Entscheidungsdatum
19.08.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W268 1432606-2/11E
W268 2198515-1/10E
W268 2198521-1/11E
W268 2198526-1/11E
W268 2198524-1/12E
W268 2198518-1/11E
Schriftliche Ausfertigung der am 16.07.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisse
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris GACHOWETZ als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geboren am XXXX , 2) XXXX , geboren am XXXX , 3) XXXX , geboren am
XXXX , 4) XXXX , geboren am XXXX , 5) XXXX , geboren am XXXX und 6)
XXXX , geboren am XXXX , alle StA. Somalia und vertreten durch Mag.a Melanie MATHIE, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1) vom 30.04.2018, Zl. XXXX ,
2) vom 30.04.2018, Zl. XXXX , 3) vom 30.04.2018, Zl. XXXX , 4) 30.04.2018, Zl. XXXX , 5) 30.04.2018, Zl. XXXX und 6) vom 30.04.2018, Zl. XXXX zu Recht:
A) Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1
AsylG, sowie XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX jeweils gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Die beschwerdeführenden Parteien (BF1-BF6) sind somalische Staatsangehörige und Moslems. Der BF1 und die BF2 sind miteinander verheiratet und Eltern der Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer (BF3-BF6). Die BF2 ist die gesetzliche Vertreterin der minderjährigen BF3 bis BF6.
1.2. Der BF1 stellte am 20.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 05.12.2012 wurde der BF1 von der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu seinen Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen. Im behördlichen Verfahren gab der BF1 als Fluchtgrund im Wesentlichen an, er sei somalischer Staatsangehöriger und stamme aus Kismayo. Der BF sei von den Al Shabaab entführt worden und in ein Ausbildungslager gebracht worden. Eines Tages sei dieses Lager von kenianischen Militärflugzeugen angegriffen worden. Im vorherrschenden Chaos sei dem BF die Flucht gelungen. Außerdem drohe dem BF eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zum Minderheitenclan der XXXX
.
1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.01.2013 wurde der Antrag des BF1 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF1 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde dem BF1 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.12.2013 erteilt (Spruchpunkt III). Den jeweiligen Anträgen des BF1 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsbewilligung gemäß § 8 AsylG 2005 wurde zuletzt mit Bescheid des BFA vom 30.04.2018 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.12.2019 erteilt.
Gegen Spruchpunkt I des Bescheides vom 23.01.2013 wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Der Beschwerde wurde stattgegeben und die Angelegenheit im Hinblick auf die inzwischen anhängig gewordenen Asylverfahren der Frau bzw. der Kinder des BF1 mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.02.2017, XXXX , zur Durchführung eines Familienverfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.
Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens wurden mehrere medizinische Befunde in das Verfahren eingebracht, aus welchen hervorgeht, dass der BF1 an Diabetes leidet.
1.4. Die Beschwerdeführer BF2, BF3 und BF4 reisten am 02.11.2015 legal aufgrund eines Einreiseantrags gemäß § 35 AsylG 2005 in Österreich ein und stellten am 04.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie wurden am 17.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Der minderjährige BF5 wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte seine gesetzliche Vertretung am 06.12.2016 für diesen einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Die Beschwerdeführer BF2, BF3, BF4 und BF5 wurden am 09.10.2017 vom BFA zu ihren Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen. Im behördlichen Verfahren gaben die BF2, BF3, BF4 und BF5 im Wesentlichen an, sie hätten keine eigenen Fluchtgründe, sondern würden sich nur auf jene des BF1 beziehen.
1.5. Die minderjährige BF6 wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte durch ihre gesetzliche Vertretung am 01.02.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 27.03.2018 brachte die BF6 durch ihre gesetzliche Vertretung BF2 vor, ihr drohe eine Genitalverstümmelung im Falle einer Rückkehr nach Somalia.
1.6. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2018 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 34 BFA-VG wurde den BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde den BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.12.2019 erteilt (Spruchpunkt III). Bezüglich dem BF1 wurde in Folge der Zurückverweisung nur der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Asylberechtigten abgewiesen (einziger Spruchpunkt I.). Die Fluchtgründe des BF1 erachtete das BFA als nicht glaubwürdig. Im Hinblick auf die betreffend die BF6 vorgebrachte Angst einer Genitalverstümmelung wurde kurz zusammengefasst ausgeführt, dass die Familie aus einer urbanen Region komme und es in der Stadt kein Problem sei, zuzugeben, dass man nicht beschnitten sei.
1.7. Mit Verfahrensordnungen vom 09.05.2018 wurde den BF gemäß § 63 Abs. 2 AVG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
1.8. Mit Schriftsatz vom 12.06.2018 wurde fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der Bescheide erhoben und Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht. Die BF6 habe in der niederschriftlichen Einvernahme vom 27.03.2018 durch ihre Vertreterin eine drohende Genitalverstümmelung vorgebracht. Dies sei bei der behördlichen Entscheidungsfindung nicht ordnungsgemäß berücksichtigt worden. Ebenso die vorgebrachte Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zum Clan XXXX . Bei ordnungsgemäßer Berücksichtigung wäre den BF Asyl zu gewähren gewesen.
1.9. Die Beschwerdevorlagen langten am 18.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden in Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
1.10. Am 16.07.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache, der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer sowie zweier Vertreter des BFA statt. Am Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde eine ärztliche Bestätigung vorgelegt, aus welcher hervorgeht, dass die BF6 nicht beschnitten worden sei und alle Vorsorgeuntersuchungen und empfohlenen Impfungen zeitgerecht durchgeführt worden seien.
1.11. Hinsichtlich des Verfahrensinhaltes sowie des Inhaltes der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Beschwerdeführern
Die BF sind Staatsangehörige Somalias und gehören dem Minderheitenclan der XXXX an. Der BF1 stellte am 20.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF2, BF3 und BF4 stellten am 04.12.2015 den Antrag auf internationalen Schutz. Der BF5 wurde am XXXX in Österreich geboren. Für ihn wurde am 06.12.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt. Die BF6 wurde am XXXX in Österreich geboren. Für sie wurde am 01.02.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Der BF1 und die BF2 genossen im Herkunftsstaat keine nennenswerte Schulbildung. Der BF1 hat keine Schule besucht und ist Analphabet. Die BF2 war lediglich ein Jahr in der Schule und hat sich ihren Angaben nach zu Hause ein bisschen Lesen und Schreiben angeeignet. Die BF2 war immer von ihrem Ehemann bzw. zuvor von ihrer Familie abhängig und war vor ihrer Ausreise aus Somalia Hausfrau. Der BF1 war in Somalia als Metallarbeiter tätig.
Die Familie lebte vor Ausreise des BF1 in Kismayo, wo noch zwei Schwestern der BF2 leben. Zudem lebt auch noch die Mutter der BF2 in Somalia, mit welcher sie auch in Kontakt steht.
Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten und haben keinen Asylausschlussgrund verwirklicht.
Die BF sind in Österreich subsidiär schutzberechtigt und verfügen über eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.12.2019.
1.2. Zum Fluchtvorbringen
Die BF6 wurde keiner weiblichen Genitalbeschneidung unterzogen. Die Mutter sowie die ältere Tochter der Familie, die BF3, sind beschnitten.
Festgestellt wird, dass der BF6 in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität in Form der Gefahr einer Genitalverstümmelung droht, wogegen sie vom somalischen Staat keinen effektiven Schutz erwarten kann. Aufgrund der landesweit üblichen Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung kommt der minderjährigen BF6 auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zu. Es kann weiters nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass die Eltern der BF6, der BF1 und die BF2, im Falle einer Rückkehr nach Somalia in der Lage wären, die BF6 effektiv und nachhaltig vor einer Genitalverstümmelung zu schützen.
1.3. Zur relevanten Situation in Somalia wird festgestellt wie folgt:
Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, CEDOCA 9.6.2016), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, AA 1.1.2017). Nach einer Angabe sind 98% aller Frauen und Mädchen beschnitten (USDOS 3.3.2017), eine andere Quelle nennt eine FGM-Rate (alle Formen von FGM) von 99% in der Altersgruppe von 15-49 Jahren. Dabei ist die hohe Prävalenz nicht auf Somalia beschränkt, sondern betrifft auch ethnische Somali in Kenia und Äthiopien (CEDOCA 9.6.2016).
Zum Alter bei der Beschneidung gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Quelle nennt ein Alter von zehn bis dreizehn Jahren (AA 1.1.2017); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wird die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 3.3.2017). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016). Quellen im Bericht des Danish Immigration Service erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).
Dabei ist vor allem die extremste Form der weiblichen Beschneidung (Infibulation; auch pharaonische Beschneidung/ WHO Typ III) weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Berichtet wird ein Anteil von rund 63% (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.1.2017).
Bei den Benadiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation, sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).
Landesweit bemühen sich die Regierungen, die FGM-Praxis einzuschränken (AA 1.1.2017). Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch (USDOS 3.3.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Auch Medien, Prominente und religiöse Persönlichkeiten werden in die Kampagnen eingebunden. Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation (CEDOCA 9.6.2016). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).
Die Hauptrolle bei der Entscheidung, ob eine Beschneidung stattfindet, liegt in erster Linie bei der Mutter, in geringerem Maße bei der Großmutter. Der Vater spielt bei dieser Entscheidung kaum eine Rolle (CEDOCA 9.6.2016). Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es also auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist dies aber in Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).
Es kann zu psychischem Druck kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Dieser Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016). Aufklärungskampagnen versuchen, Väter mehr in die Sensibilisierung einzubinden, da sie Einfluss auf Mutter und Großmutter ausüben können (CEDOCA 9.6.2016).
Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).
Mädchen, die nicht beschnitten sind, werden in der somalischen Gesellschaft immer noch stigmatisiert. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land. Laut Edna Adan ist es in der Stadt kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land aber würden Eltern dies nicht wagen. Mädchen, die anstatt einer Infibulation mittels Sunna beschnitten wurden, werden oftmals als nicht so rein wie infibulierte Mädchen erachtet (CEDOCA 9.6.2016). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).
2. Frauen
Die Gesundheitsbehörden in Somaliland, UN Organisationen und NGOs bekämpfen die Verbreitung von FGM; diese ist auch gesetzlich verboten. Allerdings hat sich die Tradition in der Gesellschaft kaum verändert - sie ist dort tief verwurzelt. Allerdings hat sich die Schwere des Eingriffs verändert: In vielen Fällen wird nur noch die sogenannte Sunna (WHO Typ II) angewendet (WHO 2012). Die Sunna ist gesetzlich erlaubt (LIFOS 24.1.2014). Einige Familien - vor allem gebildete städtische - haben die FGM-Tradition überhaupt aufgegeben (WHO 2012; vgl. DIS 1.2016). Das Network Against Female Genital Mutilation In Somaliland, in welchem zwanzig Gruppen der Zivilgesellschaft Kampagnen gegen Genitalverstümmelung organisieren, hat u.a. drei Zentren für Betroffene eingerichtet. Das Netzwerk arbeitet mit den somaliländischen Behörden zusammen. Auch mit religiösen Führern wird zusammengearbeitet, damit diese eine fatwa gegen FGM in Somaliland erlassen (UNHRC 28.10.2015).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das BFA, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 12.01.2018 ("LIB 2018-1") bzw. dasselbe LIB vom 12.01.2018, jedoch aktualisiert am 17.09.2018 ("LIB 2018-2") mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten sowie die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage unbedenklicher nationaler Identitätsdokumente bzw. sonstiger Bescheinigungsmittel konnte die Identität der BF nicht festgestellt werden. Soweit diese namentlich genannt werden, dient dies lediglich der Identifizierung der BF als Verfahrensparteien.
Das Datum der Antragstellungen und die Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit sowie der Clanzugehörigkeit der BF ergibt sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF1 und der BF2 sowie aus deren Sprach- und Ortskenntnissen. Diese Angaben, und hier insbesondere auch die Zugehörigkeit der BF zum Minderheitenclan der XXXX , wurden auch vom BFA als glaubhaft gewertet.
Die Feststellung zur (praktisch nicht vorhandenen) Schulbildung des BF1 und der BF2 sowie zur bisherigen Abhängigkeit der BF2 von ihrem Ehemann bzw. ihrer Familie ergeben sich ebenso aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF1 und der BF2. Auch diese Angaben wurden vom BFA nicht in Abrede gestellt.
Die Feststellungen zu den Verwandtschaftsverhältnissen ergeben sich aus den Verwaltungsakten und aus den übereinstimmenden Angaben des BF1 und der BF2 im Laufe des Verfahrens. Die Feststellungen zu den Verwandten und Familienangehörigen in Somalia basieren auf den glaubhaften sowie widerspruchsfreien Angaben der BF2 im Verfahren. Die Feststellungen zu den persönlichen Umständen der BF basieren ebenfalls auf den Angaben des BF1 und der BF2, die nicht angezweifelt werden.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit des BF1, der BF2, der BF3 und des BF4 fußt auf Auszügen aus dem Strafregister vom 15.07.2019. Die Feststellung zur Unbescholtenheit der BF5 und BF6 ergibt sich aus dem Umstand, dass diese strafunmündig sind.
2.2. Die Feststellung zum unversehrten Genitalbereich der BF6 ergibt sich aus der ärztlichen Bestätigung vom 10.07.2019. Die Feststellung, dass die BF2 sowie die BF3 beschnitten wurden, ergibt sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Aussagen der BF2 sowie des BF1.
2.3. Die Feststellung zur drohenden Genitalverstümmelung ergibt sich aus dem Vorbringen der Vertreterin der BF6. Sowohl die BF2 als auch der BF1 gaben zwar in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar an, die Praxis der FGM für ihre Töchter abzulehnen. Jedoch deuten weder der Bildungsgrad noch der wirtschaftliche Hintergrund auf Umstände hin, die die Mutter bzw. den Vater der BF6 im Lichte der relevanten Länderinformationen in die Situation versetzten würden, entsprechend standhaft gegen etablierte Konventionen und Traditionen und auch gegenüber ihrer näheren und weiteren Familie aufzutreten, um eine Genitalbeschneidung der BF6 zu verhindern. Sowohl die Familie der BF2 als auch die Familie des BF1 sind streng mit den somalischen Traditionen verbunden und die Mutter der BF2 hat auch alle ihre eigenen Töchter beschneiden lassen. Ebenso war die Tante des BF1 in die Beschneidung der älteren Tochter des BF1 und der BF2, der BF3, involviert. Sowohl der BF1 als auch die BF2 konnten somit in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck erwecken, eigene Standpunkte gegen die gesellschaftliche Norm erfolgreich vertreten zu können, um eine Genitalverstümmelung der BF6 tatsächlich zu verhindern. Es kann daher ihr Vorbringen, sich gegen eine verfestigte Tradition nicht mit ausreichender Kraft wehren zu können, nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden. Die Umstände der sozialen Verwurzelung der BF2 lassen ihr Vorbringen zudem noch nachvollziehbarer erscheinen.
Die aktuellen Länderberichte informieren darüber, dass FGM in Somalia weit verbreitet ist - die FGM-Rate beträgt zwischen 98 und 99% der somalischen Mädchen und Frauen zw. 15 und 49 Jahren. Zwischen 63 und 80% der betroffenen Frauen und Mädchen werden einer Typ III-Beschneidung unterzogen. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status und sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es kann zu psychischem Druck kommen, damit eine Tochter beschnitten wird.
Wenn sich die Behörde insbesondere im Bescheid auf Aussagen bezieht, dass es äußerst unwahrscheinlich sei, dass eine Beschneidung gegen den Willen der Eltern vorgenommen wird (siehe S. 60 des Bescheids betreffend die BF6), so muss darauf hingewiesen werden, dass dies mittlerweile vom VwGH, 12.12.2018, Ra 2018/19/0293, Ra 2018/19/0439 und Ra 2018/19/0387 überholt ist. Eine derartige Begründung benötigt daher jedenfalls ausführliche und haltbare Feststellungen zur persönlichen Situation der Eltern somalischer Mädchen sowie deren gesellschaftliche und soziale Verwurzelung. In den gegenständlichen Fällen gibt es keine ausreichenden Hinweise aus der Biographie der BF2, die die Annahme einer fehlenden Gefährdung erlauben würden.
Ebenso kann auch das Argument des Vertreters des BFA im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wonach aus den Quellen der Staatendokumentation hervorgehen würde, dass es im urbanen Raum keine Untersuchungen geben würde, ob eine Frau oder ein Mädchen beschnitten sei oder nicht, nicht dazu führen, mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass bei der BF6 keine Gefahr einer Zwangsbeschneidung vorliege, zumal insbesondere noch Verwandte der BF2, nämlich deren Mutter sowie deren Geschwister, in Somalia wohnhaft sind und anzunehmen ist, dass diese ein Interesse daran haben, herauszufinden, ob die BF6 beschnitten ist oder nicht, was bei einem unter zweijährigen Mädchen durch derart nahe Verwandte mitunter leicht feststellbar wäre.
2.4. Hinzu kommt, dass die BF auch dem Minderheitenclan der XXXX angehörten, was auch das BFA nicht in Abrede gestellt hat und somit eine Niederlassung der Familie in einem anderen Teil Somalias, in dem sie keine verwandtschaftlichen Beziehungen haben, auch nicht realistisch bzw. tunlich erscheint. Gegenständlich erlauben daher die Ermittlungsergebnisse aus dem Verfahren nicht, ein entsprechendes Risiko betreffend die BF6, in Somalia eventuell auch gegen den Willen ihrer Eltern einer Genitalbeschneidung unterzogen zu werden, ausreichend auszuschließen. Die Prävalenz von weiblicher Genitalbeschneidung in Südsomalia, der soziale und wirtschaftliche Hintergrund der Familie deutet auf einen entsprechend starken sozialen Druck hin.
2.5. Die Länderfeststellungen gemeinsam mit den Feststellungen zu den persönlichen Umständen der BF erlauben daher die Annahme nicht, dass sich die BF2 gegen einen zweifellos gesellschaftlich und familiär bestehenden Druck ihres Umfelds, an der BF6 eine FGM vornehmen zu lassen, ausreichend standhaft zur Wehr setzen könnte.
2.8. Die Feststellungen zur Situation in Somalia basieren auf dem aktuellen Länderinformationsblatt aus dem Jänner 2018 (neueste, aber hier nicht relevante, Kurzinformation aus dem September 2018) und auf den folgenden Einzelquellen:
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS, Belgien (13.6.2016): Somalië - Defibulatie en herinfibulatie bij geïnfibuleerde vrouwen in Zuid- en Centraal-Somalië
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CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS, Belgien (9.6.2016): Somalië - Vrouwelijke genitale verminking (VGV) in Somaliland en Puntland
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DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/D011EB99-7FB6-4693-921A-8F912F4079CB/0/FGMnotat2016.pdf, Zugriff 21.11.2017
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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017
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LI - Landinfo (14.9.2011): Somalia - Kjønnslemlestelse av kvinner, https://landinfo.no/asset/1747/1/1747_1.pdf, Zugriff 21.11.2017
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LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539, Zugriff 22.11.2017
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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
-
WHO - World Health Organization (2017b): Female genital mutilation and other harmful practices,
http://www.who.int/reproductivehealth/topics/fgm/fgm_infibulated_women_norway/en/, Zugriff 21.11.2017
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) 3.1. Spruchpunkt I.:
Rechtsgrundlagen:
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.
3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat der Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
3.1.4. Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen einer Asylwerberin gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status der Asylberechtigten oder der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jede(r) Asylwerber(in) erhält einen gesonderten Bescheid. Diese Bestimmungen gelten sinngemäß auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (§ 34 Abs. 5 AsylG).
Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.
Darüber hinaus differenziert das Gesetz beim Status der Asylberechtigten jedoch nicht. Weder kennt das Gesetz einen "originären" Status des Asylberechtigten, noch spricht das Gesetz in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur "abgeleiteter" Status zuzuerkennen ist. Im Gegenteil spricht der zweite Satz des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ausdrücklich davon, dass "der" Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist, was nur bedeuten kann, dass der Status der Asylberechtigten an sich (ohne weitere Differenzierung) zuzuerkennen ist. Im Übrigen lässt sich auch der Status-Richtlinie 2011/95/EU eine solche Differenzierung bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entnehmen (vgl. insbesondere deren Art. 13). Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status der Asylberechtigten zu gewähren, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen (vgl. VwGH, 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).
3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständlichen Beschwerden:
3.2.1. Gemäß den Länderinformationen werden etwa 99% der Mädchen und Frauen in Somalia Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung, wobei 63% der Frauen und Mädchen der weitreichendsten Beschneidung, der Infibulation, unterzogen werden. Die minderjährige BF6 wurde einer solchen Genitalverstümmelung noch nicht unterzogen. Es stellt sich somit die Frage, ob sie im Falle einer Rückkehr nach Somalia in konkreter Gefahr wäre, Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung zu werden.
Da die Eltern der BF6 aus Merka stammen bzw. vor ihrer Ausreise in Kismayo gelebt haben, ist diese für sie bestehende Gefahr der weiblichen Genitalverstümmelung in Bezug auf Südsomalia zu prüfen. Im Hinblick auf die oben angeführten relevanten Länderinformationen ist festzuhalten, dass in Bezug auf Somalia grundsätzlich von einer der höchsten Prävalenzraten von FGM weltweit auszugehen ist, von der in Somalia ca. 90 % aller Frauen betroffen sind. Zwischen 60% und 80% davon wurden der invasivsten Form der FGM, einer Typ III Infibulation, unterzogen. Zwar führen die Länderberichte aus, dass primär die Mutter bzw. die Eltern eines Mädchens darüber entscheiden, ob eine FGM durchgeführt werden soll, doch geht ein starker sozialer und gesellschaftlicher Druck von der Umgebung der Familie aus. Dieser Druck betrifft einerseits die Akzeptanz des Mädchens in der Gemeinschaft wie auch ihre Möglichkeit, einen Ehemann zu finden und damit männlichen Schutz in Anspruch nehmen zu können.
Die österreichische Staatendokumentation thematisiert an dieser Stelle, dass es auf die Standhaftigkeit der Mutter ankäme, ob eine Verstümmelung vermieden werden könne. Leichter sei dies wegen der Anonymität in Städten als in ländlichen Gebieten. Eine Mutter, die ihre Tochter nicht beschneiden lassen wolle, stoße in ländlichen Gebieten auf erhebliche Probleme. Doch könne es auch in der Stadt zu großem sozialen und psychischem Druck kommen. Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter einer FGM unterzogen wären, sei nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich.
Laut oben zitiertem Bericht schätzt das UK Home Office dieses Risiko als hoch ein und vermeint, dass der elterliche Widerstand nicht jedenfalls in der Lage sein würde, das Risiko einer Verstümmelung der Tochter durch Verwandte auszuschalten. Es käme in dieser Situation auf das soziale und wirtschaftliche Umfeld der Eltern und der Familie an.
Zu diesem Umfeld ist im gegenständlichen Fall zu sagen, dass die Mutter der BF6 keine Schulbildung genossen hat und keinen Beruf erlernt hat und immer von ihrer Familie bzw. der Familie ihres Mannes abhängig war. Zudem hat auch der BF6, der BF1, gar keine Schulbildung genossen. Die minderjährige BF6 müsste gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern nach Kismayo zurückkehren. Dort lebten bis zu deren Ausreise die Familie und in der ländlichen Umgebung die Verwandtschaft der beschwerdeführenden Parteien. Insbesondere ist an dieser Stelle die Mutter der BF2 zu erwähnen, die Beschneidung von Mädchen generell befürwortet und auch alle ihre eigenen Töchter beschneiden ließ. Obzwar die BF gegenwärtig nur sporadischen Kontakt zu ihren Verwandten haben, ist davon auszugehen, dass diese Kontakte anlässlich einer Rückkehr der Familie nach Somalia automatisch wieder intensiver werden würden. Wie im Rahmen der Beschwerdeverhandlung von der BF2 ausgeführt, fürchtet die Mutter der BF6 (wie auch der Vater) den enormen sozialen Druck der Familie und die Gefahr, dass auch gegen ihren Willen an der BF6 durch Verwandte oder das soziale Umfeld eine Genitalverstümmelung vorgenommen wird. Diese Angaben lassen im Lichte oben angeführter Länderinformationen nicht darauf schließen, dass die Mutter der BF6 standhaft gegen etablierte Konventionen und Traditionen auch gegenüber ihrer näheren und weiteren Familie aufzutreten vermag, um eine Genitalverstümmelung der BF6 hintanzuhalten.
Vor diesem Hintergrund würde sich die minderjährige BF6 im Falle einer Rückkehr in einer Situation wiederfinden, in der nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass ihre Mutter ihre Vorstellungen, ihre Tochter keiner Genitalverstümmelung zu unterziehen, nicht entgegen der gesellschaftlichen Norm würde leben können. Das Umfeld der Mutter der BF6 deutet nicht auf Umstände hin, die die Mutter im Lichte der relevanten Länderinformationen in die Situation versetzen würde, entsprechend standhaft gegen etablierte Konventionen und Traditionen auch gegenüber ihrer Familie und ihres Clans aufzutreten zu können.
Die zuständige Richterin wertet eine FGM als schwere Misshandlung und schwere Körperverletzung mit lebenslangen Folgen für die betroffenen Mädchen und Frauen. Die minderjährige BF6 fällt als weibliche Staatsangehörige Somalias, die noch nicht beschnitten wurde, aufgrund ihres familiären und kulturellen Umfelds in die bestimmte soziale Gruppe von Frauen und Mädchen, die in Somalia einem entsprechend hohen Risiko ausgesetzt sind, Opfer einer FGM zu werden.
Im Hinblick auf das vom Vertreter des BFA in der Verhandlung zitierte Erkenntnis mit der Zahl W211 2136331-1 vom 28.05.2019 ist festzustellen, dass die BF im zitierten Erkenntnis beide eine Schulbildung genossen haben und der Vater der Familie sogar zehn Jahre die Schule besucht hat. Aus diesem Grund ging die Richterin im zitierten Erkenntnis davon aus, dass der Vater der BF im Stande ist, eine Genitalverstümmelung aktiv zu verhindern. Der Fall der BF6 ist jedoch anders gelagert. Hinzu kommt, dass sich im angeführten Erkenntnis auch zahlreiche Widersprüche insbesondere zum Familienstand als auch zur Clanzugehörigkeit ergeben haben, was im hier vorliegenden Fall ebenso nicht der Fall ist, weshalb ein Heranziehen des genannten Erkenntnisses im gegenständlichen Fall zu keiner anderen Lösung führt.
3.2.2. Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht, da diese Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung landesweit praktiziert wird. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Praxis in Somaliland oder Puntland weniger weit verbreitet sei, ist neuerlich darauf hinzuweisen, dass die Familie der minderjährigen BF6 aus Südsomalia stammt und die Möglichkeit einer Niederlassung in Somaliland oder Puntland in Anbetracht mangelnder familiärer Unterstützung oder Mitgliedschaft zu lokalen Clans, äußerst fraglich erscheint. Angesichts der Zugehörigkeit der BF zur Minderheit der XXXX erscheint weiters auch eine allfällige Niederlassung der BF in Mogadischu, wie dies im Bescheid angeführt wurde, äußerst fraglich und unrealistisch. Eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann jedoch insbesondere vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer solchen im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
3.2.3. Von einer Schutzfähigkeit und -willigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden kann nach der aktuellen Berichtslage nicht ausgegangen werden.
3.2.4. Im Lichte der Rechtsprechung des VwGH zum "originären" Asyl kann eine Prüfung des Vorbringens und einer allfälligen Verfolgungsgefahr der BF1 bis BF5 entfallen.
3.2.5. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der BF6 nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG und den BF1 bis BF5 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.2.6. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag der BF6 auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt einer Fremden, der der Status der Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird.
Gemäß § 3 Abs. 4a AsylG gilt oben stehender Abs. 4 in einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 AsylG mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung der Familienangehörigen, von der das Recht abgeleitet wird, richtet. Daher verfügen auch die BF1 bis BF5, die ihr Recht diesfalls auch von der BF6 ableiten, nun über befristete Aufenthaltsberechtigungen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.
Schlagworte
Asylgewährung von Familienangehörigen, FamilienverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W268.1432606.2.00Zuletzt aktualisiert am
17.10.2019