TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/16 W241 2216495-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

16.04.2019

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §61 Abs1
FPG §61 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W241 2216495-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hafner über die Beschwerde des mj. XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, gesetzlich vertreten durch das Land Tirol, Bevollmächtigte:

Mag. XXXX , Abteilung Kinder- und Jugendhilfe Tirol, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2019, Zahl 1148506407/170439719, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid wird behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der minderjährige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger Syriens, brachte am 10.04.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) gegenständlichen Antrag gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG), ein.

2. Eine EURODAC-Anfrage ergab, dass der BF am 26.02.2016 in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat.

3. Bei der Erstbefragung am 11.04.2017 gab der BF im Wesentlichen an, dass er mit seinem ebenfalls minderjährigen Bruder (siehe W241 2216497-1) nach Österreich gereist sei und einen weiteren Bruder sowie drei Schwestern in Österreich habe. Er sei über die Türkei, Griechenland und unbekannte Länder nach Deutschland gereist, wo er sich etwa ein Jahr aufgehalten habe. Den Stand seines Verfahrens kenne er nicht.

4. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 10.10.2017 wurde das Land Tirol als Jugendwohlfahrtsträger mit der Obsorge des BF betraut.

5. Am 06.11.2018 langte eine Auskunft gem. Art 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zum Bruder des BF ein. Daraus geht hervor, dass "alle drei Brüder" in Deutschland subsidiären Schutz erhalten hätten.

6. Am 07.11.2018 wurde eine Anfrage an die deutschen Behörden zur Klärung des Aufenthaltsstatus des BF in Deutschland übermittelt. Aus einem am selben Tag übermittelten Auszug aus dem deutschen Ausländerzentralregister geht hervor, dass der BF am 26.02.2016 in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, der am 17.06.2017 abgelehnt worden war. Der BF war bereits am 04.04.2017 aus Deutschland ausgereist.

7. Das BFA führte am 28.01.2019 eine Einvernahme des BF durch.

8. Mit Schreiben vom 01.02.2019 stimmten die deutschen Behörden der Rücküberstellung des BF und seines Bruders zu. Der Bruder des BF sei in Deutschland subsidiär schutzberechtigt. Der BF sei nicht subsidiär schutzberechtigt und kein Asylsuchender nach der Dublin III-VO. Da er aber der jüngere Bruder sei, gelte die Zustimmung für ihn gleichermaßen.

9. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.02.2019 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Art. 3 Abs. 2 iVm Art. 8 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Ferner wurde gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), die Außerlandesbringung des BF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde ausgeführt, dass die Zuständigkeit mit 01.02.2019 gemäß § 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO auf Deutschland übergegangen sei, da sich Deutschland dazu bereiterklärt habe, den BF und seinen Bruder zurückzunehmen.

10. Mit Schriftsatz vom 22.03.2019, beim BFA eingelangt am selben Tag, wurde gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben und die aufschiebende Wirkung der Beschwerde beantragt.

11. Die Beschwerdevorlage an die zuständige Gerichtsabteilung des BVwG iSd § 16 Abs. 4 BFA VG erfolgte am 26.03.2019.

12. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.04.2019, W241 2216495-1/2Z, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin-III-VO lauten:

Art. 3:

"(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen."

Art. 8:

"(1) Handelt es sich bei dem Antragsteller um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich ein Familienangehöriger oder eines der Geschwister des unbegleiteten Minderjährigen rechtmäßig aufhält, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Ist der Antragsteller ein verheirateter Minderjähriger, dessen Ehepartner sich nicht rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhält, so ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich der Vater, die Mutter, oder ein anderer Erwachsener - der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats für den Minderjährigen zuständig ist - oder sich eines seiner Geschwister aufhält.

(2) Ist der Antragsteller ein unbegleiteter Minderjähriger, der einen Verwandten hat, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, und wurde anhand einer Einzelfallprüfung festgestellt, dass der Verwandte für den Antragsteller sorgen kann, so führt dieser Mitgliedstaat den Minderjährigen und seine Verwandten zusammen und ist der zuständige Mitgliedstaat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient.

(3) Halten sich Familienangehörige, Geschwister oder Verwandte im Sinne der Absätze 1 und 2 in mehr als einem Mitgliedstaat auf, wird der zuständige Mitgliedstaat danach bestimmt, was dem Wohl des unbegleiteten Minderjährigen dient.

(4) Bei Abwesenheit eines Familienangehörigen eines seiner Geschwisters oder eines Verwandten im Sinne der Absätze 1 und 2, ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient.

(5) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Ermittlung von Familienangehörigen, Geschwistern oder Verwandten eines unbegleiteten Minderjährigen; die Kriterien für die Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung; die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit eines Verwandten, für den unbegleiteten Minderjährigen zu sorgen, einschließlich der Fälle, in denen sich die Familienangehörigen, Geschwister oder Verwandten des unbegleiteten Minderjährigen in mehr als einem Mitgliedstaat aufhalten, delegierte Rechtsakte zu erlassen. Bei der Ausübung ihrer Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte geht die Kommission nicht über den in Artikel 6 Absatz 3 vorgesehenen Umfang des Wohls des Kindes hinaus.

(6) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen."

Art. 21 Abs. 1:

"(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er sobald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.

Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac-Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt.

Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in den Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig."

§ 28 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet:

"(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

2. Die Asylantragstellung des BF in Österreich erfolgte am 10.04.2017. Nach dem klaren Wortlaut des Art 21 Abs. 1 Dublin III-VO hat der ersuchende Mitgliedstaat innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung, im Fall einer Eurodac-Treffermeldung innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung, den Mitgliedstaat, den er als für die Prüfung des Antrags als zuständig erachtet, zu ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen. Diese Frist hat absoluten Charakter. Die Fristversäumnis hat einen Zuständigkeitseintritt des ersuchenden Mitgliedstaates zur Folge.

Die Frist zum Stellen des Wiederaufnahmegesuches für den BF hat demnach spätestens am 12.06.2017 geendet. Gegenständlich wurde jedoch seitens des BFA, trotz Vorliegens einer Eurodac-Treffermeldung, kein Wiederaufnahmeersuchen nach Art 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestellt, sondern die Zuständigkeit Deutschlands allein auf die Zustimmung zur Rückübernahme des BF gemeinsam mit seinem in Deutschland subsidiär schutzberechtigten Bruder vom 01.02.2019 gestützt. Für eine Anwendung der Dublin-III-VO im gegenständlichen Fall besteht daher schon aus diesem Grund keine Rechtsgrundlage. Die Zustimmung Deutschlands zur Übernahme des BF erfolgte darüber hinaus erst knapp zwei Jahre nach Asylantragstellung des BF im April 2017. Nach Ablauf der Frist für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs an Deutschland ist die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages des BF jedoch bereits auf Österreich übergegangen.

Nach dem Gesagten war gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG zwingend mit einer Behebung des Bescheides vorzugehen.

3. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Abschiebung, Asylantragstellung, Außerlandesbringung, Behebung der
Entscheidung, Fristablauf, Fristüberschreitung, Fristversäumung,
Kassation, Unzuständigkeit, Zurückweisung, Zuständigkeit,
Zuständigkeitsübergang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W241.2216495.1.01

Zuletzt aktualisiert am

16.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten