TE Bvwg Beschluss 2019/7/16 G310 2216892-1

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Veröffentlicht am 16.07.2019
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Entscheidungsdatum

16.07.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G310 2216892-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Ungarn, vertreten durch die Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH, ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 06.03.2019, Zl. XXXX beschlossen:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid

aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

C) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF) war von März 2013 bis Juni 2015 mit Hauptwohnsitz an drei verschiedenen Adressen im Bundesgebiet und erneut seit Jänner 2018 zuerst mit Neben- und ab März 2018 Hauptwohnsitz gemeldet. Am XXXX.2018 beantragte er erstmalig die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung, welche ihm am XXXX.2018 ausgestellt wurde.

Der BF ging von Jänner bis März 2013, Mai bis Oktober 2013, Juni bis Dezember 2015, Februar und November 2017, März bis Juni 2018 sowie August bis Dezember 2018 diversen (teilweise geringfügigen) Erwerbstätigkeiten in Österreich nach. Seit 01.02.2019 war der BF als selbstständiger Erwerbstätiger für XXXX tätig.

Der BF wurde in Österreich zwei Mal strafgerichtlich verurteilt. Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 23.03.2017, XXXX, wurde er wegen des Verbrechens des Betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs-und Abfertigungskasse nach § 153d Abs. 1 und Abs. 3 erster und zweiter Fall StGB und des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach

§ 159 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Die Probezeit wurde anlässlich der Folgeverurteilung von drei auf fünf Jahre verlängert. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 25.10.2018, XXXX, wurde er wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten und einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen á EUR 4,00 verurteilt. Zur Tilgung seiner Geldstrafe erbrachte der BF im Zeitraum von Juli bis November 2018 gemeinnützige Leistungen am Bauhof der Gemeinde XXXX im Ausmaß von ca. 200 Stunden.

Der BF wurde von der beabsichtigen Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verständigt und vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 25.01.2019 niederschriftlich einvernommen.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 06.03.2019 wurde über den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Begründet wurde das Aufenthaltsverbot mit den strafgerichtlichen Verurteilungen, wobei die zweite einschlägige Verurteilung innerhalb der offenen Probezeit erfolgte, der fehlenden Anmeldebescheinigung für die Jahre vor 2018 und dem Fehlen familiärer, sozialer und sonstiger privater Bindungen in Österreich.

Am XXXX.2019 wurde der BF nach Ungarn abgeschoben.

Gegen den oben angeführten Bescheid wurde Beschwerde erhoben. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geführt worden sei, dies insbesondere in Bezug auf die Gefährdungsprognose. Weiters seien die privaten Verhältnisse des BF nicht berücksichtigt worden und sei die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes in der Dauer von zwei Jahren in Anbetracht der vorliegenden Umstände unverhältnismäßig. Er lebe seit Anfang 2018 mit seiner Lebensgefährtin und deren Sohn, welcher am Asperger Syndrom leide, im gemeinsamen Haushalt und sei er für diesen eine väterliche Bezugsperson. Ein stabiles familiäres Umfeld sei für Betroffene des Asperger Syndroms von hohem therapeutischem Stellenwert.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vom BFA vorgelegt und langten am 03.04.2019 ein.

Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungsrelevante Widersprüche liegen nicht vor.

Die (Wohnsitz-) Meldungen des BF gehen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) hervor, seine strafgerichtlichen Verurteilungen in Österreich aus dem Strafregister. Die Informationen zur Ausübung/ Anmeldung diverser Gewerbe wurden dem Gewerbeinformationssystem Austria entnommen. Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit ergeben sich aus der Einsicht in das Verzeichnis des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger.

Die Abschiebung des BF ergibt sich aus dem Durchführungsbericht vom XXXX.2019 und ist im Fremdenregister dokumentiert.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Aufgrund der in § 18 Abs. 5 BFA-VG ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheids kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs. 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal gravierende Ermittlungslücken vorliegen.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039, Punkt 2.1. der Entscheidungsgründe, mwN, und daran anschließend die Erkenntnisse VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0052, Punkt 2. der Entscheidungsgründe, und VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

Vor dem Hintergrund der dargestellten Judikatur ist auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen des BFA noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Das BFA hat es verabsäumt, eine Ausfertigung des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2017 einzuholen, um verlässlich beurteilen zu können, welcher konkreter Taten der BF rechtskräftig für schuldig erkannt wurde und welche Erschwerungs- und Milderungsgründe für die Sanktionen maßgeblich waren. Dies vor allem im Hinblick darauf, dass die einschlägige Verurteilung aus dem Jahr 2017 als erschwerend für die Strafbemessung gewertet und schlussendlich auch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde. Im Allgemeinen erfolgte weder keine Befassung mit den Strafbemessungsgründen der angeführten Urteile durch die belangte Behörde, noch wurde ermittelt, wie sich der BF seit den Straftaten verhalten hat. Dies ist jedoch notwendig um nachvollziehbar darlegen zu können, inwieweit die Art und Schwere der verübten Taten sich negativ auf das Persönlichkeitsbild des BF auswirken und so eine gesamtheitliche nachvollziehbare Gefährdungsprognose erstellen zu können. Dafür ist es nämlich nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden (vgl. VwGH 19.05.2015, Ra 2015/21/0001; 19.05.2015, Ra 2014/21/0057, mwN).

Das BFA hat im fortgesetzten Verfahren nach Tätigung der entsprechenden Ermittlungsschritte basierend auf dem heranzuziehenden Gefährdungsmaßstab eine entsprechende Gefährdungsprognose zu treffen. Im Rahmen dieser Ermittlungen wird sich das BFA auch unter Bedachtnahme auf das Vorbringen in der Beschwerde mit dem Privat- und Familienleben des BF in Österreich auseinanderzusetzen haben. Es ist nicht nachvollziehbar, weswegen die Behörde von keinem schützenswerten Privatleben des BF ausgeht, obwohl dieser bis zur Bescheiderlassung bereits über ein Jahr mit seiner Lebensgefährtin und deren Sohn im gemeinsamen Haushalt zusammengelebt hat.

Da zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil C)

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G310.2216892.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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