TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/7 W239 2214728-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.08.2019
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Entscheidungsdatum

07.08.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz 1
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §61

Spruch

W239 2214724-2/6E

W239 2214728-2/7E

W239 2214729-2/8E

W239 2214721-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , und 4.)

XXXX , geb. XXXX , alle StA. Iran, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2019 zu den Zahlen

1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX und 4.) XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als

unbegründet abgewiesen. Gemäß § 21 Abs. 5 erster Satz BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide rechtmäßig war.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin ( XXXX , geb. XXXX ) ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin ( XXXX ) sowie der

volljährigen Drittbeschwerdeführerin ( XXXX , geb. XXXX ) und der

volljährigen Viertbeschwerdeführerin ( XXXX , geb. XXXX ). Alle sind iranische Staatsangehörige. Sie stellten im österreichischen Bundesgebiet am 11.11.2018 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

In Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin als Mutter und die Zweitbeschwerdeführerin als deren minderjährige Tochter liegt ein Familienverfahren vor; die Erstbeschwerdeführerin ist die gesetzliche Vertreterin der Zweitbeschwerdeführerin. Aufgrund der Gleichgelagertheit der Fälle und im Hinblick auf Art. 8 EMRK wird über die Beschwerden der volljährigen Drittbeschwerdeführerin und der volljährigen Viertbeschwerdeführerin in einem entschieden.

2. Es liegen zu den Beschwerdeführerinnen keine EURODAC-Treffer vor. Alle Beschwerdeführerinnen verfügten laut VIS-Abfrage über ein von 15.08.2018 bis 07.09.2018 gültiges Schengen-Visum Typ C, ausgestellt am 23.07.2018 von der italienischen Botschaft in Teheran/Iran.

3. Am 11.11.2018 fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin statt. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin wurde altersbedingt nicht eigens einvernommen; die Angaben der Erstbeschwerdeführerin gelten auch für sie.

Zur Ausreise führten die Beschwerdeführerinnen übereinstimmend aus, sie seien gemeinsam am 15.08.2018 direkt von Teheran nach Italien geflogen, hätten einen Tag in Italien verbracht und könnten nicht sagen, wo sie sich dann die nächsten zwei bis drei Monate aufgehalten hätten. Den Entschluss zur Ausreise hätten sie etwa zwei Wochen vor der tatsächlichen Ausreise gefasst. Dazu erklärte die Erstbeschwerdeführerin weiter, England sei ihr Zielland gewesen, da der Schlepper ihnen dieses Land empfohlen habe; es sei eines der sichersten Länder Europas. Ihr Mann, der sich nach wie vor im Iran aufhalte, habe die Reise gemeinsam mit einem Schlepper organisiert. Der Schlepper habe am Flughafen in Rom auf sie gewartet und sie zu einem Haus gebracht, wo sie übernachtet hätten. Am nächsten Tag seien sie mit dem Zug gefahren und seien in weiterer Folge vom Schlepper zwei bis drei Monate versteckt worden. In dieser Zeit habe der Schlepper ihre Weiterreise nach England organisieren wollen. Vorgestern sei ein anderer Schlepper gekommen und habe ihnen ein Zugticket besorgt; sie hätten bis zur Endstation fahren sollen, seien dann aber von der Polizei aufgegriffen worden. Im Protokoll wurde vermerkt, dass die Beschwerdeführerinnen Zugfahrkarten der ÖBB von Wien nach Köln bei sich hatten. Zu ihrem Aufenthalt in Italien konnten die Beschwerdeführerinnen keine näheren Angaben machen. Die Erstbeschwerdeführerin erklärte, nunmehr in Österreich bleiben zu wollen, da es ihr gesundheitlich nicht so gut gehe.

Als Fluchtgrund gaben die Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen übereinstimmend an, dass die Zweitbeschwerdeführerin (psychisch) krank sei und sich im Iran sogar umbringen habe wollen. Niemand habe mehr helfen können. In dieser Zeit seien sie über Nachbarn mit dem Christentum in Kontakt gekommen. Der Nachbar sei festgenommen und verhaftet worden, sodass sich die Beschwerdeführerinnen zur Ausreise entschlossen hätten, um ihr Leben zu retten. Der Mann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der restlichen Beschwerdeführerinnen sei weiterhin Moslem, er sei nicht in Gefahr und habe das Land daher nicht verlassen müssen.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 14.11.2018 betreffend alle Beschwerdeführerinnen auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestützte Aufnahmeersuchen an Italien.

Italien ließ die Aufnahmeersuchen unbeantwortet. Mit Schreiben vom 15.01.2019 teilte das BFA der italienischen Dublin-Behörde mit, dass gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO Verfristung eingetreten und Italien nunmehr (seit 15.01.2019) zur inhaltlichen Führung der Verfahren zuständig sei.

5. Nach durchgeführter Rechtsberatung und in Anwesenheit einer Rechtsberaterin erfolgte am 24.01.2019 vor dem BFA die niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin.

Die Erstbeschwerdeführerin gab zu ihrem Gesundheitszustand an, dass sie Schilddrüsenprobleme habe und Medikamente nehme. Wegen der ganzen Stresssituation seien die Probleme schlimmer geworden. Sie habe Untersuchungstermine für den 25.01.2019 und den 28.01.2019. Aufgefordert, ihre Erkrankung näher zu beschreiben, erklärte sie, dass sie Stress und Schlafstörungen habe, wenn sie die Dosis der Hormone in ihrem Blut erhöhe. Dadurch werde ihr psychischer Zustand schlechter. Durch eine Überstellung nach Italien werde sich der Stress wieder erhöhen. Aus den Länderinformationen zu Italien wisse sie, dass die medizinische Versorgung in Italien nicht vergleichbar sei mit jener in Österreich. Außerdem bekämen Flüchtlinge nicht so schnell medizinische Versorgung. Wenn sie nicht rechtzeitig behandelt werde, dann werde ihr Leben durch diese Erkrankung in Gefahr sein.

Vorgehalten, dass im Rahmen einer Überstellung medizinisches Personal der italienischen Behörden vor Ort sein werde und notwendige Behandlungen sofort fortgesetzt würden, entgegnete die Erstbeschwerdeführerin, das könne schon sein, aber durch die Krankheit ihrer jüngsten Tochter, nämlich der Zweitbeschwerdeführerin, werde auch ihre eigene Krankheit stressbedingt immer schlimmer und könnte dadurch auch lebensbedrohlich werden.

Aufgefordert, über die Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin zu erzählen, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, ihre Tochter habe bereits im Iran psychische Probleme gehabt und sei dort auch behandelt worden. Wegen der Krise, die sie im Iran gehabt hätten, und wegen der Flucht habe sich ihr Zustand verschlechtert und sie habe hier im Betreuungsquartier sogar zwei Mal versucht, Suizid zu begehen. Sie sei fünf Tage lang stationär im Krankenhaus gewesen. Die Schnitte an ihren Händen könne man sehen; es gebe genug medizinische Unterlagen aus Österreich, damit man sich ein Bild machen könne. Es gebe auch einen Arztbericht von iranischen Ärzten.

Es sei richtig, dass die Zweitbeschwerdeführerin durch die Zuwendung zum Christentum "geheilt" worden sei, aber sie habe auch danach ihre Medikamente genommen. Sie seien vor fast fünf Monaten von Zuhause weggefahren; drei Monate seien sie in einer Schlepperunterkunft gewesen. Es habe einen Vorfall mit der Polizei gegeben. Die deutsche Polizei habe sie festgenommen und seither habe die Zweitbeschwerdeführerin große Angst vor der Polizei. Dadurch sei ihre Heilung "rückgängig gemacht" worden. Sogar im Betreuungsquartier habe sie Angst, wenn die Polizei vorbeikomme.

Über Nachfrage erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass es keine familiären oder besonderen privaten Bindungen zu Österreich gebe.

Der Erstbeschwerdeführerin wurden in weiterer Folge einige Fragen zum fluchtauslösenden Ereignis sowie zur Organisation und Durchführung der Ausreise durch den Schlepper gestellt.

Auf die Frage, ob es konkrete Gründe gebe, die einer Ausweisung nach Italien entgegenstünden, antwortete die Erstbeschwerdeführerin, sie wisse, dass Italien auch ein sicheres Land sei, obwohl sie in Österreich ihren Asylantrag gestellt habe. Seitdem sie hier sei, wisse sie, dass Österreich bessere medizinische Versorgung habe als Italien. Wegen des gesundheitlichen Zustandes ihrer jüngsten Tochter, der Zweitbeschwerdeführerin, lehne sie die Überstellung nach Italien ab, weil sie wisse, dass das Leben ihrer Tochter in Gefahr sei. Die Zweitbeschwerdeführerin habe auch Nierenprobleme und sei deshalb für zehn Tage stationär im Krankenhaus gewesen. Laut den Ärzten solle sie weiterbehandelt werden.

Die anwesende Rechtsberaterin beantragte die Einholung einer Einzelfallzusicherung betreffend die medizinische Versorgung in Italien.

Die Drittbeschwerdeführerin führte vor dem BFA im Wesentlichen aus, dass sie an keinen Krankheiten leide und keine Medikamente benötige. Sie habe in Österreich auch keine familiären oder besonderen privaten Bindungen.

Ihr eigentliches Reiseziel sei England gewesen; das habe der Schlepper gesagt, sie hätten das Ziel nicht selbst entscheiden können. In Italien seien sie nur eine Nacht lang gewesen. Wo sie sich danach aufgehalten hätten, könne sie nicht sagen. Da sie von der deutschen Polizei festgenommen und zurückgeschickt worden seien, hätten sie nicht weiterreisen können und hätten deshalb in Österreich einen Asylantrag gestellt.

Auf die Frage, ob es konkrete Gründe gebe, die einer Ausweisung nach Italien entgegenstünden, antwortete die Drittbeschwerdeführerin, Österreich sei ein sicheres Land, das sei das Wichtigste, deshalb hätten sie hier einen Asylantrag gestellt. Sie hätten in letzter Zeit sehr viel durchgemacht. Ihre Mutter und ihre jüngere Schwester seien krank. Eine Überstellung werde die ganze Situation und deren Zustand verschlimmern. In Österreich seien sie am ersten Tag krankenversichert worden. Sie habe erfahren, dass in Italien der Zugang zu medizinischer Versorgung einige Zeit dauere.

Nachgefragt, ob es abgesehen davon für sie persönlich Gründe gebe, nicht nach Italien überstellt werden zu können, erklärte die Drittbeschwerdeführerin, sie könne sich natürlich nicht von ihrer Familie trennen und alleine nach Italien gehen. Sie könne dort auch nicht alleine zurechtkommen. Jeder wisse, dass in Italien viele Flüchtlinge seien, da könne sie ohne ihre Familie nicht leben.

Des Weiteren wurden der Drittbeschwerdeführerin Fragen zum fluchtauslösenden Ereignis und zu den Erkrankungen ihrer Mutter und ihrer Schwestern gestellt. Auch nach der erfolgten Rückübersetzung wurden von ihr noch einige weitere Fragen zum Fluchtgrund beantwortet.

Zur Familiensituation gab die Drittbeschwerdeführerin über Nachfrage der Rechtsberaterin an, dass sie im Iran gemeinsam mit der gesamten Familie in einem Haushalt gelebt habe. Sie habe zuvor noch nie getrennt von den Familienmitgliedern gelebt.

Die Viertbeschwerdeführerin brachte vor dem BFA im Wesentlichen vor, dass sie eine Hautkrankheit namens Vitiligo habe [Anm. BVwG: genannt auch Weißfleckenkrankheit, Scheckhaut; chronische, nicht ansteckende Hauterkrankung; typisch sind Pigmentstörungen in Form weißer, pigmentfreier Hautflecken, die sich langsam ausweiten können, aber nicht unbedingt müssen.]. Die Krankheit habe einen direkten Zusammenhang mit ihrem Nervensystem und ihrem psychischen Zustand. Sie habe weiße Flecken auf der Haut. In letzter Zeit habe sich das verschlechtert. Außerdem habe sie Magenschmerzen und Magenblutungen gehabt. Sie habe einen Überweisungsschein für eine Untersuchung. Wegen dem heutigen Einvernahmetermin sei sie vorerst noch nicht im Krankenhaus gewesen. Weitere medizinische Unterlagen habe sie nicht. Die Hautkrankheit sei natürlich nicht angenehmen, da sie den ganzen Körper betreffe. Die Magenschmerzen seien auch sehr schlimm gewesen. Ob die Situation lebensbedrohlich sei, könne sie nicht sagen.

Des Weiteren gab die Viertbeschwerdeführerin an, dass sie in Österreich keine familiären oder besonderen privaten Bindungen habe. Befragt zum eigentlichen Reiseziel erklärte sie, der Schlepper haben ihnen gesagt, dass er sie nach England bringen werde. Sie selbst hätten einfach in ein sicheres Land wollen. In Italien hätten sie sich nur eine Nacht lang aufgehalten. Dann seien sie drei Monate lang in einer Unterkunft eines Schleppers gewesen. Erst später am Bahnhof hätten sie erfahren, dass sie in Österreich seien. Sie hätten nach Köln fahren wollen, seien aber von der deutschen Polizei in Passau nach Österreich zurückgeschickt worden. Abgesehen vom nunmehr gegenständlichen Asylantrag habe sie zuvor nirgends sonst um Asyl angesucht.

Auf die Frage, ob es konkrete Gründe gebe, die einer Ausweisung nach Italien entgegenstünden, antwortete die Viertbeschwerdeführerin, sie hätten erst hier in Österreich einen Asylantrag gestellt und sie wolle nun, dass der Antrag auch hier bearbeitet werde. Wegen ihres gesundheitlichen Zustandes wolle sie nicht nach Italien. Ihre jüngere Schwester habe große psychische Probleme und habe hier auch schon zwei Suizidversuche unternommen. Außerdem habe die Viertbeschwerdeführerin Angst wegen ihrer eigenen Krankheit. Sie befürchte, dass sie in Italien nicht behandelt werde.

Nachgefragt, ob es abgesehen von der Sorge um die medizinische Behandlung noch andere Gründe gebe, die gegen Italien sprächen, wiederholte die Viertbeschwerdeführerin, dass sie wegen der jüngeren Schwester das Risiko nicht eingehen könnten. Außerdem gebe es in Italien viele Flüchtlinge und die Versorgung werde nicht so sein wie in Österreich. Sie hätten hier einen Asylantrag gestellt, und nicht in Italien. Hier hätten sie ein Sicherheitsgefühl, in Italien hätten sie das nicht, vor allem, da sie ohne männlichen Begleiter seien.

Zu den aktuellen Länderfeststellungen zu Italien führte die Viertbeschwerdeführerin aus, dass in Italien derart viele Flüchtlinge seien, dass man erst spät Verpflegung und Versorgung bekomme. Sicherheit stehe für sie an erster Stelle und sie hätten hier ein gutes Gefühl. Die jüngere Schwester bereite ihnen Sorgen. Sie wüssten, dass sich ihr psychischer Zustand verschlechtern werde, wenn sie nach Italien zurückmüssten. Wenn die Schwester hierbleibe, werde sie richtig behandelt und versorgt.

Zur Familiensituation gab die Viertbeschwerdeführerin über Nachfrage der Rechtsberaterin an, dass sie immer gemeinsam mit den mitgereisten Familienmitgliedern gelebt habe. Auch der Vater habe immer mit ihnen im gemeinsamen Haushalt gelebt. Sie wolle noch angeben, dass sie mittlerweile so viele Freunde aus der österreichischen Kirchengemeinde hätten, die sie sehr auf ihrem Weg unterstützen würden. Das helfe ihnen sehr.

Die Beschwerdeführerinnen legten diverse medizinische Unterlagen vor, u.a. betreffend die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin einen vorläufiger Entlassungsbrief vom 02.01.2019 (ambulante Behandlung), einen vorläufigen Entlassungsbrief vom 14.01.2019 (stationäre Behandlung von 05.01.2019 bis 14.01.2019) und ein vorläufiger Verlegungsbericht vom 14.01.2019; dennoch wurde seitens des BFA betreffend die Zweitbeschwerdeführerin keine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren (PSY-III-Gutachten) eingeholt, um deren konkreten psychischen Zustand zu ermitteln.

6. Mit Bescheiden des BFA vom 05.02.2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die Beschwerdeführerinnen die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung der Beschwerdeführerinnen nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

7. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführerinnen am 18.02.2019 durch ihren Vertreter Beschwerde. Gleichzeitig wurde der Antrag gestellt, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Inhaltlich wurde im Wesentlichen gerügt, dass das BFA nicht ausreichend auf die gesundheitliche Situation der Beschwerdeführerinnen eingegangen sei. Insbesondere die psychische Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin stehe einer Überstellung der Beschwerdeführerinnen nach Italien entgegen. Betreffend die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin wurde in den Beschwerden darauf hingewiesen, dass diese bisher immer im Familienverband gelebt hätten und daher nicht von der Mutter und der jüngeren Schwestern zu trennen seien.

8. Nach Vorlage der Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht langten folgende weitere Unterlagen ein:

-

Entlassungsbrief vom 14.01.2019 über einen stationären Aufenthalt der Zweitbeschwerdeführerin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Zeitraum von 03.01.2019 bis 05.01.2019.

-

Schreiben einer Klinischen- und Gesundheitspsychologin vom 18.02.2019, aus dem sich unter anderem ergibt, dass aus ärztlicher Sicht die Beschwerdeführerinnen nicht voneinander getrennt werden sollten, sowie, dass für die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin eine psychotherapeutische Behandlung beispielsweise durch eine Familientherapie erfolgen solle.

-

Fachärztliche Stellungnahme vom 26.02.2019, in der betreffend die Zweitbeschwerdeführerin folgende Diagnosen angeführt werden:

"Latente Suizidalität, ha.a. Persönlichkeitsentwicklungsstörung vom emotional instabilen Typ (DD: komplexe Traumafolgestörung)". Die Patientin sei seit 26.02.2019 in ambulanter fachärztlicher Behandlung und sei auf die Warteliste für einen stationären Aufenthalt gesetzt worden, wobei mit einer Wartezeit von zumindest zwei bis drei Monaten zu rechnen sei. Es werde dringend empfohlen, die Patientin vor einer potentiellen Abschiebung (nach Italien) hierorts vorzustellen, da sie mehrfach glaubwürdig gegenüber dem Unterzeichnenden geäußert habe, sich in so einem Falle das Leben zu nehmen. Suizidversuche seien bereits aus der Vorgeschichte bekannt. Weitere fachärztliche Behandlungstermine seien in der Zwischenzeit bis zum stationären Aufenthalt geplant.

9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2019 wurde den Beschwerden gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben; dies vor allem aufgrund noch fehlender Ermittlungen zur abschließenden Beurteilung des Gesundheitszustandes und der Überstellungsfähigkeit der Zweitbeschwerdeführerin.

10. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in weiterer Folge am 03.04.2019 einer Untersuchung zur Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens durch einen allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen unterzogen.

Die vom BFA gestellten Fragen wurden seitens des Gutachters wie folgt beantwortet:

"1.) Leidet die Antragstellerin an einer psychiatrischen Erkrankung?

1. Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion (F43.2)

2. Verdacht auf emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ

3. Vordiagnostizierte bipolare affektive Störung

2.) Wenn zu 1.) ja: Ergibt sich daraus eine dauerhafte medizinische Behandlungsbedürftigkeit (=länger als drei Monate)?

Aufgrund der vorliegenden Krankheitsbilder ist von einer länger dauernden Behandlungsbedürftigkeit (länger als drei Monate) auszugehen.

3.) Wenn zu 2.) nein: Wann besteht voraussichtlich keine weitere medizinische Behandlungsbedürftigkeit?

Siehe Punkt 2.)

4.) Wenn zu 1.) ja: Ist aufgrund der psychischen Erkrankung der Antragstellerin die Durchführung einer Überstellung in ein und in weiterer Folge ein Verbleib im Ankunftsland möglich, ohne dass von einer derartigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes auszugehen ist, dass die Antragstellerin in einen lebensbedrohlichen Zustand gerät, oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichem Ausmaß verschlechtert? (Reisefähigkeit und medizinische Versorgungsnotwendigkeit in Ankunftsland)

Im Falle einer Überstellung der Betroffenen in das Ankunftsland ist eine kurz- bis mittelfristige Verschlechterung des Krankheitsbildes möglich, da in diesem Falle der Wunsch in Österreich bleiben zu dürfen nicht erfüllt werden würde.

Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht besteht im Falle einer Überstellung aber nicht die reale Gefahr, dass die Betroffene aufgrund der psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder die Krankheit sich in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte.

Inwieweit die Betroffene im Ankunftsland tatsächlich einem Bedrohungspotential ausgesetzt ist, kann der medizinische Gutachter nicht beurteilen.

Anzumerken ist, dass die Untersuchte bereits in ihrer Heimat Iran in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung war, damals wurde bereits eine Aufnahme auf eine Fachabteilung vorgeschlagen.

Die Reisefähigkeit ist bei der Betroffenen gegeben, eine weitere medizinische Versorgungsnotwendigkeit im Ankunftsland besteht. Zur Behandlung des Krankheitsbildes kommen weiterhin die gängigen Antidepressiva beziehungsweise Neuroleptika unter Beachtung der Nebenwirkung in Frage, auch diesbezüglich hat die Untersuchte bereits in ihrer Heimat Medikamente erhalten.

5.) Wenn zu 4.) Antwort ja: Welche medizinischen Maßnahmen sind vor, während und nach der Überstellung in ein Ankunftsland erforderlich, um eine derartige Gefährdung weitgehend zu minimieren?

Spezifisch medizinische Maßnahmen sind vor, während und nach der Überstellung in das Ankunftsland nicht erforderlich, empfehlenswert wäre aber die weiterführende medikamentöse Therapie und eine regelmäßige Psychotherapie sowie Kontrollen beim Facharzt.

6.) Ist die Antragstellerin derart orientiert, dass sie in der Lage ist, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen? (Einvernahme/Parteifähigkeit)

Sie ist zeitlich, örtlich, situativ und zur Person orientiert und in der Lage, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen.

7.) Abschiebung und Verbleib (in beiden Fällen Mindesterfordernis) möglich:

Mit medikamentöser Therapie und Psychotherapie."

11. Das Gutachten wurde dem Vertreter der Beschwerdeführerinnen zur Stellungnahme weitergeleitet und es wurde die Zweitbeschwerdeführerin für den 24.04.2019 zu einer mündlichen Einvernahme vor dem BFA geladen. Da sie der Befragung jedoch letztlich nicht beiwohnen konnte, nahm die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin zum Gutachten Stellung. Dabei führte die Erstbeschwerdeführerin zusammengefasst aus, dass es zwischenzeitlich in Zusammenhang mit der Zustellung der Ladung (am 19.04.2019) zu einem weiteren Vorfall gekommen sei, bei dem die Zweitbeschwerdeführerin auf die Straße gelaufen sei und versucht habe, sich umzubringen. Es sei die Rettung gerufen worden und sie sei in ambulanter Behandlung im Krankenhaus gewesen. Es seien ihr sehr starke Medikamente gegeben worden, damit sie schlafe. Sie komme nun gar nicht mehr aus ihrem Zimmer, weil sie Angst habe, und man müsse ihr die Medikamente und das Essen aufs Zimmer bringen. Es werde eine stationäre Behandlung in Aussicht genommen (nächster Termin am 29.04.2019).

Zum Gutachten selbst erklärte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen, dass sie das Ergebnis nicht akzeptieren könne, weil sie sehe, wie sich ihre Tochter verhalte. Sie sei unberechenbar und ihr derzeitiger Zustand sei sehr schlecht. Es sei richtig, dass die Erkrankung der Tochter darauf basiere, dass sie den Iran verlassen hätten. Niemand könne garantieren, dass sich ihre Tochter nicht umbringen werde, wenn sie nach Italien überstellt würden. Die Erstbeschwerdeführer als ihre Mutter mache sich große Sorgen und leide auch an Depressionen; ebenso hätten die weiteren Töchter Depressionen wegen ihrer kleinen Schwester.

12. Mit Eingaben vom 01.05.2019, vom 10.05.2019, vom 20.05.2019 und vom 21.05.2019 legte der Vertreter der Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen Konvolute an Berichten zu Italien und der dortigen Unterbringungssituation vor. Des Weiteren wurde ein psychiatrisches Gutachten betreffend die Erstbeschwerdeführerin vom 07.05.2019 beigebracht ("Psychiatrisches Gutachten im Auftrag des Bezirksgerichtes [...] zur Überprüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Unterbringung oben genannter Patientin").

13. Nach Rückfrage bei der zuständigen Betreuungsstelle am 28.05.2019 wurde dem BFA mitgeteilt, dass derzeit alle vier Beschwerdeführerinnen in der Betreuungsstelle untergebracht seien und sich niemand mehr in stationärer Behandlung befinde.

14. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 29.05.2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die Beschwerdeführerinnen die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung der Beschwerdeführerinnen nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zur Lage in Italien traf das BFA folgende Feststellungen (unkorrigiert und nunmehr gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 26.2.2019, Änderungen bei der Versorgung von Asylwerbern (Salvini-Gesetz) und neuer Circular Letter (relevant für Abschnitt 3/Dublin-Rückkehrer, Abschnitt 6/Unterbringung und Abschnitt 7/Schutzberechtigte)

Mit dem Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; umgangssprachlich als "Salvini-Dekret" bzw. "Salvini-Gesetz" bekannt), sind eine Reihe von Änderungen verbunden, die sich derzeit in Umsetzung befinden und zu denen nun mehr Informationen vorliegen:

Humanitärer Schutzstatus:

Vor der Einführung des neuen Dekrets standen in Italien drei

Schutzformen zur Verfügung: internationaler Schutz, subsidiärer Schutz und humanitärer Schutz. Letzterer wurde für die Dauer von zwei Jahren gewährt, wenn "besondere Gründe", insbesondere "humanitären Charakters" vorlagen. Zwischen 2014 und 2018 war der humanitäre Schutz die häufigste in Italien zuerkannte Schutzform. Nach der neuen Rechtslage ist der Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen an eine restriktive und vor allem taxative Liste von Gründen gebunden, aus denen eine befristete Aufenthaltserlaubnis (unterschiedlicher Dauer) erteilt werden kann:

* für medizinische Behandlung ("cure mediche") (1 Jahr gültig;

verlängerbar);

* Spezialfälle ("casi speciali"):

a) für Opfer von Gewalt oder schwerer Ausbeutung

b) Für Opfer häuslicher Gewalt (1 Jahr gültig);

c) bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland (6 Monate gültig; verlängerbar);

d) in Fällen besonderer Ausbeutung eines ausländischen Arbeitnehmers, der eine Beschwerde eingereicht hat und an einem Strafverfahren gegen den Arbeitgeber mitwirkt;

e) bei Handlungen von besonderem zivilem Wert (zu genehmigen vom Innenminister auf Vorschlag des zuständigen Präfekten) (2 Jahre gültig; verlängerbar);

f) wenn zwar kein Schutz gewährt wurde, der Antragsteller aber faktisch nicht außer Landes gebracht werden kann ("protezione speciale" = non-refoulement).

Die Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde sind nach der neuen Rechtslage nicht mehr für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig. Wenn kein Asylstatus oder subsidiärer Schutz zuerkannt wird, prüfen sie nur noch, ob Gründe gegen eine Ausweisung vorliegen. Ist das der Fall, leiten sie dies an die Quästuren weiter, welche für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig sind. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass ein zu weiter Ermessensspielraum in der Vergangenheit zu einem Ausufern der humanitären Aufenthaltstitel geführt hat (rund 40.000 in den letzten drei Jahren), jedoch zumeist ohne dass eine soziale und berufliche Eingliederung der Betroffenen stattgefunden hätte. Es kommt jedoch zu keiner Aberkennung bestehender humanitärer Titel. Diejenigen, die bereits einen (alten) Titel aus humanitären Gründen zuerkannt bekommen haben, können weiterhin alle damit verbundenen Ansprüche geltend machen. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden jedoch nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch durch rechtzeitigen Antrag nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen, in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2018). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019).

Versorgung:

Weitgehende Änderungen gibt es auch im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge welche mittlerweile ca. 80% des italienischen Unterbringungssystems ausmachen) wird völlig neu organisiert. Künftig wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019).

Die Erstaufnahmeeinrichtungen ("prima accoglienza") werden CAS und CARA ersetzen. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung) sowie ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer. Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet, die bereits durch den italienischen Rechnungshof genehmigt und an die Präfekturen übermittelt wurden. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung/Kontrolle der Einrichtungen obliegt nach wie vor den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministers wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt sei. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand, Vulnerabilität sowie die Familieneinheit finden Berücksichtigung. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen. Integrationsmaßnahmen werden im neuen System nur noch Schutzberechtigten zukommen. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:

-

Unterbringung, Verpflegung

-

Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation

-

notwendige Transporte

-

medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst

-

Hygieneprodukte

-

Wäschedienst oder Waschprodukte

-

Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)

-

Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)

-

Schulbedarf

-

usw.

Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen. In den Spezifikationen sind Personalschlüssel, Reinigungsintervalle, Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner, An-/Abwesenheiten etc. festgelegt. Die Präfekturen sind zu regelmäßigen, unangekündigten Kontrollen berechtigt und verpflichtet (VB 19.2.2019).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI ("Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati" - Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde) und stehen Personen mit internationalem Schutz und unbegleiteten Minderjährigen zur Verfügung sowie Personen, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben ("neue" humanitäre Titel). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschriebenen Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel ("permesso di soggiorno") übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Durch die neuen Vergabekriterien wurde auch auf den Vorwurf reagiert, die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR seien inhomogen und würden keine einheitlichen Standards sicherstellen. Durch die Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen kann seitens der Präfekturen im Rahmen der Vergabeverfahren auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden, wodurch sich die Kosten von € 35/Person/Tag auf € 19-26/Person/Tag senken sollen. Dass eine solche Restrukturierung ohne Einbußen bei der Qualität oder dem Leistungsangebot (so der Vorwurf bzw. die Befürchtung der Kritiker) machbar ist, erscheint angesichts der vorliegenden Unterlagen aus Sicht des VB nachvollziehbar (VB 19.2.2019).

Auch die medizinische Versorgung von Asylwerbern ist weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden ("residenza") nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim "Wohnsitz" zwischen "residenza" und "domicilio" (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des "domicilio" garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte ("tessera sanitaria") möglich, mit welcher sie Zugang zu den Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (MdI 8.1.2019).

Quellen:

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CILD - Coalizione Italiana Libertà e Diritti Civili (1.2.2019):

ANAGRAFE E DIRITTI: COSA CAMBIA COL DECRETO SALVINI. Know Your Rights, https://immigrazione.it/docs/2019/know-your-rights.pdf, Zugriff 26.2.2018

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MdI - Ministero dell'Interno (8.1.2019): Circular Letter, per E-Mail

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VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

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VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

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VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

KI vom 18.12.2018, Sicherheits- und Immigrationsdekret (Salvini-Dekret); Asylstatistik (relevant für Abschnitt2/ Allgemeines zum Asylverfahren; Abschnitt 3/Dublin-Rückkehrer, Abschnitt 6/Unterbringung und Abschnitt 7/Schutzberechtigte)

Das Sicherheits- und Immigrationsdekret des italienischen Innenministers Matteo Salvini ist am 28.11.2018 vom italienischen Parlament endgültig als Gesetz angenommen worden (GF 3.12.2018; vgl. DS 28.11.2018, INT 27.11.2018).

Es sieht eine Reihe von Änderungen im Asylbereich vor. Um die wichtigsten zu nennen: Der humanitäre Aufenthalt, zuletzt die am häufigsten verhängte Schutzform in Italien, wird künftig nur noch für ein Jahr (bislang zwei Jahre) und nur noch als Aufenthaltstitel für "spezielle Fälle" vergeben, nämlich wenn erhebliche soziale oder gesundheitliche Gründe vorliegen, bzw. wenn im Herkunftsland außergewöhnliche Notsituationen herrschen. Schutzberechtigten, die bestimmte Straftaten begehen, kann der Status leichter wieder aberkannt werden. Ebenso können Migranten, denen bereits die italienische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, diese wieder verlieren, wenn sie wegen Terrorismusdelikten verurteilt werden. Die Aufenthaltsdauer in den Abschiebezentren wird von maximal 90 auf 180 Tage verdoppelt. Es wird insgesamt weniger Geld für den Bereich Immigration zur Verfügung gestellt, dafür mehr für die Repatriierung. Das SPRAR-System der Unterbringung soll künftig nur noch für unbegleitete minderjährige Asylwerber und anerkannte Schutzberechtigte zugänglich sein, während andere Asylwerber bis zum Abschluss ihres Verfahrens in den CAS/CARA bleiben sollen. Auch ist vorgesehen, dass besetzte Gebäude geräumt und Besetzer bestraft werden sollen. Italien wird hinkünftig eine Liste sicherer Herkunftsstaaten führen (GF 3.12.2018; vgl. INT 27.11.2018, SO 29.11.2018).

Vulnerable Asylwerber mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger haben demnach keinen Zugang zum SPRAR-System mehr. Diese Personen werden nun im Rahmen des CAS-Systems untergebracht. Das italienische Innenministerium hat hierzu bekannt gegeben, dass für CAS daher neue Ausschreibungsbedingungen ausgearbeitet wurden, die seitens der Präfekturen in Zukunft bindend herangezogen werden müssen. Es steht derzeit noch eine abschließende Prüfung durch den italienischen Rechnungshof aus, daher wurden diese noch nicht veröffentlicht. Seitens des italienischen Innenministeriums wurde jedoch betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt sei. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) komme es zu keiner Kürzung oder Streichung. Lediglich Integrationsmaßnahmen seien in der neuen Systematik Personen mit internationalem Schutz vorbehalten (VB 17.12.2018).

Von der Neuregelung des Aufnahmesystems in Italien sind auch Dublin-Rückkehrer betroffen. Diese werden bereits aktuell nicht mehr im Rahmen des SPRAR-Systems, sondern im CAS untergebracht und laut italienischem Innenministerium kann eine adäquate Unterbringung sichergestellt werden (VB 17.12.2018).

Laut offizieller italienischer Statistik wurden im Jahr 2018 bis zum 14. Dezember 52.350 Asylanträge in Italien gestellt. Mit selbem Datum waren 2018 bereits 53.834 Anträge negativ erledigt (inkl. Unzulässige), 6.852 erhielten Flüchtlingsstatus, 4.132 erhielten subsidiären Schutz, 19.884 erhielten humanitären Schutz. 7.651 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 14.12.2018).

Quellen:

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DS - Der Standard (28.11.2018): Salvini pflügt Italiens Asylrecht radikal um,

https://derstandard.at/2000092626603/Salvini-pfluegt-via-Sicherheitsdekret-italienisches-Asylrecht-um, Zugriff 5.12.2018

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GF - Guida Fisco (3.12.2018): Decreto Sicurezza: riassunto del testo e cosa prevede su immigrazione, https://www.guidafisco.it/decreto-sicurezza-testo-cos-e-cosa-prevede-cambia-salvini-immigrazione-2157, Zugriff 5.12.2018

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MdI - Ministero dell'Interno (14.12.2018): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail

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INT - Internazionale (27.11.2018): Cosa prevede il decreto sicurezza e immigrazione,

https://www.internazionale.it/bloc-notes/annalisa-camilli/2018/11/27/decreto-sicurezza-immigrazione-cosa-prevede, Zugriff 18.12.2018

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SO - Spiegel Online (29.11.2018): Italien verschärft seine Einwanderungsgesetze drastisch, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-italien-verschaerft-seine-einwanderungsgesetze-drastisch-a-1241091.html, Zugriff 5.12.2018

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VB des BM.I Italien (17.12.2018): Bericht des VB, per E-Mail

Allgemeines zum Asylverfahren

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 21.3.2018; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Laut offizieller italienischer Statistik wurden 2018 bis zum 21. September 42.613 Asylanträge in Italien gestellt. Mit selben Datum waren 2018 38.512 Anträge negativ erledigt (inkl. unzulässige),

4.756 erhielten Flüchtlingsstatus, 2.838 erhielten subsidiären Schutz, 17.728 erhielten humanitären Schutz. 5.433 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 21.9.2018).

Die Asylverfahren nehmen je nach Region sechs bis fünfzehn Monate in Anspruch. Wenn Rechtsmittel ergriffen werden, kann sich diese Dauer auf bis zu zwei Jahren erstrecken (USDOS 20.4.2018).

Am 24.9.2018 hat Italiens Regierung ein Dekret verabschiedet, das Verschärfungen im Asylrecht vorsieht. Der Schutz aus humanitären Gründen würde weitgehend abgeschafft werden, besetzte Häuser sollen geräumt werden und deren Bewohnern drohen Haftstrafen. Auch die Regelungen für den Verlust des Schutzanspruchs würden verschärft werden. Das vom Kabinett einstimmig verabschiedete Dekret bleibt unter Juristen jedoch umstritten. Es muss nun vom Präsidenten unterzeichnet und dann innerhalb von 60 Tagen auch noch vom Parlament verabschiedet werden, bevor es in Kraft treten kann. In Anbetracht der umstrittenen Materie, kann es also noch zu einer Abschwächung des Dekrets kommen (NZZ 25.9.2018).

Quellen:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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