TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/16 G310 2216429-1

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Veröffentlicht am 16.07.2019
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Entscheidungsdatum

16.07.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2

Spruch

G310 2216429-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, StA Kroatien, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH (ARGE Rechtsberatung), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene

Bescheid dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat:

"Gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen."

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2017, XXXX, wurde der Beschwerdeführer (BF) wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB, des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 und 2 StGB, des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, sowie zur Zahlung von EUR 3.000,00 an die Privatbeteiligte verurteilt.

Das Urteil des LG XXXX wurde am 01.08.2018 vom Oberlandesgericht XXXX, XXXX, bestätigt und der Berufung des BF nicht Folge gegeben.

Den am 23.08.2018 gestellten Anträgen des BF auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens XXXX und auf Hemmung des Strafvollzuges wurde mit Beschluss des LG XXXX vom 18.01.2019, GZ XXXX, nicht Folge gegeben. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des LG XXXX vom XXXX.2019, XXXX, nicht Folge gegeben.

Mit dem Schreiben vom 27.08.2018 nahm der BF, aufgrund der Aufforderung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10.08.2018, zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots Stellung.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub gewährt (Spruchpunkt II.) und der Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Dies wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung begründet.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Hilfsweise strebt der BF die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots an und stellt einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag. Er begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass der Bescheid unzureichend begründet sei und an Verfahrensmängeln leide; das BFA habe es verabsäumt, das Privat- und Familienleben des BF hinreichend zu prüfen. Er sei verheiratet und plane mit seiner Frau eine Familie, weshalb sie bei der Kinderwunschklinik in Behandlung wären. Der BF und seine Frau seien erwerbstätig und weise er private und familiäre Bindungen in Österreich auf. Die Dauer des Aufenthaltsverbotes sei unverhältnismäßig und stelle einen unzulässigen Eingriff in sein Privat- und Familienleben dar.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 25.03.2019 einlangten.

Mit Teilerkenntnis vom 26.03.2019 wurde die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides) als unbegründet abgewiesen und die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht zuerkannt.

Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger von Kroatien und seine Muttersprache ist kroatisch.

Der BF ging von Juni 2015 bis Juli 2017, Februar 2018 bis Februar 2019 und auch vor seiner Inhaftierung diversen unselbstständigen Erwerbstätigkeiten in Österreich nach. Der BF verfügt seit dem XXXX.2015 über eine durchgehende Wohnsitzmeldung in Österreich, davor lebte er in XXXX in Kroatien. Ihm wurde am XXXX.2015 eine Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) ausgestellt. Seit XXXX.2018 ist der BF mit einer serbischen Staatsangehörigen verheiratet, mit welcher er seit Juli 2017 in XXXX einen gemeinsamen Wohnsitz führt.

Mit Urteil des LG XXXX vom XXXX.2017, XXXX, wurde der BF wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 StGB, des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 und 2 StGB, des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der BF seine damalige Lebensgefährtin an nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Herbst 2016 in XXXX in zwei Angriffen mit Gewalt zur Duldung und Vornahme des Beischlafes genötigt hat, indem er in ihrer Wohnung in das Schlafzimmer auf ihr Bett kam, ihre körperliche und verbale Gegenwehr durch Stöße, Bisse und Festhalten überwand, ihr gegen ihren erkennbaren Willen die Unterbekleidung auszog, ihre Beine mit Körperkraft spreizte und anschließend mit seinem erigierten Penis in ihre Scheide eindrang, und beim ersten Angriff so lange den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog bis er zum Orgasmus kam. Etwa zwei Wochen danach erfolgte der zweite Angriff und wurde der vaginale Geschlechtsverkehr beendet, noch bevor der BF zum Orgasmus kam. Darüber hinaus hat der BF gegenüber seiner damalige Lebensgefährtin im Zeitraum Ende August/Anfang September 2016 bis Ende Dezember/Anfang Jänner 2017 in XXXX und an anderen Orten in XXXX durch fortlaufende körperliche Misshandlung, Körperverletzungen, gefährliche Drohungen und eine Nötigung eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie mehrmals wöchentlich ohrfeigte, ihr mehrfach in ihre Lippe und ihren Unterkiefer biss, sie wöchentlich gegen verschiedene Körperregionen mit der Faust schlug, einmal gegen ihren Oberkörper mit seinem Fuß trat als sie am Boden lag und sie einmal an ihren Haaren packte und ihren Kopf gegen die Scheibe der Beifahrertür schlug, wodurch sie Hämatome und Prellungen am Körper sowie blutende Wunden an der Lippe erlitt, er zu ihr häufig wiederholt sinngemäß sagte, er werde sie umbringen, wobei er dies teilweise dadurch unterstrich, indem er ein Messer an ihren bekleideten Oberkörper unterhalb der linken Brust bzw. an ihren Hals hielt, und die Halsabschneidegeste machte, und er sie am 23.11.2016 zu einer Handlung, nämlich zur Öffnung der WC-Türe und zum Herauskommen aus dem WC ihrer Wohnung durch gefährliche Drohung nötigte, indem er vor der WC-Türe stand, mehrfach heftig gegen diese trat und ihre mit diesem Verhalten und seinen sinngemäßen Äußerungen, er werde sie umbringen, mit einer Verletzung am Körper drohte. Weiters hat der BF am 23.11.2016 in XXXX fremde Sachen beschädigt, nämlich eine Wohnungstüre und die zu dieser Wohnung gehörige WC-Türe, indem er mehrfach heftig gegen diese Türen trat, was bei der Wohnungstüre zu einem leichten Riss im Bereich unterhalb des Einsteckschlosses führte, sowie die im Eigentum seiner ehemaligen Lebensgefährtin stehende Fernbedienung, indem er diese auseinanderbrach und zu Boden warf, wobei der Schaden insgesamt EUR 5.000,-- nicht überstieg. Am XXXX.2017 hat der BF in XXXX als Lenker eines PKW dadurch, dass er infolge eines Sekundenschlafes und mangelnder Aufmerksamkeit auf die Gegenfahrbahn geriet und dort einem entgegenkommenden PKW kollidierte, wodurch die Fahrerin dieses PKWs im Fahrzeug eingeklemmt wurde, diese fahrlässig am Körper verletzt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine Fraktur der IX. Rippe links, im Bereich des Beckens eine obere Schambeinastfraktur links, eine Stauchungsfraktur der Massa lateralis des Os sacrum linke, eine Fraktur des Corspus des Darmbeines im Sinne einer Close Bruchverletzung, einen Milzriss, Prellungen und Abschürfungen sowie eine Rissquetschwunde an der linken Wange, verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit der Lenkerin zur Folge hatte.

Bei der Strafzumessung wurden das teilweise Geständnis und die teilweise Schadenswiedergutmachung als mildernd berücksichtigt. Dagegen waren erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit drei Vergehen sowie hinsichtlich der Vergewaltigung das Vorliegen von zwei strafbaren Handlungen derselben Art sowie die Beschädigung von drei Sachen, das Vorliegen einer einschlägigen Vorstrafe, die Begehung strafbarer Handlungen während eines anhängigen Verfahrens sowie der Umstand, dass sich zweitweise die strafbaren Handlungen gegen seine damalige Lebensgefährtin richteten.

Mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom XXXX.2018, XXXX, wurde der dagegen erhobenen Berufung nicht Folge gegeben. Bezüglich der Strafzumessungsgründe wurde ausgeführt, dass diese zutreffen, auf der erschwerenden Seite jedoch dadurch zu ergänzen sind, das der BF nach seiner Verurteilung in Kroatien am XXXX.2016 sehr rasch nach Beginn der Probezeit einschlägig rückfällig wurde. Die Berufung vermochte hingegen keine weiteren Milderungsgründe aufzuzeigen.

Den Anträgen des BF auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens XXXX und auf Hemmung des Strafvollzuges wurde mit Beschluss des LG XXXX vom XXXX, XXXX, nicht Folge gegeben. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des LG XXXX vom XXXX.2019, XXXX, nicht Folge gegeben.

Der BF weist in Kroatien eine einschlägige Vorstrafe wegen sexueller Belästigung aus dem Jahr 2016 auf, bei der er zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt wurde.

Der BF verbüßt die Freiheitsstrafe derzeit in der Justizanstalt XXXX; das urteilsmäßige Strafende ist am XXXX.2022. Eine bedingte Entlassung ist frühestens am XXXX.2020 möglich. Es handelt sich um seine erste Verurteilung in Österreich.

Abgesehen von seiner Frau und deren Familie bestehen keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Der BF verfügt über einen Freundeskreis im Bundesgebiet. Über den in der Beschwerde behaupteten Besuch eines B2-Deutschkurses liegt keine Bestätigung im Akt auf. Er verfügt über kein Vermögen und hat aufgrund eines Kredits zur Finanzierung eines PKWs Schulden von knapp über EUR 20.000,--, wobei die monatlichen Kreditrückzahlungen EUR 350,-- betragen.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Feststellungen im Strafurteil vom XXXX.2017 sowie den damit übereinstimmenden Angaben des BF in seiner Beschwerde.

Die Erwerbstätigkeit des BF im Bundesgebiet ergibt sich aus dem Versicherungsdatenauszug, seine Wohnsitzmeldungen aus dem ZMR. Die Beantragung und Ausstellung einer Anmeldebescheinigung geht aus dem Zentralen Fremdenregister hervor.

Die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitszustand des BF beruhen darauf, dass er bis zu seiner Inhaftierung einer Erwerbstätigkeit nachging und keine Hinweise auf gesundheitliche Probleme des BF vorliegen.

Die Feststellungen zu den vom BF in Österreich und Kroatien begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafzumessungsgründen sowie zu seiner finanziellen Situation basieren auf dem vorliegenden Strafurteil und den diesbezüglichen Rechtsmittelentscheidungen. Die Rechtskraft der Verurteilung werden durch das Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen des BF aufscheinen.

Insoweit der BF in der Beschwerde ergänzende Ausführungen zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen und Lebensumständen tätigte, so waren dies glaubhaft und konnten als Sachverhalt festgestellt werden. Hinsichtlich der vorgebrachten sozialen Kontakte ist es nachvollziehbar und plausibel, dass der BF während seines Aufenthaltes hier gewisse Sozialkontakte geknüpft hat.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Der BF ist als Staatsangehöriger Kroatiens EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (so etwa, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Mangels eines zumindest fünfjährigen kontinuierlichen Inlandsaufenthalts des BF ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden. Der BF hat während seiner Zeit in Österreich das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt im Sinne des Art. 16 Freizügigkeitsrichtlinie nicht erworben, zumal auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts zu unterbrechen (vgl. VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079).

Gerade die Art der Begehung und die Schwere der zuletzt vom BF begangen Straftat der zweifachen Vergewaltigung seiner ehemaligen Lebensgefährtin, welcher eine besondere Verwerflichkeit zukommt, ebenso wie die über eine mehrere Monate dauernde Gewaltausübung und damit verbundene Sachbeschädigung weist auf eine hohe Aggressivität und Gewaltbereitschaft des BF hin. Der BF wurde bereits einmal wegen einer solchen einschlägigen Tat verurteilt und hielt ihn dies nicht davon ab, innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes erneut straffällig zu werden. All dies lässt unter Bedachtnahme auf die Gefährdung der sexuellen und körperlichen Integrität von Menschen eine Erheblichkeit der Gefahr annehmen und legt nahe, dass von ihm auch zukünftig eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSd § 67 Abs. 1 FPG ausgehen wird.

Die Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere von solchen gegen die körperliche und psychische Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung, stellt jedenfalls ein Grundinteresse der Gesellschaft dar. Zudem kommt den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 09.03.2003, Zl. 2002/18/0293).

Das gegen den BF erlassene Aufenthaltsverbot ist zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten.

Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF muss verhältnismäßig sein. Der BF verfügt über soziale und familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Dem Interesse des BF an einer Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens steht das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen und von häuslicher Gewalt gegen Frauen gegenüber. Dabei ist auch zur berücksichtigen, dass die Eheschließung des BF erst 2018 kurz nach seiner Verurteilung erfolgte und konnten die Eheleute zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit einem dauerhaften Aufenthalt des BF in Österreich rechnen. Auch hält sich der BF erst seit 2015 im Bundesgebiet auf und bestehen keine Anhaltspunkte für eine Niederlassung in einem anderen Staat als seinem Herkunftsstaat davor, weswegen davon auszugehen ist, dass er den überwiegenden Teil seines Lebens in Kroatien verbrachte und somit nach wie vor starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat bestehen, zumal er sprachkundig und mit den dortigen Gegebenheiten vertraut ist. Es wird ihm auch dort möglich sein, für seinen Lebensunterhalt durch eine seinen bisherigen Beschäftigungen entsprechende Erwerbstätigkeit aufzukommen.

Die zeitweilige Unmöglichkeit, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, ist trotz des nunmehr in Österreich liegenden Wohnorts des BF und der bestehenden Ehe angesichts der überwiegenden öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung in Kauf zu nehmen. Das gegen den BF erlassene Aufenthaltsverbot verbietet ihm nur den Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht aber in anderen EWR-Staaten. Es ist ihm und seiner Ehefrau daher zumutbar, ihr Familienleben in Kroatien oder in einem anderen Staat fortzusetzen, sodass das Aufenthaltsverbot nicht zwingend eine Trennung zur Folge haben muss. Auch kann der Kontakt zu ihr und seinen in Österreich geknüpften sozialen Kontakten nach der Haftentlassung und der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat durch Telefonate, Briefe oder elektronische Kommunikationsmittel sowie durch Besuche in Kroatien oder in anderen Staaten, die nicht vom Aufenthaltsverbot umfasst sind, gepflegt werden. Überdies ist die Ausübung sozialer und familiärer Kontakte, aufgrund des Haftaufenthaltes des BF, derzeit ohnehin nur eingeschränkt möglich.

Aktuell kann ihm trotz eines derzeit offenbar stabilen Umfelds keine positive Zukunftsprognose attestiert werden. Er wird den Wegfall der durch die strafgerichtliche Verurteilung indizierten Gefährlichkeit erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit unter Beweis stellen müssen. Um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der von einem Straftäter ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, bedarf es grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (vgl. VwGH 22.03.2018, Ra 2017/22/0194).

Bei der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG wirken sich insgesamt betrachtet die vom BF begangenen Straftaten entscheidend zu seinem Nachteil aus, zumal nicht nur ein einmaliger Vorfall vorlag und die Vergewaltigung in der Beziehung eine besonders schwerwiegende Verletzung der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung seiner damaligen Partnerin darstellt. Dies führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung.

Eine zehnjährige Dauer des Aufenthaltsverbotes ist jedoch angesichts seiner privaten und familiären Verhältnisse unverhältnismäßig, zumal er in Österreich bisher unbescholten war und der Strafrahmen nur zu einem Drittel ausgeschöpft wurde. Die Dauer des Aufenthaltsverbots ist daher auf ein dem Fehlverhalten entsprechendes Maß zu reduzieren. Das Gericht geht davon aus, dass aufgrund des konkreten Unrechtsgehalts der vom BF begangenen Straftaten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründe ein sechsjähriges Aufenthaltsverbot ausreicht, um der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen und ihn zu einem Umdenken hin zu einem rechtstreuen Verhalten zu bewegen. Diese Dauer ist notwendig, aber auch ausreichend, um eine nachhaltige Änderung seines Verhaltens und seiner Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten zu bewirken. Das Aufenthaltsverbot laut Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit in Stattgebung des entsprechenden Eventualantrages in der Beschwerde auf sechs Jahre zu reduzieren.

Zu der in der Beschwerde monierten Verletzung der Ermittlungspflichten des BFA ist auszuführen, dass der BF mit Schreiben vom 10.08.2018 über die beabsichtigte Erlassung eines Aufenthaltsverbots informiert wurde. Gleichzeitig wurde er mit konkreten Fragen zu seiner privaten und familiären Situation und zu den Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zur Stellungnahme aufgefordert. Der BF hatte somit Gelegenheit, sich entsprechend zu äußern und konkrete Angaben zu machen.

Aufgrund der dem BF im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit, sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheids zu äußern, ist von der Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen (vgl VwGH 28.10.2009, 2008/15/0302). Der BF hat in der Beschwerde konkrete zusätzliche Angaben zu seinen sozialen und familiären Verhältnissen getätigt und wurden diese nunmehr berücksichtigt.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt hat und wie sich aus den bereits zum Aufenthaltsverbot dargelegten Erwägungen ergibt, erweist sich die sofortige Ausreise des BF im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit als erforderlich. Der BF wurde rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und hat durch sein Gesamtfehlverhalten unzweifelhaft gezeigt, dass er nicht gewillt war, sich an die österreichische Rechtsordnung, insbesondere an die Strafgesetze, zu halten. Die Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes ist somit zu Recht erfolgt.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei der beantragten mündlichen Verhandlung weder ein Entfall noch eine weitere Reduktion des Aufenthaltsverbots möglich wäre, kann diese gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen. Von der Durchführung einer Beschwerdeverhandlung ist hier keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten, zumal ohnehin von der Richtigkeit der in der Beschwerde aufgestellten Tatsachenbehauptungen des BF ausgegangen wird.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreise- oder Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, Gefährdungsprognose, Herabsetzung, Privat- und
Familienleben, strafrechtliche Verurteilung, unverhältnismäßiger
Eingriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G310.2216429.1.01

Zuletzt aktualisiert am

14.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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