TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/16 W210 2203855-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2019
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Entscheidungsdatum

16.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W210 2203855-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.02.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste schlepperunterstützt und unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13.12.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 14.12.2015 wurde der Beschwerdeführer von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinem Fluchtgrund befragt. Hier gab er an, am XXXX in Afghanistan geboren zu sein. Seinen Herkunftsstaat habe er verlassen, weil er weder fasten noch beten gewollt habe und deshalb von seiner Familie mit dem Tod bedroht worden sei.

3. Aufgrund seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gehegter Zweifel an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde ein Sachverständigengutachten zur medizinischen Altersfeststellung eingeholt, dieses ergab das im Spruch angeführte Geburtsdatum und ein Mindestalter des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Antragstellung von 17,3 Jahren. Das Ergebnis des Sachverständigengutachtens wurde dem Beschwerdeführer durch das BFA zur Kenntnis gebracht.

4. Am 19.03.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Befragt nach seinem Fluchtgrund wiederholte er hier zunächst, dass er von seinem Vater und seinem älteren Bruder geschlagen worden sei, weil er kein strenger Moslem sei und mehr Freiheiten gewollt habe. Zudem seien er und sein Bruder aufgrund ihrer Tätigkeit als Automechaniker mehrfach von den Taliban gezwungen worden, deren Autos zu reparieren. Nachdem sie eine weitere Zusammenarbeit mit den Taliban verweigert hätten, sei der Beschwerdeführer von den Taliban entführt und bedroht worden.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zudem wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch den ihm amtswegig beigegebenen Rechtsberater, die gegenständliche Beschwerde. Die

7. Die belangte Behörde legte die Beschwerde und den Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

8. Am 19.02.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und des ausgewiesenen Rechtsvertreters eine mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinen Beweggründen hinsichtlich der Ausreise aus Afghanistan und allfälligen Rückkehrbefürchtungen befragt wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

9. Am 06.03.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine ergänzende Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den Länderberichten ein. Zugleich wurden ein Arztbrief und das Ergebnis eines Allergietests übermittelt.

10. Mit Eingabe vom 08.04.2019 legte der Beschwerdeführer einen weiteren Arztbrief vor.

11. Dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde wurde eine Aktualisierung des Länderinformationsblatts vom 29.06.2018 mit Stand: 04.06.2019 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Eine Stellungnahme langte bis zum heutigen Tage nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den hiergerichtlichen Akt betreffend den Beschwerdeführer; insbesondere in die Befragungsprotokolle und in die durch das BFA in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.02.2019 und Einholung neuer Länderberichte, so das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis einschließlich 04.06.2019, die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender, die EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan aus Juni 2018, der Landinfo-Report zu Afghanistan mit dem Titel: "Rekrutierung durch die Taliban", der ACCORD-Bericht vom 07.12.2018 zur Sicherheits- und Versorgungslage in Herat, Mazar-e Sharif und Kabul, die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017 zur Situation von vom Islam abgefallenen Personen, christlichen Konvertiten, Personen, die Kritik am Islam äußern, Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und Rückkehrern aus Europa, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.07.2017 zu Christen, Konvertiten und Abtrünnigen in Afghanistan und der Landinfo-Bericht vom 23.08.2017 zu Afghanistan mit dem Titel: "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" sowie durch Einholung von Stellungnahmen zu diesen Berichten und Berücksichtigung der dort und in der Beschwerde zitierten Berichte und Judikate.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, seinem Leben in Afghanistan und Österreich und zu seinen Fluchtgründen:

Der am XXXX geborene und somit im Entscheidungszeitpunkt volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig. Er ist sunnitischer Moslem, übt seine Religion aber nicht aus.

Er ist ledig und kinderlos. Seine Muttersprache ist Dari.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Baghlan, Distrikt XXXX , geboren und aufgewachsen. Er lebte nie außerhalb seiner Heimatprovinz. Der Beschwerdeführer besuchte die Schule in seiner Heimatprovinz bis zur neunten Klasse und hat Berufserfahrung als Automechaniker.

Der Beschwerdeführer hat familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan:

Seine Eltern und seine Tante mütterlicherseits leben nach wie vor im Heimatdorf. Seine Geschwister befinden sich seit Ende des Jahres 2018 in Kabul. Seine ältere Schwester XXXX lebt dort gemeinsam mit ihrem Ehemann, seine ältere Schwester XXXX und sein älterer Bruder XXXX studieren in Kabul Zahnmedizin, sein jüngerer Bruder XXXX und seine jüngere Schwester XXXX absolvieren in Kabul ebenfalls Kurse, sein älterer Bruder XXXX arbeitet als Taxifahrer zwischen Kabul und Baghlan. Die Geschwister bewohnen Zimmer in Kabul-Stadt. Auch drei Onkel des Beschwerdeführers mütterlicherseits leben in Kabul. Der Beschwerdeführer hat alle drei Monate telefonischen Kontakt mit seinen Geschwistern in Kabul und gelegentlich auch mit seinen Eltern in Baghlan.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan Ende 2015 gemeinsam mit seinem älteren Bruder XXXX und reisten mit diesem nach Europa ein. Sein Bruder XXXX hält sich aktuell in Deutschland auf, der Beschwerdeführer stellte am 13.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten, bezieht in Österreich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er besuchte im Halbjahr 2016/17 eine Übergangsstufe an einer allgemeinbildenden höheren Schule für Jugendliche mit geringen Deutschkenntnissen, erwarb ein Zeugnis zur Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur A2-Sprachkompetenz und zu Werte- und Orientierungswissen, leistete ehrenamtliche Tätigkeiten in einem Kulturverein sowie bei der Betreuung von Menschen mit Behinderungen und spielt in seiner Freizeit Volleyball und Fußball, wobei er freundschaftliche Kontakte geknüpft hat.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten oder Familienangehörigen. Es besteht auch kein Abhängigkeits- oder Naheverhältnis zu einer in Österreich lebenden Person.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Er wurde im Mai 2017 einem Allergietest unterzogen, der hinsichtlich der Allergene "Milben", "Pilze" und "Nahrungsmittel" teilweise positiv ausfiel. Im Oktober 2017 wurde beim Beschwerdeführer eine operative Sanierung einer posttraumatischen Septumdeviation (Verkrümmung der Nasenscheidewand) durchgeführt. Sowohl die Operation als auch der postoperative Verlauf gestalteten sich komplikationslos. Im März 2018 wurde beim Beschwerdeführer zudem eine Anpassungsstörung mit Insomnie ohne konkrete Suizidgedanken oder manifestem selbstverletzendem Verhalten diagnostiziert; es wurde damals das Medikament Trittico 150 mg verschrieben. Aktuell nimmt der Beschwerdeführer Medikamente zur Behandlung seiner Hauterkrankung (insbesondere Schuppenflechte), befindet sich aber abgesehen hiervon derzeit weder in ärztlicher noch in medikamentöser Behandlung.

Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat keiner gegen ihn gerichteten Bedrohung oder Verfolgung, sei es durch staatliche Organe oder durch Private, aufgrund seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) ausgesetzt und hat eine solche im Falle seiner Rückkehr auch nicht zu erwarten.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - Afghanistan:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 04.06.2019 - LIB 04.06.2019, S. 22). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 04.06.2019, S. 65).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 04.06.2019, S. 65). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 04.06.2019, S. 66).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 1.773 zivile Opfer, darunter 582 Kinder. Dies entspricht einem Rückgang der Opferzahl gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 23%. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus (LIB 04.06.2019, S. 13).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 04.06.2019, S. 68). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 04.06.2019, S. 22).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 04.06.2019, S.76).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 04.06.2019, S. 69). Ende Mai 2019 und in der ersten Juni-Woche 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen statt (LIB 04.06.2019, S. 14 f.).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 04.06.2019, S. 69). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 04.06.2019, S. 70-72).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 04.06.2019, S. 351).

Zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers - Baghlan:

Baghlan liegt in Nordostafghanistan und gilt als eine der industriellen Provinzen Afghanistans. Sie befindet sich auf der Route der Autobahn Kabul-Nord (LIB 04.06.2019, S. 104)

In Baghlan besteht die reale Gefahr, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Die Taliban zeigen in einigen Gebieten dieser Provinz eine starke Präsenz (EASO Country Guidance Notes, S. 78 f.). Die Sicherheitslage in Baghlan hat sich seit Anfang 2016 verschlechtert, nachdem die Taliban anfingen, koordinierte Angriffe in Schlüsseldistrikten in der Nähe der Hauptstadt auszuführen. Im Februar 2017 galt Baghlan als eine der am schwersten umkämpften Provinzen des Landes. Baghlan zählt zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam (LIB 04.06.2019, S. 105.

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 102 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 222 zivile Opfer registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von Blindgängern/Landminen und gezielten Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 38% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. In Baghlan werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden der Provinz von Aufständischen zu befreien. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurde im Süden der Provinz Baghlan Gewalt gegen die Zivilbevölkerung durch den IS gemeldet, während zwischen dem 16.7.2017 und dem 31.1.2018 keine Vorfälle registriert wurden (LIB 04.06.2019, S. 105 f.).

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 04.06.2019, S. 108 f.). Mazar-e Sharif ist auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 04.06.2019, S. 263). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 04.06.2019, S. 109, 266). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Country Guidance, Seite 102).

Die Provinz Balkh ist ethnisch heterogen, Tadschiken bilden die größte Gruppe, daneben leben auch Paschtunen, Usbeken, Hazara, Turkmenen und Araber in Balkh. Die Siedlungsgebiete sind entlang ethnischer Trennlinien angelegt (ACCORD, Afghanistan, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, 07.12.2018, S. 24).

Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan und hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 04.06.2019, S. 109 f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 04.06.2019, S. 42).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (LIB 04.06.2019, S. 110). Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert; im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 04.06.2019, S. 111).

In der Provinz Balkh ist die Gefahr, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, gering (EASO Country Guidance, S. 24 und 79).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, S. 35) ausgesetzt.

Zur Provinz Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an Maidan Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara und Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (LIB 04.06.2019, S. 90).

In Kabul leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (LIB 04.06.2019, S. 90), wobei keine der Gruppe eindeutig dominiert (ACCORD, Afghanistan, Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, 07.12.2018, S. 25). Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (LIB 04.06.2019, S. 91).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen namens "Hamid Karzai International Airport" (LIB 04.06.2019, S. 91). Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul (LIB 04.06.2019, S. 265). Die afghanische "Ring Road" verbindet Kabul zudem mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (LIB 04.06.2019, S. 258).

Die Hauptstadt Kabul ist von öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffen der Taliban und des IS betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (LIB 04.06.2019, S. 93). In der Stadt Kabul kommt es zu "high-profile"-Angriffen (LIB 04.06.2019, S. 14 f., 70-72, 91). Die Anschläge in Kabul finden hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter, auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen statt. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 04.06.2019, S. 70-72.). Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) zeichnete im August und im September 2018 für öffentlichkeitswirksame Angriffe verantwortlich (LIB 04.06.2019, S. 23, 35, 43, 51). Der ISKP hat eine eingeschränkte territoriale Reichweite und diese Übergriffe stehen zumeist mit einer vorgeworfenen Solidarität mit dem Iran und der Bekämpfung des IS in Syrien in Zusammenhang (EASO Country Guidance Notes, Seite 61 und 62).

Am 9.8.2018 starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (LIB 04.06.2019, S. 53).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz Kabul 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert. Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen (LIB 04.06.2019, S. 91 f.).

In der Hauptstadt werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen des Sicherheitsplanes "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel) mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Die afghanische Nationalarmee (ANA) übernimmt einige der "porösen" Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen (LIB 04.06.2019, S. 93).

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 04.06.2019, S. 145). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (LIB 04.06.2019, S. 145, 266), wobei die Verbindungsroute in die Stadt bei Tageslicht jedenfalls sicher ist (EASO Country Guidance, S. 29).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken sowie tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 04.06.2019, S. 145). Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 04.06.2019, S. 145)

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 04.06.2019, S. 146). Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 04.06.2019, S. 148).

In der Provinzhauptstadt Herat-Stadt ist die Gefahr, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, gering (EASO Country Guidance, S. 24 und 82). Nach zehnjährigen Entminungstätigkeiten werden 14 der 16 Distrikte Herats seit Februar 2018 nun von der Entminungsorganisation Halo Trust als sicher einstuft. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein (LIB 04.06.2019, S. 146).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 04.06.2019, S. 146 f.).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 04.06.2019, S. 147). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 04.06.2019, S. 22).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.03.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 04.06.2019, S. 18).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018, S. 35) ausgesetzt.

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 04.06.2019, S. 357 f.). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 04.06.2019, S. 358, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteils aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 29 - 30).

Medizinische Versorgung:

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten. In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die Kosten von Diagnose und Behandlung in privat geführten Krankenhäusern und Kliniken variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden (LIB 04.06.2019, S. 362).

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden, zur Verfügung gestellt. In den Städten besteht ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken (LIB 04.06.2019, S. 363 f.).

Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden (LIB 04.06.2019, S. 365).

In Mazar-e Sharif existieren ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (LIB 04.06.2019, S. 364 f.).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 04.06.2019, S. 371).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 04.06.2019, S. 372 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (LIB 04.06.2019, S. 373 f.). Da nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM nutzten bietet IOM gewährt IOM seit April 2019 keine temporäre Unterkunft mehr, sondern unterstützt zwangsrückgeführte Afghanen durch Barzuwendung in Höhe von ca. 150 Euro sowie durch Informationen über Unterkunftsmöglichkeiten (LIB 04.06.2019, S. 16). Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 04.06.2019, S. 374).

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 04.06.2019, S. 374 f.).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 04.06.2019, S. 375 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 04.06.2019, S. 376).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 04.06.2019, S. 376).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 04.06.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 04.06.2019, S. 319 f.).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 04.06.2019, S. 320).

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft Afghanistans. Tadschiken bilden außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 04.06.2019, S. 324 f.).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 04.06.2019, S. 309 f.).

Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie (LIB 04.06.2019, S. 309). Die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, ist eine andere als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen ist mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen sind (Anfragebeantwortung vom 01.06.2017).

Es gibt viele Personen die freitags nicht beten oder während des Ramadans nicht fasten. Dies ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden solche Personen nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun. Für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden bzw. die Gesellschaft dem Nichtfastenden des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan, 12.07.2017, S. 5 f.).

Für gebürtige Muslime ist ein Leben in der afghanischen Gesellschaft möglich, ohne, dass sie den Islam praktizieren würden und auch dann, wenn sie Apostaten oder Konvertiten sind. Solche Personen sind dann in Sicherheit, wenn sie Stillschweigen bewahren. Es kann zu einer Gefährdung kommen, wenn öffentlich bekannt wird, dass diese aufgehört haben an den Islam zu glauben. Es gibt in Afghanistan viele Muslime, die nicht regelmäßig zur Moschee gehen. Eine Person, die nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnimmt, wird nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen. Dabei gibt es geografisch bedingte Unterschiede. So ist es im städtischen Raum möglich, auf Moscheebesuche oder das Fasten während des Ramadan zu verzichten. Abweichenden Verhaltensweisen werden im städtischen Raum eher toleriert als im ländlichen Raum (ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017 zu Apostaten ua., S. 7 und 22).

Sofern sich Personen, die vom Islam abgefallen sind, nicht auf Diskussionen einlassen, die den/ihren Glauben betreffen, welche zu sozialen Unruhen führen, werden staatliche Behörden keine Maßnahmen gegen sie setzen. Sollten sie aber soziale Probleme hervorrufen, indem sie sich auf Diskussionen einlassen, um ihren Abfall vom Glauben zu unterstützen, so werden die staatlichen Behörden ihnen das nicht erlauben und sie belangen (Anfragebeantwortung vom 12.07.2017, S. 4).

Gemäß dem Gesetz haben alle Afghanen - gleich welchen Glaubens - dieselben Bürgerrechte und genießen alle Leistungen, die von staatlichen Behörden angeboten werden; keine staatliche Agentur oder Behörde fragt nach dem Glauben, bevor sie eine öffentliche Leistung anbietet. Damit werden alle Leistungen gleich sowohl an muslimische und als auch nicht muslimische Afghanen angeboten (Anfragebeantwortung vom 12.07.2017, S. 4).

Auch Abtrünnige haben weiterhin Zugang zu staatlichen Leistungen, denn es existiert kein Gesetz oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken (Anfragebeantwortung vom 12.07.2017, S. 5).

Zur Rekrutierung durch die Taliban:

Das Konfliktschema in Afghanistan hat sich seit der Übergangsperiode 2014 verändert, die Taliban konzentrieren sich seither auf den Aufbau einer professionelleren militärischen Organisation. Das hat Folgen für die Rekrutierung, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen, als auch im Hinblick auf ihre Ausbildung. Religion und die Idee des Dschihad spielen bei der Rekrutierung weiterhin eine bedeutsame Rolle, ebenso die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Es sind Fälle von Zwangsrekrutierung dokumentiert, sie bilden allerdings die Ausnahme. Die Rekrutierung durch die Taliban ist nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet. Die Veränderungen des Konfliktschemas wirken sich auf die Rekrutierungsstrategien der Taliban aus, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen als auch auf die Ausbildung der Rekruten. Das Profil hat sich insofern verändert, als es sich nun um Personal handelt, das im direkten Konflikt mit dem Feind stehen wird. Das lässt vermuten, dass die Taliban sich aktiver als bisher bemühen, Personal mit militärischem Hintergrund und/oder militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Mitglieder werden auf der Grundlage ihrer Beziehung, ihres Rufes und ihrer Position von den Kommandanten persönlich rekrutiert. Ohne Zustimmung der Familie, insbesondere des Familienoberhaupts, wird für gewöhnlich nicht rekrutiert. Diejenigen zwischen 15 und 18 Jahren, die den Taliban eingegliedert werden, werden vermutlich nur nach Einsatzfähigkeit und Qualifikationen beurteilt, d.h. man wird mobilisiert, wenn man als tauglich befunden wird (Landinfobericht zur Rekrutierung durch die Taliban, S. 20-27).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person und zum Leben des Beschwerdeführers:

Der im Spruch angeführte Name des Beschwerdeführers dient mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente ausschließlich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei.

Das im Spruch wiedergegebene Geburtsdatum des Beschwerdeführers resultiert aus dem im verwaltungsbehördlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten, woraus sich eine nicht auszuschließende Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Antragsstellungszeitpunkt und seine Volljährigkeit im Entscheidungszeitpunkt ergibt.

Die übrigen Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, sohin zu seiner Staatsangehörigkeit, Herkunftsprovinz, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu seiner Muttersprache und seinem Familienstand, gründen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 143 f.; BVwG-Akt, OZ 8, S. 7). Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen - Aussagen zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers basieren ebenfalls auf seinen eigenen Angaben (BFA-Akt, AS 5 f., 11 und 145; BVwG-Akt, OZ 8, S. 6).

Die Feststellungen zu den familiären Anknüpfungspunkten des Beschwerdeführers in Afghanistan, insbesondere in Kabul, und zum aufrechten Kontakt mit seinen Verwandten entspringen wiederum den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren, welcher bis zuletzt angab, sowohl in seiner Herkunftsprovinz als auch in Kabul über Familienangehörige zu verfügen und mit diesen alle paar Monate zu telefonieren (BVwG-Akt, OZ 8, S. 4 f.).

Die Feststellungen zum Ausreisedatum basieren auf den Angaben des Beschwerdeführers und sind auch im Hinblick auf die angegebene Reisedauer in Zusammenschau mit dem aktenkundigen Zeitpunkt der Antragstellung schlüssig.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich unzweifelhaft aus den im Verfahren vorgelegten Integrationsunterlagen (BFA-Akt, AS 167-231; BVwG-Akt, OZ 8, Beilage ./1) und dem hg. eingeholten Auszug aus der Speicherdatenbank des Grundversorgungssystems (GVS). Dass der Beschwerdeführer über das Fußball- und Volleyballspielen Freunde gefunden hat, gab dieser selbst an (BFA-Akt, AS 163). Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ist der eingeholten Strafregisterauskunft zu enthemmen, die dem Verfahrensakt einliegt.

Der Beschwerdeführer verneinte die Frage, ob er in Österreich Verwandte oder Bekannte habe, bereits vor dem BFA ausdrücklich (BFA-Akt, AS 149). Gegenteiliges wurde auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht. Anhaltspunkte für das Bestehen eines Abhängigkeits- oder sonstigen Naheverhältnisses zu einer in Österreich lebenden Person sind ebenfalls nicht hervorgekommen. Es waren daher die entsprechenden Feststellungen zu treffen.

Hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass den Angaben des Beschwerdeführers und den im Akt einliegenden Dokumenten keine lebensbedrohende Erkrankung zu entnehmen ist. Der Beschwerdeführer gab im Verfahren stets an, an einer Allergie zu leiden und auf die Hygiene achten zu müssen. Der vorgelegte "Pricktestbogen zur Allergietestung" vom 31.05.2017 (BVwG-Akt, OZ 9) bestätigt eine Überempfindlichkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich der Allergene "Milben", "Pilze" und "Nahrungsmittel". In der mündlichen Verhandlung erklärte der Beschwerdeführer zu seinem aktuellen Gesundheitszustand, dass er aufgrund eines Ausschlags auf der Kopfhaut Medikamente nehmen müsse, er wisse aber nicht genau, wogegen er allergisch sei. Vorgelegt wurden sodann folgende Präparate: Daivobet (50 Mikrogramm) zur Applikation auf den Kopf, Seractil 400 mg, Volon A - Tinktur 10 mg, Curatoderm - Salbe, Levocetrizin Kra 5 mg und ein medizinisches Shampoo mit dem Namen Desquaman. Anhand des Beipacktextes des vorgezeigten Arzneimittels Daivobet war herauszulesen, dass dieses der Behandlung von Schuppenflechte dient (BVwG-Akt, OZ 8, S. 3). Dass beim Beschwerdeführer im Oktober 2017 zudem eine operative Sanierung einer posttraumatischen Septumdeviation (Verkrümmung der Nasenscheidewand) durchgeführt wurde, welche komplikationslos verlief, geht zweifelsfrei aus dem vorgelegten Arztbrief vom 22.10.2017 hervor (BVwG-Akt, OZ 9). Gesundheitliche Beeinträchtigungen wurden in diesem Zusammenhang weder behauptet noch belegt. Das vorgelegte Schreiben vom 22.03.2018 führt zudem aus, dass beim Beschwerdeführer eine Anpassungsstörung mit Insomnie diagnostiziert wurde, wobei weder konkrete Suizidgedanken noch ein manifestes selbstverletzendes Verhalten vorliegen würde (BVwG-Akt, OZ 10). Diesem Schreiben war auch die dem Beschwerdeführer damals verordnete Medikation zu entnehmen. Weitere Befunde wurden bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht vorgelegt. Eine lebensbedrohende Erkrankung ist diesen Angaben insgesamt nicht zu entnehmen und wurde auch zu keiner Zeit behauptet. Dass sich der Beschwerdeführer abgesehen von seiner Hauterkrankung derzeit nicht in medizinischer Behandlung befindet, gab dieser in der mündlichen Verhandlung zudem selbst an (BVwG-Akt, OZ 8, S. 3).

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens und der Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers:

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

Der Beschwerdeführer wurde im Laufe des Verfahrens drei Mal niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Er hatte somit ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen. Er wurde mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Die erkennende Richterin konnte im Zuge der mündlichen Verhandlung zudem einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen.

Die erkennende Richterin berücksichtigt zudem, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung gemäß der medizinischen Altersfeststellung, welche für diesen Zeitpunkt ein Mindestalter von 17,3 Jahren ergab, möglicherweise noch minderjährig war. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen bedarf es einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen. Die Dichte dieses Vorbringens darf nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden. Im Zeitpunkt seiner Einvernahme vor der belangten Behörde sowie im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht war der Beschwerdeführer jedoch jedenfalls bereits volljährig.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der behaupteten Verfolgung kann aus den folgenden Gründen dieser Entscheidung nicht zugrundegelegt werden:

Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung an, sunnitischer Moslem zu sein (BFA-Akt, AS 5) und nannte als Grund für seine Ausreise, dass er von seiner Familie mit dem Tod bedroht worden sei, da er weder fasten noch beten habe wollen (BFA-Akt, AS 15). Auch in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA erklärte er, sunnitischer Moslem zu sein (BFA-Akt, AS 145), er glaube zwar an Gott, sei aber kein "strenger" Moslem (BFA-Akt, AS 151). In der mündlichen Verhandlung gab er ebenfalls an, Sunnite zu sein, jedoch würden ihm die Vorschriften dieses Glaubens nicht gefallen (BVwG-Akt, OZ 8, S. 7). Er habe geraucht und Alkohol getrunken, wolle frei sein und selbst über sein Leben bestimmen. Er sei deshalb wiederholt von seinem Vater und seinem ältesten Bruder geschlagen worden (BFA-Akt, AS 151; BVwG-Akt, OZ 8, S. 10).

Aus diesen Angaben geht jedenfalls nicht hervor, dass der Beschwerdeführer gänzlich vom islamischen Glauben abgefallen wäre. Vielmehr wird diesbezüglich selbst in der Beschwerde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer den muslimischen Glauben in seiner sunnitischen Ausrichtung praktiziere (BFA-Akt, AS 451). Dass sich der Beschwerdeführer Islam-kritisch äußern oder gar spezifisch gegen den Islam gerichtet auftreten würde, wurde zu keiner Zeit behauptet. Zudem wurde weder vor dem BFA noch vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Beharren auf den Glaubensabfall im öffentlichen Raum noch ein öffentliches Kundtun der behaupteten inneren Einstellung, was zu einer Verfolgung führen könnte, vorgebracht noch kam im Verfahren Vergleichbares zu tage.

Es konnte vom Beschwerdeführer auch nicht glaubwürdig dargelegt werden, dass er allein wegen seines geminderten Interesses an der islamischen Religion einer Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre: Den ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zufolge gibt es nämlich eine klare Differenzierung zwischen Personen, die vom Islam "abgefallen" sind oder gar "Kritik am Islam äußern" einerseits und Personen, die sich lediglich "nicht an die Regel

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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