TE Vwgh Erkenntnis 1998/10/29 96/20/0189

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Veröffentlicht am 29.10.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1968 §1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des SÖ in Graz, geboren am 15. November 1970, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. Jänner 1996, Zl. 4.340.257/2-III/13/92, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste im März 1992 in das Bundesgebiet ein und stellte am 31. März 1992 einen schriftlichen Asylantrag, in dem er seine Fluchtgründe wie folgt beschrieb:

"Mein Name ist ..., wurde am 15.11.1970 geboren, bin von Beruf Goldschmied und gehöre der armenischen Minderheit an. Meine Staatsbürgerschaft ist türkisch.

Abgesehen von größeren Verfolgungswellen in der Geschichte der Türkei ist es weniger bekannt, daß von den türkischen Behörden Repressalien gegen Angehörige der armenischen Minderheit vorkommen, welche zum Teil in Verfolgungen ausarten.

Zusammen mit meinem Bruder ... habe ich das Handwerk eines Goldschmiedes ausgeübt.

Vor 6 Wochen wurde mein Bruder und ich ohne vorherige Ankündigung, und ohne daß zuvor Schwierigkeiten mit türkischen Behörden stattgefunden hätten, für 14 Tage verhaftet. Die einzige Erklärung hiefür war, daß man uns angeblich mit Unterstützungshandlungen für Angehörige der kurdischen Minderheit in Verbindung gebracht hat, da dies bei einigen Fragen während der Verhöre hervorgekommen ist.

Ganz eindeutig hat man uns jedoch diese Vorwürfe jedoch nicht vorgehalten. Auf alle Fälle wäre dies eine Erklärung für die Vorgangsweise der türkischen Behörden im Zusammenhang mit dem ohnedies ständigen Ressentiment gegenüber Armeniern.

Sowohl mein Bruder als auch ich wurden während des Gefängnisaufenthaltes durch Stockschläge gefoltert, wobei für uns nicht erkennbar war, zu welchem Geständnis man uns zwingen wollte.

Anläßlich der Entlassung aus dem Gefängnis wurde uns unmißverständlich mitgeteilt, daß wir unverzüglich unsere Heimatregion zu verlassen hätten, da wir ansonsten wiederum verhaftet und verurteilt würden. Auch anläßlich dieser unmittelbaren Drohung hat man uns nicht mitgeteilt, aus welchen Gründen uns ein Prozeß gemacht würde. Da wir uns weder krimineller Aktivitäten noch politischer Betätigungen, welche gegen die Interessen der türkischen Regierung gerichtet sein könnten, schuldig gemacht haben, kann die Begründung für das Vorgehen der türkischen Behörden nur in der Zugehörigkeit zur armenischen Minderheit gesehen werden.

Da große Gefahr für unser Leben und unsere Gesundheit besteht, und wir unserer Existenz beraubt wurden, blieb für uns keine andere Möglichkeit, als aus der Türkei zu flüchten."

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 5. Juni 1992 gab der Beschwerdeführer u.a. an, er wohne bei seinen in Graz beschäftigten Eltern und habe in der Türkei keine Familienangehörigen mehr. Vor seiner Ausreise sei er in Istanbul wohnhaft und als Goldschmied beschäftigt gewesen. Von 1990 bis 1991 habe er den Militärdienst abgeleistet.

Seine Fluchtgründe beschrieb der Beschwerdeführer nun wie folgt:

"Als armenische Minderheit in der Türkei wurde unsere Familie von den türk. Behörden ständig schikaniert, weil mein Bruder und ich Mitglieder des Jugend- und Kulturvereines 'Bezciyan Derneg' waren. Dieser Verein ist legal und betätigt sich nicht politisch. Im Feber 1992, nach einer Vereinsversammlung wurde mein Bruder und ich von der Polizei kontrolliert. Zuerst wurde uns vorgehalten, daß wir Georgianer und nicht Moslems sind. Danach wurde uns die Zusammenarbeit mit den Kurden angelastet. Wir wurden 14 Tage inhaftiert. Es war dies in Istanbul. Während der Inhaftierung wollte man von uns, daß wir zum moslemischen Glauben übertreten, auch wurden wir mit Stöcken geschlagen. In der Folge wurde gegen uns und gegen andere Vereinsmitglieder Drohungen seitens der Behörden ausgesprochen. Das war auch der Grund, warum ich mein Land verlassen habe. Wirtschaftliche Gründe bestreite ich für meine Flucht.

Der Inhalt des Asylantrages ist mir bekannt."

Mit Bescheid vom 22. September 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer keine weiteren Behauptungen über die ihm in seinem Heimatland drohende Verfolgung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Sie stellte fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968 (im folgenden: AsylG 1968), und stützte diese Entscheidung darauf, daß die Angaben des Beschwerdeführers wegen der Widersprüche zwischen seinem schriftlichen Asylantrag und seiner Aussage vom 5. Juni 1992 nicht glaubwürdig seien.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde hat auf den vorliegenden Fall - nach § 25 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, zu Recht - das AsylG 1968 angewendet, weshalb der angefochtene Bescheid nicht gemäß § 44 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76, außer Kraft getreten und nicht gemäß dem dritten Absatz dieser Bestimmung vorzugehen ist.

In der Beschwerde wird die Verletzung des Beschwerdeführers in ihm aufgrund des Asylgesetzes 1991 zustehenden Rechten behauptet und die Verletzung von Verfahrensvorschriften dieses Gesetzes durch die belangte Behörde gerügt. Diese Ausführungen gehen von einer anderen als der von der belangten Behörde ihrer Entscheidung richtigerweise zugrunde gelegten Rechtslage aus, weshalb sich eine nähere Auseinandersetzung mit ihnen erübrigt.

Nach § 1 AsylG 1968 (in der Fassung der Novelle BGBl Nr. 796/1974) ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (im folgenden: FlKonv), erfüllt und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 FlKonv ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde diese Voraussetzungen deshalb nicht als erfüllt erachtet, weil sie dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Widersprüche zwischen seinen Angaben im schriftlichen Asylantrag einerseits und bei seiner Einvernahme am 5. Juni 1992 andererseits keinen Glauben schenkte.

Die Beschwerde hält dem zunächst entgegen, die belangte Behörde hätte "von Amts wegen Ermittlungen anstellen müssen und wäre bei Durchführung derartiger Ermittlungen zum Schluß gekommen, daß im gegenständlichen Fall genügend Anhaltspunkte vorliegen, die ausreichen, um den Beschwerdeführer als Flüchtling im Sinne der Konvention anzuerkennen". An anderer Stelle der Beschwerde wird ausgeführt, die belangte Behörde habe es "verabsäumt, amtswegige Ermittlungen darüber anzustellen, welche Praxis seitens der Behörden im Heimatland des Beschwerdeführers gegenüber armenischen Minderheiten gepflogen wird".

Diese Ausführungen führen die Beschwerde - ganz abgesehen von der fehlenden Verpflichtung der Behörde zur Ermittlung nicht behaupteter Fluchtgründe - schon deshalb nicht zum Erfolg, weil auch in der Beschwerde nicht dargetan wird, welche Ermittlungsschritte nach Ansicht des Beschwerdeführers durch sein Vorbringen indiziert gewesen wären und zu welchen konkreten Ergebnissen sie seiner Meinung nach geführt hätten. Die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels wird damit nicht dargetan.

Im übrigen wendet sich die Beschwerde gegen die Ansicht der belangten Behörde, das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem schriftlichen Asylantrag und seine Angaben bei seiner späteren Einvernahme hätten einander widersprochen. Hiezu wird in der Beschwerde im wesentlichen die Auffassung vertreten, der Beschwerdeführer habe sich im schriftlichen Antrag nur auf "das ihm am Wesentlichsten erscheinende beschränkt" und es könne nicht "lediglich" deshalb, weil er "die Zugehörigkeit zu einem Jugendverein" und den Umstand, "daß seine Eltern bereits in früheren Zeiten behördlicher Verfolgung ausgesetzt waren", im schriftlichen Asylantrag noch nicht erwähnt habe, von einer Widersprüchlichkeit seiner Angaben gesprochen werden.

Die Angaben des Beschwerdeführers bei seiner mündlichen Einvernahme lassen sich - entgegen diesen Ausführungen in der Beschwerde - aber nicht als bloße Verdeutlichung oder Ergänzung der Behauptungen im schriftlichen Asylantrag verstehen. Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme nicht nur "die Zugehörigkeit zu einem Jugendverein erwähnt", sondern diesen Umstand auch in einen deutlichen Zusammenhang mit der behaupteten Inhaftierung und nachfolgenden Bedrohung gebracht, was die im Asylantrag vorgetragenen Behauptungen über die "einzige Erklärung" für die Verhaftung des Beschwerdeführers und die aus seiner Sicht nur mögliche "Begründung für das Vorgehen der türkischen Behörden" nicht nur ergänzt, sondern ihnen widerspricht. Dies gilt auch für die Behauptung bei der Einvernahme, dem Beschwerdeführer sei während der Haft "zuerst" seine Religion vorgehalten worden und es sei von ihm verlangt worden, zum moslemischen Glauben überzutreten. Auch der Widerspruch zwischen der Behauptung, es hätten zuvor keine "Schwierigkeiten mit türkischen Behörden stattgefunden", und der Aussage, die Familie des Beschwerdeführers sei "als armenische Minderheit in der Türkei ... von den türkischen Behörden ständig schikaniert" worden, "weil" der Beschwerdeführer und sein Bruder dem Jugend- und Kulturverein angehört hätten, läßt sich nicht auf die bloße Ergänzung reduzieren, die "Eltern" des Beschwerdeführers seien "in früheren Zeiten" behördlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen. Daß die Beweiswürdigung der belangten Behörde, insoweit sie von Widersprüchen in den Angaben des Beschwerdeführers ausgeht, den Denkgesetzen oder menschlichem Erfahrungsgut widerspreche und der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof (vgl. dazu die bei Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 685 f, wiedergegebene Rechtsprechung) nicht standhalten könne, ist im vorliegenden Fall daher nicht erkennbar.

Damit kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, ob eine nach den Behauptungen im Asylantrag nur für den Fall, daß der (damals in Istanbul wohnhafte und beschäftigte) Beschwerdeführer seine "Heimatregion" nicht verlasse, geäußerte Drohung mit einer Verhaftung und Verurteilung des Beschwerdeführers überhaupt geeignet wäre, seine Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Die erstmals in der Beschwerde und dort ohne nähere Begründung erhobene Behauptung, schon die Tatsache, daß der Beschwerdeführer geflohen sei und in Österreich um Asyl angesucht habe, reiche aus, um ihn im Falle der Rückkehr in sein Heimatland "strengsten Sanktionen auszusetzen", ist gemäß § 41 Abs. 1 VwGG unbeachtlich.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt, und Art. 6 Abs. 1 MRK dem nicht entgegensteht, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. Oktober 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996200189.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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