Index
E3L E06302000Norm
AVG §13 Abs2Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/04/0119Ra 2018/04/0120Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revisionen der S GMBH in I, vertreten durch die Advokatur Dr. Herbert Schöpf, LL.M., Rechtsanwalt-GmbH in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 34, gegen die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichtes 1. vom 5. April 2018, Zl. W123 2190452- 1/2E (protokolliert zu hg. Ra 2018/04/0116), 2. vom 11. April 2018, Zl. W123 2190452-2/11E (protokolliert zu hg. Ra 2018/04/0119), sowie 3. vom 11. April 2018, Zl. W123 2190452-3/2E (protokolliert zu hg. Ra 2018/04/0120), alle betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Partei jeweils: Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H., vertreten durch die Harrer Schneider Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Jasomirgottstraße 6/5), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revisionen werden als unbegründet abgewiesen.
Die Revisionswerberin hat der mitbeteiligten Partei Aufwandersatz in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 1. Die mitbeteiligte Partei führte als Auftraggeberin einen EU-weiten offenen einstufigen Realisierungswettbewerb mit anschließendem Verhandlungsverfahren für die Vergabe von Generalplanerleistungen betreffend ein näher bezeichnetes Bauvorhaben durch. Die Revisionswerberin reichte eine Wettbewerbsarbeit ein.
2 Mit Schreiben vom 16. März 2018 teilte die Auftraggeberin der Revisionswerberin mit, dass beim gegenständlichen Wettbewerb Architekt M als 1. Preisträger ermittelt worden und beabsichtigt sei, mit diesem in das Verhandlungsverfahren einzutreten. 3 Mit Schriftsatz vom 26. März 2018 beantragte die Revisionswerberin, die Entscheidung der Auftraggeberin vom 16. März 2018 über die Zuweisung des Preisgeldes bzw. der Zahlungen sowie über die Nicht-Zulassung der Revisionswerberin zur Teilnahme am anschließenden Verhandlungsverfahren für nichtig zu erklären. Weiters wurde beantragt, durch einstweilige Verfügung anzuordnen, dass der Auftraggeberin bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Fortsetzung des
gegenständlichen Vergabeverfahrens untersagt werde. Zudem wurde der Antrag gestellt, die Auftraggeberin zum Ersatz der von der Revisionswerberin entrichteten Pauschalgebühren zu verpflichten. Dieser Schriftsatz wurde beim Bundesverwaltungsgericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) am 26. März 2018 um 15:30:48 Uhr eingebracht.
4 2.1. Mit Beschluss vom 5. April 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht (durch Einzelrichter) den Antrag der Revisionswerberin auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß den §§ 328 Abs. 1 und 329 Abs. 1 Bundesvergabegesetz 2006 (BVergG 2006) ab.
5 In seiner Begründung verwies das Bundesverwaltungsgericht auf die Regelung des § 20 der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes (GO-BVwG), der zufolge schriftliche Anbringen nur innerhalb der Amtsstunden (an jedem Arbeitstag von 08.00 Uhr bis 15.00 Uhr) physisch oder elektronisch am Sitz des Bundesverwaltungsgerichtes in Wien eingebracht werden können und nach Ablauf der Amtsstunden eingebrachte schriftliche Anbringen erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstages als eingebracht gelten. Weiters verwies das Bundesverwaltungsgericht auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.11.2015, Ra 2014/01/0198), der zufolge die in § 20 GO-BVwG getroffenen Regelungen auch für im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachte Eingaben maßgeblich seien. Da der gegenständliche Nachprüfungsantrag am letzten Tag der Frist nach Ablauf der Amtsstunden eingebracht worden sei, gelte er erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstages (somit am 27. März 2018) als eingebracht und erweise sich demnach als verspätet. Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei daher mangels Erfolgsaussichten abzuweisen gewesen. 6 2.2. Mit Beschluss vom 11. April 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag der Revisionswerberin auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Auftraggeberin über die Zuweisung des Preisgeldes bzw. der Zahlungen sowie über die Nicht-Zulassung der Revisionswerberin zur Teilnahme am anschließenden Verhandlungsverfahren gemäß § 321 Abs. 1 BVergG 2006 in Verbindung mit § 20 Abs. 6 GO-BVwG zurück.
7 In seinen rechtlichen Erwägungen verwies das Bundesverwaltungsgericht auf die Ausführungen im Beschluss vom 5. April 2018, denen sich der erkennende Senat anschließe. Der Antrag auf Nichtigerklärung sei daher wegen Verfristung zurückzuweisen gewesen.
8 2.3. Mit Beschluss wiederum vom 11. April 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht (durch Einzelrichter) den Antrag der Revisionswerberin auf Pauschalgebührenersatz gemäß § 319 BVergG 2006 ab, weil die zugrunde liegenden Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung bzw. auf Nichtigerklärung einer Auftraggeberentscheidung abgewiesen bzw. zurückgewiesen worden seien.
9 2.4. Die Revision wurde in allen drei genannten Beschlüssen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. 10 3. Die Revisionswerberin erhob gegen diese drei Beschlüsse jeweils Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
11 Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung dieser Beschwerden mit Beschlüssen jeweils vom 27. Juni 2018, E 1933/2018, E 2042/2018 sowie E 2043/2018, abgelehnt, weil die Behauptung der Rechtswidrigkeit der die angefochtenen Beschlüsse tragenden Rechtsvorschriften keine hinreichenden Erfolgsaussichten der Beschwerden begründe.
12 4. Weiters erhob die Revisionswerberin gegen die drei dargestellten Beschlüsse die vorliegenden - im Wesentlichen inhaltsgleichen - außerordentlichen Revisionen. In der Begründung der Zulässigkeit wird vorgebracht, dass bei der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung die Rechtsmittelfristen (nach der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG) unzulässiger Weise verkürzt würden.
13 5. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revisionen begehrt. Sie verweist darin auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge eine am letzten Tag der Revisionsfrist im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs beim Bundesverwaltungsgericht nach Ablauf der Amtsstunden eingebrachte Revision verspätet sei. Die in der Revision aufgeworfene Rechtsfrage der Verkürzung der Rechtsmittelfrist sei somit - unabhängig von der betroffenen Rechtsmaterie - geklärt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 1. Die Revisionen erweisen sich im Hinblick auf die vorgebrachte Verkürzung der Fristen nach der Rechtsmittelrichtlinie zwar als zulässig, allerdings nicht als berechtigt.
15 Soweit die mitbeteiligte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung einen unzutreffenden Revisionspunkt ins Treffen führt, ist dem entgegenzuhalten, dass die Revisionswerberin mit ihrem Vorbringen zur Einhaltung der zehntätigen Rechtsmittelfrist der Sache nach hinreichend klar eine Verletzung in ihrem Recht, es sei über ihren nicht als verspätet anzusehenden Antrag inhaltlich abzusprechen gewesen, geltend macht.
16 2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 100/2011 (§ 13) bzw. BGBl. I Nr. 33/2013 (§ 33), lauten auszugsweise:
"Anbringen
§ 13. (1) (...) Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen. (...)
(2) Schriftliche Anbringen können der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.
(...)
(5) Die Behörde ist nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen oder Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten, und, außer bei Gefahr im Verzug, nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Zeit verpflichtet, mündliche oder telefonische Anbringen entgegenzunehmen. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind im Internet und an der Amtstafel bekanntzumachen.
(...)
§ 32. (1) Bei der Berechnung von Fristen, die nach Tagen bestimmt sind, wird der Tag nicht mitgerechnet, in den der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, wonach sich der Anfang der Frist richten soll.
(...)
§ 33. (...)
(3) Die Tage von der Übergabe an einen Zustelldienst im Sinne des § 2 Z 7 des Zustellgesetzes zur Übermittlung an die Behörde bis zum Einlangen bei dieser (Postlauf) werden in die Frist nicht eingerechnet.
(...)"
17 2.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006), BGBl. I Nr. 17 in der Fassung BGBl. I Nr. 128/2013, lauten auszugsweise:
"Anzuwendendes Verfahrensrecht
§ 311. Soweit in diesem Bundesgesetz und im Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, nichts anderes bestimmt ist, sind die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles in den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach diesem Bundesgesetz sinngemäß anzuwenden.
(...)
Fristen für Nachprüfungsanträge
§ 321. (1) Anträge auf Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung sind bei einer Übermittlung der Entscheidung auf elektronischem Weg oder mittels Telefax sowie bei einer Bekanntmachung der Entscheidung binnen zehn Tagen einzubringen, bei einer Übermittlung auf brieflichem Weg binnen 15 Tagen. Die Frist beginnt mit der Absendung der Entscheidung bzw. mit der erstmaligen Verfügbarkeit der Bekanntmachung.
(...)"
18 2.3. Die maßgeblichen Vorschriften des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017 (§ 21), lauten auszugsweise:
"Geschäftsordnung
§ 19. Die näheren Regelungen über die Geschäftsführung und den Geschäftsgang des Bundesverwaltungsgerichtes sind in der Geschäftsordnung vorzusehen. In der Geschäftsordnung kann insbesondere festgelegt werden, wann (Amtsstunden) und wo (Dienststelle am Sitz, Außenstelle) Schriftsätze beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht werden können. (...)
(...)
§ 21. (1) Die Schriftsätze können auch im Wege des nach diesem Abschnitt eingerichteten elektronischen Rechtsverkehrs wirksam eingebracht werden. (...)
(3) Der Bundeskanzler hat nach Maßgabe der technischen und organisatorischen Möglichkeiten sowie unter Bedachtnahme auf eine einfache und sparsame Verwaltung und eine Sicherung vor Missbrauch die nähere Vorgangsweise bei der elektronischen Einbringung von Schriftsätzen und Übermittlung von Ausfertigungen von Erledigungen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Verordnung zu regeln. (...)
(...)
(6) Nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten sind Rechtsanwälte sowie Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift wird wie ein Formmangel behandelt, der zu verbessern ist.
(...)"
19 2.4. § 1 BVwG-elektronischer-Verkehr-Verordnung (BVwG-EVV), BGBl. II Nr. 515/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 222/2016, lautet auszugsweise:
"Elektronische Einbringung von Schriftsätzen und von Beilagen zu Schriftsätzen
§ 1. (1) Schriftsätze und Beilagen zu Schriftsätzen können nach Maßgabe technischer Möglichkeiten auf folgende Weise elektronisch eingebracht werden:
1.
im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs;
2.
über elektronische Zustelldienste nach den Bestimmungen des 3. Abschnittes des Zustellgesetzes - ZustG, BGBl. Nr. 200/1982;
3.
im Wege des elektronischen Aktes;
4.
im Wege einer standardisierten Schnittstellenfunktion;
5.
mit auf der Website www.bvwg.gv.at abrufbaren
elektronischen Formblättern;
6. mit Telefax.
E-Mail ist keine zulässige Form der elektronischen Einbringung von Schriftsätzen im Sinne dieser Verordnung.
(2) Sofern Rechtsanwälte, Steuerberater oder
Wirtschaftsprüfer Schriftsätze nicht im elektronischen Rechtsverkehr einbringen, haben sie in der Eingabe zu bescheinigen, dass die technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr nicht vorliegen.
(...)"
20 2.5. § 20 der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichte s (GO-BVwG), Beschluss vom 2. Jänner 2014 in der Fassung des Beschlusses vom 4. August 2014, kundgemacht im Internet auf der Homepage des Bundesverwaltungsgerichtes (https://www.bvwg.gv.at/amt stafel), lautet auszugsweise:
"§ 20. Amtsstunden
(1) Die Amtsstunden des Bundesverwaltungsgerichtes sind an jedem Arbeitstag, mit Ausnahme des Karfreitages, des 24. und des 31. Dezember, von 08:00 Uhr bis 15:00 Uhr.
(2) Schriftliche Anbringen (Schriftsätze) können nur innerhalb der Amtsstunden physisch (postalisch, persönlich oder mit Boten) oder elektronisch am Sitz des Bundesverwaltungsgerichtes
in Wien eingebracht werden.
(...)
(6) Schriftliche Anbringen (Schriftsätze), die nach Ablauf der Amtsstunden eingebracht werden, gelten erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstages als eingebracht.
(7) Für die Einbringung von Eingaben (Schriftsätzen) im elektronischen Rechtsverkehr nach § 21 BVwGG gelten die Bestimmungen der BVwG-elektronischer-Verkehr-Verordnung (BVwG-EVV), BGBl. II Nr. 515/2013."
21 2.6. Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. L 395 vom 30.12.1989, S. 33, in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007, ABl. L 335 vom 20.12.2007, S. 31, sowie der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 1, (im Folgenden: Rechtsmittelrichtlinie) lauten auszugsweise:
"Artikel 1
Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren
(1) (...)
Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU beziehungsweise der Richtlinie 2014/23/EU fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f dieser Richtlinie auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können.
(...)
Artikel 2
Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren
(...)
(3) Wird eine gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Stelle in erster Instanz mit der Nachprüfung einer Zuschlagsentscheidung befasst, so sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass der öffentliche Auftraggeber den Vertragsschluss nicht vornehmen kann, bevor die Nachprüfungsstelle eine Entscheidung über einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen oder eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat. Diese Aussetzung endet frühestens mit Ablauf der Stillhaltefrist nach Artikel 2a Absatz 2 und Artikel 2d Absätze 4 und 5.
(...)
Artikel 2a
Stillhaltefrist
(1) Die Mitgliedstaaten legen nach Maßgabe der Mindestbedingungen in Absatz 2 und in Artikel 2c Fristen fest, die sicherstellen, dass die in Artikel 1 Absatz 3 genannten Personen gegen Zuschlagsentscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksame Nachprüfungsverfahren anstrengen können.
(2) Ein Vertrag im Anschluss an die Zuschlagsentscheidung für einen Auftrag oder eine Konzession, der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU oder der Richtlinie 2014/23/EU fällt, darf frühestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem auf die Absendung der Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber folgenden Tag, bei Mitteilung per Fax oder auf elektronischem Weg, oder, falls andere Kommunikationsmittel genutzt werden, entweder frühestens 15 Kalendertage, gerechnet ab dem auf die Absendung der Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter und Bewerber folgenden Tag oder frühestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang der Zuschlagsentscheidung geschlossen werden.
(...)
Artikel 2c
Fristen für die Beantragung einer Nachprüfung
Legt ein Mitgliedstaat fest, dass alle Nachprüfungsanträge gegen Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers, die im Rahmen von oder im Zusammenhang mit einem Vergabeverfahren im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU oder Richtlinie 2014/23/EU ergehen, vor Ablauf einer bestimmten Frist gestellt werden müssen, so beträgt diese Frist mindestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers an den Bieter oder Bewerber abgesendet wurde, falls sie per Fax oder auf elektronischem Weg abgesendet wird, oder, falls andere Kommunikationsmittel verwendet werden, entweder mindestens 15 Kalendertage, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers an den Bieter oder Bewerber abgesendet wurde, oder mindestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers. Der Mitteilung der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers an jeden Bieter oder Bewerber wird eine Zusammenfassung der einschlägigen Gründe beigefügt. Wird ein Antrag auf Nachprüfung in Bezug auf die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der vorliegenden Richtlinie genannten Entscheidungen eingereicht, die keiner besonderen Mitteilungspflicht unterliegen, so beträgt die Frist mindestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der betreffenden Entscheidung.
(...)"
22 3. Unstrittig ist vorliegend, dass die gegenständlich angefochtene Auftraggeberentscheidung der Revisionswerberin am 16. März 2018 mittels Telefax übermittelt worden ist. Die - nach § 321 Abs. 1 BVergG 2006 zehn Tage betragende - Frist für die Einbringung eines Nachprüfungsantrags begann somit am 17. März 2018 zu laufen und endete am 26. März 2018. 23 Nach dem - auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen - § 13 Abs. 5 AVG sind Behörden nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen. Die Amtsstunden des Bundesverwaltungsgerichtes sind nach § 20 der - auf Grund des § 19 BVwGG erlassenen - GO-BVwG an jedem Arbeitstag von 08.00 Uhr bis 15.00 Uhr. Schriftliche Anbringen, die nach Ablauf der Amtsstunden eingebracht werden, gelten erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstages als eingebracht (§ 20 Abs. 6 GO-BVwG). Dies gilt auch für im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachte Eingaben (siehe VwGH 17.11.2015, Ra 2014/01/0198). Ausgehend davon ist der zugrunde liegende, am 26. März 2018 nach Ablauf der Amtsstunden eingebrachte Nachprüfungsantrag als erst mit Beginn der Amtsstunden des 27. März 2018 und somit verspätet eingebracht anzusehen. 24 4.1. Die Revisionswerberin verweist auf Art. 2c der Rechtsmittelrichtlinie, dem zufolge die Frist für die Einbringung eines Nachprüfungsantrages mindestens zehn Kalendertage betragen müsse. Durch die Festlegung der Amtsstunden mit dem Zeitraum 08.00 Uhr bis 15.00 Uhr sowie die Regelung des § 20 Abs. 6 GO-BVwG, der zufolge nach Ablauf der Amtsstunden eingebrachte Anbringen erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstages als eingebracht gelten, werde die zehntätige Rechtsmittelfrist in Widerspruch zum Unionsrecht verkürzt. Da der Rechtsmittelrichtlinie - wie sich aus dem Urteil des EuGH vom 26. November 2015, C-166/14, MedEval, ergebe - unmittelbare Wirkung zukomme, hätte das Bundesverwaltungsgericht die Begrenzung der Amtsstunden (mit 15.00 Uhr) seiner Entscheidung nicht zugrunde legen dürfen.
25 4.2. Die mitbeteiligte Partei bringt zu den aufgeworfenen unionsrechtlichen Bedenken vor, aus dem von der Revisionswerberin herangezogenen Urteil des EuGH lasse sich für die unmittelbare Anwendbarkeit der Rechtsmittelrichtlinie nichts ableiten. Zudem seien die Regelungen der Rechtsmittelrichtlinie auch unionsrechtskonform umgesetzt worden. Nach Art. 2 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinie hätten die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass der Auftraggeber den Vertragsschluss nicht vornehmen könne, bevor die Nachprüfungsstelle eine Entscheidung über den Antrag getroffen habe. Nur durch die Festlegung von Amtsstunden werde sichergestellt, dass der Auftraggeber auch bei einer Einbringung des Nachprüfungsantrags am letzten Tag der Frist rechtzeitig - vor Ablauf der Stillhaltefrist - davon informiert und somit die Effektivität des Rechtsschutzes gewährleistet werde. Wäre die Einbringung eines Nachprüfungsantrags am letzten Tag der Frist bis 24.00 Uhr zulässig, könnte der Auftraggeber unmittelbar nach Ablauf der Stillhaltefrist (ungeachtet eines eingebrachten Nachprüfungsantrags) den Zuschlag erteilen. Dies würde der Rechtsmittelrichtlinie ihre Wirksamkeit nehmen.
26 5. Zum Vorbringen der Revisionswerberin ist Folgendes anzumerken:
27 5.1. Mit den Regelungen des § 20 Abs. 2 und 6 GO-BVwG, an die in § 13 Abs. 2 und 5 AVG angeknüpft wird, legt das Bundesverwaltungsgericht fest, zu welchen Zeiten es zur Entgegennahme schriftlicher Anbringen bereit ist bzw. wann außerhalb der Amtsstunden eingebrachte Anbringen als eingebracht gelten. Diese Regelungen haben ihrem Wesen nach allerdings keine Verkürzung der Rechtsmittelfrist des § 321 Abs. 1 BVergG 2006 als solche zur Folge. Dies ist zunächst vor dem Hintergrund der Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 3. März 2014, G 106/2013, zu sehen, denen zufolge die organisatorischen Beschränkungen des elektronischen Verkehrs und die Festlegung der Amtsstunden, während derer eine Behörde zur Entgegennahme von schriftlichen Anbringen verpflichtet ist, eine Angelegenheit des Verwaltungsorganisationsrechts und nicht des Verwaltungsverfahrensrechts sind. Eine organisationsrechtliche Festlegung von Amtsstunden in einer Geschäftsordnung kann daher innerstaatlich nicht als Verkürzung einer verfahrensrechtlichen Frist angesehen werden. Zudem ist auf die Regelung des § 33 Abs. 3 AVG hinzuweisen, der zufolge die Tage von der Übergabe an einen Zustelldienst im Sinn des § 2 Z 7 des Zustellgesetzes zur Übermittlung an die Behörde bis zum Einlangen bei dieser (Postlauf) in die verfahrensrechtliche Frist nicht eingerechnet werden. Erfolgt die Übermittlung eines Anbringens somit im Wege eines Zustelldienstes, kommt es nicht auf das Einlangen des Anbringens bei der Behörde, sondern auf die Übergabe an den Zustelldienst an (siehe eingehend dazu Hengstschläger/Leeb, AVG I2 (2014) § 33 Rz. 3 ff, mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des VwGH). Die Regelungen über die Amtsstunden bzw. die Bereitschaft zur Entgegennahme von schriftlichen Eingaben in zeitlicher Hinsicht betreffen somit nicht alle, sondern nur bestimmte Formen der Übermittlung von Eingaben.
28 5.2. Die von der Revisionswerberin begründend ins Treffen geführte Regelung der Nachprüfungsfristen in der Rechtsmittelrichtlinie sieht zwar Mindestfristen vor, enthält aber keine Vorgaben dahingehend, in welcher Weise bzw. zu welchen Zeiten die Nachprüfungsstelle dafür Vorsorge zu tragen hat, zur Entgegennahme von Eingaben empfangsbereit zu sein.
29 Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Modalitäten für das Verwaltungsverfahren und das Gerichtsverfahren zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Verfahrensmodalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (siehe EuGH 6.10.2015, C-61/14, Orizzonte Salute, Rn. 46, mwN).
30 Den Mitgliedstaaten kommt hinsichtlich der Festlegung von Amtsstunden und der Bereitschaft zur Entgegennahme von Eingaben im Zusammenhang mit vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren somit kein unbeschränkter Gestaltungsspielraum zu. Die praktische Wirksamkeit der Rechtsschutzregelungen der Rechtsmittelrichtlinie darf durch derartige Festlegungen nicht beeinträchtigt werden. 31 5.3. Durch die konkret erfolgten Regelungen in § 20 GO-BVwG gelten Anbringen, die - und sei es am letzten Tag der Frist - nach 15.00 Uhr eingebracht werden, erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstages als eingebracht. Dass durch diese zeitliche Ausgestaltung die Ausübung der durch die Rechtsmittelrichtlinie eingeräumten Rechte übermäßig erschwert würde, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen.
32 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Amtsstundenregelung bei einer Einbringung im Wege eines Zustelldienstes im Sinn des § 2 Z 7 Zustellgesetz nicht maßgeblich ist, weil es nach § 33 Abs. 3 AVG diesfalls auf die Übergabe an den Zustelldienst ankommt. Zwar sind Rechtsanwälte - nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten - gemäß § 21 Abs. 6
erster Satz BVwGG zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Allerdings besteht in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht kein Anwaltszwang.
33 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass durch die Regelung der Amtsstunden und der Empfangsbereitschaft des Bundesverwaltungsgerichtes nur während dieser dem in Art. 2 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinie normierten Ziel - nämlich sicherzustellen, dass der Auftraggeber den Vertrag während eines anhängigen Nachprüfungsverfahrens nicht abschließen kann - Rechnung getragen wird. Die in Art. 2a der Rechtsmittelrichtlinie grundgelegte Stillhaltefrist betreffend die Zuschlagsentscheidung, innerhalb derer ein Vertrag nicht geschlossen werden darf, beträgt nämlich ebenfalls zehn Tage. Die Festlegung von Amtsstunden führt dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht den Auftraggeber auch von einem am letzten Tag der Rechtsmittelfrist eingebrachten Nachprüfungsantrag verständigen kann und der Suspensiveffekt des Antrags somit gewahrt wird. Dies wäre bei einem außerhalb der Amtsstunden eingebrachten und somit erst am nächsten Tag - nach Ablauf der Stillhaltefrist - in Behandlung genommenen Antrag nicht zwingend der Fall, weil diesfalls der Zuschlag schon rechtmäßig hätte erteilt werden können.
34 5.4. Ausgehend von den dargelegten Erwägungen sieht der Verwaltungsgerichtshof den Grundsatz der Effektivität durch die zugrunde liegenden Regelungen nicht als beeinträchtigt an (eine Verletzung des Äquivalenzgrundsatzes ist ebenfalls nicht ersichtlich) und teilt auch nicht die Auffassung der Revisionswerberin, es liege eine unionsrechtswidrige Umsetzung der Regelungen der Rechtsmittelrichtlinie vor. Somit war auch der in der Revision erstatteten Anregung, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, nicht näher zu treten; diesbezüglich kommt noch hinzu, dass der in der aufgeworfenen Vorlagefrage angesprochene § 56 Abs. 7 BVergG 2006 (der nicht für verfahrensrechtliche Fristen gilt) im vorliegenden Verfahren nicht anzuwenden war und auch nicht angewendet wurde.
35 5.5. Im Hinblick auf die erwähnten Ablehnungsbeschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 2018 sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht veranlasst, aus Anlasse der vorliegenden Revisionen - wie von der Revisionswerberin angeregt - einen Gesetzesprüfungsantrag bzw. Verordnungsprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu richten.
36 6. Die Revisionen waren somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
37 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 8. August 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62014CJ0061 Orizzonte Salute VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018040116.L00Im RIS seit
11.10.2019Zuletzt aktualisiert am
11.10.2019