TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/11 G314 2220029-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.07.2019
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Entscheidungsdatum

11.07.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §53 Abs1

Spruch

G314 2220029-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde der kosovarischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den Rechtsanwalt XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.05.2019, Zl. XXXX, betreffend internationalen Schutz zu Recht:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und Spruchpunkt V.

des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF), die sich seit 2015 im Bundesgebiet aufhält, beantragte am 12.02.2019 internationalen Schutz, nachdem ihr Aufenthaltstitel zuletzt nicht mehr verlängert worden war. Als Fluchtgrund gab sie an, dass ihr Vater sie gegen ihren Willen verheiraten wollte und sie keine Hilfe von staatlicher Seite zu erwarten habe.

Nach der Erstbefragung der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts und ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) holte dieses über die Staatendokumentation Informationen über die Lage von Frauen im Kosovo, die von Zwangsehen betroffenen sind, ein. Nachdem die BF eine Stellungnahme dazu erstattet hatte, wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in den Kosovo fest (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde dagegen wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.). Gleichzeitig wurde gegen die BF ein einjähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.). Dieser Bescheid wird zusammengefasst damit begründet, dass in Bezug auf die von der BF behauptete Bedrohung durch eine Zwangsehe und wegen ihres Interesses am katholischen Glauben eine Verfolgung durch Privatpersonen vorliege, wobei eine ausreichende staatliche Schutzfähigkeit und -willigkeit bestünde. Die BF habe bei ihrer Rückkehr in den Kosovo keine existenzbedrohende Notlage zu erwarten; ihr drohe weder die Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK noch die Todesstrafe noch willkürliche Gewalt in einem (internationalen oder innerstaatlichen) Konflikt. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG lägen nicht vor. Die Rückkehrentscheidung greife nach Maßgabe der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht unverhältnismäßig in das Privat- und Familienleben der BF ein. Da keiner der Tatbestände des § 50 FPG erfüllt sei, sei auszusprechen, dass ihre Abschiebung in den Kosovo zulässig sei. Die BF stamme aus einem sicheren Herkunftsstaat. Da die sofortige Umsetzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten sei, werde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Das Interesse der BF, während des gesamten Asylverfahrens in Österreich zu bleiben, trete hinter das öffentliche Interesse an einer raschen Durchsetzung der Rückkehrentscheidung zurück. Es sei der BF zumutbar, den Verfahrensausgang in ihrem Herkunftsstaat abzuwarten. Aufgrund der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bestünde keine Frist für die freiwillige Ausreise. Die unbegründete und missbräuchliche Asylantragstellung der BF gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit, sodass gegen sie aus spezial- und generalpräventiven Überlegungen ein Einreiseverbot erlassen werde, obwohl keiner der in § 53 Abs 2 FPG demonstrativ aufgezählten Tatbestände erfüllt sei. Dies sei zur Erreichung der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten; humanitäre Gründe iSd Art 11 Abs 3 der Rückführungsrichtlinie stünden dem nicht entgegen.

Dagegen richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verfahrensmängeln erhobene Beschwerde mit dem Antrag, der BF - allenfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - den Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Die BF habe ihr Heimatland verlassen, weil sie 2011 eine Beziehung mit einem Katholiken gehabt habe und ihre strenggläubigen Eltern sie mit einem anderen Mann zwangsverheiraten wollten. Die Familie der BF habe sie bedroht und geschlagen und versucht, sie dazu zu zwingen, sich wieder dem Islam zuzuwenden. Bei ihrer Rückkehr in den Kosovo drohe ihr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch den Familienclan wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Der kosovarische Staat sei weder in der Lage noch willens, sie zu schützen. Es existiere kein funktionierender Polizei- und Justizapparat und bestünde wenig Interesse an der Verfolgung von Straftaten gegen junge Frauen und Mädchen. Bei richtigen rechtlicher Beurteilung hätte ihr der Status der Asylberechtigten zuerkannt werden müssen. Die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, insbesondere zur Schutzfähigkeit und -willigkeit der kosovarischen Behörden, durchgeführt und nur einen rudimentären Bericht über staatlichen Schutz für von Zwangsverheiratung bedrohte Frauen eingeholt. Aus den der Behörde vorliegenden Länderberichten ergebe sich, dass Frauen und Mädchen in solchen Situationen keinen Zugang zu staatlichen Schutzmaßnahmen hätten. Die Behörde hätte daher zu dem Schluss kommen müssen, dass der BF bei der Rückkehr in den Kosovo eine asylrelevante Verfolgung drohe. Aufgrund einer mangelhaften Beweiswürdigung seien Länderberichte falsch ausgewertet und unrichtige Feststellungen getroffen worden. Die Behörde habe der Beschwerde rechtsirrig die aufschiebende Wirkung aberkannt, weil der BF im Kosovo die reale Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK drohe. Mit der Beschwerde wurden mehrere Berichte über die Lage von kosovarischen Frauen vorgelegt.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag, sie als unbegründet abzuweisen, vor.

Feststellungen:

Die BF kam am XXXX im kosovarischen Ort XXXX zur Welt. Ihre Muttersprache ist Albanisch. Sie stammt aus einer albanisch-kosovarischen Familie, die sich zum Islam bekannt, gehört selbst aber keiner Religionsgemeinschaft mehr an.

Die BF besuchte in ihrer Heimat zwölf Jahre lang die Schule, die sie 2010 mit der Reifeprüfung abschloss. Sie absolvierte keine weitere Berufsausbildung und war im Kosovo nie berufstätig. Von Oktober 2014 bis Februar 2015 studierte sie Rechtswissenschaften an der Universität in der kosovarischen Stadt Prizren.

Die BF besitzt einen am 12.04.2011 ausgestellten und bis 11.04.2021 gültigen kosovarischen Reisepass. Im März 2015 wurde ihr von der Bezirkshauptmannschaft XXXX eine bis 16.03.2016 gültige Aufenthaltsbewilligung als Studierende erteilt. Die BF reiste daraufhin vom Kosovo aus in das Bundesgebiet, wo sie bei ihrer Tante XXXX, die mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern in XXXX bei XXXX lebt, Unterkunft nahm. Die BF begann das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität XXXX, das sie inzwischen aufgegeben hat, nachdem sie in der Zeit von Oktober 2017 bis November 2018 nur eine Prüfung (2 ECTS) positiv absolviert hatte. Am 05.04.2016 legte die BF erfolgreich eine Deutschprüfung für das Sprachniveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen ("selbständige Sprachverwendung - gute Mittelstufe") ab.

Die der BF erteilte Aufenthaltsbewilligung als Studierende wurde mehrmals verlängert, zuletzt bis 18.03.2018. Am 22.05.2018 wurde ihr letzter Verlängerungsantrag vom 07.03.2018 wegen mangelnden Studienerfolgs abgewiesen. Seither hält sie sich ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf. Im Jänner 2019 wurde gegen sie wegen unrechtmäßigen Aufenthalts eine Geldstrafe verhängt.

Die BF ist ledig und kinderlos; sie hat keine Sorgepflichten. Sie ist gesund und arbeitsfähig. In Österreich lebt sie nach wie vor in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Tante und deren Familie, von der sie auch finanziell unterstützt wird. Sie ist in Österreich nicht berufstätig, hat aber einen Arbeitsplatz als Hilfskraft in einer Zahnarztpraxis in Aussicht. Sie hat hier einen (durch Unterstützungsschreiben dokumentierten) Freundes- und Bekanntenkreis. Ihre Eltern, ihr Bruder, zwei Schwestern und ihre Großmutter leben nach wie vor im Kosovo, ebenso Onkel und Tanten mit deren Familien. Eine Schwester der BF lebt mit ihrem Ehemann in Slowenien. Die BF hält regelmäßig Kontakt zu ihrem Bruder und zu ihrer Großmutter, hat aber keinen Kontakt zu den anderen im Kosovo lebenden Angehörigen.

Die BF ist strafrechtlich unbescholten. Sie hat im Falle ihrer Rückkehr in den Kosovo dort keine staatlichen oder behördlichen Sanktionen zu befürchten. Sie wird dort weder strafrechtlich noch politisch noch aus anderen Gründen verfolgt.

Vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Frühjahr 2015 war die BF im Kosovo ab 2011 mit einem Katholiken liiert. Als sie mit ihm im Herbst 2014 eine katholische Kirche aufsuchte, wurde sie beim Verlassen der Kirche von einer ihr unbekannten Person aufgefordert, ein (islamisches) Kopftuch zu tragen, und damit bedroht, dass ihr "etwas geschehen" werde, wenn sie wieder die Kirche besuche. Ihr Freund wurde aufgefordert, sich von ihr fernzuhalten. Einige Tage später wurde die BF, als sie allein unterwegs war, mit dem Tod bedroht, wenn sie ihren Glauben wechseln sollte. Sie erhielt auch Drohanrufe von ihr unbekannten Personen. Sie zeigte den Vorfall vor der Kirche bei der Polizei an; die Anzeige hatte aber keine Konsequenzen. Die anderen Vorfälle zeigte sie nicht an.

Die Eltern der BF wollten, dass sie einen deutlich älteren Mann aus einer strenggläubigen muslimischen Familie, den sie nicht persönlich kannte und dem sie in ihrer Jugend versprochen worden sei, heiratet. Als sie die BF über die geplante Hochzeit informierten, erzählte sie ihnen von der Beziehung zu ihrem Freund. Ihre Eltern lehnten dies ab, schlugen sie und verboten ihr, das Haus ohne Begleitung zu verlassen. Die in Österreich lebende Tante der BF und ihr Bruder halfen ihr daraufhin dabei, die österreichische Aufenthaltsbewilligung zu erlangen.

Nachdem die BF den Kosovo 2015 verlassen hatte, brach ihr Vater den Kontakt zu ihr mit der Begründung, sie habe Schande über die Familie gebracht, ab. Die BF glaubt, dass hinter den Drohungen 2014 Verwandte des Mannes, den sie nach dem Willen ihrer Eltern heiraten sollte, standen. Da dessen Onkel bei der Polizei arbeitet, befürchtet sie, dass das der Grund dafür war, dass ihre damalige Anzeige ohne Konsequenzen blieb. Sie befürchtet Repressalien seitens dieser Familie, wenn sie in den Kosovo zurückkehrt, weil sie in deren Augen auch über diese Schande gebracht habe.

Zur allgemeinen Lage im Kosovo:

Der Kosovo ist eine Republik mit parlamentarischer Demokratie. Das politische System hat sich seit der Unabhängigkeitserklärung vom 17.02.2008 gefestigt. Die Verfassung enthält neben den Grundwerten moderner europäischer Verfassungen und dem Prinzip der Gewaltenteilung umfassenden Schutz, zum Teil auch Privilegien, für die im Kosovo anerkannten Minderheiten. Die EU-Rechtsstaatsmission EULEX hat den Auftrag, die kosovarischen Behörden beim Aufbau eines multiethnischen Justiz-, Polizei- und Zollwesens zu unterstützen und an rechtsstaatliche EU-Standards heranzuführen. Das Mandat wurde bis Juni 2018 verlängert.1

Innerethische Spannungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Beziehungen zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit. Die im Nordkosovo lebenden Serben weigern sich, die Unabhängigkeit des Kosovo und die Institutionen des neu geschaffenen Staats anzuerkennen. Mit der Ausnahme des Nordkosovo gilt die Sicherheitslage allgemein als entspannt, allerdings kann es zu punktuelle Spannungen kommen. Im Norden Kosovos (Gemeinden Zubin Potok, Leposavic, Zvecan und Nord-Mitrovica) hat sich die Lage seit gewalttätigen Zusammenstößen Ende Juli 2011 weitgehend beruhigt, sie bleibt aber angespannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es erneut zu isolierten sicherheitsrelevanten Vorkommnissen kommt. Im restlichen Teil Kosovos ist die Lage grundsätzlich ruhig und stabil. Von 2012 bis 2015 nahm das allgemeine Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheitsbehörden und -institutionen pro Jahr jeweils um drei Prozentpunkte zu.

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor. Die lokale Rechtsprechung sah sich Einflüssen von außen ausgesetzt und sorgte nicht immer für faire Prozesse. Auch gab es immer wieder Berichte über Korruption und Ineffizienz im Gerichtswesen. Ein effizientes Disziplinarverfahren gegen Richter und Staatsanwälte ist vorhanden. Eine unabhängige staatliche Rechtshilfekommission stellte kostenlose Rechtshilfe für Personen mit niedrigem Einkommen zur Verfügung, insbesondere in Zivil- und Verwaltungsstrafverfahren. Das Amt der Oberstaatsanwaltschaft betrieb eine Opferunterstützungsstelle, die Verbrechensopfern kostenlosen Zugang zum Recht ermöglichte, wobei ein spezieller Fokus auf Opfer von häuslicher Gewalt, Menschenhandel, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung gelegt wurde. Das Justizwesen weist trotz gewisser Fortschritte noch erhebliche Mängel auf. Neben unzureichenden Ressourcen und Fähigkeiten des Personals fehlt es oft an der Bereitschaft zur Strafverfolgung und Korruptionsbekämpfung. Die starke Vernetzung in traditionellen Clan- und Großfamilienstrukturen führt dazu, dass Amtsträger oft starkem sozialen Druck und Bestechungsversuchen ausgesetzt sind.

Insbesondere außerhalb der größeren Städte sind nicht selten Racheakte aus verschiedenen Gründen zu beobachten, die landläufig als "Blutrache" bezeichnet und ohne Beachtung der einschränkenden Regeln des Kanun (albanisches Gewohnheitsrecht, das Eröffnung, Ablauf und Beendigung solcher Konflikte regelt) beharrlich betrieben werden, zum Teil mit blutigen oder tödlichen Folgen. Beteiligte an solchen Taten werden verfolgt, angeklagt und verurteilt. Die Praxis der Blutrache ist durch die Verfassung und geltende Gesetze verboten. Exekutivorgane sind verpflichtet, Schutz für bedrohte Personen zu gewährleisten. Niemand ist berechtigt, Selbstjustiz zu üben. Blutrachemotivierte Verbrechen werden von Gerichten als erschwerende Umstände bei der Bestrafung berücksichtigt. Bei einer Bedrohung aufgrund einer Blutfehde kann man sich an die Polizei, die im Kosovo einen guten Ruf verfügt, wenden, die jedoch keinen 24-Stunden-Schutz anbieten kann. Die Polizei behandelt Morde im Zusammenhang mit einer Blutfehde wie jeden anderen Mord auch; die Mörder werden unter verschärfte Kontrolle gestellt, um damit ein Exempel zu statuieren. Blutrachemorde werden untersucht und verfolgt, wobei die Strafen üblicherweise zwischen 15 und 25 Jahren Gefängnis liegen.

Die innere Sicherheit des Kosovo beruht auf drei Komponenten: der Kosovo Police, den unterstützenden internationalen EULEX-Polizeikräften und den KFOR-Truppen, die auch den Aufbau und das Training der multiethnischen Kosovo Security Force innehaben. Die Kosovo Police hat eine Stärke von ca. 9.000 Personen und ist im ganzen Land vertreten. EULEX-Polizisten beraten und unterstützen Polizeidienststellen im ganzen Land. Eigentums-, Körperverletzungs- und Tötungsdelikte sind auf niedrigem Niveau. Organisierte Kriminalität und Korruption befanden sich laut UNDOC (United Nations Office on Drugs and Crime) aus 2013 weiterhin auf hohem Niveau. Die Kosovo Police wird als die vertrauenswürdigste rechtsstaatliche Institution angesehen. Es gibt Polizeistationen im ganzen Land, wo man Anzeigen erstatten kann. Es können auch Anzeigen beim Büro der Staatsanwaltschaften, bei der EULEX-Staatsanwaltschaft und beim Ombudsmann eingereicht werden. Die Kriminalität, mit Ausnahme der organisierten Kriminalität und der Korruption, ist rückläufig und niedriger als im gesamteuropäischen Vergleich.

Analysen und Indikatoren weisen auf ein sehr hohes Korruptionsniveau im Kosovo hin, das selbst im regionalen Vergleich überdurchschnittlich ist. Der Kosovo hat strenge Antikorruptionsgesetze und es gibt zahlreiche Antikorruptionsinstitutionen. Die Behörden waren allerdings nicht fähig, Fälle von Korruption erfolgreich zu untersuchen, zu verfolgen und zu bestrafen.

Es kommt immer wieder zu einzelnen Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen, denen in der Regel durch Nichtregierungsorganisationen, den Ombudsmann, aber auch andere staatliche Stellen nachgegangen wird. Zahlreiche nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen können ohne Einschränkungen seitens der Regierung ihren Aufgaben nachgehen, Menschenrechtsfälle untersuchen und die Ergebnisse publizieren.

Das Bekenntnis zu unveräußerlichen Menschenrechten ist in der Verfassung verankert. Viele internationale Menschenrechtsabkommen gelten unmittelbar und haben Anwendungsvorrang. Seit November 2000 gibt es die Einrichtung einer Ombudsperson, die für alle Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen oder Amtsmissbrauch durch die zivilen Behörden des Kosovo zuständig ist. Die Ombudsperson geht Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen nach und gibt in einem Jahresbericht an das Parlament Empfehlungen für deren Behebung ab.

Es gibt keine Hinweise auf staatliche Repression oder Menschenrechtsverletzungen. Probleme beim Aufbau eines funktionierenden Justizsystems sowie einer effizienten Verwaltung, aber auch das hohe Maß an Korruption beeinflussen jedoch den Schutz zentraler Menschenrechte. Das Anti-Diskriminierungsgesetz wird nicht konsequent angewendet.

Kosovo ist ein säkularer Staat. Die Religionsfreiheit ist in der Verfassung garantiert; Einschränkungen sind nicht bekannt. Das Tragen eines islamischen Kopftuchs an öffentlichen Schulen ist verboten; diese Anordnung wurde 2011 vom Verfassungsgericht bestätigt. Die große Mehrheit der kosovarischen Bevölkerung (über 95 %) bekennt sich zum islamischen Glauben sunnitischer Prägung; schätzungsweise 2 % der albanischen Kosovaren bekennen sich zum römisch-katholischen Glauben. Die katholische Gemeinde konzentriert sich auf die größeren Städte Djakova, Peja und Prizren und erfährt in jüngster Zeit zunehmende Popularität.

Das Prinzip des Säkularismus wird von der Bevölkerungsmehrheit geteilt. Tendenzen eines sich radikalisierenden Islam sind bislang ein eher überschaubares Phänomen. Die Bekämpfung von (religiösem) Extremismus ist zu einer der Prioritäten der kosovarischen Regierung geworden. Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen eine radikalisierte Form des Islam. Religiöse Konservative und Hardliner sind eine kleine, aber zunehmend sichtbare Gruppe mit Anhängern in allen großen Städten und einigen der ärmsten Gegenden auf dem Land. Begünstigt durch Armut und Arbeitslosigkeit ist mittlerweile auch im säkularen Kosovo ein Erstarken des radikalen Islam festzustellen. Experten sprechen von ca. 50.000 Anhängern des konservativen Islam im Kosovo, davon sollen etwa 200 Personen Anhänger eines gewaltbereiten islamistischen Extremismus sein. Der kosovarische Staat distanziert sich ausdrücklich vom Islamismus und den Extremisten und geht aktiv dagegen vor. Im Kosovo gibt es eine Salafistenszene, die nach einigen Polizeiaktionen gegen führende Mitglieder vermehrt im Verdeckten agiert. Ein 2015 vom Parlament angenommenes Gesetz verbietet den Kampf in fremden Armeen und stellt die Teilnahme an bewaffneten Konflikten unter Strafe. Diese wird dementsprechend geahndet, obwohl die Beweisführung oft schwierig ist. Das Gesetz kommt jedoch regelmäßig zur Anwendung. Polizei und Nachrichtendienst gehen sehr restriktiv gegen "Foreign Fighters"2 vor.

Alle Ethnien können sich im Kosovo grundsätzlich frei bewegen. Die Sicherheitskräfte bemühen sich um einen verstärkten Schutz für Minderheitengebiete und Enklaven.

Obwohl die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist und viele Kosovaren in Armut leben, ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet. Staatliche Sozialhilfeleistungen werden aus dem Budget des Sozialministeriums finanziert. Sie sind bei der jeweiligen Gemeindeverwaltung zu beantragen und werden für die Dauer von bis zu sechs Monaten bewilligt. Das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen wird durch Mitarbeiter der Kommunen und des Sozialministeriums geprüft. Jede Gemeinde verfügt über ein Zentrum für Soziales. Die Freizügigkeit wird für Sozialhilfeempfänger nicht eingeschränkt; der Wohnortwechsel ist der bisherigen Gemeinde anzuzeigen. Die von der bisherigen Kommune ausgestellte Registrierungsbestätigung ist innerhalb einer Frist von sieben Tagen bei der Kommune des neuen Wohnsitzes bei der Anmelderegistrierung vorzulegen. Für den weiteren Sozialhilfebezug ist im neuen Wohnort ein entsprechender Antrag zu stellen. Der Umzug wird durch Mitarbeiter des Sozialministeriums überprüft. Wohnraum - wenn auch mitunter auf niedrigem Niveau - steht ausreichend zur Verfügung. Kosovo gehört zu den ärmsten Staaten der Region und ist auf die Hilfe der EU und der im Ausland lebenden Kosovo-Albaner angewiesen. Der Anteil der informellen Wirtschaftsleistung ist immens - schätzungsweise zwischen 27 und 45 %. Zuverlässige Zahlen über die tatsächliche Höhe der Arbeitslosigkeit liegen nicht vor.

Sozialbeihilfen werden in zwei Kategorien von Leistungsempfängern eingeteilt. Kategorie I definiert Familien als Leistungsempfänger, in denen alle Familienmitglieder temporär oder dauerhaft dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, etwa Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre, sofern diese in das Bildungssystem integriert sind, Alleinerziehende mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren, Personen mit schwerer und dauerhafter Behinderung über 18 Jahre, ältere Personen über 65 Jahre. Kategorie II umfasst jene Familien, in denen mindestens ein Familienmitglied dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und in denen mindestens ein Kind jünger als 5 Jahre bzw. ein/e Waise jünger als 15 Jahre versorgt wird. Leistungen in beiden Kategorien sind an strenge Bedürftigkeitsprüfungen gebunden. Das Sozialsystem ist nur rudimentär ausgebaut und bietet keine angemessene Versorgung. Ein Gesetz zum Aufbau einer staatlichen Krankenversicherung wurde verabschiedet, aber noch nicht umgesetzt. Ein Altersversorgungssystem ist eingerichtet, die Renten bewegen sich aber auf niedrigem Niveau. Wegen der strengen Anspruchsvoraussetzungen oder mangels Registrierung erhalten nur wenige Familien staatliche Leistungen in Form von Sozialhilfe oder Renten. Das wirtschaftliche Überleben dieser Familien sichern in der Regel der Zusammenhalt der Familien und die im Kosovo noch ausgeprägte gesellschaftliche Solidarität. Eine große Rolle spielen dabei die Schattenwirtschaft, Spenden und die Unterstützung durch die Diaspora.

Die staatlich finanzierte medizinische Grundversorgung der Bevölkerung erfolgt in einem öffentlichen dreistufigen Gesundheitssystem. Es besteht aus Erstversorgungszentren, Krankenhäusern auf regionaler Ebene sowie einer spezialisierten medizinischen Versorgung durch die Universitätsklinik in Prishtina, die umfassende, auch komplexe medizinische Dienstleistungen, verbunden mit hohen Kosten, anbietet. Die Bettenkapazität zur stationären Behandlung von Patienten in Krankenhäusern ist ausreichend. Problematisch bleiben der schlechte bauliche Zustand von Krankenhäusern und Gesundheitsstationen mit teilweise veralteter Ausstattung. Die medizinische Infrastruktur bleibt trotz erheblicher Investitionen lückenhaft. Trotz kontinuierlicher Verbesserungen der meisten Gesundheitsindikatoren bleibt die Situation hinsichtlich Morbidität und Mortalität alarmierend.

Die Medikamentenversorgung und -beschaffung im staatlichen Gesundheitssystem wird zentral vom Gesundheitsministerium gesteuert. Auf seiner Homepage veröffentlicht das Gesundheitsministerium die aktuellen Listen der unentbehrlichen Arzneimittel, in denen alle staatlich finanzierten Basismedikamente und -wirkstoffe, Verbrauchsmaterialien sowie Zytostatika aufgelistet werden. Für medizinische Leistungen sowie für Basismedikamente aus der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel zahlen Patienten Eigenbeteiligungen, die nach vorgegebenen Sätzen pauschal erhoben werden. Von der Zuzahlungspflicht sind ua Invalide und Empfänger von Sozialhilfeleistungen, Rentner, Schwangere, chronisch Kranke sowie Personen über 65 Jahre befreit. Das Gesundheitsministerium verfügt über ein Budget, um Personen ohne ausreichende finanzielle Mittel Medikamente zur Verfügung stellen zu können, die nicht in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel angeführt sind. Die Bewilligung erfolgt nur, wenn der Patient ansonsten in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.

Seit 01.01.2011 unterstützt die kosovarische Regierung Rückkehrer aus Drittstaaten mit Geld-, Sach- und Beratungsleistungen. Die "Nationale Strategie zur Reintegration von Rückkehrern im Kosovo" sah für die Haushaltsjahre 2014 bis 2017 Mittel von EUR 3,2 Mio. pro Jahr vor. Damit keine Anreize für eine Ausreise aus Kosovo bestehen, erhalten nur diejenigen Rückkehrer Leistungen aus dem Reintegrationsprogramm, die den Kosovo vor dem 28.07.2010 verlassen haben. Ausnahmen gelten bei aufgrund von Alter, Krankheit, Behinderung, familiären oder sozialen Problemen besonders gefährdeten Personen. Die erste Kontaktaufnahme zu Rückkehrern findet bereits unmittelbar nach deren Ankunft am Flughafen Prishtina statt. Falls erforderlich, werden Transporte in die Heimatgemeinde oder eine befristete Unterkunft in Prishtina angeboten und Ansprechpartner in den Kommunen benannt. Im Bedarfsfall können individuelle medizinische Versorgungsmöglichkeiten über die Abteilung für die Reintegration von Rückkehrern im kosovarischen Innenministerium in Zusammenarbeit mit dem kosovarischen Gesundheitsministerium organisiert werden. Der Staatendokumentation liegen keine Erkenntnisse vor, dass abgelehnte Asylwerber bei der Rückkehr in den Kosovo allein wegen der Beantragung von Asyl im Ausland mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben.

Fälle von unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung sind nicht bekannt. Das Verbot der Anwendung der Todesstrafe ist in der kosovarischen Verfassung verankert. Sie ist für alle Straftaten abgeschafft. Im Kosovo herrschen keine kriegerischen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen.

Zur Situation von Frauen im Kosovo:

Das gesetzliche Regelwerk bezüglich der Gleichstellung von Mann und Frau hat sich verbessert und entspricht europäischen Standards. Es bestehen aber strukturelle Herausforderungen und die Umsetzung bedarf weiterhin großer Anstrengungen. Diskriminierungen, etwa aufgrund des Geschlechts, sind verboten, ebenso häusliche Gewalt. Es besteht ein Wegweisungsrecht im Fall gesetzter Bedrohungen. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen (Belästigung, Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Zwangsprostitution, Menschenhandel, frühe Verheiratung) ist weit verbreitet und vorherrschend kulturell akzeptiert. Jede Polizeistation hat eine Einheit, die sich mit geschlechtsspezifischer Gewalt beschäftigt. Es gibt einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst und standardisierte Abläufe beim Eingang derartiger Anzeigen. Nach den Praxiserfahrungen der spezialisierten Nichtregierungsorganisation Women Wellness Center, die in der Stadt Peja ein Frauenhaus betreibt, sei die Reaktion der Polizei vielfach nicht angemessen, weil sie oft Partei für Männer ergreift, die Opfer beschuldigt und weitere Beweise verlangt. Nach anderen Berichten reagierte die Polizei angemessen auf Fälle von Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt. Allerdings sind Verurteilungen und Anzeigen selten, was kulturellen Normen, aber auch mangelnden Schutzeinrichtungen, Zurückziehung der Anzeige und schlechten Beschäftigungsmöglichkeiten geschuldet war. Das Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt unterstützte Nichtregierungsorganisationen finanziell, die einige Frauenhäuser für Opfer von Gewalt betrieben, und bot Sozialdienste mittels der Sozialämter an. Es bestehen sechs Frauenhäuser, und zwar in Peja, Djakova, Prizren, Gjilan, (Süd-) Mitrovica und Prishtina.

Alleinstehende oder alleinerziehende Frauen, die keine Unterstützung durch Angehörige erhalten, sind wegen der hohen Arbeitslosenquote zumeist unmittelbar abhängig von Sozialhilfe oder von Hilfeleistungen von Nichtregierungsorganisationen. Dies hat regelmäßig eine untergeordnete soziale Stellung zur Folge. Frauen können in diese Situation kommen, wenn ihre Angehörigen sie nach einer Scheidung oder der Geburt eines nichtehelichen Kinds verstoßen.

Frauen im Kosovo sind in Ehefragen Männern gesetzlich gleichgestellt. Ehen, die durch Zwang, Bedrohung, versehentlich oder durch einen anderen Mangel an Willensfreiheit der zukünftigen Ehegatten zustande kommen, sind laut Gesetz nicht gültig. Das Strafgesetzbuch sieht schwere Strafen für Fälle von Zwangsheirat vor. Trotzdem kommen im Kosovo Zwangsehen vor, zumal die Rechte von Frauen und Mädchen oftmals durch traditionelle Praktiken untergraben werden. Arrangierte Ehen sind durchaus üblich und Berichte deuten darauf hin, dass Frauen und Mädchen, insbesondere in ländlichen Gebieten, oft wenig Einfluss darauf haben, wen sie heiraten. Auch im Ausland geborene und aufgewachsene Mädchen und Frauen unterliegen der Gefahr, gegen ihren Willen im Kosovo verheiratet zu werden. Es gibt auch Berichte darüber, dass gegen den Willen der jeweiligen Familien zusammenlebende Paare und aus der Familie verstoßene Personen häufig isoliert werden. Die geringe Akzeptanz durch die kosovarische Gesellschaft kann sich in weiterer Folge auch negativ auf den Zugang zu Arbeit und sozialer Teilnahme auswirken.

Gewalt und Diskriminierung von Frauen sind generell weit verbreitet. Im Kosovo gibt es für Opfer häuslicher Gewalt spezialisierte Unterstützungsdienste, die den Schutz, die Rehabilitation und die Wiedereingliederung des Opfers ermöglichen und sich als wirksam erwiesen haben, um Frauen dabei zu helfen, missbräuchliche Beziehungen zu verlassen. Es ist ungewiss, ob Frauen und Mädchen, die sich in Zwangsheiratssituationen befinden, Zugang zu Schutzmaßnahmen erhalten. Einige Berichte deuten darauf hin, dass die Polizei angemessen auf Gewaltsituationen gegen Frauen reagiert, während andere die Reaktion, insbesondere in Situationen der Kinderheirat, in Frage stellen. Frauenhäuser nehmen nur Frauen auf, die Opfer von häuslicher Gewalt oder Menschenhandel geworden sind; Familien haben keinen Zugang. Die Kapazitäten und die Finanzierung der existierenden Frauenhäuser reichen nicht aus, um den Bedarf zu decken. Sozialer Druck und Vorurteile führen dazu, dass Zwangsehen genauso wie häusliche Gewalt häufig als private, familienintern zu regelnde Angelegenheiten angesehen werden. Dies erklärt auch, weshalb sich Behörden und Beamte manchmal nur zurückhaltend engagieren und betroffene Frauen zusätzlich zur erlittenen Gewalt durch ihre Ehemänner auch noch Opfer der Untätigkeit und Nachlässigkeit von Institutionen werden. Staatsanwälte und Richter haben auch die Rolle des "Vermittlers" zwischen Opfer und Täter gespielt, obwohl dies nicht in ihre Zuständigkeit fällt. Darüber hinaus wird die Situation der Opfer oft auch durch wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse von den Tätern erschwert. Die lange Dauer entsprechender Gerichtsverfahren ist entmutigend und führt dazu, dass nur wenige Fälle tatsächlich vor Gericht gebracht werden. Es gibt eine Reihe staatlicher Stellen und Nichtregierungsorganisationen, die Frauen und Mädchen, die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sind, Rechtsbeistand, Beratung und andere Unterstützung anbieten, sowie ein Netzwerk von staatlichen Unterkünften im ganzen Land.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt der Verwaltungsakten und des Gerichtsakts.

Die Feststellungen basieren insbesondere auf den gut nachvollziehbaren Angaben der BF bei ihrer Erstbefragung und bei der Einvernahme durch das BFA sowie auf den von ihr vorgelegten Urkunden.

Die Identität der BF (Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit) wird, ebenso wie ihr Geburtsort, anhand ihres Reisepasses, der dem BVwG in Kopie vorliegt und dessen Echtheit nicht in Zweifel steht, festgestellt.

Bei der Erstbefragung gab die BF Albanisch als ihre Muttersprache an. Bei der Einvernahme vor dem BFA, der ein Albanischdolmetscher beigezogen wurde, gab es keine Verständigungsprobleme.

Die BF legte dar, dass sich ihre Herkunftsfamilie zum Islam bekenne, was angesichts ihrer Herkunft und Volksgruppenzugehörigkeit gut nachvollziehbar ist. Bei der Erstbefragung gab sie an, selbst keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Gegenüber dem BFA schilderte sie eine Abwendung vom Islam und behauptete auch, sich mittlerweile als Christin zu fühlen. Sie gehe gelegentlich in die Kirche, feiere christliche Feste (Weihnachten, Ostern, Nikolausfest) und äße Schweinefleisch. Anhaltspunkte dafür, dass ihre Taufe bereits erfolgt oder konkret beabsichtigt sei, liegen nicht vor. Ob aus dem Interesse der BF am Christentum und an christlichen Traditionen eine (asylrechtlich relevante) Konversion zum Christentum abgeleitet werden kann, ist nicht entscheidungswesentlich, weil sie auch bei einer Konversion zum Christentum im Kosovo nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer asylrelevanten Verfolgung rechnen müsste (siehe unten).

Die BF schilderte ihre Schulausbildung bei der Erstbefragung. Damit im Einklang steht der Zulassungsnachweis laut der Bestätigung der Universität XXXX vom 28.02.2019, insbesondere der Hinweis auf die nicht-österreichische Reifeprüfung vom 05.06.2010. Aus den Angaben der BF bei der Erstbefragung und vor dem BFA ergibt sich, dass sie keine Berufsausbildung abschloss und weder im Kosovo noch in Österreich berufstätig war. Die Feststellungen zu ihrem Studium an der Universität Prizren basieren auf dem (auch in deutscher Übersetzung vorgelegten) "Notenverzeichnis" vom 24.01.2018.

Die der BF erteilten Aufenthaltsbewilligungen und die Abweisung ihres letzten Verlängerungsantrags wegen mangelnden Studienerfolgs sind im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert. Sie ist seit 15.04.2015 durchgehend mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet, was auch den von ihr angegebenen gemeinsamen Haushalt mit ihrer in Österreich lebenden Tante und deren Familie bestätigt. Ihr Studium in XXXX wird anhand ihrer Angaben, die durch die Aufenthaltsbewilligungen als Studierende und die Bestätigung der Universität XXXX untermauert werden, festgestellt.

Das Zeugnis über die von der BF abgelegte Deutschprüfung liegt vor. Bei der Einvernahme vor dem BFA, die weitgehend auf Deutsch geführt wurde, stellte sie gute Kenntnisse der deutschen Sprache unter Beweis, die auch in den vorgelegten Unterstützungsschreiben hervorgehoben werden.

Die wegen unrechtmäßigen Aufenthalts verhängte Geldstrafe ergibt sich aus der aktenkundigen Strafverfügung vom 30.01.2019. Die Feststellungen zum Familienstand der BF und zum Fehlen von Sorgepflichten beruhen auf ihren Angaben, aus denen sich auch ergibt, dass sie grundsätzlich gesund ist. Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit sind mangels entsprechender Hinweise angesichts ihres Alters und Gesundheitszustands nicht anzunehmen.

Die BF schilderte die finanzielle Unterstützung durch ihre Tante im Einklang mit deren Schreiben vom 27.02.2019 und der Unterstützungserklärung für die Selbstversicherung in der Krankenversicherung vom 11.02.2019. Der in Aussicht stehende Arbeitsplatz ergibt sich aus dem Schreiben der Zahnarztpraxis Dr. XXXX vom 21.01.2019. Es ist nachvollziehbar und durch mehrere Unterstützungsschreiben dokumentiert, dass die BF während ihres Inlandsaufenthalts in Österreich einen Bekanntenkreis aufgebaut und soziale Kontakte sowie Freundschaften geknüpft hat. Die Feststellungen zu ihren im Kosovo und in Slowenien lebenden Angehörigen und zum Kontakt zu ihnen basieren auf ihren entsprechenden Angaben. Ihre strafgerichtliche Unbescholtenheit geht aus dem Strafregister hervor.

Da die BF Probleme mit den kosovarischen Behörden gegenüber dem BFA ausdrücklich in Abrede stellte, ist davon auszugehen, dass sie bei ihrer Rückkehr dorthin nicht mit staatlichen Sanktionen zu rechnen hat. Dies ist angesichts der Länderberichte betreffend aus dem Ausland zurückkehrende Asylwerber auch nicht zu erwarten. Anhaltspunkte für eine strafrechtliche oder politische Verfolgung der BF im Kosovo liegen nicht vor.

Die BF schilderte die Vorfälle vor ihrer Ausreise 2015 (Bedrohung wegen des Kirchenbesuchs und der Abwendung vom Islam; Bruch mit den Eltern wegen des Versuchs der Zwangsverheiratung und der Ablehnung ihrer Beziehung zu einem Katholiken) plausibel und schlüssig, sodass ihr auch insoweit gefolgt werden kann.

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage im Kosovo beruhen auf den Länderinformationen der Staatendokumentation, die unter detaillierter Angabe der jeweiligen Quellen in den angefochtenen Bescheid aufgenommen wurden. Dabei wurden Berichte verschiedener allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt, die ein übereinstimmendes Gesamtbild ohne entscheidungswesentliche Widersprüche ergeben. Es besteht kein Grund, an der Richtigkeit und Aktualität dieser Angaben zu zweifeln. Die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen werden in dieser Entscheidung nur auszugsweise, soweit entscheidungswesentlich, wiedergegeben. Zu den Quellenangaben im Einzelnen wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen. Aufgrund der stabilen Situation im Kosovo sind die vom BFA herangezogenen Länderinformationen (Stand 07.09.2017) weiterhin ausreichend aktuell. Die Fortsetzung der EULEX-Mission nach Juni 2018 wurde anhand öffentlich zugänglicher Quellen in einer Fußnote ergänzt.

Die Feststellung, dass im Kosovo keine kriegerischen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen herrschen, beruht auf dem Fehlen von Berichten über derartige Konflikte und auf der grundsätzlich stabilen Sicherheitslage dort. Es liegen auch keine Berichte über Fälle von unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung vor. Die Abschaffung der Todesstrafe ist in Art 25 Abs 2 der kosovarischen Verfassung vom 15.06.20083 festgelegt.

Die Feststellungen zur Lage von Frauen im Kosovo basieren auf den Länderinformationen der Staatendokumentation, insbesondere der Anfragebeantwortung zur Zwangsehe vom 29.04.2019, wobei auch darin detaillierte Quellen angegeben werden.

Der Antrag der BF, "die aktuellen UNHCR-Berichte einzuholen" ist nicht zielführend, weil die letzten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo vom November 2009 stammen und nicht mehr aktuell sind; sie beschäftigen sich weder mit Personen, die sich vom Islam abgewendet haben, noch mit Frauen in Zwangsverheiratungssituationen.

Die von der BF mit der Stellungnahme vom 06.03.2019 vorgelegten Medienberichte, die zum Teil deutlich älter sind als die von der Staatendokumentation herangezogenen Quellen, erwecken keine Zweifel an den als Feststellungsbasis herangezogenen Länderberichten, zumal radikalislamische Tendenzen im Kosovo und die staatlichen Reaktionen darauf in den Feststellungen ohnedies berücksichtigt werden.

Die BF legte mit der Beschwerde Berichte zur Situation von kosovarischen Frauen, die von Zwangsverheiratung oder häuslicher Gewalt betroffen sind, vor. Der Bericht des BR Fernsehens vom 06.05.2018 beschäftigt sich mit einer Frau, die wegen des Mordes an ihrem gewalttätigen Ehemann im Frauengefängnis von Prishtina angehalten wird; dies ist mit der Situation der BF, der keine Straftaten angelastet werden, nicht vergleichbar. Die Verbreitung häuslicher Gewalt im Kosovo wurde ohnehin festgestellt. Der vorgelegte Bericht einer Zeitung der Evangelischen Kirche Deutschland ("Chrismon") stammt vom Juni 2011 und befasst sich mit dem Einzelfall einer offenbar in Deutschland lebenden Kosovarin, die ihre Familie wegen einer drohenden Zwangsverheiratung verließ, und führt ebenfalls zu keiner von den getroffenen Feststellungen abweichenden Beurteilung der Lage von Frauen, die von Zwangsehen im Kosovo betroffen sind. Es wird ohnehin festgestellt, dass auch für im Ausland geborene und aufgewachsene Frauen die Gefahr besteht, gegen ihren Willen im Kosovo verheiratet zu werden. Die vorgelegte ACCORD-Anfragebeantwortung vom 25.03.2014 betreffend Zwangsehen im Kosovo ist deutlich weniger aktuell als die vom BFA in diesem Verfahren eingeholten Informationen und bezieht sich in erster Linie auf die Situation von Roma-Frauen. Auch diese Anfragebeantwortung bedingt kein Abgehen von der in dieser Entscheidung und auch schon von der Behörde festgestellten aktuellen Lage im Kosovo. Das Themenpapier des Schweizerischen Bundesamts für Flüchtlinge vom 25.10.2000 "Die kosovo-albanische Frau in Familie und Gesellschaft" stammt aus der Zeit vor der Unabhängigkeit des Kosovo und ist nicht mehr aktuell, sodass es nicht als Feststellungsbasis herangezogen wird.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Die Zuerkennung des Status der oder des Asylberechtigten setzt gemäß § 3 Abs 1 AsylG voraus, dass glaubhaft ist, dass dem Antragsteller oder der Antragstellerin im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974, kurz GFK) droht.

Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlands befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Lands zu bedienen (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113). Unter "Verfolgung" ist ein ungerechtfertigter Eingriff in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350), dessen Intensität es dem Betroffenen unzumutbar macht, den Schutz seines Heimatstaats in Anspruch zu nehmen (VwGH 08.06.2000, 99/20/0092).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kommt einer von Privatpersonen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Schutz davor zu gewähren (siehe VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010; zuletzt auch 01.02.2019, Ra 2018/18/0544). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staats kann nicht schon dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrechtliche Intensität erreichenden - Nachteils aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 10.08.2017, Ra 2017/20/0153).

Zentraler Aspekt der Verfolgung im Herkunftsstaat iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Dabei ist der reale Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte zu berücksichtigen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen (VwGH 16.02.2016, Ra 2014/20/0165).

Die BF macht als Fluchtgründe eine Verfolgung durch Privatpersonen, und zwar einerseits wegen der Abwendung vom Islam und der Zuwendung zum Christentum sowie andererseits wegen ihrer Weigerung, den ihr von ihren Eltern zugedachten Mann zu heiraten, geltend. Es kommt somit darauf an, ob der kosovarische Staat willens und in der Lage ist, sie vor Übergriffen ihrer Familie und der Familie ihres "Verlobten" aus diesen Gründen zu schützen. Da in der kosovarischen Verfassung Religionsfreiheit garantiert ist, der kosovarische Staat gegen religiösen Extremismus vorgeht und Zwangsehen ungültig und verboten sind, ist die staatliche Schutzwilligkeit jedenfalls gegeben. Die staatliche Schutzfähigkeit ist grundsätzlich bei der Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems, an dem die BF unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände wirksam teilhaben kann, gewährleistet, wenn also der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung der Verfolgungshandlungen, und sie Zugang zu diesem Schutz hat (siehe VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

Der Kosovo gilt gemäß § 19 Abs 5 Z 2 BFA-VG iVm § 1 Z 2 HStV als sicherer Herkunftsstaat, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit der dortigen Behörden spricht, zumal bei der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten insbesondere auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Menschenrechtsverletzungen Bedacht zu nehmen ist (siehe zu Albanien VwGH 10.08.2017, Ra 2017/20/0153).

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass der Kosovo ein säkularer Staat mit einer - zunehmend populären - christlichen (römisch-katholischen) Minderheit ist, der sich von religiösem, insbesondere islamistischem, Extremismus distanziert und aktiv dagegen vorgeht. In Bezug auf die Abwendung der BF vom Islam besteht daher - selbst bei einer allfälligen Konversion zum Christentum - eine ausreichende staatliche Schutzfähigkeit.

Obwohl geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und die Einflussnahme der Herkunftsfamilie auf die Partnerwahl (bis hin zu Zwangsehen) im Kosovo verbreitet sind, ist aufgrund der bestehenden Gesetze und Einrichtungen zum Schutz von betroffenen Frauen und Mädchen trotz des Verbesserungsbedarfs bei der Umsetzung von einer ausreichenden Schutzfähigkeit für Personen wie die BF auszugehen, zumal ein im Großen und Grenzen wirksames System zum Schutz der Betroffenen besteht. Zwangsehen sind ungültig und bei Strafe verboten; es gibt auf Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt spezialisierte Polizeieinheiten und Unterstützungsmöglichkeiten durch staatliche Stellen und Nichtregierungsorganisationen. In Bezug auf die Berichte über teilweise unangemessene Reaktionen der Polizei ist auf das bestehende System von Beschwerde- und Rechtsschutzmöglichkeiten und Disziplinarverfahren beim Fehlverhalten einzelner Organwalter hinzuweisen. Trotz der bestehenden Mängel gibt es keine Hinweise darauf, dass von Zwangsehen bedrohten Frauen, die sich vom Islam abgewendet haben, im Kosovo systematisch staatlicher Schutz verweigert würde.

Die Voraussetzung der wohlbegründeten Furcht wird in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 30.08.2007, 2006/19/0400). Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn die BF daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sein sollte, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (siehe VwGH 21.05.2019, Ra 2019/19/0036).

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die von der BF als Grund für die Ausreise angegebenen Umstände bereits mehrere Jahre zurückliegen. Sie hat auch nicht gleich nach dem Ende ihres Aufenthaltsrechts in Österreich internationalen Schutz beantragt, sondern mehrere Monate zugewartet, ohne einen Grund dafür anzugeben. Da sie in den in Jahren, seit sie den Kosovo verlassen hat und sich als Studierende in Österreich aufgehalten hat, älter, reifer und selbständiger geworden ist, außerhalb ihrer Herkunftsfamilie gelebt hat und Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen hat, wird es ihr möglich sein, im Kosovo als erwachsene alleinstehende Frau auch unabhängig von ihren Eltern ein selbstbestimmtes Leben zu führen und bei allfälligen Übergriffen durch Privatpersonen aus ihrer eigenen oder einer anderen Familie die vorhandenen staatlichen und nichtstaatlichen Hilfeleistungen und Schutzmechanismen in Anspruch zu nehmen. Die BF ist - wie nicht zuletzt ihre Ausreise nach Österreich zeigt - entschlossen, Einflüsse ihrer Familie in Bezug auf die Wahl ihres Lebenspartners nicht einfach hinzunehmen, und wird dabei von ihrer in Österreich lebenden Tante und deren Familie, aber auch von ihrem Bruder und ihrer Großmutter im Kosovo bestärkt. Sie gehört nicht zu einem besonders vulnerablen Personenkreis, ist uneingeschränkt erwerbsfähig und kann nach ihrer Rückkehr in den Kosovo weiterhin durch ihre Tante von Österreich aus finanziell unterstützt werden, sodass nicht zu befürchten ist, dass dies durch wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse erschwert wird.

Grundsätzlich hindert es die Asylgewährung, wenn der Asylwerber nicht einmal versucht hat, beim Herkunftsstaat Schutz vor einer möglichen Verfolgung durch nicht staatliche Verfolger zu finden, weil es an der erforderlichen Zurechnung des Verhaltens dieser Verfolger an den Staat fehlt (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Die BF hat bislang nicht versucht, im Kosovo Schutz vor einer Zwangsverheiratung zu erhalten. Es ist kein konkreter Grund ersichtlich, warum ihr der dort für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt grundsätzlich vorgesehene Schutz nicht zuteil werden würde. Selbst ein allfälliges Untätigbleiben einzelner Organwalter belegt (wie oben bereits dargelegt) noch keine generell fehlende Schutzfähigkeit des Staats, zumal ein solches Verhalten nicht geduldet wird und die BF die Möglichkeit hat, sich dagegen zu beschweren. Sie kann sich an eine speziell für solche Fälle ausgebildete Polizeieinheit wenden und sich bei akut drohender Gewalt vorübergehend in ein Frauenhaus begeben. Für ihren Lebensunterhalt kann sie durch eigene Erwerbstätigkeit, staatliche Sozialleistungen und die finanzielle Unterstützung ihrer in Österreich lebenden Verwandten aufkommen.

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass die BF nach ihrer Rückkehr in den Kosovo dort nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung droht, zumal die Aussicht besteht, dass sie von den dortigen Behörden ausreichend Schutz vor der Verfolgung und der Zufügung ernsthafter Schäden durch Privatpersonen in- oder außerhalb ihrer Herkunftsfamilie erhalten wird. Ein lückenloser Schutz ist weder in Österreich noch im Kosovo möglich, wie z.B. auch die Berichte über Zwangsverheiratungen im Ausland lebender Kosovarinnen zeigen.

Es ist auch sonst keine aktuell bestehende asylrelevante Verfolgung der BF hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt. Die Abweisung des Antrags der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das BFA ist daher nicht zu beanstanden.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn sein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art 3 EMRK (Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung) oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (Abschaffung der Todesstrafe) bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG zu verbinden.

Bei der Beurteilung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, die eine ganzheitliche Analyse der möglichen Gefahren erfordert und sich auf die persönliche Situation der Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob sie in ihrem Herkunftsstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Dies ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen; die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK reicht nicht aus. Wenn im Herkunftsstaat einer Asylwerberin eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, die ein solches Ausmaß erreicht, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich ist, dass auch sie tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltakts sein wird, liegen stichhaltige Gründe für die ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit bei der Rückführung in diesen Staat vor. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit der Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere, in der persönlichen Situation der Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer Art 2 oder Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die die BF bei der Rückkehr in ihr Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Die Voraussetzungen dafür, der BF subsidiären Schutz zuzuerkennen, liegen hier nicht vor. Im Kosovo ist die Todesstrafe abgeschafft. Angesichts der stabilen Sicherheitslage besteht keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der BF infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts. Bei ihrer Rückführung in den Kosovo droht keine konkrete Gefahr, dort das Leben zu verlieren, Folter oder einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt zu sein.

Voraussetzung für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz ist, dass eine konkrete, die Asylwerberin betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung oder Bedrohung vorliegt. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und -fähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 8.6.2000, 2000/20/0141).

Es wurde bereits dargelegt, dass die kosovarischen Behörden hier ausreichend schutzfähig und -willig sind. Die BF ist eine gesunde Frau in einem erwerbsfähigen Alter, die mit der Landessprache und den kulturellen Gepflogenheiten im Kosovo vertraut ist. Sie hat die Reifeprüfung abgelegt und mehrere Semester lang Rechtswissenschaften studiert. Sie ist als nicht besonders schutzbedürftig anzusehen, sodass es ihr möglich sein wird, sich durch eigene Erwerbstätigkeit, Inanspruchnahme karitativer Hilfsleistungen oder staatlicher Sozialhilfeleistungen und die finanzielle Unterstützung ihrer in Österreich lebenden Verwandten im Kosovo eine Existenz aufzubauen, auch wenn sie von ihren Eltern nicht unterstützt und aus der Familie im Kosovo verstoßen wird. Es ist nicht zu befürchten, dass ihr bei der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen könnte, liegt aktuell im Kosovo - auch bei Berücksichtigung der schwierigen wirtschaftlichen Lage, die dort insbesondere für alleinstehende Frauen besteht - nicht vor.

Den BF droht im Kosovo somit weder durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder fehlenden Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der gemäß § 8 Abs 1 AsylG zu berücksichtigenden, von der EMRK gewährleisteten Rechte. Daher ist auch die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz laut Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids nicht korrekturbedürftig.

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids:

Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen wird, ist gemäß § 58 Abs 1 AsylG von Amts wegen die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG zu prüfen. Gemäß § 58 Abs 3 AsylG ist darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

Eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" ist gemäß § 57 Abs 1 AsylG Drittstaatsangehörigen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, zu erteilen, wenn entweder der Aufenthalt gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen weiterhin vorliegen, sofern sie keine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit sind und nicht wegen eines Verbrechens verurteilt wurden, oder zur Gewährleistung der Strafverfolgung oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von damit im Zusammenhang stehenden zivilrechtlichen Ansprüchen. Ein solcher Aufenthaltstitel ist auch Opfern von Gewalt zu erteilen, wenn eine einstweilige Verfügung nach § 382b EO ("Schutz vor Gewalt in Wohnungen") oder nach § 382e EO ("Allgemeiner Schutz vor Gewalt") erlassen wurde oder hätte erlassen werden können, wenn dies zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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