TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/25 W270 2173688-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.07.2019
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Entscheidungsdatum

25.07.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W270 2173688-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. GRASSL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 01.10.2017, Zl. XXXX , in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (in Folge: "Beschwerdeführer") stellte am 15.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei seiner am selbigen Tag stattgefundenen Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass seine Familie nach Pakistan ausgereist sei, als er selbst ein Jahr alt gewesen sei. Sein Bruder Alireza sei in Afghanistan getötet worden. In Pakistan habe der Beschwerdeführer Probleme mit einer Gruppe namens "Lashkar Jangvi" gehabt, welche Schiiten und Hazara töten würden.

3. Bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 07.09.2017 gab der Beschwerdeführer zu den Gründen für seine Asylantragstellung befragt im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er von seiner Mutter wisse, dass eine Gruppe, welche damals die Russen bekämpft hätte, versucht hätte, seinen Vater zwangsweise zu rekrutieren. Nachdem sein Vater sich geweigert habe, sich dieser Gruppierung anzuschließen, hätte diese Gruppierung Waffen und einen Teil seines Vermögens vom Vater des Beschwerdeführers gefordert. Auch dieser Aufforderung sei sein Vater jedoch nicht nachgekommen, weswegen diese Gruppe gedroht habe, alle seine männlichen Nachkommen zu ermorden. Der Vater habe auch diese Drohungen nicht ernst genommen, weswegen er von der Gruppierung entführt und gefoltert worden sei. Darüber hinaus sei der Bruder des Beschwerdeführers ermordet worden. Dem Vater sei es dann gelungen sich zu befreien und er sei mit seiner Familie nach Pakistan geflohen. Der Vater des Beschwerdeführers sei im Jahr 2007 nochmals nach Afghanistan gegangen, um eine Tazkira für den Beschwerdeführer zu beantragen. Er sei jedoch nicht mehr zurückgekommen und seitdem verschollen. Ein Freund der Familie habe sich dann bereit erklärt, den Vater des Beschwerdeführers in Afghanistan zu suchen. Dieser habe berichtet, dass der Vater von bewaffneten Männern entführt worden sei, ob es sich bei diesen um Taliban oder eine andere Gruppierung gehandelt habe, wisse er jedoch nicht. Diese Gruppierung habe außerdem die Grundstücke der Familie des Beschwerdeführers okkupiert. Der Beschwerdeführer fürchte daher, dass diese Gruppierung ihm bei Rückkehr nach Afghanistan unterstellen würde, die Grundstücke zurückfordern zu wollen, und dass er deswegen von der Gruppe bedroht werden wird. Aus Pakistan sei der Beschwerdeführer geflohen, weil dort die Situation für Hazara zunehmend schlechter geworden sei. Eine Gruppierung namens "Lashkare Jangawi" habe es sich zum Ziel gemacht, Hazara und Schiiten zu töten.

4. Mit Schriftsatz vom 12.09.2017 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in welcher er insbesondere Ausführungen zu seinem langjährigen Aufenthalt in Pakistan, zur Sicherheitslage in der Provinz Ghazni, zum Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative sowie zu seinen Risikoprofilen als Hazara und als Minderjähriger tätigte. Darüber hinaus legte er diesbezüglich auch Beweismittel vor.

5. Die belangte Behörde wies den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) mit Bescheid vom 01.10.2017 ab. Dem Beschwerdeführer wurde mit gegenständlichem Bescheid der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.10.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat nicht habe glaubhaft machen können. Aufgrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers befände sich dieser jedoch bei Rückkehr nach Afghanistan in einer aussichtslosen Lage.

6. In der gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhobenen Beschwerde wurde insbesondere eine Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes gerügt und auf Beweismittel zur Situation Minderjähriger sowie der Hazara in Afghanistan verwiesen.

7. Gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie weitere länderkundliche und sonstige Informationen im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht.

8. Am 20.05.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, in deren Rahmen der Beschwerdeführer insbesondere nochmals zu den geltend gemachten Fluchtgründen sowie seinem Leben in Österreich einvernommen wurde und weitere Urkunden zu seiner Integration vorlegte. Von Seiten des erkennenden Gerichts wurden im Rahmen der mündlichen Verhandlung außerdem weitere länderkundliche Informationen in das Verfahren eingeführt und dem Beschwerdeführer diesbezüglich eine Frist zur Stellungnahme bis 03.06.2019 eingeräumt.

9. Mit Schriftsatz vom 03.06.2019 erstattete der Beschwerdeführer die ausbedungene Stellungnahme und führte darin zur Gefährdung wegen eines Abfalls vom Islam aus.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1. Identität, Herkunft und Sprachkenntnisse:

1.1.1.1. Der Beschwerdeführer trägt den Namen " XXXX " und ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde dort am XXXX in der Provinz Ghazni, im Distrikt Qarabagh, im Dorf " XXXX " geboren.

1.1.1.2. Im Alter von einem Jahr reiste der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie nach Pakistan aus und lebte dort bis zum Jahr 2015.

1.1.1.3. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Neben dieser hat er noch Kenntnisse der Sprachen Deutsch, Englisch, Urdu und Italienisch. Die Sprachen Dari, Deutsch und Englisch kann der Beschwerdeführer auch lesen und schreiben.

1.1.2. Volksgruppe und Religion:

Der Beschwerdeführer gehört der afghanischen Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zu keiner Glaubensrichtung (s. dazu auch die Feststellungen unten unter Pkt. 1.2.4. ff).

1.1.3. Familiäre Situation und wirtschaftliche Lage:

1.1.3.1. Die Mutter sowie die Geschwister des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Pakistan. Der Vater des Beschwerdeführers wird seit dem Jahr 2007, in welchem dieser nochmals nach Afghanistan reiste, vermisst. Ein Bruder des Beschwerdeführers, " XXXX " ist bereits verstorben.

1.1.3.2. Die Familie des Beschwerdeführers verfügte in Afghanistan über mehrere Grundstücke und hat auch mindestens ein großes Haus besessen. In Pakistan verfügt die Familie über kein Vermögen.

1.1.3.3. Die Mutter sowie die Schwestern des Beschwerdeführers arbeiten in Pakistan als Schneiderinnen.

1.1.3.4. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie regelmäßig, ungefähr fünf Mal pro Woche, in Kontakt.

1.1.4. Ausbildung und Berufserfahrung:

1.1.4.1. Der Beschwerdeführer besuchte in Pakistan neun Klassen lang die Schule.

1.1.4.2. Seit dem Jahr 2008 arbeitete der Beschwerdeführer neben der Schule als Verkäufer in einem Bekleidungsgeschäft. Mit dieser Tätigkeit konnte er seine Familie finanziell unterstützen.

1.1.5. Gesundheitszustand:

Der Beschwerdeführer ist gesund. Er leidet an keinen psychischen oder physischen Krankheiten oder Gebrechen und nimmt keine Medikamente ein.

1.1.6. Ausreise aus Afghanistan bzw. Pakistan und Antragstellung in Österreich:

1.1.6.1. Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2001 gemeinsam mit seiner Familie nach Pakistan aus.

1.1.6.2. Der Beschwerdeführer reiste ungefähr Anfang September 2015 aus Pakistan aus und stellte am 15.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.2. Zum individuellen Flucht- bzw. Nachfluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer wurde weder von Seiten des afghanischen Staates, noch von regierungsfeindlichen Gruppierungen oder privaten Personen persönlich bedroht, noch wurden sonstige Handlungen oder Maßnahmen gegen ihn gesetzt.

1.2.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Vater des Beschwerdeführers von einer regierungsfeindlichen Gruppierung im Jahr 2001 zu Kampfhandlungen aufgefordert worden ist, bedroht, entführt und gefoltert wurde. Auch kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass der Bruder des Beschwerdeführers " XXXX " von dieser Gruppierung getötet wurde.

1.2.3. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Vater des Beschwerdeführers im Jahr 2007 bei einem Aufenthalt in Afghanistan von einer regierungsfeindlichen Gruppierung entführt wurde.

1.2.4. Der Beschwerdeführer hat keinen inneren Entschluss gefasst bzw. die innere Überzeugung angenommen sich vom Glauben als Moslem substanziell zu entfernen und/oder dadurch konfessionslos zu werden.

1.2.5. Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer keinen inneren Entschluss für die Annahme eines bestimmten Glaubens bzw. des Bekenntnisses zu einer bestimmten Religion gefasst hat.

1.2.6. Festgestellt wird außerdem, dass der Beschwerdeführer keine innere Überzeugung dahingehend angenommen hat, aktiv gegen den Islam Dritten gegenüber aufzutreten. Ebenso hat er keine innere Einstellung dahingehend angenommen, sich aktiv Dritten gegenüber als ein Nicht-Moslem darzustellen.

1.2.7. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat weder Probleme mit den Behörden noch wurde er wegen seiner Nationalität, seinem Geschlecht, seiner sexuellen Orientierung, seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder wegen einer Zugehörigkeit zu einer anderen gesellschaftlichen Gruppe bedroht oder wurde sonst eine Handlung oder Maßnahme aus diesen Gründen gegen ihn gesetzt.

1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

1.3.1. Der Beschwerdeführer lebt in Österreich in einer Unterkunft in XXXX .

1.3.2. In Österreich leben weder Verwandte noch sonstige nahe Angehörige des Beschwerdeführers. Er selbst ist ledig.

1.3.3. Der Beschwerdeführer besucht seit 2016 die Handelsakademie in XXXX und möchte dort auch seine Matura machen. Er spielt in der 2. Kampfmannschaft in XXXX Fußball. Derzeit macht der Beschwerdeführer auch den Führerschein. Seine Freizeit verbringt er entweder mit seinen Schulkollegen, oder auch mit der Familie " XXXX ".

1.3.4. Nach Abschluss seiner Matura will der Beschwerdeführer arbeiten, bevorzugt in einer Bank.

1.3.5. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten.

1.4. Zur maßgeblichen Lage in Afghanistan:

1.4.1. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.

Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren.

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.612 registrierten zivilen Opfer (440 Tote und 1.172 Verletzte). Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen.

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielten Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen. Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden.

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF; diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018 letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019 [in Folge: "LIB"], Pkt. 3. "Sicherheitslage")

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Allgemeines

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus.

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren. Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet.

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird.

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan. Die Gründe dafür sind verschiedene:

das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten.

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht. Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen.

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen.

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand. Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten. Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten:

Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden.

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen. Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben. Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS.

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation. Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen. Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet.

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben. Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen. Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen.

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt; er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an, aber auch ausländische Botschaften. Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätte. Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind.

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar.

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben.

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens.

(Auszüge aus dem LIB, Pkt. 3. "Sicherheitslage")

Grundversorgungs- und Wirtschaftslage

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu.

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft")

Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan

Im Bereich des Rechtsschutzes und des Justizwesens in Afghanistan gibt es legislative Fortschritte; dennoch gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen und werden Dispute überwiegend außerhalb des formellen Justizsystems gelöst. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, in den ländlichen Gebieten aber schwächer ausgeprägt. Dem Justizsystem mangelt es an Leistungsfähigkeit, teils mangels qualifizierten Personals (insbesondere in ländlichen Gebieten), teils wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit von Gesetzestexten; die Situation bessert sich jedoch. Innerhalb des Gerichtswesens ist auch Korruption vorhanden und sind Richterinnen und Richter und Anwältinnen und Anwälte oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen.

(Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 4. "Rechtsschutz/Justizwesen")

Sicherheitsbehörden in Afghanistan

Im Zeitraum 2011 - 2014 wurde die Verantwortung für die Sicherheitsoperationen in Afghanistan schrittweise auf die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) übertragen. Die ANSF setzt sich aus staatlichen Sicherheitskräften zusammen, darunter die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Luftwaffe (AAF), die afghanische Nationalpolizei (ANP), die afghanische lokale Polizei (ALP) und das National Directorate for Security (NDS), welches als Geheimdienst fungiert.

Die Wirksamkeit der afghanischen Streitkräfte hängt nach wie vor von der internationalen Unterstützung ab, um die Kontrolle über das Territorium zu sichern und zu behalten und die operative Kapazität zu unterstützen.

Die Polizeipräsenz ist auch in den Städten stärker und die Polizeibeamten sind verpflichtet, Richtlinien wie den ANP-Verhaltenskodex und die Richtlinien zum Einsatz von Gewalt einzuhalten. Die Reaktion der Polizei wird jedoch als unzuverlässig und inkonsistent bezeichnet, die Polizei hat eine schwache Ermittlungskapazität, es fehlt an forensischer Ausbildung und technischem Wissen. Der Polizei wird auch weit verbreitete Korruption, Gönnerschaft und Machtmissbrauch vorgeworfen:

Einzelpersonen in den Institutionen können ihre Machtposition missbrauchen und Erpressung zur Ergänzung ihres niedrigen Einkommens einsetzen. Es kam weiterhin zu willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Polizei, und Folter ist bei der Polizei endemisch. Untätigkeit, Inkompetenz, Straffreiheit und Korruption führen zu Leistungsschwächen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018 [in Folge:

"EASO-Länderleitfaden Afghanistan"], des European Asylum Support Office [in Folge: "EASO"], abrufbar unter:

https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf, abgerufen am 19.07.2019, S. 95f mit Verweisen auf weitere Quellen)

Folter und unmenschliche Behandlung

Laut den Artikeln 29 und 30 der afghanischen Verfassung ist Folter verboten. Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt wurden, sind ungültig. Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC). Am 22. April 2017 genehmigte die afghanische Regierung ein neues Anti-Folter-Gesetz und erweiterte das im ursprünglichen Strafgesetzbuch enthaltene Folterverbot. Das neue Gesetz bezieht sich jedoch nur auf Folterungen, die im Rahmen des Strafrechtssystems erfolgt sind, und nicht eindeutig auf Misshandlungen, die von militärischen sowie anderen Sicherheitskräften verübt werden. Fehlende Regelungen zur Entschädigung von Folteropfern wurden im August 2017 durch ein entsprechendes Addendum ergänzt.

Trotz dieser Vorgaben gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlungen durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Gefängnispersonal und Polizei. Quellen zufolge wenden die Sicherheitskräfte weiterhin exzessive Gewalt an, einschließlich Folter und Gewalt gegen Zivilisten. Personen, die im Rahmen des bewaffneten Konflikts festgenommen wurden, werden insbesondere während des ersten Verhörs gefoltert, um Geständnisse zu erhalten.

Im Zuge einer Befragung gaben für den Zeitraum 1.1.2015 - 31.12.2016 181 (39%) von 469 befragten Personen an, von den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften (ANDSF) gefoltert worden zu sein. Auch 38 (45%) von 85 befragten Kinder gaben an im Berichtszeitraum Opfer von Folter oder Missbräuchen geworden zu sein. Die meisten Misshandlungen fanden unter der Obhut des National Directorate of Security (NDS) und der afghanischen Nationalpolizei statt (ANP).

Zwei Jahre nach der Verlautbarung des Nationalplans von 2015 zur Eliminierung der Folter durch die afghanische Regierung, hat diese einige dauerhafte Fortschritte gemacht, insbesondere auf der Gesetzesebene. Zahlreiche im Nationalplan eingegangene Hauptverpflichtungen wurden jedoch nur teilweise verwirklicht

(Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 6. "Folter und unmenschliche Behandlung durch den afghanischen Staat")

Binnenflüchtlinge

Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder.

Größtenteils stammen IDPs aus unsicheren ländlichen Gebieten und kleinen Städten und suchen relativ bessere Bedingungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten, was zu weiterem Druck auf bereits überlastete Dienstleistungen und Infrastrukturen führt.

Die Binnenflüchtlinge leben mehrheitlich in prekären Bedingungen, der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Ein Großteil ist auf humanitäre Hilfe angewiesen, für welche es jedoch lediglich einen begrenzten Zugang gibt. Aufgrund des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe. Die afghanische Regierung kooperierte mit dem UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um den Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 20.

"Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge")

1.4.2. Lage in der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt des Beschwerdeführers:

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi. Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird. Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind.

Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: die Provinzhauptstadt Ghazni, sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari. Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist.

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv. In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen.

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch.

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden.

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Militärische Operationen in Ghazni

Militärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt; Aufständische werden getötet und festgenommen. Luftangriffe werden ebenso durchgeführt, bei denen auch Taliban getötet werden.

Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt.

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni

Sowohl das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv. Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein.

Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei. Für den Zeitraum 1.1.-15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 3.10. "Ghazni")

1.4.3. Potentielle Risiken für den Beschwerdeführer in Afghanistan:

Situation ethnischer Minderheiten

Allgemeines

In Afghanistan gibt es mehrere ethnische Minderheiten; die Bevölkerung setzt sich aus 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, etwa 10% Hazara und 9% Usbeken zusammen. Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort "Afghane" wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Dessen ungeachtet beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen. Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 16 "Ethnische Minderheiten")

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara begleitet eine lange Geschichte der Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung; Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Hazara sind auch gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dennoch hat sich die Situation grundsätzlich verbessert. Hazara sind auch keiner gezielten Diskriminierung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt.

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.

Auch nach den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender in Afghanistan droht ethnischen Minderheiten, wie den Hazara, in Afghanistan teilweise eine schlechte Behandlung. So sind diese gesellschaftlicher Diskriminierung und Misshandlung ausgesetzt. Ihnen droht auch eine schlechte Behandlung durch Taliban (beispielsweise Entführung, Schikanierung, Tötung). Die Hazara haben jedoch seit Ende des Taliban-Regimes im Jahr 2001 erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht.

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus dem LIB, Pkt. 16.2 "Hazara", sowie Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, HCR/EG/AFG/18/02 [abrufbar unter:

http://www.refworld.org/country,,,,AFG„5b8900109,0.html (abgerufen am 19.07.2019); in Folge: "UNHCR-Richtlinien"], Pkt. III.A.13b "Hazara")

Seit dem Sturz des Taliban-Regimes haben die Hazara ihre Position in der Gesellschaft verbessert, und die afghanische Verfassung schließt die Hazara als eines der Völker ein, aus denen die Nation Afghanistan besteht. Es gibt keine Informationen über Misshandlungen durch den Staat. Angriffe auf Hazara durch aufständische Gruppen haben stattgefunden, besonders an Orten, an denen sich Hazara oder Shiiten versammeln, wie religiöse Gedenkfeiern oder politische Demonstrationen. Solche Angriffe könnten mit ihrer Religion zusammenhängen. Die ISKP zielt unter anderem auch auf die Hazara wegen ihrer wahrgenommenen Nähe und Unterstützung für den Iran und den Kampf gegen den islamischen Staat in Syrien. Es gibt Fälle, in denen Hazara-Zivilisten entführt oder getötet werden, während sie auf den Straßen unterwegs sind. Bei gemeldeten Vorfällen, bei denen Hazara-Straßenpassagiere ausgesondert und getötet oder entführt wurden, konnten oft andere Gründe festgestellt werden, wie z.B. unpolitische kommunale Streitigkeiten oder die Person, die Mitglied des ANSF ist, einen Arbeitsplatz in der Regierung oder im NRO-Sektor hat usw., wobei diese Vorfälle mit anderen Profilen verknüpft wurden.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Länderleitfaden Afghanistan, Pkt. 17.a., unter dortiger Angabe weiterer Quellen)

Von den Hazara wird berichtet, dass sie weiterhin gesellschaftlich diskriminiert und gezielt durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung erpresst werden. Hazara, die überwiegend Schiiten sind, wurden bereits in der Vergangenheit durch die sunnitische Bevölkerungsmehrheit ausgegrenzt und diskriminiert. Seit dem Ende des Taliban Regimes im Jahr 2001 haben sie Berichten zufolge erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht, doch mehren sich seit den letzten Jahren Berichten zufolge die Fälle von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte.

(Auszug aus Länderinformationen der UNHCR-Richtlinien, S. 106 f)

Situation für Rückkehrer aus dem Westen / Risiken aus einer "Verwestlichung"

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als "Ausländer" oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden. Ähnlich kann Personen mit Profilen als "Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen" und "Frauen im öffentlichen Leben" von regierungsfeindlichen Gruppen zur Last gelegt werden, Werte und/oder ein Erscheinungsbild übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden. Auch aus diesem Grund können sie Opfer von Angriffen werden.

Generell kann gesagt werden, dass Afghanen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, von aufständischen Gruppen angegriffen werden können, da sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen werden können oder als Spione betrachtet werden können.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den UNHCR-Richtlinien, S. 46 f)

Generell kann gesagt werden, dass Afghanen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, von aufständischen Gruppen angegriffen werden können, da sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen werden können oder als Spione betrachtet werden können.

Für die Gesellschaft ist eine Unterscheidung nach der Einstellung gegenüber Männern einerseits und Frauen andererseits erforderlich. Afghanische Frauen und Kinder, die sich an die Freiheiten und die Unabhängigkeit im Westen gewöhnt haben, können Schwierigkeiten haben, sich an die sozialen Restriktionen in Afghanistan anzupassen. Frauen können auch als "verwestlicht" angesehen werden, wenn sie außerhalb des Hauses arbeiten oder eine höhere Ausbildung haben. Frauen, die als "verwestlicht" wahrgenommen werden, können als gegen kulturelle, soziale und religiöse Normen verstoßend empfunden werden und können Gewalt von ihrer Familie, konservativen Elementen in der Gesellschaft und Aufständischen ausgesetzt sein.

Bei den Männern sind die gesellschaftlichen Haltungen gegenüber "verwestlichten" Individuen gemischt. Es werden nur sehr wenige Fälle von Vorfällen im Zusammenhang mit der "Verwestlichung" gemeldet. Teile der Gesellschaft, meist in Städten (z.B. Kabul-Stadt), sind offen für westliche Ansichten, während andere Teile, meist in ländlichen oder konservativen Umgebungen, dagegen sind.

(Auszug aus dem EASO-Länderleitfaden Afghanistan, Juni 2018, S. 57 mit dortigen Hinweisen auf weitere Berichte dieser Organisation)

Personen, die im Iran oder Pakistan geboren wurden und/oder dort für einen längeren Zeitraum gelebt haben.

Dieses Profil bezieht sich auf Afghanen, die in Iran oder Pakistan geboren wurden oder eine sehr lange Zeit als Flüchtling oder Migrant dort gelebt haben. Nicht an afghanische Normen und Erwartungen gewöhnt zu sein und kein Unterstützungsnetz in Afghanistan zu haben, kann zu Schwierigkeiten bei der Suche nach Arbeit oder Unterkunft führen. Afghanen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans lebten, können auch einen starken Akzent haben, was ein weiteres Hindernis bei der Arbeitssuche wäre.

In Ausnahmefällen und auf der Grundlage zusätzlicher individueller Umstände könnte die Häufung von Maßnahmen, einschließlich Menschenrechtsverletzungen, die so schwerwiegend sind, dass sie eine Person in ähnlicher Weise betreffen, einer Verfolgung gleichkommen. Verfügbare Informationen deuten darauf hin, dass es im Falle von Personen, die im Iran oder Pakistan geboren wurden und/oder dort lange Zeit gelebt haben, im Allgemeinen keinen Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund des Übereinkommens gibt. Dies gilt unbeschadet der Einzelfälle, in denen aufgrund zusätzlicher Umstände ein Zusammenhang hergestellt werden könnte.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem EASO-Länderleitfaden Afghanistan, Pkt. II.21., unter Angabe weiterer Quellen)

Religionsfreiheit

Allgemeines

Die muslimische Bevölkerung setzt sich Schätzungen zu Folge aus etwa 85-90 % Sunniten und 10-20% Schiiten zusammen. Nur weniger als 1 % der afghanischen Bevölkerung gehören einer anderen Glaubensgemeinschaft, wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen, an. Die Staatsreligion Afghanistans ist der Islam. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben.

Apostasie und Blasphemie

Die Abkehr vom Islam (Apostasie) sowie die Blasphemie werden durch das Scharia-Recht geahndet, wobei die Todesstrafe droht.

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten "ungeheuerlichen Straftaten", die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen. Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren.

Dasselbe gilt für Blasphemie. Gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte stellt Blasphemie ein Kapitalverbrechen dar und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch ist Blasphemie unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten. Geistig zurechnungsfähige Männer über 18 Jahren und Frauen über 16 Jahren, die der Blasphemie bezichtigt werden, kann daher die Todesstrafe drohen. Wie auch bei Apostasie haben die Beschuldigten drei Tage Zeit, um ihre Handlungen zu widerrufen.

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind rechtlicher und sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch. Auch Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind von Diskriminierungen durch die sunnitische Mehrheit betroffen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 14. "Todesstrafe" und Pkt. 15. "Religionsfreiheit"; UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.5.b.) "Konversion vom Islam" und c) "Andere Handlungen, die gegen die Scharia verstoßen" und EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 59f).

Gruppen wie Atheisten, Säkulare oder Konvertiten, welche Ansichten vertreten, die als Abfall vom Islam empfunden werden können, müssen sich zurückhalten und können deren persönliche Ansicht und deren Verhältnis zum Islam nicht offen in der Gesellschaft bei sonstigem Risiko von Sanktionen oder Gewalt zum Ausdruck bringen.

Ebenso müssen diese Gruppen nach außen hin als Muslime erscheinen und religiöse und kulturelle Verhaltenserwartungen deren lokaler Umgebung erfüllen, ohne dass dies eine Reflexion ihrer inneren Überzeugung ist.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Country of Origin Information Report Afghanistan, "Individuals targeted under societal and legal norms" [in Folge:

"EASO-Bericht Verfolgung Einzelner unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen"], abrufbar unter https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_targeting_society.pdf, abgerufen am 19.07.2019, Pkt. 2.4.)

Die Staatendokumentation hat in einer Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2018 die Fragen

1. Wird eine Person, die lediglich beschließt ihre Religion (den Islam) in Afghanistan nicht mehr auszuüben/zu praktizieren (z.B. nicht mehr regelmäßig die Moschee besuchen, nicht mehr regelmäßig beten, etc.), von der afghanischen Gesellschaft bedroht oder ist ihr Leben in Afghanistan dadurch in Gefahr?

2. Wird eine Person, die lautstark/provokativ verkündet, nicht mehr an die islamischen Werte zu glauben und diese auch nicht mehr praktiziert, von der afghanischen Gesellschaft bedroht oder ist ihr Leben in Afghanistan dadurch in Gefahr?

3. Wird eine Person, die sich aufgrund innerer Überzeugung vom Islam abgewendet hat und die islamischen Religion/Bräuche nicht mehr ausübt bzw. praktiziert, von der afghanischen Gesellschaft bedroht oder ist ihr Leben in Afghanistan dadurch in Gefahr?

4. Gibt es bei den aufgelisteten Fallkonstellationen Unterschiede, je nachdem ob dies in größeren Städten wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif oder in ländlichen Regionen durchgeführt wird?

5. Gibt es bei den aufgelisteten Fallkonstellationen Unterschiede je nach Bildungsstand bzw. Einstellung der Familie?

zusammenfassend wie folgt beantwortet:

Es handelt sich um ein komplexes Thema, bei dem viele Faktoren zu berücksichtigen sind, wie etwa geographische Zugehörigkeit, Ethnie, Bildungsgrad, soziale, politische, wirtschaftliche Aspekte, urbanes oder ländliches Umfeld und Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten. Das bloße Nicht-Praktizieren der islamischen Bräuche (z.B. Besuch der Moschee, Fasten während des Ramadan, regelmäßiges Beten usw.) hat nicht notgedrungen negative Auswirkungen für die betroffene Person. In bestimmten Fällen kann das Nicht-Praktizieren der islamischen Religion zu einem Glaubwürdigkeitsverlust innerhalb der Gemeinschaft führen. Ein Muslim, der aus beruflichen oder zeitlichen Gründen nicht in die Moschee geht, wird nicht automatisch als Nicht-Muslim betrachtet. Weiters ist es Kranken erlaubt, nicht zu fasten. In seltenen Fällen jedoch und besonders in ultrakonservativen, ländlichen Gesellschaften kann eine Person bestraft werden oder in Lebensgefahr geraten, wenn sie die islamischen Bräuche auf provokative Weise nicht einhält. Weiters gibt es Situationen, in denen Muslime das Praktizieren der Religion aus gesellschaftlichen, politischen und anderen Gründen vortäuschen. In Großstädten wie Kabul, Herat und Mazar ist der Gefährdungsgrad von nicht-praktizierenden Muslimen niedriger als in ländlichen Gebieten.

Obwohl es stark davon abhängig ist, auf welche Art und Weise, wo und wann die Abwendung vom Islam verkündet wird und wer die Zuhörerschaft ist, gilt grundsätzlich: Wenn ein Muslim in Afghanistan die Abwendung vom Islam verkündet, ist mit schweren Folgen zu rechnen.

(Zusammenfassung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 25.10.2018 zur "Nichtausübung des Islam und Apostasie")

Zahlreichen Quellen zufolge toleriert die Gesellschaft eine Abwendung vom Islam grundsätzlich nicht. Die International Humanist and Ethical Union (IHEU), eine von den Vereinten Nationen anerkannte NRO, stellt i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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