TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/16 W251 2181541-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2019
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Entscheidungsdatum

16.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W251 2181541-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2017, Zl. 1080936102 - 150997185, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 03.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 03.08.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass Afghanistan kein lebenswertes Land sei. Die soziale Situation sei schlecht. Er habe dort kein Sicherheitsgefühl und die Infrastruktur sei für ein lebenswertes Leben schlecht.

3. Am 17.10.2017 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er wegen der schlechten Sicherheitslage Afghanistan verlassen habe. Er habe eine Aufnahmeprüfung für eine Universität in Kabul bestanden und dort studieren wollen. Um in Kabul zu studieren sei er Richtung Kabul unterwegs gewesen, als das Fahrzeug von einigen Personen angehalten worden sei. Diese haben gefragt wohin sie (Anm.: der Beschwerdeführer und die anderen Insassen) unterwegs seien, alle haben Angst gehabt, die diese Personen aggressiv gewesen waren, diese Personen haben nach Staatsangestellten und Soldaten gesucht. Diese Personen haben alle Insassen des Autos aussteigen lassen und die Sachen der Insassen kontrolliert und dabei die Studienunterlagen des Beschwerdeführers entdeckt. Der Beschwerdeführer wurde gefragt, was er damit vorhabe. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass er in Kabul studieren wolle. Der Beschwerdeführer sei daraufhin als Lügner bezeichnet und beschimpft worden, man habe ihn verdächtigt, dass er nach Kabul reisen würde um für staatliche Einrichtungen zu arbeiten. Der Beschwerdeführer sei geschlagen und fotografiert worden, man habe ihn bedroht, dass er umgebracht werde, falls diese Personen ihn nochmals sehen sollten. Der Vater des Beschwerdeführers habe daher dem Beschwerdeführer erlaubt in den Iran zu reisen. Der Beschwerdeführer habe im Iran jedoch keine Studienberechtigung erhalten und sechs Jahre lang im Iran als Schneider gearbeitet. Danach sei er nach Afghanistan ausgewiesen worden, er habe jedoch dort als junger Mensch keine Zukunft und kein Leben gehabt. Sein Vater habe ihm dann die Flucht nach Europa ermöglicht.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III., IV., V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können, es könne nicht festgestellt werden, dass der vom Beschwerdeführer angegebene Vorfall stattgefunden habe. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, der im Haus der Familie in Herat leben könne und somit bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine ausweglose Situation geraten würde. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass die Beweiswürdigung mangelhaft sei. Er sei in Afghanistan Opfer von Misshandlungen geworden und fände dort keine Sicherheit, sein Leben sei dort in Gefahr. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei volatil und habe sich verschlechtert. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan sei er ohne familiäre und finanzielle Unterstützung, sodass er in eine lebensbedrohliche Notlage geraten würde. Seine im Iran lebende Familie sei nicht in der Lage ihn finanziell zu unterstützen. Rückkehrer seien mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Es gestalten sich sowohl die allgemeinen Lebensbedingungen als auch die Versorgungslage sehr schwierig. Zudem habe er sich in Österreich integriert.

6. Mit Schriftsatz vom 14.01.2019 führte der Beschwerdeführer aus, dass er seit neun Jahren nicht mehr in der Stadt Herat gelebt habe, er sei daher entwurzelt. Zudem sei die Versorgungslage in Afghanistan durch eine Vielzahl von Rückkehrerin belastet.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.02.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Diese musste jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt werden, da der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers die Verhandlung entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Beschwerdeführers bereits nach einer Stunde verlassen wollte, und der Beschwerdeführer entgegen seinem ausdrücklichen Wunsch in der Verhandlung unvertreten gewesen wäre. In weiterer Folge gab der Beschwerdeführer einen Vertreterwechsel bekannt.

8. Am 02.05.2019 setze das Gericht die öffentliche mündliche Verhandlung fort. Der Beschwerdeführer gab an, dass er vom islamischen Glauben abgefallen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache (AS 7; AS 69, Verhandlungsprotokoll vom 02.05.2019, OZ 17 S. 6).

Der Beschwerdeführer ist derzeit wenig religiös interessiert. Der Beschwerdeführer ist nicht zu einer anderen Glaubensrichtung konvertiert, er interessiert sich nicht für das Christentum und er geht aktiv keiner anderen (neuen) religiösen Überzeugung nach. Er ist nicht vom Islam abgefallen ist, er tritt auch nicht spezifisch gegen den Islam oder gar religionsfeindlich auf. Es ist niemandem in Afghanistan bekannt, dass der Beschwerdeführer in Österreich vorgegeben hat, sich für das Christentum zu interessieren (OZ 17, S. 8).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Herat in der Stadt Herat geboren (AS 7; OZ 17, S. 6). Er ist dort gemeinsam mit seinen Eltern, seinen drei Brüdern und seiner Schwester aufgewachsen (AS 11; OZ 17, S. 10). Der Beschwerdeführer hat 12 Jahre lang in der Stadt Herat die Schule besucht (OZ 17, S. 9). Der Beschwerdeführer ist nach seinem Schulabschluss in den Iran gereist, dort hat er sechs Jahre lang als Schneider gearbeitet (OZ 17, S: 19). Der Beschwerdeführer wurde jedoch nach Afghanistan ausgewiesen, sein Vater hat dann für ihn die Ausreise nach Europa organisiert (OZ 17, S. 10-11; AS 74). Der Beschwerdeführer ist 2015 nach Europa ausgereist (OZ 17, S. 10).

Der Beschwerdeführer ist ledig, er hat keine Kinder (OZ 17, S. 9; AS 71-72).

Der Beschwerdeführer wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Die Eltern, die Geschwister, sechs Onkel väterlicherseits, eine Tante väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits leben im Iran (OZ 17, S. 12). Der Beschwerdeführer hat derzeit keinen Kontakt zu seiner Familie, kann jedoch jederzeit wieder Kontakt zu seiner Familie aufnehmen (OZ 17, S. 11).

Der Beschwerdeführer spricht Dari, Farsi und etwas Deutsch (OZ 17, S. 12).

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist. Er ist seit seiner Antragsstellung am 03.08.2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG in Österreich durchgehend aufhältig (AS 7-8).

Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse auf dem Niveau A1, A2 und B1 besucht. Er hat Prüfungen auf dem Niveau A1 und A2 abgelegt, nicht jedoch für B1 (OZ 17, S. 14; AS 117-121). Der Beschwerdeführer hat an einem Werte- und Orientierungskurs des österreichischen Integrationsfonds teilgenommen (AS 123).

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung, er geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Der Beschwerdeführer hat zwei unverbindliche Einstellungszusagen, er ist am Arbeitsmarkt jedoch nicht integriert (Beilage ./C; ./D). Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner ehrenamtlichen Arbeit nach, 2017 hat er einige Mal in einem Haus für unbegleitete Minderjährige ausgeholfen (OZ 17, S. 15). Der Beschwerdeführer hilft in seiner Gemeinde bzw. in der Unterkunft, wenn andere Personen Hilfe benötigen, dort wird er für sein Engagement und seinen hilfsbereiten Umgangsformen geschätzt (AS 83ff).

Der Beschwerdeführer nimmt seit September 2016 dreimal in der Woche für jeweils zwei Stunden an einem Fußballtraining teil (OZ 17, S. 16; Beilage ./E). Der Beschwerdeführer ist in Österreich mit Afghanen, Arabern und Türken befreundet. Seine engste Bezugsperson in Österreich ist ein anderer Bewohner seiner Unterkunft, der Beschwerdeführer passt gelegentlich auf dessen Sohn auf. Gelegentlich trifft sich der Beschwerdeführerin mit seiner Deutschlehrerin. Der Beschwerdeführer verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen (Kinder, Ehefrau, etc.) in Österreich (OZ 17, S. 16-17).

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen (OZ 17, S. 15).

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Gegen Schlafprobleme und depressive Stimmungen nimmt der Beschwerdeführer Medikamente (OZ 17, S. 4, S. 17; AS 71).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1 Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals von den Taliban, von Aufständischen oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht. Der Vorfall, wonach der Beschwerdeführer am Weg von Kabul aufgehalten und misshandelt worden sei, hat sich nicht ereignet

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlasen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan von einem Mullah missbraucht wurde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban, durch Aufständische oder durch andere Personen.

1.2.2. Dem Beschwerdeführer droht wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten oder zur Volksgruppe der Tadschiken konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt in Afghanistan.

1.2.3. Der Beschwerdeführer ist aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer kann sich aufgrund der dort herrschenden Sicherheitslage in der Stadt Herat oder der Stadt Mazar-e Sharif wieder niederlassen.

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in der Stadt Herat und in der Stadt Mazar-e Sharif sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat und in der Stadt Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Der Beschwerdeführer kann zudem von seiner Familie im Iran bei einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell unterstützt werden. Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S. 59).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 64 ff).

Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen, ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz beträgt 1.967.180 Einwohner.

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines derfruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine

Alternative zum Mohnanbau werden. Die Safran-Produktion garantierte z. B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat.

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Nach zehn Jahren der Entminung sind 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen in den Distrikte Gulran und Shindand wurden diese noch nicht von Minen geräumt (LIB 26.03.2019, S. 138).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S.102).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 26.03.2019, S. 103).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 26.03.2019, S. 103).

Dürre:

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2014 (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Beilage ./VI, S. 3). Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil (Anfragebeantwortung von ACCORD, Beilage ./VII, S. 8). Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen (Beilage ./VI, S. 11).

Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an (Beilage ./VII, S. 2, S. 5). Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten (Beilage ./VII, S. 6). Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (Beilage ./VII, S. 11). Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt (Beilage ./VII, S. 17ff).

Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten (Beilage ./VII, S. 15f).

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familien aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Dort leben diese am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (Beilage ./VI, S. 5f). Mittlerweile sind 60.000 Personen nach Herat geflohen (Beilage ./VII, S. 5). Es ist besonders die ländliche Bevölkerung, insbesondere in der Provinz Herat, betroffen (Beilage ./VII, S. 7). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt (Beilage ./IV, S. 10; Beilage ./VII, S. 2).

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt (Beilage ./VI, S. 8). Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt (Beilage ./VII, S. 3; Beilage ./VI, S. 1 und 3). Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung (Beilage ./VI, S. 2).

Die Stadt Mazar-e Sharif selbst ist nicht von den Auswirkungen der Dürre betroffen.

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 26.03.2019, S. 376 ff).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (LIB 26.03.2019, S. 359 f). In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 26.03.2019, S. 359).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 353).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 29 - 30).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 31).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 26.03.2019, S. 366 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 26.03.2019, S. 367f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 26.03.2019, S. 369f).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 314).

Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 26.03.2019, S. 304).

Sunniten sind allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

Christen - Konvertiten:

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Ihre Zahl kann nicht verlässlich angegeben werden, da Konvertiten sich nicht öffentlich bekennen. Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber konvertierten Christen ist ablehnend. Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel schon deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. Konversion wird als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen, der mit dem Tod bestraft werden könnte - sofern die Konversion nicht widerrufen wird. Keiner wurde bisher aufgrund von Konversion durch den afghanischen Staat hingerichtet (LIB 26.03.2019, S. 309f).

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß der Auslegung des islamischen Rechts durch das Gericht mit dem Tod bestraft. Betroffene Personen haben vor Gericht drei Tage Zeit die Apostasie zu widerrufen. Widerrufen sie nicht, so haben sie die für die Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Richter könne zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweifel am Vorliegen von Apostasie bestehen (Anfragebeantwortung von ACCORD zur Situation von Apostaten, christlichen Konvertiten, Personen, die Kritik am Islam äußern, 01.06.2017, Beilage ./IV, S. 4f). Geistig zurechnungsfähige Bürger die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Sie könne von der Familie und der Gesellschaft zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren (Beilage ./IV, S. 6).

Es gibt heute eine ganze Reihe von Afghanen die zum Christentum übergetreten sind. Diese geben weitgehend nicht einmal gegenüber der eigenen Familie ihren Glaubensübertritt bekannt (Beilage ./IV, S. 8f). Mitglieder religiöser Minderheiten, wie etwa Christen, vermeiden es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verfolgung oder Tötung, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln. Mitglieder der kleinen christlichen Gemeinden, von denen viele im Ausland zum Christentum konvertiert sind, halten aus Angst vor Diskriminierung oder Verfolgung weiterhin alleine oder in kleinen Gruppen in Privathäusern Gottesdienste ab. Es gibt keine öffentlichen Kirchen in Afghanistan. Die einzige bekannte Kirche in Afghanistan ist auf dem Gelände der italienischen Botschaft (Beilage ./IV S. 8, 10).

Apostaten (Abfall vom Islam):

Es gibt viele Personen die freitags nicht beten oder während des Ramadans nicht fasten. Dies ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden solche Personen nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun. Für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden bzw. die Gesellschaft dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan, 12.07.2017, S. 5f).

Für gebürtige Muslime ist ein Leben in der afghanischen Gesellschaft möglich, ohne, dass sie den Islam praktizieren würden und auch dann, wenn sie Apostaten oder Konvertiten sind. Solche Personen sind dann in Sicherheit, wenn diese Stillschweigen bewahren. Es kann zu einer Gefährdung kommen, wenn öffentlich bekannt wird, dass diese aufgehört haben an den Islam zu glauben (Beilage ./IV, S. 7).

Apostasie und Blasphemie stellen Kapitalverbrechen dar, bei denen Todesstrafe droht. In beiden Fällen haben die Betroffenen vor Gericht drei Tage Zeit um ihre "Tat" zu widerrufen (Beilage ./IV, S. 14).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./I bis ./VIII und ./A bis ./E (Konvolut ZMR, GVS, Strafregister Beilage ./I; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 26.03.2019, Beilage ./II; Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III; ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen, Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen,

3) Personen, die Kritik am Islam äußern, vom 01.06.2017, Beilage ./IV; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Afghanistan, Christen Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan, vom 12.07.2017, Beilage ./V; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan, Lage in Herat- Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre, vom 13.09.2018, Beilage ./VI; Anfragebeantwortung ACCORD, Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018, Beilage ./VII; Übersetzung auf Deutsch der EASO Country Guidance Afghanistan aus Juni 2018 hinsichtlich Punkt III. (Subsidiärer Schutz) und Punkt V. [innerstaatliche Schutzalternative], Beilage ./VIII; Bestätigung vom 10.04.2019, Beilage ./A; Arzttermin Bestätigung Beilage ./B;

Unterstützungsschreiben vom 05.10.2017, Beilage ./C; unverbindliche Einstellungszusage vom 01.02.2019, Beilage ./D; Bestätigung Fußballverien vom 23.01.2019, Beilage ./E).

Dem Erkenntnis werden die EASO Country Guidance Afghanistan aus Juni 2018 sowie die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 zugrunde gelegt (OZ 12, S. 23).

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

2.1.1 Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf (sein Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seine Schulbildung, seine Berufserfahrung, sein Familienstand) gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Dass der Beschwerdeführer mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut ist, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist, er ist dort zur Schule gegangen und hat dort mehrere Jahre gelebt.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen geringen Deutschkenntnissen, seinen fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem), auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen konnten auch vom Gericht getroffen werden, da der Beschwerdeführer in der Verhandlung die auf Deutsch gestellten Fragen nur teilweise verstanden hat und diese auch nur in gebrochenem Deutsch beantwortet hat (OZ 12, S. 13f).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung (AS 71; OZ 12, S. 11, S. 17, S. 4). Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt und eingangs der Verhandlung noch an gesund zu sein. Danach gab der Beschwerdeführer an, an Schlafproblemen zu leiden bzw. wegen seiner Psyche Medikamente zu nehmen. Es war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer gegen Schlafprobleme und wegen depressiver Stimmungen Medikamente nimmt. Hinweise auf lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen sind im Verfahren jedoch nicht hervorgekommen.

Dass der Beschwerdeführer grundsätzlich anpassungsfähig ist, ergibt sich daraus, dass er in Österreich einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen ist und er sich in Österreich ansich zurechtfindet. Der Beschwerdeführer konnte sich bereits einmal im Iran niederlassen und sich dort Unterkunft und Arbeit verschaffen. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen.

Dass der Beschwerdeführer grundsätzlich arbeitsfähig ist, ergibt sich daraus, dass er selber angab, arbeitsfähig zu sein und im Verfahren keine Umstände hervorgekommen sind, die gegen eine Arbeitsfähigkeit sprechen (OZ 12, S. 15).

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.1.2. Der Beschwerdeführer gab zwar in der Verhandlung an, dass er seit 7 bzw. 8 Monaten keinen Kontakt mehr zu seiner Familie hab, dieser Kontaktabbruch sei jedoch von ihm ausgegangen (OZ 12, S. 8, S. 11). Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer den Kontakt zu seinen Familienangehörigen wieder aufnehmen kann. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb eine Wiederaufnahme des Kontaktes nicht möglich sein sollte. Zudem ist den Länderberichten zu entnehmen, dass nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihren Familien in Afghanistan verlieren. Die Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihren nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa geht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, dass sie keine lebenden Verwandten mehr haben bzw. keinen Kontakt mehr zu diesen haben. Der Faktor der geografischen Nähe verliert durch technologische Entwicklungen an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile universell geworden, digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer den Kontakt wieder herstellen kann.

2.1.3. Zum behaupteten Abfall vom Islam:

Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende (oder ablehnende) Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (dazu etwa VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0236). Erforderlich ist allerdings, dass der Asylwerber sein Vorbringen zu seinem Religionswechsel gebührend substantiiert. Im Rahmen von Anträgen auf internationalen Schutz, die mit der Furcht vor Verfolgung aus religiösen Gründen begründet werden, sind neben der individuellen Lage und den persönlichen Umständen des Antragstellers u. a. dessen religiöse Überzeugungen und die Umstände ihres Erwerbs, die Art und Weise, in der der Antragsteller seinen Glauben bzw. Atheismus versteht und lebt, sein Verhältnis zu den doktrinellen, rituellen oder regulatorischen Aspekten der Religion, der er nach eigenen Angaben angehört bzw. den Rücken kehren will, seine etwaige Rolle bei der Vermittlung seines Glaubens oder auch ein Zusammenspiel von religiösen Faktoren und identitätsstiftenden, ethnischen oder geschlechtsspezifischen Faktoren zu berücksichtigen (vgl. EuGH 04.10.2018, Rechtssache C-56/17, Fathi, Rz. 82, 84 sowie 88, teilweise m.w.N.).

Vorweg ist festzuhalten, dass seitens des Beschwerdeführers weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme beim Bundesamt oder in der Beschwerde diesbezügliche Befürchtungen, wie sie erstmals in der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung thematisiert werden, vorkommen. Der Beschwerdeführer bezeichnete sich sowohl in der Erstbefragung (AS 7) als auch in der Einvernahme vor dem Bundesamt (AS 47) explizit als Sunnit. Ausführungen, wonach er diesen Glauben nicht mehr ausüben oder ihn zumindest kritisch hinterfragen würde, traf der Beschwerdeführer bis zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung nicht.

Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, dass er kein sunnitischer Moslem mehr sei, es gebe nur einen Gott, er glaube jedoch an keine Religion mehr (OZ 12, S. 6). Er habe vor ca. einem Jahr bereits aufgehört Moslem zu sein (OZ 12, S. 7). Er habe aufgehört Moslem zu sein, da es immer Krieg und Leiden gebe (OZ 12, S. 7). Von religiöser Überzeugung entsprechende Motive konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht angeben. Seine Behauptung des Abfalls von der Religion kann daher nicht mit einer inneren religiösen Einstellung verbunden werden. Es fällt in diesem Zusammenhang auch auf, dass der vom Beschwerdeführer als für den Abfall vom Islam maßgeblich genannte Traum erst einen Monat vor der Verhandlung stattgefunden hätte, der Abfall vom Islam aber schon ein Jahr zuvor stattgefunden hätte. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Konversion sind nicht glaubhaft.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er sich bereits seit einem Jahr mit dem Christentum auseinandersetzen würde. Er konnte jedoch in der Verhandlung kaum Angaben zum Christentum machen:

"R: Was wissen Sie über das Christentum?

BF: Ich weiß, dass Jesus Christus wegen unseren Sünden gekreuzigt wurde. Das weiß ich.

R: Was wissen Sie sonst noch?

BF: Ich habe es vergessen.

R: Wer war Jesus Christus?

BF: Sohn des Gottes.

R: Können Sie mir etwas über Jesus Christus erzählen?

BF: Er war Sohn des Gottes. Die Mutter war Maria. Sein Vater auf der Erde war Josef. In Jerusalem ist er auf die Welt gekommen. Das ist alles.

R: Können Sie sonst noch etwas über ihn sagen?

BF: Nein. Ich habe es vergessen. Ich bin erst seit kurzem beim Lernen, ich habe das Buch auch genommen. Ich habe im Internet recherchiert und ein bisschen gelesen.

R: Kennen Sie die 10 Gebote?

BF: Nein." (OZ 12, S. 6-7)

Die Angaben des Beschwerdeführers lassen nicht darauf schließen, dass er sich jemals ernsthaft mit dem Christentum auseinandergesetzt hat bzw. er eine Konversion zu einem anderen Glauben ernsthaft in Erwägung zieht. Würde tatsächlich ein ernsthaftes Interesse am Christentum seit einem Jahr vorliegen, so wäre es dem Beschwerdeführer möglich gewesen sich bereits vor langer Zeit eine Bibel in seiner Sprache zu organisieren und nicht erst kurz vor der fortgesetzten Verhandlung. Der Beschwerdeführer räumte auch ein, dass er erst einen Monat vor der Verhandlung (nach einem Informationsgespräch bei einem Pfarrer) begonnen habe, nach einer Bibel in seiner Sprache zu suchen (OZ 12, S. 13). Auch dies spricht nicht für ein ernsthaftes Interesse am Christentum.

Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, dass er bereits vor einem Jahr aufgehört habe Moslem zu sein, er würde seit einem Jahr etwas über das Christentum lesen bzw. habe er in Österreich vier Jahre lang Zeit gehabt sich mit dem Christentum auseinander zu setzen (OZ 12, S. 7). Nach diesen Angaben wäre daher eine tiefgreifende und ersthafte Auseinandersetzung mit dem Christentum zu erwarten. Der Beschwerdeführer gab jedoch in der Verhandlung auf konkrete Befragung an: "Das Problem ist, dass ich nicht so gut Deutsch kann. Ich muss Zeit haben, mich noch weiter zu informieren. Ich kann das Christentum nicht in ein, zwei Monaten auswendig lernen. Davor habe ich auch über das Christentum gelesen, aber es war nicht so ernst. Vor einem Jahr wollte ich schon etwas über das Christentum lesen." (OZ 12, S. 9) Auch aus diesen Angaben wird deutlich, dass die Angaben des Beschwerdeführers nicht in Einklang zu bringen sind und, dass tatsächlich kein tiefes Interesse am Christentum besteht.

Erst am Ende der Verhandlung, auf die Frage, ob er noch etwas angeben möchte, das er bisher noch nicht gefragt worden sei, gab der Beschwerdeführer an, dass er im Alter von vier bis fünf Jahren von einem Mullah sexuell belästigt worden wäre. Er habe diesen Vorfall erst jetzt erwähnt, da er dazu noch nie befragt worden wäre bzw. er keine Zeit gehabt habe, darüber zu reden (OZ 12, S. 21). Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer einen solchen Übergriff weder in der freien Erzählung über seine Fluchtgründe noch bei der Frage über seine Gründe zum Abfall vom Islam angegeben hat. Die Angaben des Beschwerdeführers, wonach er diese Übergriffe bisher nicht erwähnt habe, da er im Stress gewesen sei und es vergessen habe (OZ 12, S. 21) sind jedoch nicht nachvollziehbar und nicht glaubhaft. Es liegt daher eine unglaubhafte Steigerung des Vorbringens des Beschwerdeführers vor.

Der Beschwerdeführer wurde auch befragt, woran man erkennt, dass er kein Moslem mehr sei. Der Beschwerdeführer gab nur vage und ausweichend an, dass er nicht bete und nicht faste (OZ 12, S. 8). Ein religionskritisches oder spezifisch gegen den Islam gerichtetes Verhalten ist daraus jedoch nicht zu erkennen.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er weder seiner Familie noch Personen in der Unterkunft erzählt habe, dass er mit einem Pfarrer gesprochen habe bzw. sich für das Christentum "interessieren" würde. Zudem gab der Beschwerdeführer an, dass er auch mit niemandem in Afghanistan gesprochen habe (OZ 12, S. 8). Es ist daher davon auszugehen, dass keine Person in Afghanistan weiß, dass der Beschwerdeführer in seinem Asylverfahren vorgegeben hat sich für das Christentum zu interessieren.

Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer religiös zwar wenig interessiert ist, jedoch sowohl der Abfall vom Islam als auch ein Interesse für das Christentum nur zum Schein und nur zur Erlangung eines Aufenthaltstitels im Asylverfahren behauptet wurde.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, ihm drohe Lebensgefahr durch die Taliban, Terroristen oder wegen seines behaupteten Abfalls vom Islam, kommt seinem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

Zunächst ist festzuhalten, dass das Gericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks über den Beschwerdeführer davon ausgeht, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der Beschwerdeführer wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, sein Vorbringen detailliert, konkret und umfassend zu gestalten. Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht geworden. Der Beschwerdeführer präsentierte sowohl beim Bundesamt als auch vor Gericht eine bloße Rahmengeschichte, die er selbst auf mehrfaches Nachfragen kaum mit Details ergänzen konnte. Die Angaben des Beschwerdeführers blieben gänzlich detaillos und vage. Der Beschwerdeführer gab auch ausweichende Antworten. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass der Beschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würde, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität. Die erzählte Geschichte erweckte für das Gericht daher den Eindruck, dass es sich lediglich um eine auswendig gelernte konstruierte Geschichte handelt.

Der Beschwerdeführer wurde in der Verhandlung auch aufgefordert, den Vorfall betreffend den Überfall auf den Reisebus ganz konkret und detailliert schildern. Der Beschwerdeführer gab dazu an: "Sieben oder acht Personen sind eingestiegen und haben jedem Fragen gestellt. Wir mussten aussteigen. Alle Männer mussten aussteigen. Sie haben uns Fragen gestellt, wo wir hingehen, was wir machen. Ich habe gesagt, ich müsse nach Kabul, ich möchte dort studieren. Sie haben mir gesagt, dass ich sie anlüge. Sie haben mich beschimpft. Dann haben sie mich geschlagen. Sie haben die ganze Zeit auf meinen Kopf und mein Gesicht geschlagen. Ich habe deswegen auch Narben. Danach haben sie mich fotografiert und bedroht. Ich bin dann wieder eingestiegen." (OZ 12, S. 18). Auch diese Angaben machen einen sehr oberflächlichen Eindruck, ohne lebensnahe Details. Ein derartiger Übergriff müsste jedoch besonders einprägsam sein und detailreich in Erinnerung bleiben. Die Angaben des Beschwerdeführers wirken wie eine grobe Rahmengeschichte ohne lebensnahe Details.

Der Beschwerdeführer wurde auch aufgefordert genau bekannt zu geben, was zu ihm gesagt worden sei. Der Beschwerdeführer machte jedoch nur nachstehende vage Angaben:

"R: Was genau haben diese Männer zu Ihnen gesagt?

BF: Sie haben gesagt, wo gehst du hin. Ich habe gesagt, dass ich studieren möchte. Sie sagten, nein du lügst, du willst mit Amerikanern und mit Ungläubigen arbeiten.

R: Haben die Männer sonst noch etwas zu Ihnen gesagt?

BF: Nein, mehr haben sie nicht gesagt." (OZ 12, S. 18-19)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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