TE Bvwg Beschluss 2019/6/4 G314 2219437-1

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Veröffentlicht am 04.06.2019
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Entscheidungsdatum

04.06.2019

Norm

AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G314 2219437-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, serbischer Staatsangehöriger, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.05.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene

Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF), der über keinen Aufenthaltstitel verfügt und mit seinem am 15.01.2019 ausgestellten und bis 15.01.2029 gültigen serbischen Reisepass zuletzt am 29.04.2019 in das Bundesgebiet einreiste, wurde hier am 02.05.2019 bei einem Diebstahlsversuch betreten und angezeigt. Aufgrund eines DNA-Treffers besteht der Verdacht, dass er auch an einem Einbruchsdiebstahl Ende 2017 beteiligt gewesen sein könnte. Er wurde am 03.05.2019 dazu und zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vernommen. Gegenüber der Polizei legte er zu der ihm angelasteten Wegnahme eines Rasenmähers am 02.05.2019 ein Tatsachengeständnis ab, bestritt aber, in Österreich Straftaten begangen zu haben. Seit XXXX.2019 wird er im XXXX in Schubhaft angehalten. Der BF ist in Österreich unbescholten; die Staatsanwaltschaft beantragte die Verhängung der Untersuchungshaft gegen ihn nicht.

In Deutschland, wo sich die langjährige Lebensgefährtin und die Kinder des BF aufhalten sollen, trat er unter verschiedenen Identitäten auf und wurde zwischen 1984 und 2013 zwölf Mal strafgerichtlich verurteilt. Einer Verurteilung zu einer sechsmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe wegen eines Körperverletzungsdelikts 1984 folgte eine Verurteilung zu einer einjährigen Freiheitsstrafe wegen Hehlerei 1990, wobei die zunächst gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen werden musste; die Strafe wurde daraufhin bis 28.06.2006 vollzogen. 1993 wurde der BF wegen zweier Diebstähle zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt; eine zunächst gewährte teilbedingte Nachsicht wurde widerrufen und die Strafe bis 29.09.2001 vollstreckt. 1996 wurde der BF wegen eines Diebstahlsversuchs zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die zunächst teilweise zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dies wurde in der Folge widerrufen und die Strafe bis 07.04.2001 vollzogen. 1997 und 1998 wurde der BF wegen Urkundenfälschung bzw. fahrlässiger Körperverletzung jeweils zu Geldstrafen verurteilt. 1999 folgte eine bedingt nachgesehene achtmonatige Freiheitsstrafe wegen Diebstahls. Im April 2000 wurde wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Versicherungsschutz eine Geldstrafe verhängt. Ende 2000 wurde der BF wegen zweier Einbruchsdiebstähle zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, zu zunächst teilweise zur Bewährung ausgesetzt wurde, was in der Folge widerrufen wurde. Die Strafvollstreckung ist seit November 2017 aufgrund von Verjährung erledigt. 2005 folgte eine dreimonatige Freiheitsstrafe wegen Diebstahls (Vollstreckung bis 28.07.2006). 2008 wurde der BF wegen des Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen zu einer Geldstrafe verurteilt. Zuletzt erfolgte 2013 die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten wegen zweier Wohnungseinbruchsdiebstähle. Diese Strafe wurde bis 25.04.2016 vollstreckt; es wurde eine Führungsaufsicht bis 24.04.2021 angeordnet.

Seit 19.03.2007 besteht gegen den BF in Deutschland eine unbefristete Ausweisungsverfügung. Seither wohnt er in seinem Haus in Serbien. Er hält sich mehrmals im Jahr im Bundesgebiet auf, um hier seine Angehörigen zu treffen. Er spricht Serbisch und Romani. Abgesehen von der Wohnsitzmeldung im XXXX ab XXXX.2019 war er im Bundesgebiet nie nach dem MeldeG gemeldet. Er ging in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.

Das BFA führte keine Ermittlungen zum Privat- und Familienleben des BF in anderen Mitgliedstaaten, zu den Taten, die seinen Verurteilungen in Deutschland zugrunde lagen, zu den Ergebnissen der Führungsaufsicht und zur Grundlage für die Ausweisungsverfügung durch. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erteilte es dem BF keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien fest (Spruchpunkt III.), erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.), legte gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt V.) und erließ gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.). Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF in Österreich weder einen Wohnsitz noch sonstige Anbindungen habe. Sein Lebensmittelpunkt liege in Serbien, wo er eine Wohnmöglichkeit habe, Gelegenheitsarbeiten verrichte und nicht gefährdet sei. Er sei bei einem Diebstahlsversuch, den er nicht geleugnet habe, betreten worden. Ihm sei auch ein Einbruchsdiebstahl am 30.12.2017 nachgewiesen worden. In Deutschland sei er zwölf Mal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden. Auch nach der Ausweisungsverfügung 2007 sei er dorthin zurückgekehrt. Das Einreiseverbot wurde mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten in Deutschland 2013 begründet, die gemäß § 73 StGB einer inländischen Verurteilung gleichstünde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und Durchführung einer Beschwerdeverhandlung. Der BF strebt primär die Behebung der Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 57 AsylG an, in eventu die Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 54 AsylG, die Behebung von Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids sowie die Behebung oder Verkürzung des Einreiseverbots bzw. dessen Beschränkung auf das Bundesgebiet. Hilfsweise wird letztlich auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass die Behörde nicht auf sein Vorbringen eingegangen sei und ein unzureichendes Ermittlungsverfahren, z.B. zu seinem Privat- und Familienleben in anderen Mitgliedstaaten, durchgeführt habe, obwohl er Verwandte in Deutschland und Italien habe. Die Dauer des Einreiseverbots sei unzureichend begründet worden; ein unbefristetes Einreiseverbot sei jedenfalls unverhältnismäßig. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass dem BF in Serbien die reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach der EMRK drohe.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 29.05.2019 einlangten, und beantragt unter Anschluss einer ausführlichen Stellungnahme, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der oben angeführte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG sowie aus den durchgeführten Abfragen im Zentralen Melderegister, Fremdenregister und Strafregister. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF basieren auf dem deutschen ECRIS-Auszug.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Da über die Beschwerde innerhalb der Wochenfrist des § 18 Abs 5 BFA-VG entschieden werden kann, erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage der Zu- oder Aberkennung der aufschiebenden Wirkung.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).

Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann demnach nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.

Dabei ist von folgender rechtlicher Beurteilung auszugehen: Weder im FPG noch in der Rückführungsrichtlinie ist vorgesehen, dass die Mitgliedsstaaten bei der Erlassung eines Einreiseverbots dessen Geltung für ein bestimmtes Gebiet der Union aussetzen könnten, sodass dem darauf gerichteten Beschwerdeantrag jedenfalls nicht Folge zu geben ist.

Als serbischer Staatsangehöriger ist der BF Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Als Inhaber eines biometrischen Reisepasses ist er grundsätzlich gemäß Art 1 Abs 2 iVm Anhang II Visumpflichtverordnung von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tage nicht überschreitet, befreit. Er durfte daher unter den Einreisevoraussetzungen des Art 6 Abs 1 lit a, c, d und e Schengener Grenzkodex (Verordnung [EU] 2016/399) in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen und sich dort gemäß Art 20 SDÜ (Schengener Durchführungsübereinkommen; vgl § 2 Abs 4 Z 6 FPG) unter den Voraussetzungen des Art 5 Abs 1 lit a, c, d und e SDÜ frei bewegen. Dazu gehört unter anderem, dass er den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen kann, über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügt oder in der Lage ist, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben, und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellt.

Wenn sich herausstellt, dass sich der BF nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (gegebenenfalls samt Einreiseverbot) gegen ihn zu prüfen. Die dabei zu beurteilende Frage nach dem Eingriff in sein Privat- oder Familienleben darf aber nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, sondern es ist auch die Situation in den anderen "Schengen-Staaten" in den Blick zu nehmen (vgl. VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007; 20.12.2018, Ra 2018/21/0236).

Gemäß § 53 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands und des Vereinigten Königreichs) sowie Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig von seinem bisherigen Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Ein unbefristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 5 FPG setzt voraus, dass er von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt wurde und dies die Annahme rechtfertigt, dass sein Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ist. Gemäß § 53 Abs 5 zweiter Satz FPG gilt dabei in Bezug auf ausländische Verurteilungen § 73 StGB ("Sofern das Gesetz nicht ausdrücklich auf die Verurteilung durch ein inländisches Gericht abstellt, stehen ausländische Verurteilungen inländischen gleich, wenn sie den Rechtsbrecher wegen einer Tat schuldig sprechen, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, und in einem den Grundsätzen des Art 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen sind"). Sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es ist weiters in Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen des Betroffenen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; vgl auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Da der BF in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist und wegen der gegen ihn aktuell erhobenen Vorwürfe noch keine Verurteilung erfolgte, steht nicht fest, ob gegen ihn eine strafgerichtliche Sanktion verhängt werden muss und wenn ja, welche und wegen welcher konkreten Taten, zumal auch ein DNA-Treffer nur eine entsprechende Verdachtslage begründet, aber nicht den Nachweis einer Straftat ersetzt, und der BF die Begehung von Straftaten im Bundesgebiet rundweg abstreitet. Auch allfällige Strafzumessungsgründe sind naturgemäß noch nicht bekannt. Die Taten, die der BF in Österreich verübt haben soll, haben bislang nicht zur Verhängung der Untersuchungshaft geführt und rechtfertigen nach dem derzeitigen Stand jedenfalls kein unbefristetes Einreiseverbot.

Die Behörde hat Ermittlungen zu den konkreten Taten, die den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF in Deutschland zugrunde lagen, insbesondere der letzten, die zum Anlass für ein unbefristetes Einreiseverbot genommen wurde, unterlassen, und auch keine Erhebungen zu seinem Privat- und Familienleben in anderen Mitgliedstaaten durchgeführt. Da seit der letzten Verurteilung in Deutschland und dem Strafvollzug inzwischen mehrere Jahre vergangen sind, hätte die Behörde seine Lebensführung seit der Haftentlassung erheben und insbesondere die Ergebnisse der Führungsaufsicht gemäß § 68a dStGB in die vorzunehmende Gefährdungsprognose einbeziehen müssen. Anhand der derzeit vorliegenden Ermittlungsergebnisse kann angesichts der Ausstellung des Reisepasses des BF am 15.01.2019 und der zahlreichen Grenzkontrollstempel über Einreisen in den Schengenraum im März und April 2019 nicht einmal verlässlich beurteilt werden, ob er die zulässige visumfreie Aufenthaltsdauer einhielt. Auch der Inhalt der 2007 in Deutschland gegen ihn erlassenen Ausweisungsverfügung (insbesondere deren Grund und deren räumlicher Geltungsbereich) wurde noch nicht erhoben, ebensowenig, warum die Verurteilung des BF in Deutschland 2013 dort nicht zum Anlass für eine (schengenweit gültige) aufenthaltsbeendende Maßnahme genommen wurde.

Da somit relevante Sachverhaltselemente für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots fehlen, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verhängt werden muss und wenn ja, in welcher Dauer. Das BFA hat keine geeigneten Schritte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts gesetzt; auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig. Die Behörde wird im fortgesetzten Verfahren zumindest das der letzten Verurteilung des BF in Deutschland zugrunde liegende Strafurteil und die bisherigen Ergebnisse der Führungsaufsicht beischaffen, den BF zu seinen privaten und familiären Anknüpfungen in anderen Mitgliedstaaten befragen und Nachweise für seine dazu aufgestellten Behauptungen (Geburtsurkunden, Aufenthaltstitel seiner Angehörigen in Deutschland und Italien etc.) aufnehmen müssen und überdies den Ausgang des in Österreich gegen ihn anhängigen Strafverfahrens abzuwarten haben. Je nach dem Ergebnis dieser Erhebungen wird es sodann neuerlich entscheiden müssen, ob gegen den BF eine Rückkehrentscheidung (allenfalls samt Einreiseverbot) zu erlassen ist oder nicht.

Zwar kann auch ein Fehlverhalten, das (noch) nicht zu einer (gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen) Bestrafung geführt hat, für die Gefährdungsprognose herangezogen werden (vgl VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0081). In einem solchen Fall bedarf es aber entsprechend konkreter, in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffener Feststellungen dazu. Da sich der BF gegenüber der Polizei leugnend verantwortete, wäre nachvollziehbar darzulegen, aufgrund welcher beweiswürdigenden Umstände die Behörde dennoch von einer von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht. Dazu hätte der BF insbesondere auf die Diskrepanz zwischen dem Tatsachengeständnis und der generellen Bestreitung der Begehung von Straftaten im Bundesgebiet angesprochen werden müssen.

Da somit zu tragenden Sachverhaltselementen keine Beweisergebnisse vorliegen, zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden, dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können und zweckmäßigerweise vor einer Entscheidung über eine aufenthaltsbeendende Maßnahme der Ausgang des Strafverfahrens gegen den BF abzuwarten ist, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt, zumal das BFA offenbar jegliche Ermittlungen in Deutschland unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher - dem in der Beschwerde eventualiter gestellten Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag entsprechend - gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung der Entscheidung,
Ermittlungspflicht, individuelle Verhältnisse, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2219437.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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