TE Bvwg Beschluss 2019/4/15 W168 2199548-1

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Veröffentlicht am 15.04.2019
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Entscheidungsdatum

15.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W168 2199545-1/7E

W168 2199543-1/7E

W168 2199548-1/5E

W168 2199549-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag.Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerden von

1.) XXXX , alias XXXX geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2018, ZL: 1133181605 / 161450039,

2.) XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, geben den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2018, ZL: 1133178000 / 161450004,

3.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, geben den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 26.05.2018, ZL:

1133175510/ 161450012,

4.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, geben den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 26.05.2018, ZL:

1133175608/ 161450025,

beschlossen:

A)

Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufgehoben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die Erst- bis Vierbeschwerdeführer (BF1 bis BF4) gelangten unberechtigt in das Bundesgebiet und stellten am 21.10.2016 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

Bei der Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 02.02.2018 führte diese unter Anderem zusammenfassend aus, dass sie von ihrem Schwager mit einer Waffe bedroht worden wäre, da sie das Kopftuch nicht hätte tragen wollen. Auch gab diese zu Protokoll, dass sie in Afghanistan immer das Kopftuch hätte tragen müssen, dort nicht arbeiten und keine Verwandten hätte besuchen können. Weiters führte sie aus, dass sie als Frau in Afghanistan keine Rechte hätte. Sie wolle nicht, dass ihre Tochter die gleichen Probleme hätte wie sie.

Mit den nunmehr angefochtenem Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass ein Verlassen Afghanistans aus wohlbegründeter Furcht, bzw. asylrelevanter individueller Verfolgung nicht glaubhaft gemacht werden hätte können. Insbesondere wären mehrere aufgezeigte Widersprüche aufzuzeigen gewesen. Auch wäre auf eine IFA in Kabul zu verweisen. Die Familie hätte bereits 1,5 Jahre unbehelligt in Kabul gelebt ohne dass sie von ihrem Schwager bedroht worden wäre. Die Angaben, dass sich die BF in dieser Zeit nicht aus dem Haus getraut hätte wären unglaubwürdig. Es würden sich mehrere Verwandte der Familie in der Herkunftsprovinz Kapisa in Afghanistan, insbesondere auch eine Tante (vs) in Kabul aufhalten. Die Eltern der Erstbeschwerdeführerin als auch ihre Geschwister würden sich in Deutschland aufhalten. Diese könnten die Familie bei einer Rückkehr unterstützen. Der Familie sei eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar. Insbesondere wurde betreffend der Erstbeschwerdeführerin festgehalten: Ziel des Refoulementschutzes wäre es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen zu beschützen, sondern allein der Schutz vor Lebenssituationen, die von den in §50 FPG aufgezählten Normen erfasst worden wären zu gewähren. Das Vorbringen, bzw. ihre Situation wäre jedoch nicht unter diese Normen zu subsumieren. Die BF1 hätte Erfahrung als Schneiderin. Die BF Hätte angegeben, dass sie sich im Iran um den Haushalt gekümmert hätte, bzw. einkaufen gegangen wäre und keinen Beruf nachgegangen wäre. Sie hätte dort ein Kopftuch tragen müssen. Der Schwager der BF1 hätte diese gezwungen ein Kopftuch zu tragen. Die BF hätte angegeben, dass sie in Österreich mehr Freiheiten und Rechte hätte. Diese Rechte hätte diese jedoch bisher nicht genutzt. Die BF hätte sich auch in Österreich um den Haushalt gekümmert, bzw. würde keiner Arbeit nachgehen. Die BF würde immer noch ihre traditionelle Frauenrolle leben, bzw. hätte sich das Leben nur geringfügig geändert. Auch hätte die BF1 in der Zeit in Österreich nur geringfügige Forstschritte im Erlernen der deutschen Sprache gezeigt. Die BF wäre nur während der Adventszeit 2017 einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen. Auch die vorgelegten Fotos würden eine große Änderung der Lebensweise nicht belegen. Die Kontakte der BF1 würden sich auf Frauen, bzw. auf Betreuer beschränken. Es wäre für die Behörde nicht glaubhaft, dass sie sich in Afghanistan nicht nach den ortüblichen Gebräuchen hätte frei bewegen dürfen. Es sei den BF insgesamt möglich und zumutbar ihren Lebensmittelpunkt wieder in Afghanistan zu erneuern. Der einzige Unterschied wäre der Kleidungsstil. Die BF wäre mit offenen Haaren und einem Pullover zur EV erschienen. Der Kleidungsstil alleine würde jedoch kein entscheidendes Kriterium für einen "westlichen Lebensstil" darstellen. Vielmehr wären die seitens der BF tatsächlich gelebten Umstände maßgeblich für eine westliche Lebensweise. Die seitens der BF aufgezeigte Lebenssituation in Österreich würde aufzeigen, dass keine Lebensweise angenommen worden wäre, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Die BF1 habe keine "westliche Geisteshaltung" innerhalb derer eine selbstbestimmte Lebensweise einen unabdingbaren Aspekt darstellt eingenommen und die BF1 würde kein freibestimmtes Leben nach westlichen Normen führen. Es gäbe keine Hinweise dafür, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden. Den Länderfeststellungen zufolge habe sich die Lage von Frauen in Afghanistan verbessert. Frauen und Männer in Afghanistan hätten die gleichen Rechte und Pflichten vor dem Gesetz. Im Fall der Rückkehr der BF bestünde für diese keine Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK. Einer gemeinsamen Ausweisung des BF stünde auch nicht eine Verletzung des Art. 8 EMRK entgegen. Die BF verfügen über keine weiteren relevanten familiären oder freundschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich. Gründe für das Vorhandensein einer besonders berücksichtigungswürdigen besonderen Integration wären nicht hervorgekommen.

Gegen die gegenständlichen Bescheide des BFA erhoben die BF fristgerecht Beschwerden. In diesen wurde inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht, bzw. würden diese Bescheide im vollen Umfang angefochten werden. Begründend wurde insbesondere hinsichtlich Spruchpunkt I der BF1 ausgeführt, dass diese insbesondere angegeben hätte, dass diese soweit es ihr möglich gewesen war eine westliche Lebensweise bereits in Afghanistan ausgelebt habe. Das BFA hätte sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die westliche Lebensweise der BF1 in Afghanistan eine Verfolgungsgefahr darstellen würde. Bei einer Rückkehr wäre die BF1 einer ständigen Gefahr ausgesetzt, die Zentralregierung könne nicht für die Rechte der Frauen in Afghanistan Sorge tragen, bzw. bestehe kein funktionierender Polizei- oder Justizapparat. Eine IFA in Afghanistan würde nicht vorhanden sein. Die BF hätte bei ihrer Einvernahme vor dem BFA dargelegt, dass sie selbständig in Österreich leben würde, dass sie sich mit Freunden treffen würde, alleine einkaufen gehen würde und modern gekleidet wäre. Dem BFA wären Fotos vorgelegt worden, die diese Umstände beweisen würden. Aus diesen Gründen wären die Anträge zu stellen, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den BF einen Verbesserungsauftrag betreffend der nicht in der Beschwerde geltend gemachten Beschwerdepunkte vornehmen zu können, den BF den Status von Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, bzw. in eventu subsidiären Schutz gemäß § 8 AsylG zuzuerkennen, bzw. in eventu die angefochtenen Bescheide zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Mit Datum 23.11.2018 wurden betreffend der BF1 und des BF2 Bestätigungen hinsichtlich freiwillig geleisteter Sozialarbeit, sowie ein Empfehlungsschreiben übermittelt.

Mit Datum 02.04.2019 wurden integrative Unterlagen seitens der BF in Vorlage gebracht. Diesen sind insbesondere Teilnahmebestätigungen an Werte- bzw. Orientierungkursen, sowie an Deutschunterrichtseinheiten zu entnehmen. Auch wurden Bewerbungsunterlagen des BF2, bzw. mehrere Empfehlungsschreiben und Bestätigungen betreffend der Teilnahme, insbesondere auch der BF1, am Gemeindeleben übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Der unter I. dargestellte und sich vollständig aus dem vorliegenden Verwaltungsakt erschließliche Verfahrensgang wird festgestellt.

Das BFA hat in den gegenständlichen Verfahren die Vornahme von verfahrenswesentlichen Abklärungen und Feststellungen gänzlich unterlassen: Das BFA hat insbesondere zunächst auf den aktuellen Länderfeststellungen basierende Abklärungen und Feststellungen zur konkreten Rückkehrsituation der beiden Kinder in den gegenständlichen Verfahren insgesamt nicht, bzw. nicht im erforderlichen Maße vorgenommen. Auch hat das BFA eine gesamtheitliche Würdigung der Angaben der BF1 betreffend einer möglichen "westlichen Orientierung" nicht, bzw. nicht im ausreichenden Maße vorgenommen und hat nicht auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der BF1 - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - die zu erwartende Reaktion in Afghanistan auf die von der BF1 angestrebte Lebensweise geprüft.

Das BFA hat somit in den gegenständlichen Verfahren die geforderten Maßstäbe eines umfassend ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens missachtet und hat in den gegenständlichen Verfahren ebenso gegen die in § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten verstoßen

2. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 BFA-VG idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher im vorliegenden Beschwerdeverfahren gegeben.

Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde

1.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0168).

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten insbesondere ausgeführt:

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommenden Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl. 2003/20/0389).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, in nunmehr ständiger Rechtsprechung (vgl. Erkenntnis vom 24.02.2009, Zl. U 179/08-14 u. a.) ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit dem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg.15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m.w.N., 14.421/1996, 15.743/2000).

2. In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063-4 hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in Hinblick auf die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit ausgesprochen, dass prinzipiell eine meritorische Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte bestehe und von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden könne. Diesbezüglich führte er aus, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht komme, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

3. Die belangte Behörde hat die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderten Maßstäbe eines umfassend ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens in den gegenständlichen Verfahren missachtet. In den gegenständlichen Verfahren wurde ebenso gegen die in § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten verstoßen. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 18 AsylG 2005 bestimmt nämlich, dass das Bundesamt in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 iVm. § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde darstellt, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, hat die belangte Behörde in diesem Verfahren jedoch missachtet.

Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht, bzw. grundlegend nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.

Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht, bzw. grundlegend nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.

a.)Zunächst ist unter Verweis auch auf jüngst ergangene Entscheidungen des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018), sowie des VwGH (Ra 2018/18/0315 bis 0320-10 vom 6. September 2018) festzuhalten, dass die in den angefochtenen Bescheiden wiedergegebenen Länderberichte unter Anderem keine bzw. nur allgemeine Ausführungen zur Situation von (kleinen) Kindern, bzw. in casu auch insbesondere kleinen Mädchen in Afghanistan enthalten. Aus den aktuellen Länderfeststellungen von Afghanistan geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gäbe. So wird hierin ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden. In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der konkreten Situation von Kindern, als auch Minderjährigen in Afghanistan (Kabul) insgesamt und diesbezüglich eben auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheide zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend nicht ausreichend die individuell konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Diesbezüglich werden ausschließlich allgemeine Ausführungen betreffend des Bestehens eines familiären Netzwerkes durch den Aufenthalt einer Tante in Kabul, bzw. der Möglichkeit von Unterstützungsleistungen durch Verwandte in Deutschland oder dem Iran angeführt. Das BFA klärt jedoch nicht ab, ob die angeführten Personen auch konkret in der Lage sind den BF entsprechende Versorgungsleistungen in Afghanistan anbieten zu können. Insbesondere unterlässt das BFA eine vertiefende bzw. individualisierte Auseinandersetzung mit den kinderspezifischen Informationen die sich aus den zitierten Länderberichten der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ergeben, bzw. setzt sich nicht hinreichend und auf Basis dieser Berichte mit der Frage auseinander, ob den zwei kleinen Kindern, einen Buben und ein Mädchen, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.).

Es ist auch darauf hinzuweisen, dass den Bescheiden der Kinder keine eigenen Länderberichte zugrunde gelegt wurden, sondern in den Bescheiden der zwei minderjährigen Kinder ausschließlich auf die Länderberichte und allgemeinen Feststellungen in den Bescheiden der beiden Eltern verwiesen wird.

b.) Ergänzend ist anzumerken, dass das BFA in casu auch in Hinblick auf das Vorbringen der BF1 betreffend des Vorliegens einer möglichen "westlichen Orientierung, bzw. eines westlichen Lebensstils" ergänzende Abklärungen und Feststellungen vorzunehmen haben wird.

Richtig führt das BFA zwar aus, dass die Tatsache, dass es sich im gegenständlichen Verfahren um eine afghanische Frau handelt, für sich alleine genommen ohne Berücksichtigung ihrer konkreten und individuellen Lebensumstände im Herkunftsstaat, ihrer persönlichen Einstellung und Wertehaltung, ihrem bisherigen Verhalten, sowie ohne gesamtheitliche Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihres individuellen Fluchtvorbringen nicht ausreicht, um jedenfalls mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Verfolgung ausschließlich auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgehen zu können. (BVwG163 1425267 -1 vom 30.04.2014)

Im gegenständlichen Verfahren ist aus den Ausführungen der BF1 jedoch bereits konkret zu entnehmen, dass diese als Fluchtgrund ihre aktive Weigerung des Zwanges zum Tragen des Kopftuches anführt, bzw. diese weites auch ausführt, dass sie in Afghanistan nicht arbeiten durfte, bzw. dort (selbstbestimmt) keine Verwandten besuchen durfte. Festzuhalten ist, dass die BF1 während ihrer Einvernahme auch betont, dass sie in Österreich kein Kopftuch tragen wolle und diesbezüglich auch entsprechende Fotos in Vorlage gebracht hat. Das BFA selbst hält bei der Einvernahme vor dem BFA betreffend das äußere Erscheinungsbild der BF fest (AS. 563), dass diese die Haare offen trägt und geschminkt zur EV erscheint. Zu ihren intendierten Zukunftserwartungen führt die BF ferner aus, dass sie Deutschkurse besuchen wolle. Diesbezüglich wurden auch bereits Zeugnisse in Vorlage gebracht, die belegen sollen, dass die BF am Gemeindeleben teilnehme, bzw. auch sonst selbstbestimmt leben wolle. Bezogen auf das Vorliegen einer möglichen Verwestlichung wären diese Ausführungen betreffend insbesondere auch die Zukunftserwartungen der BF1 in Österreich bzw. auch in Afghanistan einer umfassenden Würdigung unter Berücksichtigung auch der hierauf bezogenen aktuellen Länderinformationen zu unterziehen gewesen.

Der VwGh geht im Hinblick auf das Vorbringen eines "westlichen Lebensstils" in ständiger Rechtsprechung von der Notwendigkeit der konkreten Prüfung der angestrebten Lebensweise von afghanischen Asylwerberinnen aus. (etwa. VwGH Zlen RA 2014/20/0017 und 0018-9, 28.05.2014).

Das BFA führt hierzu beweiswürdigend aus, dass die seitens der BF1 aufgezeigte Lebenssituation in Österreich und die ho. ständig geübte Verhaltensweise gerade aufzeige, dass hieraus seitens der BF1 eben keine derartige Lebensweise abgeleitet werden könne, die einen deutlichen Bruch mit den allgemeine verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, bzw. diese keine "westliche Geisteshaltung" , innerhalb derer eine selbstbestimmte Lebensweise einen unabdingbaren Aspekt darstellen würde und die BF1 kein freibestimmtes Leben führen würde.

Den Ausführungen der Beschwerdeschrift ist hierauf bezogen zu folgen, wenn diese darauf verweisen, dass die BF1 konkret bezogene Ausführungen erstattet hat, die das Vorliegen einer solchen selbstbestimmten Lebensweise darlegen, bzw. das BFA sich überhaupt nicht, bzw. nicht ausreichend mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die aufgezeigte Lebensweise eine Verfolgungsgefahr in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit darstellen würde.

Im gegenständlichen Verfahren wurde somit nicht auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der BF1 - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - die zu erwartende Reaktion in Afghanistan auf eine von der BF1 angestrebte Lebensweise geprüft. (etwa VwGH, Zlen RA 2014/20/0017 und 0018-9, 28.05.2014).

Das BFA geht in den angefochtenen Bescheiden somit auf mehrere wesentliche Verfahrensfragen nicht ausreichend ein, bzw. unterlässt die diesbezüglich erforderlichen Abklärungen, insbesondere zur Situation von minderjährigen Kindern in Afghanistan, gänzlich. Der von der Verwaltungsbehörde diesbezüglich ermittelte Sachverhalt ist somit diesbezüglich grundlegend ergänzungsbedürftig und die angefochtenen Bescheide sind damit in den angeführten Punkten begründungslos ergangen.

Das BFA wird somit diese Ermittlungen im Zuge eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens, bzw. durch ergänzende Befragungen nachzuholen, als auch bezogen auf die jüngst vorgelegen fachärztlichen Befunde den aktuellen Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin, bzw. hinsichtlich auch der vorgelegten integrativen Unterlagen das Vorliegen einer möglichen "Verwestlichung" der BF1 abzuklären und entsprechend zu würdigen haben.

Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme eines in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens, als auch eine solcherart darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes- nicht ersichtlich.

Da der maßgebliche Sachverhalt in den gegenständlichen Verfahren somit nach wie vor in verfahrensrelevant wesentlichen Punkten nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen den Anträgen der Beschwerdeführer die angefochtenen Bescheide zu beheben und an das BFA zurückzuverweisen stattzugeben.

Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil der gegenständliche Fall rein tatsachenlastig ist und keinerlei Rechtsfragen - schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung - aufwirft. Der Vollständigkeit halber sei ausgeführt, dass die Judikatur zu § 66 Abs. 2 AVG in ihrem Kernbereich auf § 28 Abs. 3 VwGVG anzuwenden ist und diesbezüglich seit jeher Einheitlichkeit gegeben ist.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W168.2199548.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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