Entscheidungsdatum
11.07.2019Norm
BBG §40Spruch
W201 2211684-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela Schidlof als Vorsitzende und die Richterin Dr. Margit Möslinger-Gehmayr sowie den fachkundigen Laienrichter Franz Groschan als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 22.08.2018, OB: XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben.
Der Grad der Behinderung beträgt 70 v.H., der Beschwerdeführerin ist ein Behindertenpass auszustellen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Einlangend am 12.12.2017 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO. Ein Konvolut an medizinischen Unterlagen legte sie ihrem Antrag bei.
2. Am 07.03.2018 erfolgte die Untersuchung der Beschwerdeführerin durch einen Arzt für Allgemeinmedizin. Das Sachverständigengutachten enthält auszugsweise:
"Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
guter Allgemeinzustand
Ernährungszustand:
guter Ernährungszustand
Größe: 159,00 cm Gewicht: 55,00 kg Blutdruck: 140/85
Klinischer Status - Fachstatus:
Sauerstoffsättigung der Raumluft: p02: 94%, Puls: 107/min, keine Ruhedyspnoe
Kopf: Zähne: Prothese, Lesebrille, Sensorium frei, Nervenaustrittspunkte unauff.,
Hals: keine Einflussstauung, blande Narbe nach Schilddrüsen Teilentfernung, die
Restschilddrüse schluckverschieblich, Lymphknoten o.B.,
Thorax: symmetrisch, Trichterbrust,
Herz: normal konfiguriert, Herztöne rein, keine pathologischen Geräusche,
Lunge: vesikuläres Atemgeräusch, Basen gut verschieblich, son. Klopfschall,
Wirbelsäule: Halswirbelsäule frei beweglich, Kinn-Jugulum-Abstand 2cm, seichte linkskonvexe Skoliose der Brustwirbelsäule, Fingerbodenabstand 10cm, thorakaler Schober 30/33cm, Ott: 10/14cm, Hartspann der Lendenwirbelsäule,
Abdomen: weich, in Thoraxniveau, Hepar und Lien nicht palpabel, keine Resistenz tastbar, blande Narbe nach Appendektomie und med. Laparotomie ohne tastbare Bruchpforte,
Nierenlager: beidseits frei, obere Extremität: frei beweglich, blande Narbe nach Carpaltunnelsyndrom rechts, Globalfunktion und grobe Kraft beidseits erhalten, Nacken- und Kreuzgriff möglich, untere Extremität: frei beweglich bis auf endlagige Flexionsstörung des rechten Hüftgelenkes bei Zustand nach Hüftgelenksersatz rechts, keine Beinlängendifferenz, seitengleichem Umfang beider Kniegelenke bei festem Bandapparat und freier Beweglichkeit: 34,5cm, keine signifikante Involutionsatrophie der
Unterschenkelmuskulatur, Umfang des rechten Unterschenkels: 31,5cm (links: 31cm), keine Ödeme, Gefäßzeichnung ohne trophischen Hautstörungen, Reflex nur schwach auslösbar, Babinski negativ, Zehenballen- und Fersengang mühevoll möglich,
Gesamtmobilität - Gangbild:
leicht hinkendes Gangbild, keine Gehhilfe, keine objektivierbare Sturzneigung,
Status Psychicus:
zeitlich und örtlich orientiert, ausgeglichene Stimmungslage, normale Kommunikation möglich,
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb
1
chronisch obstruktive Lungenerkrankung bei Nikotinabusus unterer Rahmensatz, da mit Kombinationstherapie ausreichend behandelbar und keine signifikante Oxygenierungsstörung nachweisbar
06.06.02
30
2
Zustand nach Magenbypassoperation wegen morbider Obesitas und Revision sowie Zustand nach offenem Bruchpfortenverschluss mit Onlay Mash eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da willkürliche Gewichtsreduktion und guter Ernährungszustand
07.04.02
20
3
Zustand nach Hüftgelenksersatz rechts nach Oberschenkelbruch, Abnützungserscheinung des linken Hüftgelenkes unterer Rahmensatz, da nur geringe Funktionsstörung rechts nachweisbar
02.05.08
20
4
mäßiger Bluthochdruck fixer Rahmensatz
05.01.02
20
5
degenerative Veränderung der Wirbelsäule oberer Rahmensatz, da nachvollziehbare Symptomatik ohne Erfordernis einer analgetischen Dauertherapie und geringe Funktionseinschränkung
02.01.01
20
6
Zustand nach Schilddrüsenteilresektion unterer Rahmensatz, da unter Substitutionstherapie euthyreote Stoffwechsellage vorliegt
09.01.01
10
7
operiertes Carpaltunnelsyndrom rechts unterer Rahmensatz, da gutes postoperatives Ergebnis ohne Atrophien
04.05.06
10
8
Schlafstörungen unterer Rahmensatz, da nur mildes Therapieerfordernis
03.06.01
10
Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das führende Leiden unter lf. Nr. 1) wird durch die Gesundheitsschädigungen unter lf. Nr. 2) bis 8) nicht erhöht, da kein maßgebliches ungünstiges funktionelles Zusammenwirken besteht.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten
Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Glucosetoleranzstörung mit geringgradig erhöhten Blutzuckerwerten und ohne einschlägiges Therapieerfordernis erreicht keinen Grad der Behinderung.
Zustand nach erfolgreicher Operation eines Grauen Stars ohne dokumentierte Einschränkung der Sehleistung bedingt keinen Grad der Behinderung.
X Dauerzustand"
3. Mit Schreiben vom 23.05.2018 gab die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das Ergebnis der Beweisaufnahme bekannt.
4. Die Beschwerdeführerin gab am 14.06.2018 eine Stellungnahme ab und ersuchte um nochmalige Überprüfung.
5. Die belangte Behörde erließ am 22.08.2018 den nunmehr angefochtenen Bescheid, in dem sie den Antrag der Beschwerdeführerin abwies. Begründet wurde die Abweisung mit dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtung, die einen Grad der Behinderung von 30% ergeben habe.
6. Die Beschwerdeführerin brachte mit Schreiben vom 30.08.2018 fristgerecht Beschwerde ein. Sie sei inzwischen wegen ihrer COPD-Erkrankung auf Sauerstoff angewiesen und könne den Sauerstoff nur mit dem Rollator mitführen.
7. Die belangte Behörde veranlasste eine neuerliche Untersuchung der Beschwerdeführerin. Am 19.10.2018 erfolgte die Untersuchung der Beschwerdeführerin durch einen Facharzt für Lungenheilkunde. Das Sachverständigengutachten lautet auszugsweise:
"(.....) Somit ist festzustellen, dass auf Basis der neu vorgelegten Unterlagen und Befunde eine COPD III-IV mit sekundärem Lungenemphysem, beginnenden sekundärem Lungenhochdruck und Langzeitsauerstofftherapie vorliegt.
(.....)
Derzeitige Beschwerden:
Atemnot vor allem bei Belastungen, Schmerzen in den Beinen, Schmerzen auch im linken Fuß wegen Hammerzehenbildung, sie könne nur schlecht gehen und schone das linke Bein, immer wieder Husten mit schleimigen Auswurf, sie lenke allerdings noch selbst das KFZ und verwende dabei die Sauerstoffflasche, weiters verwende sie einen Rollator, einerseits wegen den Beinschmerzen, vor allem, da ihr die mobile Sauerstoffversorgung zu schwer zum Tragen sei.
(.....)
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
64- jährige Frau im altersentsprechenden normalen Allgemeinzustand, es wird eine Sauerstoffversorgung mitgeführt, keine Ruhedyspnoe, keine Lippenzyanose
Ernährungszustand:
normaler Ernährungszustand
Größe: 160,00 cm Gewicht: 46,00 kg Blutdruck: 140/80
Klinischer Status - Fachstatus:
Herz: reine rhythmische Herztöne, Frequenz: 84 pro Minute
Lunge: hypersonorer Klopfschall, abgeschwächtes Atemgeräusch wie bei Emphysem ohne spastische Nebengeräusche
Gliedmaßen: keine Krampfadern, keine Beinödeme, Verschmächtigung der Muskulatur des linken Oberschenkels wegen Schonung desselben, das rechte Hüftgelenk kann auf 30 Grad seitlich abgespreizt werden, die linke Hüfte normal beweglich, die übrigen Gelenke unauffällig, leichtes Schonhinken links, sonst normales Gangbild
Wirbelsäule: Klopfschmerz über der LWS, Finger-Boden-Abstand 20 cm
Gesamtmobilität - Gangbild:
altersentsprechende unauffällige Gesamtmobilität, leichtes Schonhinken links, sonst normales Gangbild, es wird ein Rollator mitgeführt
Status Psychicus:
unauffällig, zeitlich- und örtlich orientiert, keine fassbaren kognitiven Defizite, ausgeglichene, freundliche Stimmungslage
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb
1
chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung mit sekundärem Lungenemphysem, beginnendem Lungenhochdruck und Langzeitsauerstofftherapie Wahl dieser Rs-Position, da gute Restmobilität und keine gehäuften akuten Exazerbationen der Grunderkrankung. Oberer Rahmensatz, da ständige höhergradige Einschränkung der respiratorischen Leistungsreserven.
06.06.03
70
2
Zustand nach Magenbypassoperation wegen morbider Obesitas und Revision sowie Zustand nach offenem Bruchpfortenverschluss mit Onlay Mash Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da willkürliche Gewichtsreduktion und guter Ernährungszustand.
07.04.02
20
3
Zustand nach Hüftgelenksersatz rechts nach Oberschenkelbruch, Abnützungserscheinung des linken Hüftgelenkes Unterer Rahmensatz, da nur geringe Funktionsstörung rechts nachweisbar.
02.05.08
20
4
mäßiger Bluthochdruck-fixer Rahmensatz.
05.01.02
20
5
degenerative Veränderung der Wirbelsäule Oberer Rahmensatz, da nachvollziehbare Symptomatik ohne Erfordernis einer analgetischen Dauertherapie und geringe Funktionseinschränkung.
02.01.01
20
6
Zustand nach Schilddrüsenteilresektion Unterer Rahmensatz, da unter Substitutionstherapie euthyreote Stoffwechsellage vorliegt.
09.01.01
10
7
operiertes Carpaltunnelsyndrom rechts Unterer Rahmensatz, da gutes postoperatives Ergebnis ohne Atrophien.
04.05.06
10
8
Schlafstörungen Unterer Rahmensatz, da nur mildes Therapieerfordernis.
03.06.01
10
Gesamtgrad der Behinderung 70 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Der führende Grad der Behinderung Nr. 1 wird durch die übrigen Leiden nicht weiter erhöht, da keine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Glucosetoleranzstörung: kein Therapieerfordernis, keine Folgeerscheinungen
Subdepressive Stimmungslage: keine laufende psychiatrische Behandlung, vollständige soziale Integration, kein Leiden im Sinne einer Behinderung
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Gegenüber dem Vorgutachten vom 07.03.2018 ist eine Neubewertung der COPD (Leiden Nr. 1) vorzunehmen, da eine höhergradige Funktionsstörung in der Lungenfunktion festgestellt wurde, weiters die Indikation zu einer Langzeitsauerstofftherapie, sowie beginnender Lungenhochdruck.
Somit war das Leiden Nr. 1 aus fachärztlicher Sicht neu einzustufen, wodurch der Behinderungsgrad um 4 Stufen ansteigt. Die übrigen Leiden bleiben unverändert.
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
Durch Verschlechterung von Leiden Nr. 1 wurde der Gesamtgrad der Behinderung um 4 Stufen angehoben.
X Dauerzustand
(.....)
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten
Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Leiden Nr. 1, da eine schwergradige COPD vorliegt, welche mittels Sauerstoffversorgung eingestellt ist.
8. Die belangte Behörde übermittelte den Beschwerdeakt am 21.12.2018 an das Bundesverwaltungsgericht.
9. Das BVwG gab der Beschwerdeführerin sowie der belangten Behörde mit Schreiben vom 08.01.2019 das Ergebnis der Beweisaufnahme (Untersuchung vom 19.10.2018) bekannt und räumte die Möglichkeit ein, eine Stellungnahme abzugeben. Keine der Parteien gab eine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz in Österreich.
1.2. Sie stellte einlangend am 12.12.2017 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.
1.3. Nachdem die belangte Behörde den Antrag aufgrund des im Vorverfahren festgestellten Grades der Behinderung von 30% abgewiesen hat, wurde im Beschwerdeverfahren nunmehr ein Grad der Behinderung von 70% festgestellt.
1.4. Der Beschwerdeführerin ist ein Behindertenpass auszustellen.
1.5. Die Beschwerdeführerin erfüllt laut Gutachten zudem die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel". Aus diesem Grund wird ihr auch durch die belangte Behörde der beantragte Ausweis gemäß § 29b StVO auszustellen sein.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den Voraussetzungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und aus den ergänzenden fachärztlichen Gutachten.
Das ergänzend eingeholte Sachverständigengutachten vom 19.10.2018 steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Im genannten Gutachten wurde - nach einer neuerlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin - ein Grad der Behinderung von 70% festgestellt.
Weiters wurde dargelegt, dass das Leiden 1 (schwergradige COPD - Grad III-IV, mit dem Erfordernis ständiger Sauerstoffversorgung) die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als nicht mehr zumutbar erscheinen lässt.
Das Sachverständigengutachten - in dem ein Grad der Behinderung von 70% sowie die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" festgestellt wurde - wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A) Stattgebung der Beschwerde
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)
Der Behindertenpass ist mit einem 35 x 45 mm großen Lichtbild auszustatten und hat zu enthalten:
1. den Familien- oder Nachnamen, den Vornamen, den akademischen Grad oder die Standesbezeichnung und das Geburtsdatum des Menschen mit Behinderung;
2. die Versicherungsnummer;
3. den Grad der Behinderung oder die Minderung der Erwerbsfähigkeit;
4. eine allfällige Befristung.
(§ 1 Abs. 1 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. - 2. (...)
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(§ 1 Abs. 2 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)
Gemäß § 1 Abs. 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in
§ 1 Abs. 2 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigten.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Gemäß § 29b Abs. 1 StVO ist Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, BGBl Nr. 283/1990, die über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügen, als Nachweis über die Berechtigungen nach Abs. 2 bis 4 auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Ausweis auszufolgen. Die näheren Bestimmungen über diesen Ausweis sind durch Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu treffen.
Auf den Beschwerdefall bezogen:
Wie oben ausgeführt, wurde in dem ergänzend eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten vom 19.10.2018 nachvollziehbar festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass vorliegen, da eine hochgradige COPD-Erkrankung (Stufe III-IV) mit dem Erfordernis einer Sauerstoffversorgung und der damit einhergehenden Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit gegeben ist.
Die Beschwerdeführerin erfüllt daher die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses, der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" und für die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO. Da jedoch aufgrund des Verfahrensergebnisses der belangten Behörde noch kein Abspruch in erster Instanz bezüglich der Zusatzeintragung erfolgte, ist dies aufgrund des nunmehr vorliegenden Gutachtens durch die belangte Behörde nachzuholen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 entgegenstehen.
Da der entscheidungswesentliche Sachverhalt bereits aufgrund der Aktenlage geklärt ist und die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nichts vorgebracht hat, das nicht schon von der belangten Behörde berücksichtigt worden wäre, und weder der Verwaltungsakt, noch die Beschwerdeschrift Anhaltspunkte enthalten, die eine weitere Klärung im Rahmen einer mündlichen Erörterung erwarten ließe, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Im Übrigen wurde keine mündliche Verhandlung beantragt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass damit präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden sollen. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.
Schlagworte
Behindertenpass, Grad der Behinderung, SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W201.2211684.1.00Zuletzt aktualisiert am
16.10.2019