TE Vwgh Beschluss 1998/10/27 98/05/0097

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Veröffentlicht am 27.10.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §1;
AVG §56;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §73 Abs2;
B-VG Art132;
VwGG §27;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, in der Beschwerdesache des Martin und der Eva Josef in Tulln, beide vertreten durch Dr. Josef Olischar, Rechtsanwalt in Wien I, Museumstraße 4/4, gegen den Gemeinderat der Stadtgemeinde Tulln, vertreten durch Dr. Arnold Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft in Wien I, Wipplingerstraße 10, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Bausache, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben der Stadtgemeinde Tulln insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 12.500.- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Tulln vom 23. Oktober 1996 wurde der auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages gerichtete Antrag der Beschwerdeführer vom 29. Juli 1996 "zur Abmauerung der letzten noch bestehenden Öffnung in der Brandmauer" zwischen ihrem Objekt und dem Stadtsaal der Stadtgemeinde Tulln abgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Tulln vom 16. Jänner 1997 ebenso keine Folge gegeben wie ihrer gegen den Berufungsbescheid erhobenen Vorstellung mit Bescheid der NÖ. Landesregierung vom 2. April 1997. Mit hg. Erkenntnis vom 16. September 1997, Zl. 97/05/0149, wurde der letztgenannte Bescheid der NÖ. Landesregierung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Mit Bescheid der NÖ. Landesregierung vom 23. Oktober 1997 wurde auf Grund des vorzitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes der Vorstellung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Tulln vom 16. Jänner 1997 "stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der Stadtgemeinde Tulln verwiesen".

Auf Grund der NÖ. Bau-Übertragungsverordnung vom 3. Juni 1997, LGBl. 1090/2, wurden auf Grund des § 32 Abs. 4 der NÖ. Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-9, für die Gemeinde Tulln an der Donau ab 1. August 1997 "die Angelegenheiten der örtlichen Baupolizei bei gewerblichen Betriebsanlagen, die einer Genehmigung durch die Gewerbebehörde bedürfen", aus dem eigenen Wirkungsbereich auf die "Bezirkshauptmannschaft Tulln" übertragen. In § 2 dieser Übertragungsverordnung wurden die Angelegenheiten aufgezählt, welche von dieser Übertragungsverordnung ausgenommen sind. Angelegenheiten gemäß §§ 112 f der NÖ. Bauordnung 1976 bzw. Angelegenheiten betreffend die Überprüfung des Bauzustandes nach den §§ 33 ff der NÖ. Bauordnung 1996 sind von den Ausnahmen nicht erfaßt.

Mit Schreiben vom 26. November 1997 hat der Bürgermeister der Stadtgemeinde Tulln im Sinne der vorerwähnten

NÖ. Bau-Übertragungsverordnung den Akt betreffend das mit Antrag der Beschwerdeführer vom 29. Juli 1996 eingeleitete baupolizeiliche Verfahren "mit der Bitte um weitere Veranlassung" an die Bezirkshauptmannschaft Tulln übermittelt.

Mit der am 15. Mai 1998 beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde machen die Beschwerdeführer die Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Gemeinderat der Stadtgemeinde Tulln geltend, weil dieser über die - auf Grund des Bescheides der NÖ. Landesregierung vom 23. Oktober 1997 nunmehr wieder offene - Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Tulln vom 23. Oktober 1996 nicht entschieden hat. Die Beschwerdeführer beantragen eine Sachentscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof dahin, "daß der beantragte Bauauftrag zur Abmauerung der letzten bestehenden Öffnung in der äußeren Brandmauern zwischen den Objekten Brüdergasse 3 und Stadtsaal Tulln (im Bereich der WC-Gruppe des Objektes Brüdergasse 3) gegenüber der Stadtgemeinde Tulln als Eigentümerin des Stadtsaals erlassen wird". Die Beschwerdeführer gehen in ihrer Beschwerde davon aus, daß die Stadtgemeinde Tulln Betreiberin einer "Betriebsanlage" sei (mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 8. Jänner 1992 wurde der Stadtgemeinde Tulln die gewerbebehördliche Genehmigung für die "Gastgewerbe- und Veranstaltungsbetriebsanlage" erteilt).

Gemäß § 6 Abs. 1 AVG hat die Behörde ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.

Ist auf Grund einer Übertragungsverordnung die Zuständigkeit von der Gemeinde auf die Landesbehörden übergegangen, hat über die Berufung gegen einen (vorher) vom Bürgermeister erlassenen Bescheid die Landesregierung zu entscheiden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 92/05/0136).

Ausgehend von dieser Rechtslage ergibt sich, daß der Gemeinderat der Stadtgemeinde Tulln im Beschwerdefall nicht mehr zur Entscheidung über die nunmehr wieder offene Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Tulln vom 23. Oktober 1996 zuständig ist. Es kommt im vorliegenden Fall nicht - wie die Beschwerdeführer in ihrer Stellungnahme vom 17. August 1998 zur Gegenschrift der belangten Behörde ausführen - darauf an, ob die vom Antrag der Beschwerdeführer auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages betroffene Feuermauer für sich allein betrachtet keiner Genehmigung der Gewerbebehörde bedürfe, vielmehr sind von der Übertragung nach § 1 der NÖ. Bau-Übertragungsverordnung alle "Angelegenheiten der örtlichen Baupolizei bei gewerblichen Betriebsanlagen, die einer Genehmigung durch die Gewerbebehörde bedürfen," umfaßt. Daß die hier maßgebliche Feuermauer zum Stadtsaal der Stadtgemeinde Tulln und demnach zu einer gewerblichen Betriebsanlage gehört, welche gewerbebehördlich genehmigt worden ist, wird auch von den Beschwerdeführern nicht in Abrede gestellt.

Bei einer derartig offenkundigen Unzuständigkeit wird aber der Behörde die Möglichkeit eröffnet, durch formlose Verfügung im Sinne des § 6 Abs. 1 AVG vorzugehen. Eine Fallkonstellation, daß über die Frage der Zuständigkeit bescheidmäßig abzusprechen wäre, liegt im Beschwerdefall nicht vor. Es bestehen weder Zweifel über die nach der Rechtslage zuständige Berufungsbehörde, noch haben die Beschwerdeführer in ihrer Beschwerde behauptet, die belangte Behörde sei nach § 6 Abs. 1 AVG vorgegangen und die Beschwerdeführer hätten danach auf einer Zuständigkeitsentscheidung durch die belangte Behörde "beharrt". Die Geltendmachung der Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde in der von den Beschwerdeführern eingebrachten Säumnisbeschwerde vermag in diesem Fall den im Verwaltungsverfahren nicht gestellten Antrag auf Zuständigkeitsentscheidung nicht zu ersetzen (vgl. hiezu die hg. Beschlüsse vom 23. November 1993, Zl. 93/04/0216, und vom 21. September 1994, Zl. 94/03/0130).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ergibt sich, daß die belangte Behörde bezüglich der bei ihr anhängigen Berufung nicht im Sinne des Art. 132 B-VG säumig sein kann, woran auch der Umstand nichts ändert, daß die belangte Behörde die Berufung an die NÖ Landesregierung abzutreten hat (vgl. den hg. Beschluß vom 21. Mai 1991, Zl. 91/12/0034).

Warum die NÖ. Bau-Übertragungsverordnung nicht rechtswirksam sein soll, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Mit Beschluß des Gemeinderates der Stadtgemeinde Tulln vom 29. April 1997 wurde die Erlassung einer solchen Verordnung bei der NÖ. Landesregierung beantragt. Die Kundmachung der Verordnung erfolgte im Landesgesetzblatt des Landes Niederösterreich.

Die vorliegende Säumnisbeschwerde war daher mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. Oktober 1998

Schlagworte

Anspruch auf Sachentscheidung Allgemein Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Instanzenzug Verhältnis zu anderen Materien und Normen VwGG Beschwerdeerhebung an VwGH Verletzung der Entscheidungspflicht Diverses Zurückweisung - Einstellung Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen ohne unnötigen Aufschub Änderung der Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998050097.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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