Index
StVONorm
AVG §62 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Dolp und die Hofräte Dr. Jurasek, Mag. Onder, Dr. Närr und Dr. Weiss als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hailzl, über die Beschwerde des Dr. GS in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 2. Februar 1977, Zl. I/7-1683/1-1977, betreffend Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 , zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 3.160,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 2. Februar 1977 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 30. November 1975 gegen 16.58 Uhr im Ortsgebiet von Guntramsdorf als Lenker des dem polizeilichen Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagens auf der Bundesstraße 17 nicht vor der durch Lichtzeichen geregelten Kreuzung dieser Bundesstraße mit der Hauptstraße angehalten, sondern die Kreuzung in südlicher Richtung durchfahren, obwohl die Ampelanlage für die Fahrtrichtung des Beschwerdeführers rotes Licht, welches als Zeichen für "Halt" gelte, angezeigt habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 38 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung 1960 , BGBl. Nr. 159 (StVO), begangen und gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in der Höhe von S 500,-- (72 Stunden Ersatzarreststrafe) verhängt. Als Begründung führt die Niederösterreichische Landesregierung aus, der Beschwerdeführer sei mit dem angefochtenen Straferkenntnis wegen Übertretung nach § 38 Abs. 5 StVO bestraft worden, weil er am 30. Mai 1975 (richtig: 30. November 1975) um 16.58 Uhr als Lenker des dem polizeilichen Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagens in Guntramsdorf, Bundesstraße 17, die geregelte Kreuzung Bundesstraße 17 - Hauptstraße bei Rotlicht der Verkehrsampel durchfahren habe. Gegen dieses Straferkenntnis habe der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung mit der Begründung erhoben, daß er zu dem im Spruch des Straferkenntnisses angeführten Zeitpunkt (30. Mai 1975) nicht in Guntramsdorf gewesen sei und daher auch zu diesem Zeitpunkt die ihm angelastete strafbare Handlung nicht begangen hätte. Darüber hinaus sei hinsichtlich dieser Tat bereits Verfolgungsverjährung eingetreten, da der Beschwerdeführer bisher der Begehung einer Verwaltungsübertretung am 30. Mai 1975 nicht beschuldigt worden sei. Abgesehen von diesen Ausführungen verweise der Beschwerdeführer überdies darauf, daß ihm im gegenständlichen Fall die Rechtswohltat des § 99 Abs. 6 lit. a StVO zugute käme. Der Beschwerdeführer beantrage daher, seiner Berufung Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Strafverfahren einzustellen. Vorerst sei festzustellen, daß der Beschwerdeführer selbst gar nicht bestreite, am 30. November 1975 gegen 16.58 Uhr anläßlich seiner Fahrt auf der Bundesstraße 17 durch das Ortsgebiet von Guntramsdorf in südlicher Richtung, entsprechend den Angaben des Anzeigers die ampelgeregelte Kreuzung mit der Hauptstraße bei rotem Licht für seine Fahrtrichtung übersetzt zu haben. Dieser Sachverhalt sei vom Beschwerdeführer selbst und auch von seiner Mitfahrerin ausdrücklich bestätigt worden. Wenn der Beschwerdeführer in seiner Berufung darauf hinweise, daß er am 30. Mai 1975 keine Übertretung begangen habe, so sei dies zutreffend. Allerdings liege ganz offenkundig ein bloßer Schreibfehler anläßlich der Abfassung des Straferkenntnisses durch die erste Instanz vor. Daß tatsächlich bloß ein Schreibfehler unterlaufen sei, ergebe sich nicht nur aus dem gesamten übrigen Akteninhalt - in diesem scheine als Tag der Begehung ausschließlich der 30. November 1975 auf -, sondern vor allem auch daraus, daß die von der Behörde erster Instanz gegen den Beschwerdeführer am 9. Jänner 1976 wegen des gegenständlichen Vorfalles erlassene Strafverfügung als Tag der Begehung der Übertretung richtigerweise den 30. November 1975 anführe. Die Niederösterreichische Landesregierung habe daher anläßlich der Neufassung des Spruches im Berufungsverfahren diesen Fehler berichtigen können, wobei zu bemerken sei, daß dem Beschwerdeführer sogar vor Erlassung des Berufungsbescheides nachweislich Gelegenheit geboten worden sei, hiezu Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer habe jedoch innerhalb der ihm eingeräumten 14-tägigen Frist keine Stellungnahme eingebracht. Eine Verfolgungsverjährung liege insofern nicht vor, als gegen den Beschwerdeführer wegen der gegenständlichen, am 30. November 1975 begangenen Übertretung innerhalb der in dem § 31 VStG 1950 vorgeschriebenen dreimonatigen Verjährungsfrist eine Verfolgungshandlung, nämlich die am 9. Jänner 1976 erlassene Strafverfügung gesetzt worden sei. Hinsichtlich seines Vorbringens, wonach dem Beschwerdeführer die Rechtswohltat des § 99 Abs. 6 lit. a StVO 1960 zugute käme, stelle die Niederösterreichische Landesregierung feste daß sie diese Rechtsansicht nicht zu teilen vermöge. § 99 Abs. 6 lit. a StVO bestimme, daß eine Verwaltungsübertretung dann nicht vorliege, wenn durch die Tat lediglich Sachschaden entstanden sei und die Bestimmungen über das Verhalten bei dem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden (§ 4 Abs. 5 StVO) eingehalten worden seien. Es handle sich somit bei dieser Bestimmung um eine Spezialnorm, die der Gesetzgeber aus gewissen rechtspolitischen Erwägungen heraus geschaffen habe, um Fahrzeuglenker, die an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt seien und die Vorschriften des § 4 Abs. 5 StVO eingehalten hätten, straflos zu stellen. Der vom Beschwerdeführer vertretenen Ansicht, wonach auf Grund eines Größenschlusses im gegenständlichen Fall keine Verwaltungsübertretung vorliege, könne schon deshalb nicht beigepflichtet werden, weil ein Größenschluß von einem Spezialauf einen Generalfall bzw. vom Besonderen auf das Allgemeine nicht zulässig sei. Würde man der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers folgen, würde dies bedeuten, daß sämtliche Übertretungen straßenpolizeilicher Vorschriften, die nicht in irgendeiner Art und Weise zu einem Verkehrsunfall führten, straflos wären. Daß dies nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen sein könne, ergebe sich schon allein daraus, daß die Absätze 1 - 4 des § 99 StVO zahlreiche Strafnormen für die Ahndung von Übertretungen der Straßenverkehrsordnung beinhalteten. Auch die vom Beschwerdeführer in der Berufung zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Jänner 1970, Zl. 666/69, vermöge für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts zu bringen, da sich dieses Verfahren mit einem Verkehrsunfall, bei welchem eine Person verletzt worden sei, zu befassen gehabt habe, im gegenständlichen Fall jedoch weder ein Verkehrsunfall noch eine Verletzung einer Person vorlägen.
Hinsichtlich der Berufungsausführungen bezüglich des Strafausmaßes sei festzustellen, daß gemäß § 19 VStG 1950 die Strafe innerhalb der Grenze des gesetzlichen Strafsatzes zu bemessen sei, wobei außer den mildernden und erschwerenden Umständen im ordentlichen Verfahren auch die Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen seien. Wenn der Beschwerdeführer darauf hinweise, daß der Umstand, daß er die Übertretung nur fahrlässig begangen hätte, bei der Strafbemessung als Milderungsgrund gewertet und daher auch eine geringere Strafe ausgesprochen hätte werden müssen, so müsse hiezu seitens der Niederösterreichischen Landesregierung festgestellt werden, daß gerade Übertretungen straßenpolizeilicher Vorschriften in der Regel nicht vorsätzlich (auch nicht bedingt vorsätzlich), sondern aus Unachtsamkeit bzw. Fahrlässigkeit begangen werden. Vor allem das Überfahren einer ampelgeregelten Kreuzung bei rotem Licht stelle nach Auffassung der Niederösterreichischen Landesregierung ein äußerst schwerwiegendes Vergehen dar, da durch ein derartiges Verhalten ganz allgemein die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer beeinträchtigt werden könne. Es müsse von jedem Fahrzeuglenker im besonderen verlangt werden, die Lichtzeichen einer durch Ampel geregelten Kreuzung genau zu beachten und sich bei Annäherung an eine Kreuzung vor allem auf die Lichtzeichen zu konzentrieren. Berücksichtige man des weiteren, daß wegen einer Übertretung nach § 38 Abs. 5 StVO 1960 gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe bis zu S 10.000,--, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit Arrest bis zu zwei Wochen, zu verhängen sei, so sei die von der Behörde erster Instanz über den Beschwerdeführer verhängte Geldstrafe nach Auffassung der Niederösterreichischen Landesregierung unter Berücksichtigung der Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschwerdeführers dem Grad seines Verschuldens durchaus angemessen, da bei vorsätzlicher Begehung der Übertretung eine wesentlich höhere Geldstrafe angebracht gewesen wäre.
Gegen diesen Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 2. Februar 1977 richtet sich die vorliegende Beschwerde, worin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, worin sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird zunächst viel Raum der Begründung gewidmet, der § 99 Abs. 6 lit. a StVO - der nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Anwendung komme, wenn die Tat zwar geeignet sei, die Entstehung von Sachschäden zu bewirken, im konkreten Fall jedoch kein Sachschaden entstanden sei - sei wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes verfassungswidrig. Der Beschwerdeführer sei der Auffassung, daß diese Gesetzesstelle nur eine verfassungskonforme Auslegung zulasse, wonach man, davon ausgehend, es sei eine Tat nicht strafbar, wenn "lediglich Sachschaden entstanden ist und die Bestimmungen über das Verhalten bei einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden (§ 4 Abs. 5) eingehalten worden sind", zu dem keineswegs als "vom Besonderen auf das Allgemeine" unzulässigen Schluß kommen müsse, die Tat sei umsoweniger strafbar, wenn nicht einmal Sachschaden entstanden sei, wobei eine Verständigung der nächsten Gendarmerie- und Polizeidienststelle oder ein Nachweis der Identität mangels eines Schadens bzw. Geschädigten unterbleiben könne.
Ganz abgesehen davon, daß gemäß Art. 133 Z 1 B-VG die Angelegenheiten, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes (siehe hier Art. 140 B-VG) gehören, von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen sind, kann der Verwaltungsgerichtshof nur dann einen Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 Satz 1 B-VG stellen, wenn er ein solches Gesetz in einer anhängigen Rechtssache anzuwenden hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Überzeugung nach im vorliegenden Fall den § 99 Abs. 6 lit. a StVO jedoch überhaupt nicht anzuwenden, da die belangte Behörde - von der Annahme des Tatbildes des § 38 Abs. 5 StVO ausgehend - konsequent die Strafbestimmung des § 99 Abs. 3 lit. a StVO angewendet hat. Der § 99 Abs. 6 lit. a StVO bezieht sich nur auf Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen mit bloßem Sachschaden unter der Voraussetzung, daß die Bestimmungen des § 4 Abs. 5 StVO eingehalten worden sind. Auf sonstige Übertretungen der Straßenverkehrsordnung ist diese Gesetzesbestimmung nicht anzuwenden (vgl. von der dem Beschwerdeführer offensichtlich bekannten hg. Rechtsprechung z. B. die Erkenntnisse vom 15. Juni 1972, Zl. 2351/71, vom 30. Jänner 1974, Slg. Nr. 8541/A, und vom 25. April 1975, Zl. 247/74). Die belangte Behörde hat diese Bestimmung zutreffend als lex specialis gewertet. Ergänzend ist noch hinzuzufügen, daß hier wegen der offensichtlichen Bedachtnahme des Gesetzgebers (zumindest vor der Zeit des sogenannten bonus-malus Systems) auf die aus einem - sonst nach der Straßenverkehrsordnung tatbildmäßigen - Verhalten abgeleiteten privatrechtlichen Ansprüche zweifellos eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen ("aus Unterschieden im Tatsächlichen") erfolgt ist (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts2, Seite 331 Abs. 1).
Dem Beschwerdeführer ist entgegen der von ihm in breiter Darstellung geäußerten Auffassung zu erwidern, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Berichtigung nicht nur von der Behörde vorgenommen werden kann, die den fehlerhaften Verwaltungsakt gesetzt hat, sondern in einem Berufungsverfahren auch von der Berufungsbehörde (vgl. z.B. Mannlicher/Quell, Das Verwaltungsverfahren, Erster Halbband8, Seite 332 f und 909). Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer hinsichtlich der beabsichtigten Berichtigung des Datums bzw. Tages der Begehung der Verwaltungsübertretung nachweislich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (Blatt 31 und 32 der vorgelegten Verwaltungsstrafakten). Der Beschwerdeführer hat eine solche jedoch unterlassen.
Weiters bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, wenn die belangte Behörde ihm nun in dem angefochtenen Bescheid erstmals sein Verhalten vor der Kreuzung (das sei nach Annahme der belangten Behörde die gemäß § 38 Abs. 1 StVO maßgebende Stelle) zur Last lege - was für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls welche Verwaltungsübertretung vorliege, entscheidend sei - und zum Gegenstand ihres Bescheides mache, so habe sie die vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren vorgeworfene Tat, nämlich das Durchfahren der Kreuzung bei rotem Licht, durch eine andere, nämlich das Nichtanhalten vor der Kreuzung bei rotem Licht, ersetzt. Dadurch, daß die belangte Behörde die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat ausgewechselt und bei ihrer Entscheidung über den Inhalt des Spruchs des erstinstanzlichen Bescheides hinausgegangen sei, habe sie eine Entscheidung getroffen, die durch die von ihr herangezogene Gesetzesbestimmung des § 66 Abs. 4 AVG 1950 nicht gedeckt sei und dem Grundsatz der Wahrung der instanzenmäßigen Zuständigkeit zuwiderlaufe. Ein solches Vorgehen stelle nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Gesetzesverletzung dar, die den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belaste.
Hier übersieht der Beschwerdeführer vor allem, daß ihm in dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 6. Oktober 1976 ebenfalls die Verwaltungsübertretung nach § 38 Abs. 5 StVO zur Last gelegt wurde. Im übrigen sei bemerkt, daß der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 20. September 1957, Slg. Nr. 4419/A, folgendes ausgesprochen hat:
Unterstellt die Berufungsbehörde eine Tat einer anderen als der von der Vorinstanz herangezogenen Strafnorm, ist eine neuerliche Einvernahme des Beschuldigten dann nicht erforderlich, wenn bei beiden Normen Identität des Rechtsschutzobjektes vorliegt. Eine solche Identität muß im vorliegenden Fall zweifellos bejaht werden. Dem Beschwerdeführer ist nur insofern beizupflichten, daß die Berufungsinstanz dem Berufungswerber nicht einer Tat schuldig erklären darf, die ihm im Verfahren vor der ersten Instanz gar nicht zur Last gelegt worden ist; denn dies wäre eine nach den allgemeinen Grundsätzen unzulässige Entziehung einer Instanz und unter Umständen überdies eine "reformatio in peius" (siehe dazu die von Mannlicher, Das Verwaltungsverfahren7, auf Seite 1025 unter c und d zitierte hg. Rechtsprechung). Der Beschwerdeführer übersieht aber, daß ihm schon in dem Verfahren vor der ersten Instanz nach der Anzeige vom 6. Dezember 1975 zur Last gelegt wurde, noch ca. 5 m von der Kreuzung entfernt gewesen und mit ca. 40 km/h gefahren zu sein, als die Ampel von Gelb- auf Rotlicht umgeschaltet habe.
Schließlich bringt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde habe ihm in dem angefochtenen Bescheid erstmals zur Last gelegt, daß er vor der in Rede stehenden Kreuzung bei rotem Licht nicht angehalten hätte. Da die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben habe, zu diesem für die Verwirklichung eines Tatbestandes einer Verwaltungsübertretung nach § 38 Abs. 5 StVO wesentlichen Sachverhalt Stellung zu nehmen, liege eine Verletzung des Rechtes auf Parteiengehör vor, die die Aufhebung des Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z 3 VwGG 1965 erforderlich mache. Die belangte Behörde habe ihre Entscheidung, was den im Spruch als erwiesen angenommenen Sachverhalt betreffe, damit begründet, daß der Beschwerdeführer selbst gar nicht bestritten habe, die durch Ampel geregelte Kreuzung mit der Hauptstraße bei rotem Licht für seine Fahrtrichtung "übersetzt" zu haben. Der Sachverhalt sei auch durch die Mitfahrerin des Beschwerdeführers ausdrücklich bestätigt worden. Die Sachverhaltsannahme der Begründung des angefochtenen Bescheides verwirkliche nicht das Tatbild einer Verwaltungsübertretung gemäß § 38 Abs. 5 StVO. Da aber die für die Herstellung des Tatbildes entscheidende Feststellung des Spruches des angefochtenen Bescheides, nämlich das Nichtanhalten vor der Kreuzung bei rotem Licht, in dem angefochtenen Bescheid überhaupt nicht begründet werde, erweise sich die Begründung als mangelhaft und unschlüssig, was zur Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führen müsse. Die Annahme des Spruches des angefochtenen Bescheides, daß sich der Personenkraftwagen des Beschwerdeführers noch vor der Kreuzung befunden habe, als die Verkehrsampel bereits rotes Licht gezeigt habe, hätte nur auf die Anzeige vom 6. Dezember 1975 gestützt werden können. Diese Anzeige sei dem Beschwerdeführer nie zur Kenntnis gebracht worden. Wäre dem Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren Gelegenheit gegeben worden, dazu Stellung zu nehmen, hätte er beantragt, eine Lageskizze über den Kreuzungsbereich anfertigen zu lassen und jenen Gendarmeriebeamten, der auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmung die Anzeige erstattet habe, darüber zu vernehmen, wo seiner Meinung nach der Kreuzungsbereich für jene Fahrzeuglenker, die die Kreuzung in südlicher Richtung zu durchfahren beabsichtigten, beginne. Im Hinblick auf den Widerspruch zwischen den Angaben in der Anzeige, wonach sich das Fahrzeug des Beschwerdeführers noch ca. 5 m vor der Kreuzung befunden haben solle, als das rote Licht aufgeleuchtet habe und den Angaben der Zeugin H., denen zufolge die Verkehrsampel rotes Licht erst bei Einfahren in die Kreuzung angezeigt habe, somit die Verkehrsampel für die Fahrtrichtung des Beschwerdeführers unmittelbar vor der Kreuzung noch gelbes Licht angezeigt habe, bestünde nämlich Grund zur Annahme, daß die beiden Genannten verschiedene Straßenstellen als jene angenommen hätten, durch die der Kreuzungsbereich für den von Norden kommenden Fahrzeuglenker begrenzt werde. Sollte der Anzeiger als Begrenzung des Kreuzungsbereiches die gedachte Verlängerung des Fahrbahnrandes der Querstraße und nicht eine vor dieser Linie befindliche Stelle als maßgebend angenommen haben, wofür der Umstand spreche, daß der Beschwerdeführer trotz der eingehaltenen geringen Geschwindigkeit bei Einsetzen des Querverkehres den durch die gedachte Verlängerung der Fahrbahnränder der Querstraße begrenzten Teil des Kreuzungsbereiches bereits übersetzt gehabt habe, so widerspräche eine solche Annahme den tatsächlichen Gegebenenheiten über die Begrenzung des Kreuzungsbereiches. Für die sich in südlicher Richtung bewegenden Fahrzeuge verbreitere sich nämlich die Fahrbahn bereits 18 m vor der gedachten Verlängerung des Fahrbahnrandes der Querstraße und beginne dort eine eigene Fahrspur für den Rechtsabbiegeverkehr in die Querstraße. Etwa 7 m vor der gedachten Verlängerung des Fahrbahnrandes der Querstraße erreiche diese Spur einen Schutzweg, der der Überquerung der Kreuzung durch Fußgänger diene und vom rechten Straßenrand zu einer Schutzinsel führe, die zwischen der Abbiegespur und der übrigen in südlicher Richtung führenden Fahrbahn gelegen sei. Für die Überquerung der übrigen Fahrbahn stehe den Fußgängern ein Schutzweg nicht zur Verfügung, doch seien die Fußgänger ungeachtet des Fehlens eines Schutzweges genötigt, die Fahrbahn dort zu überqueren, weil sich im gesamten Kreuzungsbereich kein Schutzweg befinde, der sich über die ganze Fahrbahnbreite der Bundesstraße 17 erstrecke. Bei dieser örtlichen Situation sei nicht nur der Schutzweg dem Kreuzungsbereich zuzuordnen, sondern auch die auf gleicher Höhe befindliche übrige Fahrbahn. Hieraus hätte sich ergeben, daß der Beschwerdeführer nicht einer Übertretung nach § 38 Abs. 5 StVO, sondern einer Übertretung nach § 38 Abs. 1 StVO schuldig zu erkennen gewesen wäre, was im Zusammenhalt mit der Schuldform, den konkreten Tatumständen und der bisherigen Straflosigkeit des Beschwerdeführers die Verhängung einer geringeren Strafe gerechtfertigt hätte. Somit sei der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben, was den Bescheid gleichfalls mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belaste. Es habe für den Beschwerdeführer trotz der der Partei obliegenden Mitwirkungspflicht deshalb keine Verpflichtung bestanden, die angeführten Behauptungen bereits im Verwaltungsstrafverfahren aufzustellen, weil ihm die Nichtbeachtung des roten Lichtes vor der Kreuzung vor Erlassung des Bescheides der belangten Behörde nicht zum Vorwurf gemacht worden sei. Auf Grund des dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Ergebnisses der Ermittlungsverfahrens, der Aussage der Zeugin H., hätte der Beschwerdeführer nur eine Übertretung nach § 38 Abs. 1 StVO (Nichtbeachtung des gelben Lichtes) schuldig erkannt werden können.
Auf Grund der Aktenlage kommt diesen Ausführungen des Beschwerdeführers Berechtigung zu. Die Verwaltungsstrafakten beginnen nämlich mit der Anzeige vom 6. Dezember 1975, wonach der Gendarm H. am 30. November 1975 gegen 16.58 Uhr an der gegenständlichen Kreuzung in der Verkehrspostenhütte Dienst versah und dabei wahrnahm, daß der Personenkraftwagen des Beschwerdeführers bei Rotlicht die Bundesstraße 17 übersetzte. Dazu wird angeführt, der Lenker des bezeichneten Personenkraftwagens sei noch ca. 5 m von der Kreuzung entfernt gewesen und mit ca. 40 km/h gefahren, als die Ampel von Gelb- auf Rotlicht umgeschaltet habe. Nach dem Bericht der Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Ottakring vom 12. Jänner 1976 bestreite der Beschwerdeführer, der offensichtlich telefonisch befragt worden war, den Sachverhalt. In seinem Einspruch vom 28. Jänner 1976 führte der Beschwerdeführer aus, daß er "die bei der Sackgasse (Hauptstraße) befindliche Ampel bei Rotlicht überfuhr. Meine im Auto mitfahrende Begleiterin machte mich auf diesen Fehler aufmerksam, als ich mich bereits unter der Ampel (somit in der Kreuzung) befand, sodaß ein (auch jähes) Bremsmanöver ein Durchfahren der Kreuzung nicht mehr hätte verhindern können". Die im Wege der Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Penzing vernommene Zeugin H. erklärte im wesentlichen wörtlich: "Es ist richtig, daß wir bei der ersten Kreuzung eingefahren sind, als die Ampel von Gelb- auf Rotlicht umschaltete ..... Ich habe erst im letzten Moment Dr. S. (den Beschwerdeführer) aufmerksam gemacht, daß die VLSA die Kreuzung bereits für uns gesperrt hat ....." Am 15. Juni 1976 berichtete der Kommandant des Gendarmeriepostens Guntramsdorf, der Gendarm H. halte seine in der Anzeige angeführten Angaben vollinhaltlich aufrecht. Darauf ersuchte die Bezirkshauptmannschaft Mödling die Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Ottakring um niederschriftliche Beschuldigteneinvernahme zur Relation des Meldungslegers (gemeint ist damit offensichtlich der zitierte Bericht vom 15. Juni 1976) und Zeugenaussage. Nach der von der ersuchten Behörde mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift vom 2. September 1976 gab der Beschwerdeführer wörtlich an: "Ich habe mir die Zeugeneinvernahme v. 20. 5. 76 durchgelesen. Ich verweise auf meine Angaben im Einspruch v. 28. 1. 1976, die ich zur Gänze aufrecht halte. Die Angaben d. Zeugin H. sind richtig." Nach dieser Niederschrift hat der Beschwerdeführer also weder vollständige Akteneinsicht genommen noch wurde ihm die Anzeige oder der zitierte Bericht vom 15. Juni 1976 vorgehalten. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung aber auch zur Strafbemessung folgendes ausgeführt:
"Nach der Aktenlage fuhr ich am 30. 11. 1975 in die im angefochtenen Straferkenntnis bezeichnete Kreuzung ein, als das Lichtzeichen der Ampel vom gelben Licht auf rotes Licht umgeschaltet wurde. Wie ich in meinem Einspruch gegen die Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 19. 1. 1976 geltend gemacht habe und durch die Beweisaufnahme erwiesen worden ist, habe hiebei jedoch nicht vorsätzlich (auch nicht bedingt vorsätzlich) gehandelt. Obwohl im Hinblick auf die durch das Ermittlungsverfahren erwiesenen konkreten Tatumstände, die dazu führten, daß ich das Lichtzeichen der den Verkehr für die gegenständliche Kreuzung regelnden Ampel fahrlässig übersehen habe, eindeutig mildernde Umstände vorliegen, hat sich die Bezirkshauptmannschaft Mödling im Straferkenntnis mit diesem Sachverhalt überhaupt nicht auseinandergesetzt und entgegen der Aktenlage angenommen, daß Milderungsgründe nicht vorlägen. Unter den gegebenen Umständen erachte ich die verhängte Strafe für zu hoch."
Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ausdrücklich nur zur Stellungnahme hinsichtlich der beabsichtigten Berichtigung des Datums (Tag der Begehung der Verwaltungsübertretung) aufgefordert hat.
Auf Grund des § 37 AVG 1950 ist Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Da sich die belangte Behörde mit den Widersprüchen zwischen Anzeige bzw. Bericht vom 15. Juni 1976 einerseits (§ 38 Abs. 5 StVO), der Aussage der Zeugin H., sowie der Verantwortung des Beschwerdeführers andererseits (§ 38 Abs. 1 StVO) nicht erkennbar auseinandergesetzt und auch den fundamentalen Grundsatz des Parteiengehörs (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 1958, Slg. Nr. 4557/A) verletzt hat - im Hinblick auf das falsche Datum im Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses, wonach der Beschwerdeführer die gegenständliche Kreuzung am 30. Mai und nicht am 30. November 1975 "bei Rotlicht der Verkehrsampel durchfahren" habe, bestand für ihn kein Anlaß von sich aus weitere Akteneinsicht zu nehmen -, ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet worden.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z 3 VwGG 1965 aufzuheben, weil die belangte Behörde bei Einhalten der Vorschrift des § 37 AVG 1950 zu einem anderen Bescheid hätte kommen können - vgl. die zitierten Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Berufung zur Frage der Strafbemessung.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965, in der Fassung des Bundesgesetzes vom 23. Juni 1976, BGBl. Nr. 316, in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 31. Oktober 1977, BGBl. Nr. 542, die auf Grund ihres Art. III Abs. 2 auf den vorliegenden Fall anzuwenden war.
Wien, am 7. Dezember 1978
Schlagworte
Umfang der Abänderungsbefugnis DiversesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1978:1977000859.X00Im RIS seit
15.10.2019Zuletzt aktualisiert am
15.10.2019