TE Vwgh Erkenntnis 1998/10/27 95/05/0015

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Veröffentlicht am 27.10.1998
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Index

22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §13 Abs3;
ZPO §31;
ZustG §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Karl Kröll Gesellschaft mbH in Wien XIX, Klabundgasse 4/6, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 15. Dezember 1994, Zl. MD-VfR - B XVIII - 21/94, betreffend einen Instandsetzungsauftrag, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführerin gehört das Wohnhaus in Wien 18, Riglergasse 4. Aufgrund einer Anzeige des Mieters der Wohnung Nr. 13 betreffend eine feuchte Mauer mit Schimmelbildung in dieser Wohnung führte der Magistrat der Stadt Wien, MA 37, am 3. März 1994 eine mündliche Verhandlung durch. In dieser Verhandlung führte der Verhandlungsleiter u.a. aus, daß im zweiten Stock in der Wohnung Nr. 13 im Bereich der Mittelmauer zwischen dem Vorzimmer und dem hofseitigen Zimmer Feuchtigkeitsflecken feststellbar seien. In der neben der Wohnung Nr. 13 situierten Wohnung Nr. 12 befinde sich ein Badezimmer. Es werde vermutet, daß die Feuchtigkeit durch ein Wasserrohrgebrechen entstanden sei.

Der Mieter der Wohnung Nr. 12 gab in dieser Verhandlung an, daß das Rohrgebrechen vor einiger Zeit behoben worden sei.

In der Verhandlungsschrift befindet sich im Zusammenhang mit der Benennung der Anwesenden und ihrer Funktion u.a. folgende Passage:

"Haus-, Grundeigentümer: Karl Kröll Ges.m.b.H., Geschäftsführer Karl Kröll, vertreten durch Herrn Ing. Günter Schaffer, Prozeßvollmacht v. 26. 01. 1994". Eine derartige Vollmacht liegt dem Protokoll allerdings nicht bei.

Mit Bescheid vom 11. März 1994 erteilte der Magistrat der Stadt Wien, MA 37, der Beschwerdeführerin als Hauseigentümerin gemäß § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung für Wien den Auftrag, binnen drei Wochen nach Rechtskraft dieses Bescheides im zweiten Stock in der Wohnung Nr. 13 die erwähnte feuchte Mauer in wirksamer Weise trockenlegen zu lassen. Die festgestellten Schäden stellten eine Verschlechterung des ursprünglichen, konsens- und bauordnungsmäßigen Zustandes des Hauses dar und seien ihrer Natur nach geeignet, das öffentliche Interesse zu beeinträchtigen, sodaß sie als Baugebrechen im Sinne des § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung für Wien angesehen werden müßten. Der Hauseigentümer sei daher gemäß diesen Gesetzesstellen zur Durchführung der vorgeschriebenen Maßnahmen verpflichtet. Die Zustellverfügung dieses Bescheides lautet auszugsweise:

"Ergeht an:

1.) Firma Karl Kröll Ges. mbH., zH. des Geschäftsführers Herrn Karl Kröll, 1190 Wien, Klabundgasse 4/6, als Hauseigentümer

2.) Herrn Ing. Günter Schaffer, 1100 Wien,

Laxenburger Straße 117/10-11, als Bevollmächtigter".

Der in diesem Bescheid enthaltenen Rechtsmittelbelehrung ist u. a. zu entnehmen, daß binnen zwei Wochen nach Zustellung gegen diesen Bescheid Berufung erhoben werden könne.

Dieser Bescheid wurde Ing. G.Sch. durch Hinterlegung am 24. März 1994 (Beginn der Abholfrist: 24. März 1994) und der Beschwerdeführerin zu Handen des Geschäftsführers K. K. durch Hinterlegung am 25. März 1994 (Beginn der Abholfrist: 28. März 1994) zugestellt.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen, am 8. April 1994 zur Post gegebenen Berufung rügte die nicht durch Ing. G.Sch. vertretene Beschwerdeführerin, die Baubehörde habe nicht festgestellt, daß die Schäden sich lediglich durch einen bereits behobenen Wasserrohrbruch in der Nachbarwohnung eingestellt haben dürften. Infolge der Behebung dieses Rohrbruches sei eine neue Feuchtigkeitseinwirkung nicht gegeben, lediglich sei der Putz teilweise beschädigt. Es handle sich um alte, ausgetrocknete Feuchtigkeitsflecken, deren weitere Entwicklung beobachtet werden müsse, ehe eine Sanierung erfolge. Die in einem Bereich von einem halben Quadratmeter aufgetretenen Schäden beeinträchtigten weder das Mauerwerk, noch berührten sie das öffentliche Interesse.

Mit Schreiben vom 16. August 1994 hielt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin vor, daß die Berufung nach der Aktenlage als verspätet eingebracht erscheine. Der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 37, vom 11. März 1994 sei dem mit Prozeßvollmacht vom 26. Jänner 1994 ausgewiesenen Vertreter der Beschwerdeführerin, Ing. G.Sch., an dessen Abgabestelle durch Hinterlegung am 24. März 1994 zugestellt worden. Da an diesem Tag die Abholfrist begann, sei die Zustellung des Bescheides am 24. März 1994 bewirkt worden. Trotz richtiger und eingehender Rechtsmittelbelehrung sei die Berufung der Beschwerdeführerin erst am 8. April 1994, d.h. einen Tag nach Ablauf der zweiwöchigen Berufungsfrist, zur Post gegeben worden.

In seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 1994 ging der Beschwerdevertreter auf die Zustellung an Ing. G.Sch. nicht ein, sondern behauptete, daß der Bescheid am 25. März 1994 hinterlegt worden sei. Am 24. März 1994 sei die Aufforderung an den Empfänger erfolgt, am 25. März 1994 anwesend zu sein. Am 25. März 1994 habe die Hinterlegung stattgefunden. Aufgrund der Aktenlage sei die Berufung somit rechtzeitig eingebracht worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als verspätet zurück. Die Beschwerdeführerin sei im erstinstanzlichen Verfahren durch den mit Prozeßvollmacht vom 26. Jänner 1994 ausgewiesenen Vertreter, Ing. G.Sch., vertreten gewesen. Eine solche Vollmacht schließe stets die Ermächtigung zur Empfangnahme von Schriftstücken, die im Zuge eines Verwaltungsverfahrens ergingen, mit ein, und habe die Behörde gemäß § 9 Abs. 1 des Zustellgesetzes diese (bevollmächtigte) Person als Empfänger zu bezeichnen. Mit Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Bevollmächtigten sei somit der Bescheid vom 11. März 1994 als erlassen anzusehen. Die zweiwöchige Berufungsfrist habe am 7. April 1994 geendet, die Berufung sei jedoch erst am 8. April 1994 zur Post gegeben worden. Unerheblich sei es, wann die Zustellung an die Partei selbst erfolgte.

Über die dagegen erhobene Beschwerde und die von der belangten Behörde unter Vorlage der Verwaltungsakten erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die zweiwöchige Berufungsfrist des § 63 Abs. 5 AVG beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser.

Die Bestimmungen des § 10 Abs. 1 und 2 AVG lauten:

"Vertreter

§ 10. (1) Die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk. Schreitet ein Rechtsanwalt oder Notar ein, so ersetzt die Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis.

(2) Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis richten sich nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 von Amts wegen zu veranlassen."

§ 9 Abs. 1 erster Satz des Zustellgesetzes (im folgenden: ZustG)

lautet:

"Zustellungsbevollmächtigter

§ 9. (1) Ist eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt, so hat die Behörde, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, diese Person als Empfänger zu bezeichnen."

Zufolge des dritten Satzes des § 17 Abs. 3 ZustG gilt eine hinterlegte Sendung mit dem ersten Tag, an dem sie erstmals zur Abholung bereitgehalten wird, als zugestellt.

In der Verhandlungsschrift vom 3. März 1994 wird darauf verwiesen, daß der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin, K. K., durch Ing. G.Sch. vertreten und für diesen eine "Prozeßvollmacht" vom 26. Jänner 1994 vorgewiesen worden sei. Die Verhandlungsschrift enthält aber keine Aussage über den Inhalt und den Umfang der Vertretungsbefugnis des Ing. G.Sch. Insbesondere geht aus der Verhandlungsschrift - wie auch aus dem übrigen Inhalt der Verwaltungsakten - in keiner Weise hervor, ob Ing. G.Sch. auch Zustellungsbevollmächtigter der Beschwerdeführerin im gegenständlichen baupolizeilichen Auftragsverfahren ist. Auch die belangte Behörde hat sich diese Vollmacht von der Beschwerdeführerin nicht vorlegen lassen.

Das AVG kennt den Begriff der "Prozeßvollmacht" nicht; dafür, daß Ing. G.Sch. eine allgemeine Vertretungsmacht verliehen wurde, die auch eine Zustellungsbevollmächtigung mit einschlösse (Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2, E 98 zu § 10 AVG), fehlen weitere Anhaltspunkte. Allerdings hätte die Behörde dies gemäß § 10 Abs. 2 (§ 13 Abs. 3) AVG klären müssen, da sie ohne eine solche Klärung nicht gesichert annehmen konnte, daß (nur) für die Vertretung in der Verhandlung vom 3. März 1994 eine Vollmacht vorlag.

Die der Zustellverfügung entsprechende Zustellung an eine Person, die zu Unrecht als Zustellungsbevollmächtigter der Partei angesehen wird, vermag gegenüber der Partei keine Rechtswirkungen zu entfalten (Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5,1226, Anmerkung 2 zu § 9 ZustG, m.w.N.). Die Zustellung an den als Zustellungsbevollmächtigten bezeichneten Ing. G.Sch. war nur dann rechtswirksam, wenn nach Klärung des Umfanges seiner Vollmacht feststeht, daß er Zustellungsbevollmächtigter war.

Die Zustellung an die Partei selbst erfolgte gemäß § 17 Abs. 3 dritter Satz ZustG am 28. März 1994. Die am 8. April 1994 zur Post gegebene Berufung wurde daher rechtzeitig im Sinne des § 63 Abs. 5 AVG beim Magistrat der Stadt Wien, MA 37, eingebracht. Wenn sich herausstellt, daß erst diese Zustellung rechtens war, ist die belangte Behörde verpflichtet, die Berufung meritorisch zu behandeln.

Die belangte Behörde belastete dadurch, daß sie die Zustellung an Ing. G.Sch. ohne weitere Prüfung als rechtswirksam ansah, von der verspäteten Einbringung der Berufung ausging und diese als unzulässig zurückwies, den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994 im Rahmen der von der Beschwerdeführerin begehrten "Pauschalkostenersatzbeträge".

Wien, am 27. Oktober 1998

Schlagworte

Beginn Vertretungsbefugnis Vollmachtserteilung Formgebrechen behebbare Bevollmächtigung Prozeßvollmacht Verbesserungsauftrag Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995050015.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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