TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/26 G308 2178626-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.07.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

26.07.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

G308 2178622-1/11E

G308 2178626-1/10E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 09.07.2019 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

ERKENNTNISSES:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX, geboren am XXXX, und 2.) des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, beide Staatsangehörigkeit: Irak, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 20.10.2017, Zahlen: zu 1.) XXXX und zu 2.) XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.07.2019, zu Recht erkannt:

A) I. Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1

AsylG 2005 sowie XXXX (alias XXXX) gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers.

2. Die Erstbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit dem minderjährigen Zweitbeschwerdeführer illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie gemeinsam am 30.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 stellten.

3. Am 30.04.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin statt. Sie gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie den Irak wegen des Bürgerkrieges zwischen Sunniten und Schiiten verlassen habe. Sie habe in einer schiitischen Gegend gewohnt und sei ihr Ehegatte Schiit gewesen. Sie hätten sich ständig gestritten, da ihr Ehegatte sehr religiös sei und die Erstbeschwerdeführerin nicht. Sie sei evakuiert worden, weshalb ihr Ehegatte sich von ihr scheiden habe lassen und ihr den Zweitbeschwerdeführer habe wegnehmen wollen. Aus diesen Gründen habe sie den Irak verlassen. Bei einer Rückkehr fürchte sie, dass man ihr den Zweitbeschwerdeführer wegnehme.

4. Die niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, fand am 09.10.2017 statt.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin zusammengefasst erst an, sie sei traditionell von ihrem Ehegatten geschieden. Deswegen habe sie auch keine Arbeit gefunden und niemand sonst hätte die Beschwerdeführer versorgen können. Es hätten in Bagdad dauernd Entführungen stattgefunden und sie habe sich um ihren Sohn gesorgt. Dieser habe hin und wieder Asthma-Anfälle und habe es kein Auto gegeben, um ihn in das Krankenhaus zu bringen. Sie sei Sunnitin, die Regierung hingegen schiitisch. Der (Ex-)Ehegatte sei der Erstbeschwerdeführerin gegenüber gewalttätig gewesen, habe sie unterdrückt und sich in ihren Kleidungsstil eingemischt. Eine Scheidung habe sie aus traditionellen Gründen und den damit verbundenen Folgen nicht selbst initiiert. Die Polizei würde bei häuslicher Gewalt nichts unternehmen. Das Wohnortviertel in Bagdad sei überwiegend schiitisch bewohnt gewesen. Sonst sei sie persönlich nicht verfolgt worden. Jedoch hätte sie im Irak keine Unterstützung erhalten, Frauen hätten dort keine Rechte und müssten Kopftücher tragen. In Österreich unterstütze sie ihre Betreuerin manchmal beim Verkauf alter Kleidung. Sie habe regelmäßig Kontakt zu Österreicherinnen und wünsche sich eine Ausbildung zur Kindergarten-Betreuerin.

Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer habe keine eigenen Fluchtgründe.

5. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1a FPG eingeräumt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers im Wesentlichen ausgeführt, dass sich für diesen keine eigenen Fluchtgründe ergeben hätten und solche auch nicht vorgebracht worden seien. Er lebe bei seiner Mutter (der Erstbeschwerdeführerin) und leide zwar an Asthma, jedoch stelle dies keine lebensbedrohliche Erkrankung dar. Sofern er sich auf das Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin beziehe, so sei auszuführen, dass sich dieses als nicht asylrelevant erwiesen habe. Auf die diesbezügliche Begründung im Bescheid der Erstbeschwerdeführerin werde verwiesen. Hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass es ihr nicht gelungen sei, ihren Fluchtgrund glaubhaft und schlüssig darzulegen. Sie sei tatsächlich aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist. Sie habe noch Angehörige im Irak, zu denen sie zurückkehren könnte und die sie finanziell unterstützen würden. Es werde festgestellt, dass der Ex-Ehegatte die Erstbeschwerdeführerin nie persönlich bedroht habe. Zudem habe sie seit der Trennung keinen Kontakt mehr zu ihm und lebe dieser nunmehr in Schweden. Die Erstbeschwerdeführerin hätte im Irak auch in ein Frauenhaus gehen können, wo sie Schutz und finanzielle Unterstützung zu erwarten gehabt hätte. Die Erstbeschwerdeführerin sei bereits vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet zweimal in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden, und zwar einmal im September 2014 und einmal im April 2015. Dies erwecke den Eindruck, dass die Erstbeschwerdeführerin mit ihren Lebensumständen im Irak nicht zufrieden gewesen sei bzw. nach dem Vorbild ihrer Geschwister westlich und frei habe leben wollen. Die gesamte Fluchtgeschichte erscheine konstruiert. Eine Rückkehr nach Bagdad sei den Beschwerdeführern sowohl hinsichtlich der allgemein vorherrschenden Situation als auch aufgrund der individuellen Umstände zumutbar, zumal noch zwei Tanten in Bagdad leben würden. Weiters lebe ein Bruder der Erstbeschwerdeführerin in Erbil. Die Erstbeschwerdeführerin sei im arbeitsfähigen Alter und verfüge über eine Schulbildung sowie Arbeitserfahrung. Eine existenzbedrohende Notlage der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Irak habe nicht festgestellt werden können. Es sei daher zumutbar, in den Irak zurückzukehren.

Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.

Die Bescheide wurden den Beschwerdeführern am 27.10.2017 durch Hinterlegung beim Zustellpostamt nach einem Zustellversuch zugestellt.

6. Mit Schriftsatz der damaligen bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 22.11.2017 erhoben die Beschwerdeführer gemeinsam das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Es wurde zusammengefasst beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und den Beschwerdeführern den Status von Asylberechtigten; in eventu den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, in eventu Spruchpunkt III. beheben und feststellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und den Beschwerdeführern einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen, sowie feststellen, dass ihre Abschiebung in den Irak unzulässig ist; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurückverweisen.

Die Erstbeschwerdeführerin habe 2012 einen streng religiösen Mann geheiratet, der sie unterdrückt und misshandelt habe. Eine Scheidung sei wegen des gesellschaftlichen und familiären Drucks nicht in Frage gekommen. Im Jahr 2014 sei die Erstbeschwerdeführerin mit ihrer Schwester und Mutter in die Türkei geflüchtet, nachdem ihr Ehegatte bereits zuvor in die Türkei gereist war. Die Erstbeschwerdeführerin und ihr damaliger Ehegatte seien alleine nach Griechenland gereist und hätten den Zweitbeschwerdeführer bei der Mutter und Schwester der Erstbeschwerdeführerin in der Türkei zurückgelassen. Der (Ex-)Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin habe sie in Griechenland jedoch alleine zurückgelassen und kurze Zeit später die Scheidung ausgesprochen. Etwa drei Monate später, am 27.11.2014, sei sie in den Irak zurückgekehrt und habe dort als "geschiedene" Frau im Elternhaus gelebt, was für ihren Bruder eine Schande für die Familie gewesen sei. Auch von ihrem Bruder sei sie in der Folge misshandelt worden. Sowohl der Bruder als auch der Ex-Ehegatte hätten verlangt, dass sie den Zweitbeschwerdeführer an den Ex-Ehegatten übergebe. Der Bruder habe ihr auch nicht erlaubt, das Haus zu verlassen. Die Medikamente für den Zweitbeschwerdeführer habe sie deswegen heimlich kaufen müssen und sei dann vom Bruder deswegen geschlagen worden. Am 27.03.2015 seien uniformierte und bewaffnete Mitglieder der schiitischen Miliz der Asa¿ib Ahl al-Haqq in das Elternhaus der Erstbeschwerdeführerin gekommen und hätten dieses nach Waffen durchsucht. Einer der Milizangehörigen habe sie aufgefordert, sie zum Besucherraum zu führen, wo ihr dann befohlen worden sei sich auszuziehen. Nachdem sie sich geweigert habe, habe man sie geschlagen und ihr gewaltsam die Kleider vom Leib gerissen. Die Mutter sei wegen ihrer Schreie bewusstlos geschlagen worden. Auch der Bruder habe versucht, die Milizangehörigen von der Erstbeschwerdeführerin fernzuhalten, wodurch er schwer an der Hand verletzt sowie angeschossen worden sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei daraufhin von allen sechs Milizangehörigen nacheinander vergewaltigt worden. Sie sei am ganzen Körper, teilweise mit Maschinengewehren, geschlagen worden und habe dabei unzählige Verletzungen erlitten, welche mit Fotos dokumentiert seien und der Beschwerde beilägen.

Die Erstbeschwerdeführerin habe aufgrund der Einvernahmesituation mit einem männlichen, irakischen Dolmetscher vor dem Bundesamt diese Angaben nicht machen können und habe es auch ihr psychischer Gesundheitszustand nicht erlaubt, da sie derart traumatisiert sei, dass sie sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe. Eine unzulässige Neuerung liege gegenständlich daher nicht vor und werde im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin entsprechend der Bestimmungen des § 20 AsylG unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin beantragt.

Die Erstbeschwerdeführerin habe sowohl in der Erstbefragung als auch vor dem Bundesamt ausdrücklich frauenspezifische Fluchtgründe vorgebracht, nämlich von ihrem Ex-Ehegatten unterdrückt und misshandelt worden zu sein, im Irak als geschiedene Frau kein menschenwürdiges Leben führen zu können, sowohl von der Gesellschaft als auch der Familie geächtet zu werden, weder Arbeit noch einen Mann finden zu können, auf finanzielle Unterstützung angewiesen zu sein, die sie nicht bekomme und vom Bruder als Schande für die Familie missachtet zu werden. Der Bruder habe weiters den Zweitbeschwerdeführer nicht als Familienmitglied akzeptiert, versucht, die Erstbeschwerdeführerin mit einem anderen Mann zu verheiraten, und sie ebenso geschlagen und misshandelt. Aus den Länderberichten sei zu entnehmen, dass häusliche Gewalt sowie Ehrverbrechen an Frauen im Irak ernstzunehmende Probleme seien und eine effektive Strafverfolgung nicht erfolge.

Weiters würden die Beschwerdeführer den Sunniten angehören und hätte sich das Bundesamt näher damit auseinandersetzen müssen, ob den Beschwerdeführern - unabhängig von ihrem individuellen Fluchtvorbringen - als Sunniten in Bagdad die Gefahr einer Gruppenverfolgung drohe. Aus den Länderberichten ergebe sich weiters, dass den Beschwerdeführern schon wegen der allgemeinen Sicherheitslage bei einer Rückkehr im Irak die reale Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 2 und Art. 3 EMRK drohe. Eine innerstaatliche Fluchtalternative existiere für die Beschwerdeführer nicht.

7. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 04.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

8. Mit Schriftsatz der damaligen bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 18.02.2019 wurden nachfolgende Urkunden (sofern in Arabisch samt Übersetzung) vorgelegt:

-

Scheidungsbeschluss des Oberrichterstandes, des Präsidiums des Berufungs-Bundesgerichtes in Bagdad XXXX und des Gerichtes für persönliche Angelegenheiten in Bagdad XXXX vom 22.05.2018 samt Rechtskraftbestätigung vom 29.08.2018 und Beglaubigung vom 30.08.2018 und jeweiliger deutscher Übersetzung

-

Schreiben des Prüfungsgerichtes der Stadt Bagdad vom 02.04.2015 samt Übersetzung, wonach eine offizielle Untersuchung der Vergewaltigung der Erstbeschwerdeführerin eingeleitet wird

-

Medizinischer Bericht vom 29.03.2015 samt Übersetzung, wonach die Erstbeschwerdeführerin von mehreren Männern am 27.03.2015 vergewaltigt wurde und starke Prellungen am Kopf, an den Brüsten, am rechten Auge und am rechten Bein erlitten habe;

-

Schreiben der Polizeidirektion Bagdad vom 27.03.2015 samt Übersetzung über die Anzeigeerstattung der Erstbeschwerdeführerin

-

Teilnahmebescheinigung Lehrgang "Basisbildung Oberösterreich" des bfi vom 26.06.2018

-

Anwesenheitsbestätigungen der Volkhilfe bezüglich einer Psychotherapie der Erstbeschwerdeführerin vom 27.04.2018, 10.07.2018, 27.11.2018;

-

Facharzt-Befund einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 08.01.2018

-

Schreiben der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse vom 15.01.2019 über die Bewilligung von 60 Stunden Psychotherapie

9. Mit Schriftsatz vom 05.07.2019, beim Bundesverwaltungsgericht am selben Tag einlangend, wurde die Auflösung der Vertretungsvollmacht der Rechtsvertretung der Beschwerdeführer angezeigt.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.07.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Erstbeschwerdeführerin sowie eine Dolmetscherin für die arabische Sprache teilnahmen. Auf Grund der unmündigen Minderjährigkeit des Zweitbeschwerdeführers war dessen Anwesenheit nicht erforderlich Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Zu ihrem Gesundheitszustand gab die Erstbeschwerdeführerin auf Befragen an, dass sie vergewaltigt worden sei und es ihr daher schlecht gehe. Dazu legte sie einen Befund einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 25.02.2019 sowie einen Kurzarztbrief vom 08.07.2019 sowie eine Therapiebestätigung einer Psychotherapeutin vom 01.07.2019 vor.

Sodann gab die Erstbeschwerdeführerin auf Befragen soweit entscheidungsrelevant zusammengefasst an, dass sie sunnitische Muslimin sei, seit XXXX2015 traditionell und seit XXXX2018 auch standesamtlich von ihrem (Ex-)Ehegatten geschieden sei und seit einem Monat in einer Beziehung lebe. Am 27.03.2015 seien Milizangehörige der Asa¿ib Ahl al Haqq bzw. der Jeish al Mahdi zum Haus der Familie gekommen und hätten es durchsucht. Ihr Bruder und sie seien geschlagen und die Erstbeschwerdeführerin auch vergewaltigt worden. Sie sei deswegen eine Schande für die Familie als auch für die Gesellschaft. Der Familienclan würde das nicht akzeptieren. Am selben Tag habe sie die Nachbarin noch zur Polizei gebracht. Sie habe sich dann Geld von ihr geborgt und habe es die Nachbarin wegen ihrer persönlichen Beziehungen zum Passamt geschafft, für die Erstbeschwerdeführerin einen Reisepass ausstellen zu lassen. Der Zweitbeschwerdeführer habe bereits über einen Reisepass verfügt. Sie sei am 11.04.2015 mit dem Zweitbeschwerdeführer aus dem Irak ausgereist. Obwohl die Erstbeschwerdeführerin nach der Vergewaltigung eine Anzeige gemacht habe, sie kein Urteil ergangen. Sogar der Richter habe ihr davon abgeraten, dies weiter zu verfolgen, da sie sich damit noch mehr in Gefahr gebracht hätte. Warum die Miliz gekommen sei, wisse sie nicht genau. Jedenfalls würden sie den Sunniten angehören und habe ihr Bruder viele Probleme mit der Miliz gehabt. Er habe immer wieder Anrufe erhalten oder es habe an der Tür geklopft. Zur Heirat mit dem Ex-Ehegatten sei es gekommen, da der Bruder sich bei diesem Geld geliehen habe, weshalb der Ex-Ehegatte dann gefordert habe, dass man ihm die Erstbeschwerdeführerin zur Frau gebe. Man habe sie unter der Androhung von Gewalt dazu gezwungen, ihn zu heiraten. Die Hochzeit sei im Juni 2012 gewesen. Der Ex-Ehegatte sei bei einer Spezialeinheit beim Militär gewesen und sei dort verletzt worden. Auch er habe sich deswegen zur Ausreise entschlossen, weshalb sie im September 2014 nach Griechenland gereist seien. Dort habe er ihr den ganzen Schmuck abgenommen und sei unter dem Vorwand, die Erstbeschwerdeführerin nachzuholen, von Griechenland nach Schweden weitergereist und habe die Erstbeschwerdeführerin damals in Griechenland alleine zurückgelassen, sodass sie in den Irak habe zurückkehren müssen. Wo er sich aufhalte wisse sie nicht genau. Jedenfalls glaube eine ehemalige Nachbarin in Bagdad, ihn dort gesehen zu haben. Der Bruder habe immer gewollt, dass sie den Zweitbeschwerdeführer dem (Ex-)Ehegatten bzw. dessen Familie übergebe, damit sie neu verheiratet werden könnte. Der Bruder habe sie immer wieder geschlagen. Der Bruder lebe noch im Irak, jedoch wisse die Erstbeschwerdeführerin nicht wo. Die Mutter lebe in der Türkei. Wo sich die jüngere Schwester aufhalte, wisse sie nicht. Auch diese hätte mit 17 Jahren einen älteren Mann heiraten sollen. Diese habe sich aber geweigert. Die Mutter versuche täglich Kontakt mit der Erstbeschwerdeführerin aufzunehmen, jedoch spreche sie mit ihr maximal einmal die Woche.

In Österreich erledige sie selbstständig ihre Einkäufe. Sie wolle eine Ausbildung zur Pflegehelferin machen. Die Prüfung habe sie bereits geschafft, aber ohne Aufenthaltstitel dürfe sie die Ausbildung nicht machen.

Seitens der erkennenden Richterin wurden die im Akt einliegenden Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat mit Stand 09.04.2019 in das Verfahren eingebracht und die Möglichkeit eingeräumt, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Seitens der Erstbeschwerdeführerin wurde auf die Möglichkeit einer Stellungnahme verzichtet und auch keine Frist zur Stellungnahme beantragt.

Sodann wurde die Entscheidung gemäß § 29 Abs. 2 samt wesentlichen Entscheidungsgründen verkündet und die Rechtsmittelbelehrung erteilt.

Mit Schreiben des Bundesamtes vom 18.07.2019 wurde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige des Irak und Angehörige der Volksgruppe der Araber. Die Erstbeschwerdeführerin bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Ihre Muttersprache ist Arabisch (vgl aktenkundige Kopien des irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises und Personalausweises der Erstbeschwerdeführerin, Untersuchungsbericht des Staatsbürgerschaftsnachweises der Erstbeschwerdeführerin;

Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin vom 30.04.2015, S 1 ff;

Niederschrift des Bundesamtes vom 09.10.2017, S 2 ff;

Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 1 ff).

Die Erstbeschwerdeführerin besuchte im Irak zwölf Jahre die Schule, hat jedoch nicht gearbeitet. Für ihren Lebensunterhalt kam meist ihr Bruder oder ihre Tante mütterlicherseits auf (vgl Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 5).

Die Erstbeschwerdeführerin heiratete im Juni 2012 auf Wunsch ihrer Familie einen den Schiiten zugehörigen irakischen Staatsangehörigen, XXXX, im Irak. Aus dieser Ehe stammt der minderjährige Zweitbeschwerdeführer (vgl etwa Niederschrift des Bundesamtes vom 09.10.2017, S 4 ff; Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 1 ff; darüber hinaus unstrittig).

Der (Ex-)Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin wurde im Mai 2014 im Zuge des Krieges verletzt und reiste im Mai 2014 in die Türkei aus. Die Beschwerdeführer, die Mutter und die Schwester der Erstbeschwerdeführerin reisten einen Monat später ebenfalls in die Türkei aus, wo sie sich bis 01.09.2014 aufhielten. Im September 2014 reiste die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem damaligen Ehegatten weiter nach Griechenland. Den Zweitbeschwerdeführer ließen sie bei den Angehörigen der Erstbeschwerdeführerin in der Türkei zurück. In Griechenland ließ der damalige Ehegatte die Erstbeschwerdeführerin aber ohne Geld und Wertsachen alleine zurück und reiste nach Schweden weiter, sodass die Erstbeschwerdeführerin drei Monate später im November 2014 in den Irak zurückkehrte, wo sie mit dem Zweitbeschwerdeführer wieder im Elternhaus der Erstbeschwerdeführerin mit ihrer Mutter und einem ihrer Brüder in Bagdad Unterkunft nahmen (vgl Niederschrift des Bundesamtes vom 09.10.2017, S 4 ff; Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 1 ff).

Bereits in Griechenland sprach der (Ex-)Ehegatte gegenüber der Erstbeschwerdeführerin 2014 die traditionelle Scheidung aus (vgl Niederschrift des Bundesamtes vom 09.10.2017, S 4 ff). Die tatsächliche traditionelle Scheidung erfolgte über einen Telefonanruf beim zuständigen Scheich am XXXX2015. Inzwischen ist die Erstbeschwerdeführerin auch standesamtlich rechtskräftig in Abwesenheit geschieden (vgl Niederschrift des Bundesamtes vom 09.10.2017, S 4 ff; aktenkundiger Scheidungsbeschluss des Oberrichterstandes, des Präsidiums des Berufungs-Bundesgerichtes in Bagdad XXXXund des Gerichtes für persönliche Angelegenheiten in Bagdad XXXX vom XXXX2018 samt Rechtskraftbestätigung vom XXXX2018 und Beglaubigung vom 30.08.2018 und jeweiliger deutscher Übersetzung; Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 5).

Der Ex-Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin schlug und misshandelte sie immer wieder. Er zwang sie zum Tragen eines Kopftuches. Infolge der Scheidung mussten die Erstbeschwerdeführerin und ihr Sohn wieder bei den damals noch im Irak lebenden Familienangehörigen, darunter die Mutter und einer der beiden Brüder der Erstbeschwerdeführerin, Unterkunft nehmen. Wegen der Ansicht des streng religiösen Bruders der Erstbeschwerdeführerin, sie habe wegen der Scheidung Schande über die Familie gebracht, erlitt die Erstbeschwerdeführerin auch durch ihren Bruder wiederholt häusliche Gewalt. Er gewährte ihr weiters kaum finanzielle Unterstützung, verbot ihr das Haus zu verlassen und wünschte - genauso wie der Ex-Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin vom Ausland aus - die Übergabe des Zweitbeschwerdeführers an die Familie des Ex-Ehegatten. Der Bruder versuchte weiters, die Erstbeschwerdeführerin gegen ihren Willen mit einem anderen Mann zu verheiraten (vgl Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin vom 30.04.2015, S 5 f; Niederschrift des Bundesamtes vom 09.10.2017, S 8 ff; Beschwerdevorbringen vom 22.11.2017 samt Fotos; Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 8 ff).

Am 27.03.2015 fand durch sechs Mitglieder der schiitischen Miliz der Asa-ib Ahl al-Haqq im Haus der Familie in Bagdad eine Durchsuchung statt. In weiterer Folge wurde die Erstbeschwerdeführerin von allen sechs Mitglieder der Miliz vergewaltigt und mit Waffen am ganzen Körper geschlagen. Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin wurde niedergeschlagen, der Bruder wurde bei dem Versuch, die Vergewaltigung zu verhindern, mit einem Messer an der Hand verletzt und auch ein Schuss auf ihn abgegeben, der ihn aber nicht verletzte. Die Erstbeschwerdeführerin wurde infolge des Vorfalles im Krankenhaus behandelt. Auch wurde eine Anzeige bei der Polizei erstattet (vgl Beschwerdevorbringen vom 22.11.2017 samt Fotos; vorgelegte irakische Dokumente samt Übersetzung vom 27.03.2015 und 29.07.2015, darunter medizinischer Bericht und Polizeibericht über die erstattete Anzeige; Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 8 ff).

Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Bereits am 11.04.2015 verließen die Beschwerdeführer auf dem Luftweg den Irak von Bagdad aus in die Türkei in Begleitung eines Bekannten, von wo aus sie weiter schlepperunterstützt nach Europa und bis nach Österreich reisten (vgl Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin vom 30.04.2015, S 3 ff; Niederschrift des Bundesamtes vom 09.10.2017, S 6 ff; Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 8).

Die Erstbeschwerdeführerin hat noch Kontakt zu ihrer ehemaligen Nachbarin in Bagdad über Facebook. Diese meint den Ex-Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin dort gesehen zu haben. Wo sich der Ex-Ehegatte nunmehr konkret aufhält, konnte nicht festgestellt werden (vgl Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 6).

Die Erstbeschwerdeführerin leidet aufgrund der von ihr erlittenen Traumata an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, einer Depression und Schlafstörungen und wird deswegen sowohl psychiatrisch (medikamentös), als auch psychotherapeutisch behandelt (vgl zuletzt in der Verhandlung am 09.07.2019 vorgelegte aktuelle Befunde Dris. XXXX, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom 25.02.2019 und vom 08.07.2019; Therapiebestätigung Dris. XXXX vom 01.07.2019). Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer leidet unstrittig seit seiner Geburt an Asthma (vgl auch Feststellungen im angefochtenen Bescheid des Zweitbeschwerdeführers vom 20.10.2017).

Die Schwester der Erstbeschwerdeführerin lebt seit ungefähr 2007/2008 in Schweden, der zweite Bruder seit 2011 in den USA und ihre Mutter hält sich inzwischen in der Türkei auf und ist krank. Der Vater ist bereits verstorben. Im Irak hat die Erstbeschwerdeführerin lediglich einen Onkel väterlicherseits, zu dem kein Kontakt besteht, sowie zwei Tanten mütterlicherseits und den gewalttätigen zweiten Bruder. Die Tanten leben beide in Bagdad, jedoch ist nur eine davon berufstätig und kann die Beschwerdeführer nicht ausreichend unterstützen. Die zweite Tante ist ebenfalls erkrankt. Der im Irak verbliebene Bruder der Beschwerdeführer lebte zuletzt in Erbil. Zum Bruder im Irak hat die Erstbeschwerdeführerin keinen Kontakt (vgl Niederschrift des Bundesamtes vom 09.10.2017, S 6 ff; Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 5 ff).

In Österreich lebt die Erstbeschwerdeführerin mit dem Zweitbeschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt in einer Flüchtlingsunterkunft und von der Grundversorgung. Sie spricht bereits recht gut Deutsch und hat einen Deutsch-Kurs auf Niveau A2 besucht. Sie bemüht sich aktuell um die Erlangung einer ehrenamtlichen Arbeit im Altenheim. Aktuell strebt sie eine Ausbildung zur Pflegehelferin an und hat den mündlichen Teil der Aufnahmeprüfung geschafft, wurde zum Lehrgang jedoch mangels Aufenthaltstitels nicht zugelassen. Der Zweitbeschwerdeführer wird im Herbst eingeschult (vgl Verhandlungsprotokoll vom 09.07.2019, S 7 und 14 f).

Die Erstbeschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten (vgl aktuelle Einsicht in das Strafregister).

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 09.07.2019 in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20.11.2018 mit aktueller Ergänzung vom 09.04.2019 auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.

Daraus ergibt sich auszugsweise:

"KI vom 9.4.2019, Parlamentswahlen vom 30.12.2018 (relevant für Abschnitt 3. Sicherheitslage)

Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRG) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, uvm.

https://iraq.liveuamap.com/en/time/01.04.2019/ [Karte gelöscht, Anm.]

Seit Sommer 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Irak zurückgegangen. Im Dezember 2018 wurde ein Rekordtief an Sicherheitsvorfällen registriert (Joel Wing 2.1.2019). Anfang 2019 ist diese Zahl wieder leicht angestiegen, wobei die Monate Jänner und Februar in etwa die gleichen Zahlen an Angriffen und Opfern aufweisen (Joel Wing 4.3.2019). Für März 2019 wurde die niedrigste, je vom Irak-Experten Joel Wing registriere Zahl von Sicherheitsvorfällen verzeichnet (Joel Wing 3.4.2019).

Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. (IBC 3.2019).

https://www. iraqbodycount.org/database/ [Karte gelöscht, Anm.]

Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Dezember 2018 sind 155 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im Jänner 2019 wurden von IBC 323 und im Februar 2019 271 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert (IBC 3.2019).

https://www.iraqbodvcount.org/database/ [Tabelle gelöscht, Anm.]

Der Islamische Staat (IS) ist im Irak weitestgehend auf Zellen von Aufständischen reduziert worden, die meist aus jenen Gebieten heraus operieren, die früher unter IS-Kontrolle standen, d.h., aus den Gouvernements Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salahaddin. Laut dem Institute for the Study of War (ISW) werden nur die Distrikte Shirqat und Tuz in Salahaddin, Makhmour in Erbil, Hawija und Daquq in Kirkuk, sowie Kifri und Khanaqin in Diyala als umkämpft angesehen (EASO 3.2019). Das ganze Jahr 2018 über führten IS-Kämpfer Streifzüge nach Anbar, Bagdad und Salahaddin durch, zogen sich dann aber im Winter aus diesen Gouvernements zurück. Die Anzahl der verzeichneten Übergriffe und zivilen Todesopfern sank daher im Vergleich zu den Vormonaten deutlich ab (Joel Wing 2.1.2019).

BAGDAD

Aufständische haben mittlerweile die meisten ihrer Ressourcen aus Bagdad abgezogen, einst das Hauptziel des Terrorismus (Joel Wing 4.3.2019). Im Dezember 2018 wurden 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten (Joel Wing 2.1.2019) verzeichnet, bzw. 17 Tote und drei Verwundete (UNAMI 3.1.2019). Im Jänner 2019 wurden zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten erfasst (Joel Wing 4.2.2019), im Februar dagegen nur noch sieben Vorfälle mit sieben Toten (Joel Wing 4.3.2019) und im März vier Vorfälle mit fünf Toten und fünf verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Dabei handelte es sich meist um Schießereien/Schussattentate in den Vorstädten und Dörfern des Gouvernements (Joel Wing 4.3.2019).

Der IS behielt jedoch eine latente Präsenz nördlich von Bagdad und begann damit seine Unterstützungszone weiter auszubauen (ISW 7.3.2019). Er verfügt in Bagdad und den Bagdad Belts über mehrere aktive Zellen (EASO 3.2019). Der nördliche "Bagdad-Belt" dient dabei als Transferroute von Kämpfern zwischen den Gouvernements Anbar, Salahaddin und Diyala, während das sogenannte "Dreieck des Todes" im südlichen Bagdad-Belt IS-Gruppen in den Gouvernements Anbar, Bagdad und Babil verbindet. Irakische Sicherheitskräfte (ISF) haben seit Dezember 2018 mehrere IS-Kämpfer an Kontrollpunkten entlang der Autobahnen, die das Gouvernement Babil mit Bagdad verbindet, festgenommen und im Februar 2019 180 Personen mit Verbindungen zum IS verhaftet (ISW 7.3.2019).

AUTONOME REGION KURDISTAN (KRG)

In Nordkurdistan setzte die Türkei ihre Angriffe auf PKK-Stellungen fort. Zwei Treffer durch Luftschläge in Ninewa zogen letztlich einen Protest der irakischen Regierung nach sich. Die Türkei gab jedoch bekannt, ihre Aktionen fortführen zu wollen (Joel Wing 2.1.2019). Als Folge eines Luftangriffs, bei dem mutmaßlich einige Zivilisten ums Leben kamen, stürmte eine aufgebrachte Menge einen Posten der türkischen Armee nahe Dohuk, wobei eine Person ums Leben kam und zehn verletzt wurden (BBC 26.1.2019). Im Dezember 2018 wurden zwölf Luftschläge mit 31 Toten registriert (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 elf mit 35 Toten (Joel Wing 4.2.2019) und im März zwei Vorfälle mit 32 Toten und 10 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Zusammenstöße zwischen türkischen Soldaten und kurdischen Kämpfern hatten Todesopfer auf beiden Seiten zur Folge (Joel Wing 26.3.2019). Am 30.3.2019 bombardierte die türkische Luftwaffe erneut PKK-Stellungen im Qandil Gebirge (BAMF 1.4.2019).

Der IS rekrutiert in der kurdischen Autonomieregion (ISW 7.3.2019).

NORD- UND ZENTRALIRAK

In einem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom 1.2.2019 heißt es, dass verbliebene IS-Kämpfer nach wie vor eine Bedrohung im Nord- und Zentralirak (Gouvernements Kirkuk, Ninewa und Salahaddin, sowie Anbar, Bagdad und Diyala) darstellen (UNSC 1.2.2019). Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salahaddin sind dabei das Herzstück der Umgruppierungsbemühungen des IS. Dort werden monatlich auch die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle verzeichnet. Der IS ist beinahe im gesamten ruralen Gebiet dieser Gouvernements aktiv, kann sich Berichten zufolge in einigen Städten nachts völlig frei bewegen und hebt Steuern ein (Joel Wing 3.4.2019). Die Lage in diesen umstrittenen Gebieten hat sich nach dem Abzug der kurdischen Peschmerga 2017 verschärft (Landinfo 8.1.2019). Die Konkurrenz zwischen der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Autonomieregierung, erzeugt in diesen Gebieten zusätzliche Instabilität, die wiederum vom IS ausgenutzt werden kann (ISW 7.3.2019). Sowohl kurdische Streitkräfte als auch Mitglieder der vom Iran unterstützten Volksmobilisierungskräfte (PMF) üben weiterhin in unterschiedlichem Ausmaß Kontrolle und Einfluss aus, was die Zentralregierung in eine prekäre Lage versetzt, da sie sowohl mit zivilen Unruhen, als auch mit Versuchen einer Reorganisation des IS umgehen und gleichzeitig ihre Verbündeten unter Kontrolle halten muss (ACLED 2019).

Insbesondere ländliche Gebiete, das Hamrin-Gebirge, sowie das Diyala-Flussdelta dienen dem IS als Rückzugsorte, von wo bereits im Jahr 2018 ein Großteil der IS-Operationen im Irak ausgegangen sind (Landinfo 8.1.2019). Das Hamrin-Gebirge ermöglicht dabei den Nord-Süd Übergang zwischen den Gouvernements Ninewa und Diyala und bietet dem IS dauerhaften Schutz vor Luftangriffen und Bodenoffensiven (ISW 7.3.2019). Es gelang den irakischen Sicherheitskräften (ISF) bisher trotz umfangreicher Säuberungsaktionen nicht, den IS aus Hawija zu vertreiben (ISW 7.3.2019; vgl. Landinfo 8.1.2019). Zwischen 25. und 27. März wurde eine neuerliche koordinierte Luft- und Bodenoperation durch die Luftwaffe der Koalition und die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gegen den IS im nordwestlichen Irak geführt (OIR 29.3.2019).

Der IS führt seine Operationen hauptsächlich südlich und westlich von Ninewas Hauptstadt Mossul durch (Joel Wing 4.2.2019). Er soll auch in der Stadt über Schläferzellen verfügen, und hat dort zuletzt im Februar 2019 eine Autobombe eingesetzt (ISW 7.3.2019). Seit einigen Wochen fordern IS-Angriffe insbesondere in Ninewa regelmäßig viele Opfer (Joel Wing 1.4.2019). So wurden in der Provinz im Dezember 2018 22 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 36 Toten und 37 Verwundeten registriert, wobei hier elf ältere Leichen eingerechnet wurden, die aus Trümmern der Altstadt von Mossul geborgen wurden. Mit den verbliebenen 25 im Dezember getöteten Personen und 37 Verwundeten verzeichnete die Provinz die meisten Gewaltopfer im Irak im Dezember (Joel Wing 2.1.2019). Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für den Irak nennt für denselben Zeitraum hingegen sieben Tote und 19 Verwundete (UNAMI 3.1.2019). Im Jänner 2019 wurden neun Vorfälle mit 75 Toten und einer verwundeten Person, sowie zwei Massengräberfunde (ältere Gräber aus der Zeit der IS-Herrschaft) mit den Überresten von insgesamt 66 Leichen verzeichnet (Joel Wing 4.2.2019). Im Februar kam es erneut zu einem Anstieg der IS-Aktivitäten, mit 20 Vorfällen mit 147 Toten und 31 Verletzten, wobei wiederum die meisten der Toten auf Funde von Massengräbern älteren Datums zurückgehen (Joel Wing 4.3.2019). Im März wurden elf Vorfälle mit 109 Toten und 53 Verletzten registriert (Joel Wing 3.4.2019).

In Diyala kam es im Dezember 2018 zu 28 sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit insgesamt 15 Toten und 16 Verwundeten, darunter drei Angriffe auf Kontrollpunkte (Joel Wing 2.1.2019), sowie Mörserbeschuss der Stadt Saraya (Joel Wing 10.12.2018). Im Jänner 2019 wurden 32 Vorfälle mit zehn Toten und 21 Verwundeten registriert (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 26 Vorfälle mit acht Toten und 16 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März 17 Vorfälle mit acht Toten und 18 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019).

In Kirkuk wurden im Dezember 17 Vorfälle mit 204 Toten und 16 Verwundeten registriert, wobei 200 Leichenfunde aus einem Massengrab im Distrikt Hawija im Süden Kirkuks miteingerechnet wurden (Joel Wing 2.1.2019). Im Jänner 2019 wurden 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und 31 Verwundeten registriert (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 17 Vorfälle mit 17 Toten und 7 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März 15 Vorfälle mit sieben Toten und sechs Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Die Stämme von Diyala kündigten um Jänner 2019 eine Mobilmachung gegen den IS an, um die Sicherheitskräfte in ihrem Kampf zu unterstützen (Diyaruna 21.1.2019).

In Salahaddin wurden im Dezember acht Vorfälle mit drei Toten und zwei, bzw. drei Verletzten registriert (Joel Wing 2.1.2019; vgl. UNAMI 3.1.2019), im Jänner 2019 14 Vorfälle mit 17 Toten und 36 Verwundeten (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 18 Vorfälle mit 25 Toten und 48 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März acht Vorfälle mit acht Toten und 14 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019).

In Anbar, ist es dem IS wieder gelungen eine Unterstützungszone in der Nähe von Amariyat al- Fallujah einzurichten, von der aus seit August 2018 Angriffe in Fallujah erfolgen (ISW 7.3.2019). Im Dezember 2018 wurden in Anbar acht Vorfälle mit acht Toten und 13 Verwundeten registriert (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 16 Vorfälle mit elf Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 28 Vorfälle mit 46 Toten und 26 Verletzten und im März fünf Vorfälle mit acht Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Der starke Anstieg im Februar wird auf das Einsickern fliehender IS-Kämpfer aus dem benachbarten Syrien zurückgeführt (Joel Wing 4.3.2019).

SÜDIRAK

Am 21.12.2018 setzte die Polizei scharfe Munition und Tränengas ein, um Demonstranten im südirakischen Basra an der Erstürmung eines Regierungsgebäudes zu hindern. Die zweitgrößte Stadt des Landes erlebt seit Juli 2018 ausgedehnte Proteste gegen Korruption, Misswirtschaft, die schlechte Grundversorgung und Arbeitslosigkeit (Guardian 18.7.2018; vgl. Reuters 21.12.2019). Auch 2019 kommt es weiterhin zu häufigen Protesten (Jane's 5.2.2019).

In Qadisiya wurde im Dezember 2018 ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit einer verwundeten Person registriert. In Babil waren es im Dezember 2018 zwei Vorfälle mit sechs Verletzten (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 drei Vorfälle mit sechs Verletzten (Joel Wing 4.2.2019) und im Februar zwei Vorfälle mit zwei Verletzten (Joel Wing 4.3.2019). Im März wurde in Babil ein Vorfall registriert, bei dem zwei Personen getötet wurden (Joel Wing 3.4.2019). In Basra wurden bei einem Zusammenstoß zweier Stämme am 11.3.2019 mindestens drei Menschen getötet und sieben weitere verwundet (Kurdistan 24 12.3.2019).

Quellen:

-

ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2019),

Behind Frenemy Lines: Uneasy Alliances against IS in Iraq, https://www.acleddata.com/2019/03/01/behind-frenemy-lines-uneasy-alliances-against-is-in-iraq/, Zugriff 12.3.2019

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.4.2019): Briefing Notes 1 April 2019, per E-Mail

-

BBC News (29.1.2019): Kurdish protesters storm Turkish military camp in Iraq, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-47015699, Zugriff 13.3.2019

-

Diyaruna (21.1.2019): Diyala tribes mobilise to rout ISIS remnants,

http://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/01/28/feature-02, Zugriff 14.3.2019

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004116/Iraq security situation.pdf, 13.3.2019

-

IBC - Iraq Bodycount (3.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 12.3.2019

-

ISW - Institute for the Study of War (7.3.2019): ISIS Re-Establishes Historical Sanctuary in Iraq, https://iswresearch.blogspot.com/2019/03/isis-re-establishes-historic-sanctuary.html, Zugriff 12.3.2019

-

Jane's 360 (5.2.2019): Protests in Iraq's Basra likely throughout 2019, but security force presence mitigates disruption risk to oil sites,

https://www.janes.com/article/86167/protests-in-iraq-s-basra-likely-throughout-2019-but-security-force-presence-mitigates-disruption-risk-to-oil-sites, Zugriff 13.3.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (10.12.2018): Security In Iraq Dec 1-7, 2018,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/12/security-in-iraq-dec-1-7-2018.html, Zugriff 4.4.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html, Zugriff 12.3.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html, Zugriff 12.3.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-be-coming-out-of.html, Zugriff 12.3.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (26.3.2019): Security In Iraq Mar 15-21, 2019,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/securitv-in-iraq-mar-15-21-2019.html, Zugriff 27.3.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (1.4.2019): Security In Iraq Mar 22-28, 2019,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/security-in-iraq-mar-22-28-2019.html, Zugriff 2.4.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html, Zugriff 4.4.2019

-

Kurdistan 24 (12.3.2019): WATCH: Clashes between Basra tribes kill, injure ten people,

http://www.kurdistan24.net/en/news/5dc59e22-744f-483e-a102-dfe1388e5afd, Zugriff 1.4.2019

-

Landinfo - Norwegian Country of Origin Information Centre (8.1.2019): Temanotat Irak: Diyala provins - sikkerhetssituasjonen per november 2018,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1456258/4792_1547275214_irak-temanotat-diyala-provins-sikkerhetssituasjonen-per-november-2018.pdf, Zugriff 14.3.2019

-

Liveuamap - Live Universal Awareness Map (13.3.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/en/time/13.03.2019, Zugriff 13.3.2019

-

OIR - Operation Inherent Resolve (29.3.2019): Fight is not over:

Iraqi clearances spearhead fight against Daesh in Iraq, https://www.inherentresolve.mil/Media-Library/News-Releases/Article/1799730/fight-is-not-over-iraqi-clearances-spearhead-fight-against-daesh-in-iraq/, Zugriff 1.4.2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten