TE Vwgh Beschluss 2019/8/8 Ra 2018/04/0115

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.08.2019
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §52
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wölfl, über die Revision der Allgemeinen Berufungskommission der Landeshauptstadt Salzburg, vertreten durch die Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Sterneckstraße 35, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 20. März 2018, Zlen. 405- 6/99/1/26-2018, 405-6/100/1/26-2018, betreffend Vorschreibung der Sperrstunde gemäß § 113 GewO 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Allgemeine Berufungskommission der Landeshauptstadt Salzburg; mitbeteiligte Partei: A GmbH & Co KG in S, vertreten durch Prof. Hintermayr & Partner Rechtsanwälte in 4020 Linz, Landstraße 12), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 1.1. Die mitbeteiligte Partei betreibt zwei gewerbebehördlich genehmigte Betriebsanlagen, ein Gastgewerbelokal in der Betriebsart "Restaurant" und ein weiteres in der Betriebsart "Bar".

2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 7. August 2017 wurde die Berufung der mitbeteiligten Partei gegen zwei Bescheide, mit welchen jeweils die Sperrstunde betreffend die beiden gewerblichen Betriebsanlagen der mitbeteiligten Partei auf 24 h vorverlegt worden war, abgewiesen.

3 1.2. Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Salzburg (Verwaltungsgericht) wurde der Beschwerde der mitbeteiligten Partei Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

4 In seiner Begründung traf das Verwaltungsgericht die Feststellungen, Nachbarn der verfahrensgegenständlichen Betriebsanlagen hätten wiederholt Lärmbelästigungen gemeldet, wobei der als unzumutbar empfundene Lärm vor allem auf lautes Schreien, Randalieren, Tanzen und Singen vor den beiden Gastgewerbebetrieben zurückgeführt worden sei. Die bekämpfte Vorverlegung der Sperrstunden betreffend die beiden Betriebsanlagen beruhe auf einem lärmtechnischen Gutachten vom 6. Juni 2014, einem medizinischen Gutachten vom 1. Juli 2014 und einer in einem zivilgerichtlichen Verfahren abgegebenen lärmmedizinischen Beurteilung vom 16. Juni 2014. Als lärmtechnische Grundlage für die Beurteilung der unzumutbaren Lärmbelästigung stütze sich die belangte Behörde ausdrücklich nur auf Lärmmessergebnisse aus den Jahren 2012 und 2013. Aus dem lärmtechnischen Gutachten gehe hervor, dass von den verwendeten Messgeräten lediglich der Schallpegelmesser geeicht gewesen sei. Die übrigen Messgeräte seien nicht geeicht gewesen. 5 In rechtlicher Hinsicht schloss das Verwaltungsgericht, die von der belangten Behörde zur Beurteilung des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen herangezogenen Sachverständigengutachten

- insbesondere das lärmtechnische Gutachten vom 6. Juni 2014 und das darauf aufbauende medizinische Gutachten - seien aus mehreren Gründen nicht verwertbar gewesen.

6 Die herangezogenen Pegelwerte aus den Jahren 2012 und 2013 im Gutachten des lärmtechnischen Sachverständigen seien mit einer Messkombination ermittelt worden, die nicht als gesamte Messkette geeicht gewesen sei. Dieser Umstand widerspreche den gesetzlichen Bestimmungen des Maß- und Eichgesetzes für Prüfeinrichtungen zur Erstattung von Gutachten für amtliche Zwecke, weshalb die Tauglichkeit des verwendeten Messsystems zur verlässlichen Schallpegelmessung verneint werden müsse. Aus dem Verwaltungsakt würden sich keine Messwerte ergeben, die die Behauptung der belangten Behörde, die mit der nicht geeichten Messkette erzielten Messwerte seien plausibel, stützten.

7 Zudem seien die herangezogenen Pegelwerte aus den Jahren 2012 und 2013 - die lärmmedizinische Begutachtung würden sich teilweise sogar auf Werte aus den Jahren 2010 und 2011 stützen - veraltet. Dass diese Pegelwerte die Lärmsituation zum Entscheidungszeitpunkt durch die belangte Behörde widerspiegeln würden, könne nicht erwiesen werden. Weiters spreche gegen die Heranziehung der Messwerte aus den Jahren 2012 und 2013 der Umstand, dass die mitbeteiligte Partei einen der Ausgänge seit ca. 2013 in den Nachtstunden geschlossen halte und Sicherheitspersonal beschäftige, das die Gäste beim Verlassen der Lokale zu rücksichtsvollem Verhalten anhalten solle. Aus diesen Gründen könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Messwerte zum Beurteilungszeitpunkt noch aktuell gewesen seien. Für Zweifel an der aufrechten Aktualität der Messwerte spreche im Übrigen der Umstand, dass die belangte Behörde selbst eine eigenständige Schallmessung durch das Gericht beantragt habe, obwohl sie für die Vorschreibung einer verkürzten Betriebszeit die zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Immissionssituation zu beurteilen habe. Dies habe die belangte Behörde verkannt, wenn sie ihrer Entscheidung im Jahr 2017 Messwerte aus den Jahren 2012 und 2013 zugrunde gelegt habe.

8 Die lärmtechnische Stellungnahme vom 14. April 2014 enthalte zwar Messungen vom 4. und 5. April 2014, jedoch keine Feststellungen zu konkreten Pegelwerten, die auf ein näher umschriebenes, nicht strafbares Verhalten von Gästen zurückgeführt werden könnten. Auch in Bezug auf die von einem gewerbetechnischen Sachverständigen festgehaltenen Messwerte betreffend die Nachtstunden vom 29. auf den 30. Juli 2016 lägen keine Feststellungen zu der Frage vor, ob diese auf ein solches Gästeverhalten zurückzuführen seien.

9 Das lärmmedizinische Gutachten stütze sich auf die veralteten lärmtechnischen Grundlagen. Weiters würden die angefochtenen Bescheide keine Sachverhaltsfeststellungen enthalten, die eine Unterscheidung des Verhaltens der Gäste in strafbares und nicht strafbares Verhalten erlauben würden. 10 Zusammenfassend sei davon auszugehen, dass es bereits an dem im Gesetz zwingend vorgesehenen Sachverständigenbeweis fehle, weil die vorliegenden lärmtechnischen Messergebnisse entgegen den zwingenden Bestimmungen des Maß- und Eichgesetzes mit einer nicht geeichten Messkombination erzielt worden seien. Zudem sei die Immissionssituation nicht zum Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde (August 2017) ermittelt worden, weil die Messwerte aus den Jahren 2012 und 2013 stammen würden und nicht nachvollziehbar dargelegt worden sei, dass diese Messergebnisse noch aktuell seien. Das lärmmedizinische Gutachten stelle schon deshalb kein taugliches Beweismittel dar, weil es auf nicht verwertbaren lärmtechnischen Grundlagen aufbaue. Das gesamte Ermittlungsverfahren sei schon deshalb neu durchzuführen, weil bereits die lärmtechnischen Ermittlungsergebnisse fehlen würden, die als Beurteilungsbasis für die lärmmedizinische Beurteilung dienen müssten.

11 2. Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision der belangten Behörde.

12 3. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). 13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 15 3.1. Die Revision bringt zur Begründung der Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es prinzipiell zur Entscheidung in der Sache selbst verpflichtet sei und eine Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken in Frage komme. Die belangte Behörde habe ein umfangreiches Ermittlungsverfahren durchgeführt und ihre Entscheidung nicht nur auf die Schallmessungen aus den Jahren 2012 und 2013, sondern auch auf die Ergebnisse der Schallmessungen aus den Jahren 2014 und 2016 gestützt. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass krasse Ermittlungslücken vorliegen würden, stimme nicht mit dem Verwaltungsakt überein. 16 3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem grundlegenden Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, zum Ausdruck gebracht, dass die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht komme, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt worden sei, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe. Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, verlange, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen werde daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden.

17 3.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Folge auch klargestellt, dass eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0077; 9.9.2015, Ra 2014/04/0031) oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens (vgl. VwGH 30.5.2017, Ro 2015/07/0005) im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen.

18 3.4. Die einzelfallbezogene Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG berührt unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgerichtshof vorgegebenen Auslegung dieser Bestimmung jedoch dann keine grundsätzliche Rechtsfrage, wenn sich das vom Verwaltungsgericht solcherart erzielte Ergebnis als vertretbar erweist (vgl. VwGH 27.4.2017, Ra 2016/12/0071, mwN). 19 3.5. Im vorliegenden Fall führte das Verwaltungsgericht zusammenfassend aus, es fehle bereits der im Gesetz zwingend vorgesehene Sachverständigenbeweis, weil die vorliegenden lärmtechnischen Messergebnisse entgegen den zwingenden Bestimmungen des Maß- und Eichgesetzes mit einer nicht geeichten Messkombination erzielt worden seien. Zudem sei die Immissionssituation nicht zum Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde (August 2017) ermittelt worden, weil die Messwerte aus den Jahren 2012 und 2013 stammen würden und nicht nachvollziehbar dargelegt worden sei, dass diese Messergebnisse noch aktuell seien. Das lärmmedizinische Gutachten stelle schon deshalb kein taugliches Beweismittel dar, weil es auf nicht verwertbaren lärmtechnischen Grundlagen aufbaue. Das gesamte Ermittlungsverfahren sei schon deshalb neu durchzuführen, weil bereits die lärmtechnischen Ermittlungsergebnisse, die die Beurteilungsbasis für die lärmmedizinische Beurteilung darstellen würden, fehlten.

20 Die Revision vermag mit dem Hinweis in ihrer Zulässigkeitsbegründung darauf, dass die belangte Behörde ein umfangreiches Ermittlungsverfahren durchgeführt habe, die Unvertretbarkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die für die Klärung des rechtlich relevanten Sachverhaltes ausständigen Ermittlungsschritte seien wegen der Unverwertbarkeit der grundlegenden lärmtechnischen Messungen im vorliegenden Fall so gravierend, dass sie ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigten, nicht darzutun.

21 Insofern die Revision auf das Einfließen von Schallmessungen aus den Jahren 2014 und 2016 verweist, ohne dies in der Zulässigkeitsbegründung zu konkretisieren, wird nicht aufgezeigt, dass sich aus diesem Vorbringen eine Unvertretbarkeit der rechtlichen Beurteilung des Verwaltungsgerichts ergibt, zumal das Verwaltungsgericht bezugnehmend auf Schallmessungen aus den Jahren 2014 und 2016 deren eingeschränkte Verwertbarkeit nachvollziehbar begründet.

22 3.6. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 8. August 2019

Schlagworte

Gutachten Ergänzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018040115.L00

Im RIS seit

15.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten