Entscheidungsdatum
10.07.2019Norm
BEinstG §14Spruch
W201 2210328-1/9E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF als Vorsitzende und die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR sowie dem fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von
XXXX , geb. am XXXX , vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Nadja LINDENTHAL, Siebensterngasse 23/3, 1070 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, OB: XXXX , vom 15.10.2018, betreffend Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid vom 15.10.2018 wird behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Herr XXXX (in der Folge Beschwerdeführer) war aufgrund eines Bescheides des Landesinvalidenamtens für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 03.12.1991 mit einem Grad der Behinderung von 50% dem Kreis der begünstigen Behinderten zugehörig.
2. Von Amts wegen erfolgte die Durchführung eines Verfahrens zur Neufestsetzung des Grades der Behinderung durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien (belangte Behörde).
3. Am 07.02.2018 erfolgte die Untersuchung des Beschwerdeführers durch einen Arzt für Allgemeinmedizin.
Das Sachverständigengutachten lautet auszugsweise:
"Klinischer Status - Fachstatus:
Aus- und Ankleiden, Aufstehen und Lagewechsel selbständig möglich,
Caput: ua., keine Lippenzyanose, keine Halsvenenstauung,
Cor: reine Herztöne, rhythmische Herzaktion,
Pulmo: V.A., sonorer KS, Basen atemversch., keine Sprechdyspnoe, keine maßgebliche
Kurzatmigkeit bei Bewegungsprüfung im Untersuchungszimmer,
Abdomen: weich, keine Druckpunkte, keine path, Resistenzen palp., Leber am Ribo palp., Milz n.p., Darmgeräusche normal und unauffällig, Nierenlager bds. frei,
HWS: Kopfdrehung und -seitneigung: nach rechts und links, Inkl. und Rekl. frei, BWS: gerade, LWS: Rumpfdrehung und -seitneigung frei,
Extremitäten:
OE: Schultergelenk rechts: Armvorheben und -seitheben frei,
Schultergelenk links: Armvorheben und -seitheben frei, Nacken- und Schürzengriff beidseits frei durchführbar, links gering erschwert durchführbar,
Ellenbogengelenk rechts: Beugung und Streckung frei,
Ellenbogengelenk links: Beugung und Streckung frei,
Handgelenke frei beweglich, Fingergelenke bds. frei, Daumengelenke bds. frei, Faustschluß bds. komplett durchführbar, Zangengriff bds. durchführbar, Greif- und Haltefunktion beidseits unauffällig,
UE: Hüftgelenk rechts: Flexion, Abd. und Add. altersentsprechend frei,
Hüftgelenk links: Flexion, Abduktion und Adduktion frei,
Kniegelenk rechts: Beugung frei, Streckung frei, bandstabil,
Kniegelenk links: Beugung frei, Streckung frei, bandstabil,
Sprunggelenk rechts: frei, Sprunggelenk links: frei, sonstige Gelenke altersentsprechend frei, Fußheben und -senken bds. durchführbar, 1-Beinstand bds. durchführbar, beide UE können von der Unterlage abgehoben werden, links 500, rechts 700. Bein- und Fußpulse bds. palp.,
Venen: keine, Ödeme: keine
Stuhl: unauffällig, Harnanamnese: infolge Entwässerungsmedikation mit Lasix öfters, sonst unauffällig.
Sensibilität an der gesamten linken Körperseite reduziert. OE:
geringe Bradykinese links, Kraft beider oberer Extremitäten seitengleich unauffällig, UE: KHV links gering dysmetrisch, Romberg:
unauffällig, Unterberger: gering schwankend, insgesamt sicher, keine Drehtendenz.
Gesamtmobilität - Gangbild:
unauffällig, flüssig, sicher, ohne Hilfsmittel, freies Stehen unauffällig möglich, Gangtempo unauffällig, Zehenspitzen- und Fersenstand beidseits durchführbar, Konfektionsschuhe
Status Psychicus:
klar, wach, in allen Qualitäten orientiert, keine Denkstörungen, Denkziel wird erreicht, Stimmung ausgeglichen, Anamneseerhebung unauffällig und gut möglich.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und der Rahmensätze:
Position
GdB %
1
Dilatative Kardiomyopathie mit Zustand nach hochgradig reduzierter Linksventrikelfunktion sowie Zustand nach Ventrikel- und Vorhofthromben bei Hinweis auf Myokarditis 12/2017 Wahl dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da nunmehr nahezu normale Auswurffraktion dokumentiert bei Fehlen intrakardialer Thromben sowie Fehlen einer koronaren Herzerkrankung, Fehlen maßgeblicher Dekompensationszeichen unter laufender medikamentöser Therapie zur Behandlung der Hypertonie.
05.02.01
30
2
Residuale Hemiparese links 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da insgesamt geringe neurologische Defizite bei Hemihypästhesie und Vorliegen eines ohne Hilfsmittelverwendung flüssigen und sicheren Gangbildes.
04.01.01
20
3
Homonymer Ausfall der oberen Quadranten linksseitig Fixer Rahmensatz.
11.02.15
20
4
Carpaltunnelsyndrom beidseits Unterer Rahmensatz, da Fehlen muskulärer Atrophien.
04.05.06
10
Gesamtgrad der Behinderung: 30 v.H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Die Leiden 2, 3 und 4 wirken mit dem führenden Leiden 1 nicht maßgeblich wechselseitig negativ zusammen und erhöhen nicht weiter.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Eine Sarkoidose ist durch diesbezügliche Befunde nicht belegt und erreicht keinen
Behinderungsgrad.
Ein Zustand nach Operation eines Pförtnerkrampfes im Kleinkindalter erreicht keinen Behinderungsgrad.
Bei Fehlen maßgeblicher funktioneller Einschränkungen der Wirbelsäule ist kein behinderungsrelevantes Wirbelsäulenleiden belegt.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Aktuelles Sachverständigengutachten wird erstmals nach der nun geltenden
Einschätzungsverordnung erstellt. Im Vergleich zum Vorgutachten Neuaufnahme des nun führenden Leidens Nummer 1. Absenkung des Behinderungsgrades von Leiden Nummer 2 nach geltender Einschätzungsverordnung bei Besserung der neurologischen Defizite im Vergleich zum Vorgutachten.
Keine Änderung hinsichtlich Leiden Nummer 3. Neuaufnahme von Leiden
4.
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
Bei Neuaufnahme von Leiden Nummer 1 und Absenkung des Behinderungsgrades hinsichtlich Leiden Nummer 2 erfolgt nach geltender Einschätzungsverordnung insgesamt eine Absenkung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zum Vorgutachten.
X Dauerzustand"
4. Das Ergebnis der Untersuchung durch den Sachverständigen wurde dem Beschwerdeführer im Wege des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht.
5. Mit Schreiben vom 27.08.2018 erhob der Beschwerdeführer "Beschwerde" gegen das Sachverständigengutachten.
Zu lfd Nr 1 gab der Beschwerdeführer an, er sei mit der Darstellung des Ergebnisses nicht einverstanden. Er sei von einem Standardwert von 70% noch weitentfernt, auch stehe ein Kontrolltermin beim Kardiologen an.
Zu lfd Nr 2 gab er an, dass das Ergebnis und die Herabsetzung von 40% auf 20% für ihn in keiner Weise nachvollziehbar sei. Es seien irreparable Schäden am Nervensystem festgestellt worden.
Zu lfd Nr 3 führte er an, dass eine altersbedingte Sehschwäche im Nahbereich dazugekommen und eine Brille erforderlich sei.
Zu lfd Nr 4 sei ein älterer Befund herangezogen worden, der die Detailuntersuchung der Neuroambulanz nicht beinhalte. Zudem ziehe der Beschwerdeführer seinen Neufestsetzungsantrag vom 02.07.2018 (Untersuchungstermin) zurück und beantrage die Einstellung des Neufestsetzungsverfahrens.
6. Der gutachtenerstellende Arzt für Allgemeinmedizin gab am 10.09.2018 folgende Stellungnahme zur Beschwerde ab:
"Laut Schreiben vom 27. August 2018 erklärt sich der AW mit dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht einverstanden. Die Auswurfleistung des Herzens habe sich im Zuge der Behandlung zwar von 19 % auf 49 % verbessert, aber von einem nahezu normalen Standardwert von 70 % sei dies immer noch weit entfernt. Es bestehe eine Kurzatmigkeit beim Stiegensteigen. Aufgrund der deutlich verringerten Herztätigkeit müsse er eine Entwässerungstherapie mit Lasix nehmen. Auch sei die Einschätzung hinsichtlich Leiden Nummer 2 nicht nachvollziehbar, insbesondere eine Änderung des Behinderungsgrades von 40 % im Vorgutachten auf 20 % im aktuellen Sachverständigengutachten. Eine gute Freundin würde ihn so oft wie möglich begleiten, um den AW zu unterstützen. Es bestehe auch eine Gefühllosigkeit sowie eine mangelnde Motorik am linken Fuß. Das rechte Knie würde manchmal unvermittelt "nach vorne fallen". Auch der Gebrauch des linken Armes sei eingeschränkt bei feinmotorischen Störungen. Es bestehe eine (altersbedingte) Sehschwäche im Nahbereich, welche hinzugekommen sei und das Tragen einer Brille erforderlich mache. Hinsichtlich Leiden 4 sei ein breitbasiger Bandscheibenvorfall in Höhe C5/6 sowie eine breitbasige Bandscheibenvorwölbung in Höhe C6/7 vorliegend. Am 15. Mai 2018 habe er einen Kreislaufkollaps erlitten und sei unkontrolliert nach vorne gefallen. Dabei dürfte es vermutlich zu einer neuerlichen Veränderung der Wirbelsäule gekommen sein. Neu vorgelegt wird ein Bericht des Lorenz Böhler Unfallkrankenhauses vom 24.08. 2018. Dokumentiert ist in diesem, dass es am 8. Dezember 2011 beim Gehen zu einer Verletzung des rechten Kniegelenks mit vorderer Kreuzbandruptur gekommen ist.
Laut Kontrolle vom 15. Dezember 2011 war der Patient subjektiv nahezu beschwerdefrei, Vollbelastung war durchführbar. Konservative Therapiemaßnahmen wurden empfohlen. In der Kontrolle vom 1. Februar 2012 ist wiederum dokumentiert, dass subjektiv vollkommene Beschwerdefreiheit vorliege. Weiters vorliegend ist ein neurochirurgischer Patientenbrief nach Ambulanzbesuch vom 21. Juli 2015. Es bestehe eine Cervikobrachialgie rechts, intermittierend Sensibilitätsstörungen in den Dermatomen C6, C7 und C8 rechts, weiters paravertebrale Schmerzen. Klinisch-neurologisch fanden sich keine motorischen Ausfälle. Die MR-Bilder zeigten einen breitbasigen Bandscheibenvorfall C5/C6 sowie eine breitbasige Protrusion C6/7 rechts. Eine Fortsetzung der konservativen Therapiemaßnahmen wurde empfohlen.
Vorliegend ist ein nach der Richtsatzverordnung erstelltes Vorgutachten vom 22. Oktober 1991. Ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 % wurde damals festgestellt.
Das aktuelle Sachverständigengutachten wird nach der nun geltenden Einschätzungsverordnung erstellt. Im Rahmen der klinischen Untersuchung stellten sich geringe neurologische Defizite an der linken oberen Extremität bei unauffälligen, seitengleichen Kraftverhältnissen und Fehlen maßgeblicher funktioneller Einschränkungen der Gelenke der oberen Extremitäten dar. Auch im Bereich der unteren Extremitäten ließen sich geringe neurologische Defizite objektivieren. Die neurologischen Defizite wurden unter Position 2 nachvollziehbar berücksichtigt. Unter Berücksichtigung der Sensibilitätsstörungen, bei jedoch ohne Hilfsmittelverwendung insgesamt unauffälligem, flüssigem und sicherem Gangbild, wurde die gewählte Rahmensatzhöhe herangezogen. Eine dilatative Kardiomyopathie mit Zustand nach hochgradig reduzierter Linksventrikelfunktion sowie Zustand nach Thrombenbildung 12/2017 wurde unter Position 1 nachvollziehbar berücksichtigt. Ein kardiologischer Befund des Wilhelminenspitals vom 5. Juni 2018 bestätigt eine Befundbesserung bei Fehlen von Thromben. Laut diesem Befund bestehe nun fast eine normale Auswurffraktion. In der klinischen Untersuchung ließen sich unter medikamentöser Therapie keine maßgeblichen Hinweise auf eine kardiale Dekompensation erheben. Aktuell ist eine leicht eingeschränkte linksventrikuläre Funktion dokumentiert. Unter Berücksichtigung der leicht reduzierten Linksventrikelfunktion mit dokumentierter Stabilisierungstendenz bei Fehlen einer deutlichen Belastungskurzatmigkeit sowie Fehlen von Dekompensationszeichen wurde nach geltender Einschätzungsverordnung ein Behinderungsgrad von 30 % gewählt. Befunde, welche eine Änderung der Einschätzung bewirken, wurden nicht vorgelegt. Auch hinsichtlich des Sehleidens ergeben sich keine Änderungen der Einschätzung. Ein augenärztlicher Befund, welcher zu einer Änderung der Einschätzung führt, liegt nicht vor. Die neu vorgelegten Befunde dokumentieren degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule. Im Rahmen der klinischen Untersuchung am 2. Juli 2018 ließen sich keine maßgeblichen funktionellen Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule objektivieren. Aufgrund des Fehlens maßgeblicher Funktionseinschränkungen erreichen die radiologisch beschriebenen Abnützungen der Wirbelsäule keinen Behinderungsgrad. Bei Fehlen maßgeblicher funktioneller Einschränkungen der Kniegelenke erreicht eine Kreuzbandruptur rechts (Kniegelenksbeschwerden wurden in der Anamneseerhebung keine angegeben) keinen Behinderungsgrad.
Zusammenfassend ergeben sich auch unter Berücksichtigung der nunmehr vorliegenden Befunde keine Änderungen der Einschätzung."
7. Dem Beschwerdeführer wurde das Ergebnis der Stellungnahme im Zuge des Parteiengehörs vom 12.09.2018 übermittelt.
8. Mit Bescheid vom 15.10.2018 stellte die belangte Behörde fest, dass die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten aufgrund des nunmehr festgestellten Grades der Behinderung von 30% nicht mehr gegeben sei.
Nach Zitierung der maßgeblichen Bestimmungen stützte sich die belangte Behörde auf das eingeholte Sachverständigengutachten vom 07.02.2018, das als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden sei.
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten lägen nicht mehr vor.
9. Der Beschwerdeführer übermittelte am 23.11.2018 ein Schreiben, in dem er nochmals auf die Beschwerde gegen den Bescheid hinweist und "sämtliche direkte und indirekten Anträge" auf Neufestsetzung wegen noch fehlender Befunde zurückzieht.
10. Der Beschwerdeakt wurde am 28.11.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
11. Mit Schreiben vom 28.01.2019 gab die belangte Behörde auf Nachfrage des BVwG bekannt, dass es sich bei dem beschwerdebezogenen Verfahren um ein amtswegiges Nachuntersuchungsverfahren handelt und es keinen Antrag des Beschwerdeführers gab.
12. Der Beschwerdeführer wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 12.02.2019 zur Mängelbehebung seiner Beschwerde aufgefordert. Ihm wurde eine Frist von 2 Wochen eingeräumt, um die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt und sein Begehren darzulegen.
13. Der Beschwerdeführer übermittelte am 27.02.2019 im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung die Mängelbehebung. Der Beschwerdeführer habe offensichtlich ein Formular auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung ausgefüllt, ohne dass ihm dies bewusst gewesen sei.
Es stehe daher die Rechtskraft eines früher in derselben Angelegenheit ergangenen Bescheides einer neuen Sachentscheidung entgegen.
Für den Beschwerdeführer stelle sich die Situation so dar, dass der Grad der Behinderung massiv abgesenkt worden sei, obwohl hinsichtlich seiner Leiden keine Besserung eingetreten sei und noch weitere Leiden hinzugekommen seien. Es wären jedenfalls weitere Gutachten einzuholen gewesen, insbesondere aus den Bereichen Neurologie, Orthopädie und Kardiologie.
Es werden die Anträge gestellt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben, in eventu in der Sache selbst zu entscheiden, in eventu den Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.). § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stelle eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Im Zuge des Neufestsetzungsverfahrens ist unzweifelhaft hervorgekommen, dass die Leiden des Beschwerdeführers mehreren medizinischen Fachgebieten zuzuordnen sind.
Die belangte Behörde hat zur Überprüfung der Leiden des Beschwerdeführers lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses ist nicht ausreichend zur Beurteilung des umfassenden Beschwerdebildes des Beschwerdeführers.
Mangels Fachkenntnis des begutachtenden Allgemeinmediziners, erfolgte weder eine ausreichende Auseinandersetzung mit den vorgelegten Befunden, noch eine qualifizierte Beurteilung.
Das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten ist hinsichtlich der Beurteilung der den verschiedenen medizinischen Fachbereichen zuordenbaren Leidenszuständen des Beschwerdeführers und bezüglich seines Gesamtleidenszustandes nicht ausreichend nachvollziehbar.
Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist daher nicht möglich.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde jedenfalls ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Innere Medizin und Neurologie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers und der aktuellen Befundlage, einzuholen und bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann im Lichte obiger rechtlicher Ausführungen nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.
Ergänzend wird noch angemerkt, dass es sich beim beschwerdegegenständlichen Verfahren um ein amtswegig eingeleitetes Ermittlungsverfahren zur Neufestsetzung des Grades der Behinderung handelt und der vorerst vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf Neufestsetzung von diesem rechtswirksam zurückgezogen wurde. Zur Vermeidung von offenkundigen Missverständnissen wäre es von Seiten der belangten Behörde angezeigt gewesen, dem - vorerst nicht rechtsfreundlich vertretenen - Beschwerdeführer die Begründung für diese Vorgehensweise verständlich darzulegen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W201.2210328.1.01Zuletzt aktualisiert am
17.10.2019