TE Vwgh Beschluss 2019/8/22 Ra 2019/21/0172

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Veröffentlicht am 22.08.2019
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Index

E2D Assoziierung Türkei
E2D E02401013
E2D E05204000
E2D E11401020
E6J
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

ARB1/80 Art13
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
AsylG 2005 §58 Abs13
AVG §56
FrPolG 2005 §120 Abs1b
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
VwGVG 2014 §38
62012CJ0225 Demir VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der K A in T, vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Traunaustraße 23/8/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 1. Oktober 2018, LVwG-700414/11/MB/JB, betreffend Bestrafung wegen einer Übertretung des FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist türkische Staatsangehörige. Sie reiste 2013 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 20. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag vollinhaltlich ab, sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde und erließ gegen die Revisionswerberin eine Rückkehrentscheidung, verbunden mit der Feststellung, dass ihre Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und unter Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Dieser Bescheid blieb auch in Bezug auf die Rückkehrentscheidung unbekämpft, obwohl die Revisionswerberin seit 19. Mai 2017 mit einem daueraufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen verheiratet ist und der Verbindung ein am 30. März 2017 geborener Sohn entstammt.

2 Die Revisionswerberin stellte aber am 29. November 2017 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 27. April 2018 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurück, wobei es unter einem neuerlich eine Rückkehrentscheidung und - erstmals - ein (auf zwei Jahre befristetes) Einreiseverbot erließ. Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin rechtzeitig Beschwerde.

3 Mittlerweile war gegen die Revisionswerberin ein Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 21. März 2018 ergangen, womit ihr angelastet wurde, sie sei

"nicht ausgereist, obwohl Ihr Asylverfahren mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 20.11.2017 negativ entschieden ist und gleichzeitig eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Die Rückkehrentscheidung ist seit 22.12.2017 rechtskräftig und durchsetzbar. Die Frist für die freiwillige Ausreise war bereits mit 08.01.2018 verstrichen. Das Ihnen mit Verfahrensanordnung vom 22.11.2017 aufgetragene Rückkehrberatungsgespräch haben Sie zwar (nach der Begründung dieses Straferkenntnisses: am 28. November 2017) in Anspruch genommen, Sie sind aber nicht rückkehrwillig."

4 Die Revisionswerberin habe dadurch § 120 Abs. 1b iVm § 52 Abs. 8 FPG verletzt, weshalb über sie eine Geldstrafe in der Höhe von 5.000,-- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt wurde. 5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 1. Oktober 2018 wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich eine dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass eine Revision nicht zulässig sei. 6 Die Revisionswerberin erhob Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Februar 2019, E 4574/2018-5, ab und trat sie in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Die dann erhobene außerordentliche Revision erweist sich als unzulässig. 7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9 In dieser Hinsicht macht die Revisionswerberin, die die Angaben im Spruch des gegenständlichen Straferkenntnisses ebensowenig wie dessen Gestaltung in Frage stellt, der Sache nach zunächst geltend, eine Bestrafung nach § 120 Abs. 1b FPG hätte vor Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht erfolgen dürfen. 10 Diese Ansicht trifft nicht zu, denn eine entsprechende "Wartepflicht" lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Vielmehr wird in § 58 Abs. 13 AsylG 2005 angeordnet, dass Anträge (u.a.) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen stehen. Das impliziert, dass auch die Erlassung solcher Straferkenntnisse, die wie das vorliegende letztlich auf die Effektuierung einer Ausreiseverpflichtung abzielen, durch die Stellung eines Antrages nach § 55 AsylG 2005 nicht "hinausgeschoben" werden soll.

11 Dem bedarf es auch aus Rechtsschutzgründen nicht. Denn sollte es zutreffen, dass einem Fremden trotz unmittelbar vorangegangener Rückkehrentscheidung ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen wäre, so setzt dies (siehe § 58 Abs. 10 AsylG 2005) eine maßgebliche Änderung der Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf das Privat- und Familienleben des Fremden in dem Sinn voraus, dass sich nunmehr im Hinblick auf Art. 8 EMRK seine Berechtigung zum Verbleib im Bundesgebiet ergibt. Das bedeutet aber auf der anderen Seite, dass die vorangegangene Rückkehrentscheidung - auch vor der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 - ihre Wirksamkeit verloren hat (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2015/21/0091, Rn. 11, mwN). Das wäre, ein Eintreten der entsprechenden Umstände bis zum Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise vorausgesetzt, im Strafverfahren nach § 120 Abs. 1b FPG zu berücksichtigen und es käme eine Bestrafung nach dieser Bestimmung allenfalls - mangels Existenz einer wirksamen Rückkehrentscheidung - somit nicht mehr in Betracht, wenn sich die Beurteilungsgrundlagen für die Abwägung nach Art. 8 EMRK maßgeblich zugunsten des Fremden verschoben hätten (in diesem Sinn VwGH 14.11.2013, 2013/21/0119, mwN). 12 Auf das zuletzt zitierte Judikat beruft sich die Revisionswerberin ohnehin. Sie begnügt sich in diesem Zusammenhang aber damit, auf ihre "gravierende(n) private(n) und familiäre(n) Bindungen in Österreich" hinzuweisen, ohne eine gegenüber der Rückkehrentscheidung vom 20. November 2017 bis zum Ablauf der ihr eingeräumten Frist für eine freiwillige Ausreise (unbestritten der 8. Jänner 2018) eingetretene maßgebliche Änderung geltend zu machen. Insoweit wendet sie sich im Ergebnis - an einer Stelle der Revision sogar ausdrücklich - gegen die Rückkehrentscheidung vom 20. November 2017, was freilich angesichts der Rechtskraft dieser Rückkehrentscheidung ins Leere gehen muss. Soweit sie aber - sollten ihre Revisionsausführungen auch in diese Richtung zu deuten sein - die im Verwaltungsverfahren geltend gemachte Schwangerschaft mit einem zweiten Kind ins Treffen führen wollte, ist ihr auch diesbezüglich zu entgegnen, dass sie ein Einsetzen dieser Schwangerschaft erst nach Rechtskraft der erwähnten Rückkehrentscheidung - und damit eine potenziell relevante Änderungstatsache - nie behauptet hat.

13 Die Revisionswerberin führt dann noch aus, ihre Bestrafung nach § 120 Abs. 1b FPG widerspreche Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation. Das trifft indes nicht zu, denn diese Bestimmung kann einem türkischen Staatsangehörigen, dessen Lage rechtswidrig ist (und das ist im Hinblick auf die rechtskräftige Rückkehrentscheidung bei der Revisionswerberin jedenfalls gegeben) nicht zugutekommen (EuGH 7.11.2013, C. Demir, C-225/12, Rn. 35). 14 Insgesamt gelingt es der Revision somit nicht, eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 22. August 2019

Gerichtsentscheidung

EuGH 62012CJ0225 Demir VORAB
EuGH 62012CJ0225 Demir VORAB

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210172.L00

Im RIS seit

06.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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