF1 an einer psychischen Störung, bzw. unter epileptischen Anfällen leiden. Auch deshalb würde die Familie und die BF1 ein weiteres Risikoprofil erfüllen. Das BFA hätte es unterlassen im Hinblick auf die Minderjährigen Kinder Feststellungen unter dem Aspekt des Art24 der Grundrechtecharta der EU sowie des BVG - Kinderrechte zu treffen. Die Behörde hätte bei ordnungsgemäßer Beweiswürdigung zu dem Schluss kommen müssen, dass den BF aufgrund vorgeworfener Vergehen, ihrer pro westlichen Gesinnung, bzw. ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Türken mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung drohe. Besonders junge Frauen wären von Misshandlung gefährdet. Die Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan wäre als prekär zu bezeichnen. Den BF wäre bereits aus diesem Grund zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren. Auch wäre ein Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen gem. §58 Abs. 2 AsylG zu erteilen gewesen. Aus diesem Grund würden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, in eventu die angefochtenen Bescheide zu beheben und zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens an das BFA zurückzuverweisen (§66 Abs. 2 AVG, §28 Abs. 3 und 4 VwGVG, den Status von Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, bzw. in eventu subsidiären Schutz gemäß § 8 AsylG zuzuerkennen, sowie festzustellen, dass die gem. §52 FPG erlassenen Rückkehrentscheidungen gem. §9 Abs. 3 BVA - VG unzulässig wären und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen (plus) gem. §55 AsylG vorliegen würden, dem BF daher gem. §58 Abs. 2 AsylG Aufenthaltsberechtigungen (plus) gem. §58 Abs. 2 AsylG von Amts wegen zu erteilen, sowie in eventu Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz gem. §57 Abs. 1 AsylG von Amts wegen zu erteilen.
Mit Schreiben vom 06.02.2018 wurde ein Ambulanzbefund der Abteilung für die Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin des LKH XXXX die BF1 betreffend übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.1. Gemäß § 7 BFA-VG idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher im vorliegenden Beschwerdeverfahren gegeben.
Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde
1.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0168).
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten insbesondere ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommenden Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."
1.3. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl. 2003/20/0389).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, in nunmehr ständiger Rechtsprechung (vgl. Erkenntnis vom 24.02.2009, Zl. U 179/08-14 u. a.) ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit dem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg.15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m.w.N., 14.421/1996, 15.743/2000).
2. In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063-4 hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in Hinblick auf die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit ausgesprochen, dass prinzipiell eine meritorische Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte bestehe und von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden könne. Diesbezüglich führte er aus, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht komme, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
3. Die belangte Behörde hat die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderten Maßstäbe eines umfassend ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens in den gegenständlichen Verfahren missachtet. In den gegenständlichen Verfahren wurde ebenso gegen die in § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten verstoßen. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 18 AsylG 2005 bestimmt nämlich, dass das Bundesamt in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 iVm. § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde darstellt, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, hat die belangte Behörde in diesem Verfahren jedoch missachtet.
Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht, bzw. grundlegend nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechend aktuelle bzw. auf die konkreten Verfahren bezogene Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.
Zunächst ist unter Verweis auch auf jüngste Entscheidungen des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018), sowie des VwGH (Ra 2018/18/0315 bis 0320-10 vom 6. September 2018) festzuhalten, dass die in den angefochtenen Bescheiden wiedergegebenen Länderberichte unter anderem keine bzw. nur allgemeine Ausführungen zur Situation von (kleinen) Kindern in Afghanistan enthalten. Aus den den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gäbe. So wird hierin ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend der Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden. In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der konkreten Situation von Kindern, als auch Minderjährigen in Afghanistan (Kabul) insgesamt und diesbezüglich eben auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheide zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend nicht ausreichend die individuell konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Diesbezüglich werden ausschließlich allgemeine Ausführungen betreffend der Möglichkeiten der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit seitens der Eltern der Kinder angeführt, bzw. festgehalten, dass die Eltern für die Kinder sorgen werden. Das BFA unterlässt damit jedoch eine vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob den zwei Kindern, einen Buben und ein Mädchen, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass den Bescheiden der Kinder insgesamt keine eigenen Länderberichte, bzw. sich auf die konkrete Lage von Kindern beziehenden Feststellungen zugrunde gelegt wurden, sondern in den Bescheiden der zwei minderjährigen Kinder ausschließlich auf die Länderberichte und Feststellungen in den Bescheiden der beiden Eltern verwiesen wird.
Zudem ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich des von der Erstbeschwerdeführerin im Zuge der Befragung vor dem BFA erstatteten Vorbringens Abklärungen bzw. Feststellungen betreffend einer allfällig vorhandenen westlichen Orientierung nicht vorgenommen worden sind, bzw. dem angefochtenen Bescheid der BF1 diesbezügliche Erörterungen nicht zu entnehmen sind. Dies, obwohl die BF1 bereits aufgrund ihrer Ausführungen im Zuge ihrer Befragung vor dem BFA dahingehende Ausführungen bereits erstattet hat.
Auch wurden im Hinblick auf die Ausführungen der BF1 ihren Gesundheitszustand betreffend keine bzw. keine ausreichend begründeten Abklärungen und Feststellungen vorgenommen.
Das BFA geht in den angefochtenen Bescheiden somit auf wesentliche Verfahrensfragen nicht ausreichend ein, bzw. unterlässt die diesbezüglich erforderlichen Abklärungen gänzlich. Der von der Verwaltungsbehörde diesbezüglich ermittelte Sachverhalt ist somit diesbezüglich grundlegend ergänzungsbedürftig und die angefochtenen Bescheide sind damit in den angeführten, bzw. wesentlichen Punkten begründungslos ergangen.
Das BFA wird somit diese Ermittlungen im Zuge einer ergänzenden Befragung nachzuholen, als auch bezogen auf den jüngst vorgelegen fachärztlichen Befund den aktuellen Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin abzuklären und entsprechend zu würdigen haben.
Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme eines in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens als auch eine solcherart darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes- nicht ersichtlich.
Da der maßgebliche Sachverhalt in den gegenständlichen Verfahren somit nach wie vor in verfahrensrelevant wesentlichen Punkten nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen den Anträgen der Beschwerdeführer die angefochtenen Bescheide zu beheben und an das BFA zurückzuverweisen stattzugeben.
Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil der gegenständliche Fall rein tatsachenlastig ist und keinerlei Rechtsfragen - schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung - aufwirft. Der Vollständigkeit halber sei ausgeführt, dass die Judikatur zu § 66 Abs. 2 AVG in ihrem Kernbereich auf § 28 Abs. 3 VwGVG anzuwenden ist und diesbezüglich seit jeher Einheitlichkeit gegeben ist.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W168.2176185.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.10.2019