Index
E3R E05204020Norm
ASVG §35 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Ing. T B M, vertreten durch Mag. Wolfgang Friedl, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 66, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 25. Februar 2016, VGW- 041/073/3307/2015-30, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit Straferkenntnis vom 16. Februar 2015 sprach die belangte Behörde den Revisionswerber schuldig, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der C GmbH zu verantworten, dass diese in der Zeit vom 18. März 2013 bis zur finanzpolizeilichen Kontrolle am 29. April 2013 32 (näher genannte) Arbeitnehmer auf einer Baustelle in Wien verwendet habe, ohne die Arbeitnehmer vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden. Er habe hierdurch Verwaltungsübertretungen nach § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG begangen und werde hierfür gemäß § 111 Abs. 2 ASVG in Verbindung mit § 9 VStG mit 32 Geldstrafen von jeweils EUR 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils sechs Tagen) zuzüglich Kosten belegt. Die C GmbH hafte für die Geldstrafen und die auferlegten Kosten nach § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand.
1.2. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen:
Die mit der Herstellung der Außenfassade auf der Baustelle beauftragte C GmbH habe mit Werkvertrag vom 1. März 2013 die Arge F - bestehend aus der F GmbH mit Sitz in Wien und der (nach slowakischem Recht errichteten) F s.r.o. mit Sitz in Bratislava - mit einem Teil der Arbeiten beauftragt. Mit Arbeitsbeginn am 18. März 2013 sei der C GmbH mitgeteilt worden, dass im Rahmen der Arge die erforderlichen Mitarbeiter von der F s.r.o. beigestellt würden. Die Beschäftigung durch die F s.r.o. sei auch durch Vorlage der A1-Formulare samt Bestätigung der slowakischen Krankenversicherungsanstalt nachgewiesen worden. Schon im Hinblick darauf seien die Arbeitnehmer in Österreich nicht anzumelden gewesen, dies weder durch die F s.r.o., noch durch die C GmbH, die auch nicht Arbeitgeberin gewesen sei.
In der Folge hätten sich die Umstände im Rahmen der Arge dahingehend geändert, dass mit Ablauf des 28. April 2013 der Auftrag von der F GmbH (unter Ausscheiden der F s.r.o.) übernommen worden sei. Es seien auch einige Arbeitnehmer von der F s.r.o. auf die F GmbH übertragen worden, womit die Beschäftigungsverhältnisse in Österreich sozialversicherungspflichtig geworden seien. Mit Arbeitsbeginn am 29. April 2013 habe die F GmbH die Anmeldungen (bei der Gebietskrankenkasse) der C GmbH vorgelegt, welche diese überprüft (und für ordnungsgemäß befunden) habe. Erst nach weiteren Erhebungen im Zuge der finanzpolizeilichen Kontrolle habe sich herausgestellt, dass die Anmeldungen falsch seien. Die F GmbH habe das Unterbleiben der Anmeldungen mit einem Irrtum einer Mitarbeiterin begründet und die Anmeldungen unverzüglich (noch am 29. April 2013) nachgeholt. Andere ehemalige Arbeitnehmer der F s. r.o. seien erst später durch die F GmbH übernommen und auf der Baustelle eingesetzt sowie jeweils vor Arbeitsbeginn ordnungsgemäß angemeldet worden.
Insgesamt ergebe sich daher, dass zwischen der C GmbH und den Arbeitnehmern niemals meldepflichtige Beschäftigungsverhältnisse bestanden hätten. Vielmehr hätten die Arbeitsverhältnisse zunächst mit der F s.r.o. und ab dem 29. April 2013 mit der F GmbH bestanden, wobei insbesondere die zuletzt genannte Gesellschaft nicht (bloß) ein Schein- bzw. Mittelsunternehmen für die C GmbH, sondern die tatsächliche (echte) Arbeitgeberin gewesen sei. Die belangte Behörde habe es unterlassen, die maßgeblichen Umstände entsprechend zu ermitteln und zu würdigen. Wäre dies geschehen, hätte sich ergeben, dass für die C GmbH bzw. den Revisionswerber keine Meldepflicht bestanden habe.
2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.
Das Verwaltungsgericht legte zunächst den Verfahrensgang dar, indem es das behördliche Straferkenntnis und die dagegen erhobene Beschwerde kurz erörterte, die aufgenommenen Beweise auflistete, die in der mündlichen Verhandlung abgelegten Aussagen (des Revisionswerbers und der vier vernommenen Zeugen) weitgehend wörtlich wiedergab, die einschlägigen Gesetzesbestimmungen zitierte sowie einzelne Rechtssätze aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (über die Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse bzw. die Unbeachtlichkeit einer abweichenden Scheinvereinbarung) anführte.
Im Zusammenhang mit den vorgelegten Beweisurkunden hielt das Verwaltungsgericht (unter anderem) fest, die C GmbH habe mit Schreiben vom 30. April 2013 die Arge auf die (bei der Kontrolle am Vortag festgestellte) Nichtanmeldung der Arbeitnehmer hingewiesen; die Arge habe am selben Tag geantwortet, dass dies auf einen Fehler einer Mitarbeiterin zurückzuführen sei. Zum vernommenen Zeugen J W hielt das Verwaltungsgericht fest, dieser sei (laut Versicherungsdatenauszug) vom 15. bis zum 26. April 2013 bei B J sowie vom 22. bis zum 26. April und vom 29. April bis zum 31. Mai 2013 bei der F GmbH angemeldet gewesen.
2.2. In der Folge führte das Verwaltungsgericht aus:
"Die (C GmbH) war beauftragt, im verfahrensgegenständlichen Zeitraum auf der Baustelle Fassadenarbeiten durchzuführen. Zur Ausführung dieser Arbeiten schloss sie am 1.3.2013 einen Werkvertrag mit der (Arge) ab. Der Auftragswert betrug EUR 58.005,-
-. Diese Arge setzte sich aus der slowakischen Firma (F s.r.o.) sowie der in Wien ansässigen Firma (F GmbH) zusammen. Der Sitz der mittlerweile in Folge Konkurses aufgelösten (F GmbH) war von September 2012 bis Juni 2013 in Wien (...). Dieses Geschäftslokal war von September 2012 bis Juni 2015 an einen Herrn (T K) vermietet, welcher bis 15.4.2015 an dieser Adresse
nebenwohnsitzlich gemeldet war und aktuell über keinen Wohnsitz in Österreich verfügt. Weder aus dem Firmenbuch noch dem Gewerberegister ist ein Bezug dieses Herrn zu der (F GmbH) ersichtlich. Anlässlich mehrerer Erhebungen vor Ort durch die Finanzpolizei im Anschluss an die Kontrolle war das Geschäftslokal verschlossen vorgefunden worden.
Die verfahrensgegenständlichen Arbeiter wurden erst nach der Kontrolle durch die Finanzpolizei am 29.4.2013 von der (F GmbH) zur Sozialversicherung angemeldet. Von dieser Firma wurden nach einer Auskunft der Wiener Gebietskrankenkasse vom 6.11.2013 von April 2013 bis zu diesem Tag keine Zahlungen geleistet.
Zur Aussage des Beschwerdeführers in der Verhandlung ist festzustellen, dass diese in Widerspruch zu seiner im Zuge der Kontrolle vor der Finanzpolizei getätigten Aussage stand und daher als unglaubwürdig einzustufen ist. Die Frage, wie es zur Anbahnung dieser Geschäftsbeziehung gekommen ist, beantwortete der Beschwerdeführer nur ausweichend, indem er angab, es stellten sich im Büro laufend Firmen vor. Als Kontaktpersonen nannte er die Herren (B) und (K). Weiters sagte er aus, vorab diverse Überprüfungen der Firmen durchgeführt zu haben, darunter sei auch ein Besuch der Büroräumlichkeiten (...) gewesen. Demgegenüber gab er anlässlich seiner Befragung am 29.4.2013 durch die Finanzpolizei an, wenig Kontakt mit Geschäftspartnern zu haben sowie nicht zu wissen, wer ‚Alen' (...) bzw. ob dieser Geschäftsführer der Firma sei. Er wollte ihn lediglich als jenen gekannt haben, der im Büro saß, Emails schrieb und von dort aus anrief. Die konkrete Frage, schon im Büro gewesen zu sein, verneinte er und gab weiters an, nicht zu wissen, ob einer seiner Bauleiter dort gewesen sei. Zu etwaigen Geschäftspartnern der (F s. r.o.) äußerte sich der Beschwerdeführer weder vor der Behörde noch im Beschwerdeverfahren.
Die (Arge) hat für die Arbeiten betreffend das verfahrensgegenständliche Bauprojekt für den Leistungszeitraum März 2013 zwei Rechnungen gelegt, nämlich eine Teilrechnung sowie eine Schlussrechnung, beide vom 3.4.2013 über einen Betrag von EUR 14.000,--. Rechnungen betreffend den Leistungszeitraum April 2013 wurden trotz Aufforderung durch das erkennende Gericht nicht vorgelegt, weshalb davon auszugehen ist, dass solche nicht existieren. Die (C GmbH) hat - wie aus den vorgelegten Kontoauszügen ersichtlich - bis 12.4.2013 diverse Beträge auf das auf der Rechnung aufscheinende Konto der (Arge) überwiesen. Teilweise handelte es sich dabei um Akontozahlungen, eine Zuordnung zu konkreten Rechnungen, welche ebenfalls vorgelegt wurden, insbesondere der verfahrensgegenständlichen, war jedoch nicht möglich.
Die Aussage des Zeugen (T), er und seine drei ungarischen Kollegen (...) hätten auf der Baustelle nicht gearbeitet, nachdem sie bei ihrer Ankunft dort zwischen 9 und 10 Uhr den geringen Verdienst erfahren hätten, ist insofern als unglaubwürdig anzusehen, als die Kontrolle durch die Finanzpolizei um 13.30 Uhr stattfand und es höchst unrealistisch ist, weshalb sich vier Arbeiter, welche gegen 10 Uhr vormittags erklären, auf einer Baustelle nicht arbeiten zu wollen, auf dieser mehr als drei Stunden danach noch immer aufhalten.
Zu dem fadenscheinigen Vorbringen in der Beschwerde, untermauert durch die in der Verhandlung vorgelegten Schreiben, wonach es durch ein Versehen einer Mitarbeiterin der (F GmbH) behufs ‚provisorischer eigenhändiger Erstellung von Anmeldungen' zu einem Fehler bei der Anmeldung zur Sozialversicherung gekommen sein soll, ist anzumerken, dass dieses als ebenso absurd wie unglaubwürdig anzusehen ist.
Eine Betriebsprüfung der (C GmbH) betreffend den Zeitraum 2010 bis 2012 ist gegenständlich irrelevant.
Es ist daher bei einer zusammenfassenden Würdigung der vorliegenden Beweisergebnisse als erwiesen anzusehen, dass es sich bei dem Vertrag der (C GmbH) und der (Arge) um einen Scheinvertrag handelte und sich der Beschwerdeführer dieses Konstrukts bediente, um die Bestimmungen des ASVG zu umgehen. Daran vermögen im Verfahren vorgelegte Fotos von an Schreibtischen vor einem Blatt Papier sitzenden, einen Stift in Händen haltenden Männern, deren Identität mangels ladungsfähiger Adressen nicht verifizierbar ist, sowie Aufnahmen von Büroräumlichkeiten, deren Adresse ebensowenig überprüfbar ist, nichts zu ändern. Die verfahrensgegenständlichen Arbeiter hätten somit von der (C GmbH) als Auftragnehmerin des verfahrensgegenständlichen Bauprojektes zur Sozialversicherung angemeldet werden müssen."
2.3. Zur subjektiven Tatseite und zur Strafbemessung führte das Verwaltungsgericht (unter anderem) aus, dem Revisionswerber sei aufgrund des "planmäßig errichteten Konstrukts mittels Scheinvertrag" ein vorsätzliches Handeln anzulasten, er habe "systematisch und unter Einbeziehung einer Scheinfirma versucht", die betreffenden Vorschriften zu umgehen.
2.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig sei.
3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, deren Zulässigkeit (unter anderem) damit begründet wird, das Verwaltungsgericht habe den zwischen der C GmbH und der Arge abgeschlossenen Werkvertrag in unvertretbarer Weise als ein unbeachtliches Scheingeschäft erachtet. Es habe daher die Arbeitnehmer zu Unrecht der C GmbH zugerechnet und sei unrichtig von einer Meldepflichtverletzung durch die C GmbH bzw. den Revisionswerber ausgegangen.
3.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Revision ist - im Ergebnis - zulässig und aus den nachstehenden Erwägungen auch berechtigt.
5.1. Die Begründung einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 VwGVG den Anforderungen zu entsprechen, die in der Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden (vgl. VwGH 27.1.2017, Ra 2015/03/0059). Demnach bestehen die drei - logisch aufeinander aufbauenden und formal voneinander zu trennenden - Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erstens in einer eindeutigen und konkreten Feststellung des zugrunde gelegten Sachverhalts - die bloße Zitierung von Beweisergebnissen (etwa von Zeugenaussagen) ist nicht hinreichend (vgl. VwGH 20.5.2015, Ra 2014/09/0041) -, zweitens in einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung, und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. VwGH 19.6.2015, Ra 2015/03/0027; 9.8.2018, Ra 2016/22/0104). Lässt eine Entscheidung diese notwendigen Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei im Wege der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, so führt ein solcher Mangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. VwGH 24.4.2014, 2012/08/0134).
5.2. Vorliegend wird das angefochtene Erkenntnis den soeben aufgezeigten Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung nicht gerecht, ist doch eine hinreichende und gesonderte Ausführung der erforderlichen Begründungselemente zu vermissen. Wie in der Folge zu zeigen sein wird, fehlt es in erster Linie bereits an einer hinreichenden Feststellung des - mit Blick auf die maßgebliche Rechtslage entscheidungswesentlichen - Sachverhalts; damit verbunden ist (auch) das Fehlen einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung und einer entsprechenden rechtlichen Beurteilung.
6. In der Sache ist zunächst festzuhalten, dass es sich bei den im Zuge der Kontrolle am 29. April 2013 auf der Baustelle betretenen 32 Personen unstrittig um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer handelte. Strittig und näher zu klären bleibt indes, wer im Deliktszeitraum (vom 18. März bis zur Kontrolle am 29. April 2013) als Arbeitgeber zu erachten ist. Der Revisionswerber brachte dazu vor, die C GmbH habe mit Werkvertrag vom 1. März 2013 die Arge mit der Durchführung von Arbeiten beauftragt, wobei Arbeitgeberin der zur Erfüllung des erteilten Auftrags verwendeten Arbeiter bis zum 28. April 2013 die F s.r.o. und ab dem 29. April 2013 die F GmbH gewesen sei. Demgegenüber ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der zwischen der
C GmbH und der Arge abgeschlossene Werkvertrag ein unbeachtliches Scheingeschäft und Arbeitgeberin daher die C GmbH sei.
7.1. Zur Dienstgebereigenschaft der F s.r.o. brachte der Revisionswerber unter anderem vor, die Beschäftigung der Arbeitnehmer durch die F s.r.o. sei durch A1-Formulare samt Bestätigung der slowakischen Versicherungsanstalt nachgewiesen (worden). Er legte die - jeweils mit 15. März 2013 datierten, für einen sechsmonatigen Zeitraum ab dem 18. März 2013 ausgestellten, die F s.r.o. als entsendendes Unternehmen und die C GmbH als beschäftigendes Unternehmen in Österreich ausweisenden - A1- Bescheinigungen auch im gegenständlichen Verfahren vor. Ferner brachte er eine - den Zeitraum vom 18. März bis zum 26. April 2013 betreffende (inhaltlich jedoch nicht näher nachvollziehbare, weil nicht ins Deutsche übersetzte) - Bestätigung der slowakischen Versicherungsanstalt vom 14. Jänner 2014 in Vorlage.
7.2. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zu Art. 5 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 (im Folgenden: VO 987/2009) bereits ausgesprochen (vgl. EuGH 6.9.2018, Alpenrind GmbH, C- 527/16), dass eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats auf Grund des Art. 12 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (im Folgenden: VO 883/2004) - also hinsichtlich entsandter Arbeitnehmer - ausgestellte A1-Bescheinigung nicht nur für die Träger des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, sondern auch für die Gerichte dieses Mitgliedstaats verbindlich ist (vgl. auch VwGH 10.10.2018, Ro 2016/08/0013). Diese Bindungswirkung des vom Entsendestaat ausgestellten A1-Dokuments besteht nach Art. 5 Abs. 1 VO 987/2009 für die Träger der anderen Mitgliedstaaten so lange, wie das Dokument nicht vom ausstellenden Entsendestaat widerrufen oder für ungültig erklärt wird.
7.3. Die Bindungswirkung kann freilich nur einer tatsächlich von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten A1-Bescheinigung zukommen. Fehlt es bereits an der rechtswirksamen Ausstellung durch einen anderen Mitgliedstaat (etwa weil eine Fälschung vorliegt), so ist eine Bindungswirkung nicht möglich (vgl. Spiegel in Spiegel (Hrsg.), Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht (19. Lfg.), Art. 5 VO 987/2009 Rz 10). Ferner ist die Bindungswirkung - wie der EuGH in seiner auf A1-Dokumente zu übertragenden Rechtsprechung zu E 101 Bescheinigungen (vgl. EuGH 6.2.2018, Altun, C-359/16) klargestellt hat - in Fällen des Betrugs oder Rechtsmissbrauchs insofern eingeschränkt, als ein nationales Gericht des Aufnahmestaats ein A1-Dokument außer Acht lassen kann, wenn es zuvor den ausstellenden Träger des Entsendestaats mit den - in einer gerichtlichen Prüfung gesammelten, eine Feststellung der betrügerischen bzw. missbräuchlichen Erlangung oder Geltendmachung der Bescheinigung erlaubenden - Beweisen befasst hat, der ausstellende Träger es jedoch unterlassen hat, die Beweise bei einer erneuten Prüfung innerhalb angemessener Frist zu berücksichtigen (vgl. VwGH 14.11.2018, Ra 2016/08/0082).
8. Vorliegend nahm das Verwaltungsgericht keinerlei Ermittlungen zum (allfälligen) Bestehen einer Bindungswirkung von A1-Bescheinigungen im Sinn der vorangehenden Ausführungen vor und unterließ auch jegliche diesbezügliche Begründung, was einen erheblichen Verfahrensmangel darstellt. Das Verwaltungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die erforderlichen Erhebungen durchzuführen und entsprechend zu begründen haben, inwiefern - hinsichtlich welcher Arbeitnehmer und für jeweils welche Dauer bezogen auf den Deliktszeitraum - von einer Bindungswirkung von A1-Bescheinigungen auszugehen ist.
9.1. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren eine Bindung durch A1-Bescheinigungen im Deliktszeitraum (zur Gänze oder auch nur zum Teil) nicht ergeben, so hätte das Verwaltungsgericht die strittige Dienstgebereigenschaft (der C GmbH) insoweit selbst zu beurteilen. Es hätte dabei von § 35 Abs. 1 ASVG auszugehen, wonach als Dienstgeber derjenige gilt, auf dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, Hauswirtschaft oder Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber ihn durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgelts verweist.
Zur Frage, auf wessen Rechnung und Gefahr ein Betrieb geführt wird, vertritt der Verwaltungsgerichtshof, dass dies jene Person ist, die nach rechtlichen (und nicht bloß tatsächlichen) Gesichtspunkten aus den im Betrieb getätigten Geschäften unmittelbar berechtigt und verpflichtet wird. Es kommt darauf an, wen das Risiko des Betriebs im Gesamten unmittelbar trifft; dieser Person muss im Fall der Betriebsführung durch Dritte zumindest die rechtliche Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Betriebsführung (durch Weisung, Kontrolle etc. vor allem in Bezug auf das im Blick stehende Beschäftigungsverhältnis) zustehen (vgl. VwGH 28.9.2018, Ra 2015/08/0080; eingehend auch Julcher in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg.), Der SV-Komm (179. Lfg.), § 35 ASVG Rz 11 ff; mwN).
9.2. Das Verwaltungsgericht hätte daher die erforderlichen Erhebungen zu den im Sinn der obigen Ausführungen maßgebenden Umständen vorzunehmen und auf Basis der Ergebnisse entsprechend zu begründen, inwiefern die C GmbH im Deliktszeitraum einen Betrieb führte, in den allenfalls die - unstrittig in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit beschäftigten - Arbeitnehmer eingegliedert waren, ob ein solcher allfälliger Betrieb gegebenenfalls unter Einbeziehung von Mittelspersonen auf Rechnung und Gefahr der C GmbH geführt wurde bzw. ob die C GmbH nach rechtlichen Gesichtspunkten aus den Geschäften unmittelbar berechtigt und verpflichtet wurde (vgl. auch VwGH 14.3.2013, 2012/08/0055, zum Fall eines Auftrags an eine Scheingesellschaft).
10.1. Ein - hier vom Verwaltungsgericht angenommener - Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts im Sinn des § 539a ASVG wäre dann gegeben, wenn die Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse anders als mit der Absicht der Umgehung gesetzlicher Verpflichtungen nicht erklärt werden kann. In einem solchen Fall tritt nach Abs. 3 der genannten Bestimmung an die Stelle der unbeachtlichen Rechtskonstruktion jene, die den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessen wäre; Scheingeschäfte bleiben nach Abs. 4 der erwähnten Bestimmung ohne Bedeutung (vgl. VwGH 27.4.2011, 2008/08/0176).
10.2. Dass vorliegend der Werkvertrag vom 1. März 2013 ein unbeachtliches Scheingeschäft gewesen wäre, weil die Parteien überhaupt nicht rechtsgeschäftlich tätig werden wollten (vgl. VwGH 24.6.2015, Ra 2014/04/0043), ist nicht hervorgekommen. Das Verwaltungsgericht stellte auch nicht fest, dass es sich bei der F s.r.o. und der F GmbH um Scheinunternehmen ohne eigene Geschäftstätigkeit gehandelt hätte. Dass der Werkvertrag ein Umgehungsgeschäft gewesen wäre, um die Anwendung der Bestimmungen für Dienstverhältnisse (unter anderem über die Versicherungspflicht nach dem ASVG) zu vereiteln, und deshalb die diesbezüglichen Normen anzuwenden wären (vgl. neuerlich VwGH Ra 2014/04/0043), ist - vorbehaltlich allfälliger Weiterungen im fortgesetzten Verfahren - ebenso nicht zu sehen. Zwingende gegenteilige Anhaltspunkte legte (auch) das Verwaltungsgericht nicht dar.
11. Insgesamt ist daher das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Mangelhaftigkeit des Verfahrens belastet. Die Entscheidung ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
12. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am 27. August 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62016CJ0359 Altun VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2016080074.L00Im RIS seit
11.10.2019Zuletzt aktualisiert am
11.10.2019