Entscheidungsdatum
22.07.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W114 2148880-1/13E
schriftliche Ausfertigung des am 09.07.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 08.02.2017, Zl. 1101058009-160019666, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.07.2019 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. XXXX , (im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF), ein afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und der Glaubensgemeinschaft der Schiiten, stellte am 05.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
I.2. Im Rahmen der am 06.01.2016 vor der Bezirkspolizeiinspektion Bruck an der Mur erfolgten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, am XXXX in der Provinz Ghazni in Afghanistan geboren zu sein. Er sei verheiratet und habe eine Tochter, die beide in der Provinz Ghazni in Afghanistan leben würden. Seine Eltern wären bereits beide verstorben. Afghanistan habe er verlassen, weil er von Taliban bedroht worden wäre. Sie hätten sein "PKW-Zubehör" haben wollen. "Die Regierung" habe gedacht, dass er mit den Taliban zusammenarbeite. Sein Leben sei wegen der Taliban und wegen der Regierung nicht mehr sicher gewesen. Deshalb habe er beschlossen, seine Heimat zu verlassen.
I.3. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 13.10.2016 gab der Beschwerdeführer an, dass seine Ehefrau und seine Tochter wieder bei ihren Eltern wohnen würde.
Er selbst habe 12 Jahre lang eine Schule besucht und habe im Anschluss daran das Geschäft seines Vaters übernommen, der mit Diesel und Benzin gehandelt habe. Er habe größere Mengen Treibstoff bei einem Großhändler gekauft und diesen in kleineren Mengen wiederverkauft. Je Liter Treibstoff hat er dabei 7 Afghani aufgeschlagen.
Die Taliban hätten von ihm verlangt, dass er ihnen kostenlos Treibstoff zur Verfügung stelle. Sie hätten ihm damit gedroht, seine Familie umzubringen und hätten ihn damit erpresst. Nachdem er den Forderung der Taliban nachgegeben habe und drei bis viermal Treibstoff an diese geliefert habe, sei er von "der Regierung" inhaftiert worden. Ihm sei vorgeworfen worden, die Taliban mit Treibstoff versorgt zu haben. Sein Schwiegervater habe ihm geholfen sein Geschäft zu schließen und Afghanistan zu verlassen. Er habe auch Angst vor den Taliban, weil er sich letztlich durch seine Flucht geweigert habe, den Taliban weiterhin Treibstoff zu liefern. Seine Frau und seine Tochter habe er bei seinen Schwiegereltern zurückgelassen, weil er nicht über die finanziellen Mittel verfügt habe, dass auch diese mit ihm hätten kommen können.
I.4. Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich vom 08.02.2017, Zl. 1101058009-160019666, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei ((Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Zusammenfassend führte das BFA in der Begründung aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers aufgrund nicht vorhandener Plausibilität, den vagen Äußerungen und den erfassten Widersprüchen die Glaubwürdigkeit abzusprechen sei. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr für den BF sei bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht gegeben. Der Beschwerdeführer könne zu einem Onkel, der in Kabul wohnen würde, zurückkehren.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 14.02.2017 durch Hinterlegung zugestellt.
I.5. Mit Schriftsatz vom 24.02.2017 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20,1090 Wien, Beschwerde.
I.6. Die Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 02.03.2017 zur Entscheidung vorgelegt.
I.7. Mit Schriftsatz vom 02.08.2017 gab XXXX , bekannt, dass er den BF rechtsfreundlich vertrete.
I.8. Am 09.07.2019 fand im BVwG eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt. Das BFA hatte mit Schreiben vom 08.05.2019 mitgeteilt, dass eine Teilnahme eines informierten Vertreters an dieser Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei.
Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u. a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen und insbesondere zu seinen Fluchtgründen befragt. Der Wahrheitsgehalt der Angaben des Beschwerdeführers wurde dabei durch ein in der mündlichen Verhandlung mit dem in Afghanistan befindlichen Schwiegervater des BF geführtes Telefongespräch überprüft.
Infolge der Glaubhaftmachung der ihm drohenden Verfolgung aus politischen Gründen bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan, wurde dem Beschwerdeführer noch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG der Status eines Asylberechtigten hinsichtlich des Herkunftsstaates Afghanistan zuerkannt und das Erkenntnis mündlich verkündet. Das Erkenntnis wurde sehr ausführlich und umfangreich begründet und die Rechtsmittelbelehrung erteilt. Der Beschwerdeführer gab bereits nach der mündlichen Verkündung einen Rechtsmittelverzicht ab.
Dem BFA, welches zur mündlichen Verhandlung vor dem BVwG keinen Vertreter entsandt hatte und sich damit nicht selbst einen persönlichen Eindruck verschafft hat, wurde das Verhandlungsprotokoll samt ausführlich begründetem mündlich verkündeten Erkenntnis unmittelbar nach Ende der mündlichen Verhandlung noch am 09.07.2019 zum Parteiengehör übermittelt.
I.9. In einem Schreiben vom 17.07.2019 hat das BFA gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG um eine Ausfertigung des Erkenntnisses ersucht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und der Einsichtnahme in die Bezug habenden Unterlagen des Verwaltungsverfahrens, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen und letzten Ergänzungen zum 04.06.2019 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zum Beschwerdeführer:
Der volljährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Er ist traditionell muslimisch verheiratet und hat eine Tochter. Seine Frau und seine Tochter leben mittlerweile bei der Schwester des Vaters seiner Frau im Iran.
Der Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan weder wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara noch wegen seiner religiösen Ausrichtung als schiitischer Moslem verfolgt werden noch hat er Angst davor, deswegen von Verfolgung bedroht zu sein.
Am 05.01.2016 stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Nach dem Tod seines Vaters, der mit Treibstoffen gehandelt hatte, übernahm er nach einer zwölfjährigen schulischen Ausbildung, dessen Geschäft unweit der Provinzhauptstadt Ghazni in der gleichlautenden Provinz in Afghanistan. Er kaufte Treibstoffe bei einem Großhändler in Ghazni und verkaufte diesen mit Aufschlag weiter.
Er hatte Kontakt mit Taliban, die von ihm die kostenlose Überlassung von Treibstoff erpressten, indem sie den Beschwerdeführer damit bedrohten, dass sie bei einer Weigerung seine Frau und seine Tochter töten würden.
Von diesen Treibstoffüberlassungen haben offensichtlich staatliche Behörden Kenntnis erhalten und in der Überzeugung, dass der Beschwerdeführer mit den Taliban zusammenarbeitet, gegen den BF einen Haftbefehl erlassen und ihn schließlich inhaftiert. Damit unterstellten afghanische staatliche Behörden dem BF eine gegen die Regierung gerichtete politische Einstellung.
Schließlich wurde der Beschwerdeführer nur deswegen freigelassen, weil sein Schwiegervater als Kaution die Besitzurkunde seines Hauses bei der örtlichen Polizei hinterlegte. Da er nach seiner Freilassung gefährdet gewesen ist, einerseits von den Taliban verfolgt und letztlich sogar getötet zu werden, da diese davon ausgegangen sind, dass der BF sie bei der Polizei verraten habe, und andererseits von staatlichen Behörden wegen einer ihm unterstellten pro-Taliban und anti-Regierung politisch unterstellten Gesinnung neuerliche Inhaftierung, Verurteilung und Bestrafung drohten, hat er schließlich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung Afghanistan verlassen.
Es liegen keine Gründe vor, nach denen der BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist oder nach denen ein Ausschluss des BF hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
Eine Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative steht dem BF nicht zur Verfügung.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Politische Lage:
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015). Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen.
Friedens- und Versöhnungsprozess:
Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.02.2019). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben werden würden" (Taz 06.02.2019).
Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 07.03.2019).
Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.02.2019;
vgl. NYT 07.03.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.03.2019;
vgl. WP 18.03.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.03.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.03.2019).
Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde (Tolonews 31.05.2019).
Vom 29.04.2019 bis 03.05.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 06.05.2019 bis 04.06.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 06.05.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.05.2019).
Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.05.2019).
Die USA haben nach sechs Verhandlungstagen mit Vertretern der radikalislamischen Taliban über Wege zum Frieden in Afghanistan von wesentlichen Fortschritten berichtet. Das Treffen in Anfang Juli 2019 sei die bisher produktivste Sitzung gewesen, teilte der US-Sondergesandte für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, über Twitter mit.
Substanzielle Fortschritte seien in allen vier Punkten erzielt worden, über die die USA und die Taliban sprechen: Abzug der Truppen, Zusicherungen zur Terrorismusbekämpfung, Teilnahme der Taliban an innerafghanischen Gesprächen sowie eine Waffenruhe.
Die USA sprechen seit Juli des vergangenen Jahres mit Vertretern der Taliban über eine politische Beilegung des seit fast 18 Jahren dauernden Konflikts. Die aktuell laufende siebente Gesprächsrunde mit Khalilzad hatte am 29. Juni 2019 begonnen. Sie war ursprünglich nur für drei Tage angesetzt. Laut Khalilzad sollten die Gespräche am 30.06. und am 01.07.2019 pausieren, da in Doha ab Sonntag lange erwartete innerafghanische Gespräche stattfinden. Gleichzeitig gehen auch Gespräche zwischen den Taliban und den Vereinigten Staaten in Doha weiter.
Die aufständischen Taliban in Afghanistan haben einem politischen Handlungsplan zugestimmt, der den fast 18 Jahre andauernden Konflikt am Hindukusch beenden soll. Wie der afghanische Fernsehsender "Tolo News" am 02.07.2019 berichtete, billigten die Delegation der Taliban und Delegierte aus der Hauptstadt Kabul eine entsprechende Vereinbarung.
Die Taliban verpflichteten sich unter anderem, keine Zivilisten mehr zu töten und versicherten, dass die afghanischen Frauen auch in Zukunft fundamentale Rechte im politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben "im Einklang mit den islamischen Werten" ausüben dürften. Die Vereinbarung ist rechtlich nicht bindend, sie soll aber als Rahmen für weitere Verhandlungen zwischen den Taliban und Delegierten der afghanischen Regierung dienen. Die Regierung war bei den zahlreichen Verhandlungsrunden in der qatarischen Hauptstadt Doha offiziell kein Teilnehmer, da die Taliban ihr die Legitimität absprechen. Delegierte der Regierung nahmen daher nur als Privatpersonen an den Gesprächen teil.
Sicherheitslage in Afghanistan:
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 07.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.01.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 07.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.01.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 07.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018).
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 01.01.2018 und 30.09.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 07.12.2018).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.01.2019).
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 07.12.2018).
Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.
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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019)
In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 01.01.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.
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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019)
Der Recherchedienst des US-amerikanischen Kongresses (Congressional Research Service, CRS) hält in einem Bericht vom Mai 2019 fest, dass Presseberichte vom Dezember 2018 und Anfang 2019 darauf hindeuten, dass die US-Regierung möglicherweise den Abzug einiger US-Truppen in Betracht zieht, obwohl US-amerikanische Amtsträger angeben, dass keine politische Entscheidung zur Reduktion des US-Truppenkontingents getroffen wurde. Viele Beobachter schätzen die Lage so ein, dass ein vollständiger Rückzug der USA zum Zusammenbruch der afghanischen Regierung und vielleicht sogar zur Wiederherstellung der Taliban-Kontrolle führen würde. Nach vielen verschiedenen Maßstäben sind die Taliban derzeit in einer stärkeren militärischen Position als je zuvor seit dem Jahr 2001, obwohl zumindest einige der vormals öffentlich zugänglichen diesbezüglichen Messinstrumentarien mittlerweile als geheim eingestuft oder eingestellt wurden. So wurden etwa die Bewertungen bezüglich der territorialen Kontrollgebiete auf Distriktebene eingestellt, wie aus dem SIGAR-Quartalsbericht vom April 2019 hervorgeht. (CRS, 01.05.2019)
Laut SIGAR verzeichnet ACLED für die Wintermonate (01.12.2018 bis 28.02.2019) 2.234 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einem Anstieg von rund 39 Prozent gegenüber den 1.610 Vorfällen im gleichen Zeitraum des Vorjahres entspricht. Die drei Provinzen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen waren dabei Helmand, Kandahar und Nangarhar. Der Großteil des Anstiegs der Zahl an Vorfällen im Berichtszeitraum gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres ist auf eine Zunahme an Vorfällen in den Provinzen Kandahar und Helmand zurückzuführen. (SIGAR, 30.04.2019, S. 76)
In einem Bericht vom April 2019 dokumentiert die UNAMA für den Zeitraum 01.01. bis 31.03.2019 insgesamt 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter 582 Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der Zahl ziviler Opfer um 23 Prozent im Vergleich zur Vergleichsperiode des Vorjahres 2018 und ist für das erste Quartal eines Jahres der niedrigste Wert seit 2013. Der Rückgang der Gesamtzahl an zivilen Opfern wurde durch einen Rückgang der Zahl an Zivilisten, die Opfer von Selbstmordanschlägen unter Verwendung von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBVs) wurden, verursacht. UNAMA sieht den Rückgang der ersten drei Monate des Jahres unter anderem durch den besonders harten Winter bedingt. Es ist unklar, ob der Rückgang der Opferzahlen von etwaigen Maßnahmen der Konfliktparteien zu einem besseren Schutz der Zivilbevölkerung oder von den laufenden Gesprächen zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. (UNAMA, 24.04.2019, S. 1)
Laut der UNAMA waren in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 die regierungsfeindlichen Elemente wiederum für die Mehrheit der zivilen Opfer, nämlich für 963 (227 Tote und 736 Verletzte) verantwortlich, was einem Rückgang von 36 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Jahres 2018 entspricht. UNAMA rechnete 39 Prozent der zivilen Opfer den Taliban, 12 Prozent der Gruppe ISKP und drei Prozent nicht identifizierten regierungsfeindlichen Elementen zu. Den regierungsnahen Streitkräften rechnete die UNAMA 608 zivile Opfer (305 Tote und 303 Verletzte) zu, was einem Anstieg von 39 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres entspricht. UNAMA stellt mit Besorgnis fest, dass die regierungsnahen Streitkräfte im ersten Quartal 2019 für mehr zivile Todesfälle verantwortlich waren als die regierungsfeindlichen Elemente. UNAMA rechnete 17 Prozent der zivilen Opfer den nationalen Sicherheitskräften, 13 Prozent internationalen Streitkräften, zwei Prozent regierungsnahen bewaffneten Gruppen und zwei Prozent verschiedenen anderen regierungsnahen Kräften zu. (UNAMA, 24.04.2019, S. 3-4)
"Das neue Jahr in Afghanistan ist erst gut zwei Wochen alt, aber schon deutet sich an, dass die Kämpfe landesweit zunehmen. Beide Seiten haben angekündigt, dass sie Frühjahrsoffensiven starten wollen, bzw. werden. [...] Am 19. März 2019 informierten der nationale Sicherheitsberater Hamdullah Moheb, der amtierende Innenminister Massud Andarabi, Verteidigungsminister Assadullah Chalid (den einige westliche Länder, darunter Truppensteller für Resolute Support, wegen Foltervorwürfen nicht offiziell treffen), Geheimdienstchef Massum Stanaksai und Präsidentenberater Fasl Fasli Mahmud den Präsidenten Aschraf Ghani über "geplante Sicherheitsoperationen". Am darauffolgenden Tag gab das Innenministerium den Beginn seiner "Operation Chalid" für den nächstfolgenden Tag bekannt. [...] Die offizielle Ankündigung über den Start der Taleban-Jahresoffensive steht noch aus. (Im letzten Jahr geschah das erst am 25. April) Trotzdem wurde bereits vor dem Naurus-Fest in mehreren Provinzen gekämpft." (Ruttig, 07.04.2019)
Laut Pajhwok Afghan News (PAN) wurden im Jänner 2019 in Afghanistan inmitten der Friedensverhandlungen und der Hoffnung auf ein Ende des Blutvergießens bei 131 Anschlägen rund 1.000 Menschen getötet und weitere 800 verletzt. Im Dezember 2018 sind bei 140 Anschlägen 1.121 Menschen gestorben, 475 weitere wurden verletzt. (PAN 03.02.2019)
Wie PAN berichtet, wurden im Februar 2019 392 Menschen getötet und 653 weitere verletzt, darunter Aufständische, Sicherheitskräfte und Zivilisten, die Sterblichkeitsrate sank im Vergleich zum Vormonat um 43 Prozent. Laut PAN, stellt der Februar den einzigen Monat in den letzten zwei Jahren dar, in dem die Opferanzahl derart gesunken ist und es zu keinen Selbstmordanschlägen kam. PAN führt jedoch an, dass die Opferzahlen verschiedener Quellen voneinander abweichen. (PAN 04.03.2019)
PAN schreibt in einem Artikel vom April 2019 unter Verweis auf CPAG, dass im Monat März 184 Zivilisten in 18 Provinzen des Landes getötet und weitere 300 verletzt wurden. Zu den Opfern gehörten 54 Kinder und 27 Frauen. (PAN 02.04.2019)
PAN schreibt in einem Artikel vom Mai 2019, dass im April 2019 bei 173 Anschlägen fast 2.100 Menschen getötet und verletzt wurden, wobei die Zahl der Opfer im April im Vergleich zum März um 15 Prozent gestiegen ist. Laut verschiedenen Quellen sind im Monat April in 27 Distrikten Afghanistans 1.220 Menschen getötet und 866 weitere verletzt worden (PAN 03.05.2019)
PAN berichtet im Juni 2019, dass im Mai 2019 bei 210 Angriffen in 30 Provinzen über 2.300 Menschen in Afghanistan getötet und verwundet (1.317 Todesopfer, 995 Verletzte) wurden. Im Vergleich zum Vormonat stieg die Anzahl der Angriffe um 37 Prozent, die Zahl der Opfer um 24 Prozent. (PAN 02.06.2019)
In einem im Juni 2019 veröffentlichten Bericht zu Afghanistan befasst sich das European Asylum Support Office (EASO) mit der Sicherheitslage auf Provinzebene.
US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 03.06.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.05.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.05.2019).
Zur Provinz Ghazni:
Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (Pajhwok o. D.a).
Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: die Provinzhauptstadt Ghazni, sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 02.07.2017; vgl. HoA 15.03.2016).
Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage:
Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 01.02.2018; vgl. SD 01.02.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.03.2018).
Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.01.2018).
Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.02.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.02.2018).
Im Zeitraum 01.01.2017-30.04.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:
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Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.01.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Ghazni
Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.03.2018; vgl. Xinhua 27.01.2018, ZNI 03.03.2018, Tolonews 05.02.2018, Tolonews 24.03.2018, MF 25.03.2018, Tolonews 05.12.2017; MF 18.03.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.03.2018; vgl. MF 25.03.2018, Tolonews 05.12.2017, MF 18.03.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 01.02.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 01.02.2018; vgl. Pajhwok 12.03.2018).
Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.06.2018; vgl. AJ 21.05.2018, VoA 22.10.2017).
Die Provinz Ghazni gehörte im Frühjahr 2018 zu den am stärksten umkämpften Provinzen. Am 10.08.2018 starteten die Taliban eine Offensive auf die Provinzhauptstadt Ghazni, die zu mehrtägigen Gefechten sowie zu zahlreichen zivilen Opfern führte. Mehr als 1000 Kämpfer der radikalislamistischen Miliz hatten Ghazni offenbar ohne größere Widerstände einnehmen können. Mehr als 130 Menschen, unter ihnen 100 Sicherheitskräfte, sind bei den Gefechten zwischen den Taliban und afghanischen Regierungstruppen ums Leben gekommen. Mittlerweile haben Regierungstruppen die Stadt wieder unter ihre Kontrolle gebracht, wobei die Situation noch immer als gefährlich zu bezeichnen ist.
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni:
Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.01.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 01.07.2017).
Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.01.2018). Für den Zeitraum 01.01.-15.07.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.02.2018).
Allgemeine Menschenrechtslage:
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen (AA 5.2018).
Zu den bedeutendsten Menschenrechtsfragen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen (USDOS 20.4.2018). Regierungsfreundlichen Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (AI 22.02.2018).
Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 5.2018). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 5.2018; vgl. MPI 27.01.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 5.2018). Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen operieren in der Regel ohne staatliche Einschränkungen und veröffentlichen ihre Ergebnisse zu Menschenrechtsfällen. Regierungsbedienstete sind in dieser Hinsicht einigermaßen kooperativ und ansprechbar (USDOS 20.04.2018). Die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Afghanistan Independent Human Rights Commission AIHRC bekämpft weiterhin Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte, das Komitee für Drogenbekämpfung, berauschende Drogen und ethischen Missbrauch sowie der Jusitz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 20.04.2018).
Im Februar 2016 hat Präsident Ghani den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 03.09.2016).
Seit 01.01.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.02.2018).
Ethnische Minderheiten:
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.01.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.01.2018). Schätzungen zufolge, sind:
40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.01.2018).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.01.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.04.2018).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.04.2018).
Hazara:
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.01.2018; CRS 12.01.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.06.2016, UNAMA 15.02.2018).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.04.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.01.2015; vgl. GD 02.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 02.10.2017).
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.04.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.04.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.04.2016).
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.04.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.04.2018).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.05.2017).
Religionsfreiheit:
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.08.2017).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.08.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi- Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).
Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.02.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.05.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.08.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.05.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.08.2017).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.04.2018).
Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.08.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht- Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.08.2017).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.08.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht- muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.08.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.08.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.08.2017).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.08.2017).
Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.08.2017).
Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).
Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.08.2017).
Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.08.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.04.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.08.2017).
Schiiten:
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.08.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte überget