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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde der FF in E, geboren am 10. Mai 1959, vertreten durch Dr. Maximilian Polak, Rechtsanwalt in 4470 Enns, Pfarrgasse 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. November 1995, Zl. 4.330.955/3-III/13/94, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Türkei, reiste am 26. November 1991 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 1. Dezember 1991 Asyl. In ihrem schriftlichen Asylantrag führte sie aus, sie sei in Tunceli geboren und werde "allein aufgrund" ihrer "Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe" in der Türkei "politisch verfolgt". Die näheren Gründe für ihre Flucht werde sie bei ihrer Einvernahme darlegen.
Bei ihrer Einvernahme am 23. Jänner 1992 gab die Beschwerdeführerin an, vor ihrer Ausreise in Güngören-Istanbul wohnhaft und bei einem Unternehmen in Istanbul als Schneiderin beschäftigt gewesen zu sein. Die Gründe für ihre Flucht beschrieb sie folgt:
"Ich bin kurdischer Abstammung und sowohl mein Geburtsort als auch der Wohnort Güngören, wo ich zuletzt gewohnt habe, ist bei den türkischen Behörden als linksorientiert bekannt. Deshalb erfolgen wiederholt willkürlich angesetzte Razzien. Ich wurde auch wiederholt in den letzten Jahren vor die türkischen Behörden vorgeladen und darüber ausgefragt, ob jemand aus meiner Familie Mitglied einer verbotenen linksgerichteten Organisation sei. Ich selbst war nie inhaftiert und kann nur allgemeine Gründe, welche das türkische Regime gegen die Kurden ausübt, anführen."
Im September 1993 legte die Beschwerdeführerin die Kopie und Übersetzung eines mit "August 1992" datierten, geheimen Schreibens des "Nachrichtendienstes Istanbul" der türkischen Streitkräfte an die Gendarmeriegebietskommandatur Tunceli vor, worin unter Bezugnahme auf ein Schreiben dieser Gebietskommandatur vom 16. Jänner 1992, mit dem um die Ermittlung und Festnahme der Beschwerdeführerin ersucht worden sei, festgestellt wurde, die Beschwerdeführerin habe "in Istanbul der separatistischen Organisation PKK Hilfe" geleistet und "Unterschlupf gewährt" und sei ins Ausland geflüchtet. Das Geburtsjahr der nach ihren Personaldokumenten am 10. Mai 1959 geborenen Beschwerdeführerin war in diesem Schreiben mit 1960 angegeben.
Mit Bescheid vom 9. März 1994 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich den Asylantrag der Beschwerdeführerin "gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992," ab. In der Begründung dieses Bescheides wurde einerseits - ohne nähere Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und ohne Erwähnung der von ihr vorgelegten Urkunde - ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1991. Andererseits wurde die Abweisung des Antrages darauf gestützt, daß die Beschwerdeführerin vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet "mehrmals Verfolgungssicherheit erlangt" habe und die Asylgewährung daher gemäß § 2 Abs. 2 Z 3 AsylG 1991 ausgeschlossen sei. Das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft sei "demnach nicht mehr zu prüfen" gewesen.
In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid wandte sich die Beschwerdeführerin gegen die Annahme, sie sei im Sinne des § 2 Abs. 2 Z 3 AsylG 1991 in anderen Staaten vor Verfolgung sicher gewesen. In bezug auf ihre Fluchtgründe verwies sie auf das von ihr vorgelegte Schreiben und führte dazu aus, sie habe sich durch die Flucht ins Ausland ihrer unmittelbar bevorstehenden Verhaftung entziehen können. Von einem Verfolgten könne nicht gefordert werden, daß er erst die tatsächliche Verhaftung "und eine damit im Zusammenhang stehende Folterung" abwarte. Die Beschwerdeführerin befinde sich in wohlbegründeter Furcht, in der Türkei "weiteren Repressalien und Verfolgungen, insbesondere Verhaftung aufgrund ihrer kurdischen Abstammung und ihrer nachgewiesenen Unterstützungstätigkeit für die PKK" ausgesetzt zu sein.
Am 18. Oktober 1995 wurde die Beschwerdeführerin im Auftrag der belangten Behörde einer ergänzenden Befragung unterzogen. Sie wurde gefragt, wie sie in den Besitz des vorgelegten Dokumentes gelangt sei, warum in dem angeblich echten Dokument ein falsches Geburtsjahr angeführt sei, ob es richtig sei, daß sie die PKK unterstützt habe, und warum sie dies bei ihrer Ersteinvernahme nicht angegeben habe.
Die erste dieser Fragen beantwortete die Beschwerdeführerin im wesentlichen dahingehend, daß das Dokument durch die Bezahlung von Schmiergeld in die Hände ihrer Verwandten in der Türkei gelangt sei und diese es ihr mit der Post nach Österreich geschickt hätten. Zu ihrem Geburtsdatum gab die Beschwerdeführerin zunächst an, es sei richtig, daß sie am 10. Mai 1959 geboren sei. Nach Vorhalt des in der Urkunde angegebenen Geburtsjahres gab sie an, "eigentlich" 1960 geboren worden zu sein, doch sei im Geburtenstandsregister eine falsche Eintragung durchgeführt worden. Ihre Verwandten in der Türkei wüßten jedoch, daß sie 1960 geboren sei, und hätten dies vermutlich "den türkischen Behörden" angegeben. Über Vorhalt, daß in einem derartigen Schreiben eher eine an der Eintragung im Geburtenstandsregister und in den Personaldokumenten der Beschwerdeführerin orientierte als eine auf Mitteilungen von Verwandten beruhende Angabe des Geburtsjahres zu erwarten sei, erwiderte die Beschwerdeführerin, der ausstellende Beamte sei "nicht für den Inhalt zuständig" gewesen, könne daher nicht wissen, wann sie tatsächlich geboren sei und habe deshalb die Angaben der Verwandten als gegebene Tatsache angenommen. Zur Frage nach ihrer Unterstützung der PKK gab die Beschwerdeführerin an, es sei richtig, daß sie PKK-Angehörigen Schlafstellen und Nahrungsmittel in ihrem Haus angeboten habe. Nach ihrem Umzug nach Istanbul im Jahre 1982 habe sie dort an offenen und von der Polizei erlaubten Demonstrationen der PKK sowie an geheimen verbotenen Seminaren teilgenommen. Wann und wie oft dies geschehen sei, könne sie nicht angeben. Sie habe schon bei ihrer Ersteinvernahme dieselben Fluchtgründe genannt. Es treffe zu, daß sie die Richtigkeit der erstinstanzlichen Niederschrift nach deren Übersetzung mit ihrer Unterschrift bestätigt habe. Über Vorhalt, daß die PKK in dieser Niederschrift im Zusammenhang mit den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin in keiner Weise erwähnt sei, gab die Beschwerdeführerin an, dies sei offensichtlich nicht protokolliert worden und die Niederschrift sei ihr nicht übersetzt worden. Außerdem habe sie angenommen, daß sie zu ihren Fluchtgründen punktuell befragt werden würde, und sie sei deshalb nicht dazu gekommen, "mehr anzugeben".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin ab und stellte fest, die Beschwerdeführerin sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968 (im folgenden: AsylG 1968). Begründet wurde dies im wesentlichen damit, die Beschwerdeführerin habe sich bei ihrer ergänzenden Einvernahme als unglaubwürdig erwiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde hat auf den vorliegenden Fall - nach § 25 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, zu Recht - das AsylG 1968 angewendet, weshalb der angefochtene Bescheid nicht gemäß § 44 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76, außer Kraft getreten und nicht gemäß dem dritten Absatz dieser Bestimmung vorzugehen ist.
Die Aktenwidrigkeit der Annahme der belangten Behörde, die von ihr getroffene Feststellung, die Beschwerdeführerin sei nicht Flüchtling im Sinne des AsylG 1968, sei schon Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung gewesen, führt aus den schon im Erkenntnis vom 30. September 1998, Zl. 95/20/0701, dargestellten Gründen auch im vorliegenden Fall nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Nach § 1 AsylG 1968 (in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 796/1974) ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (im folgenden: FlKonv), erfüllt, und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Diese Voraussetzungen hat die belangte Behörde vor allem deshalb nicht als erfüllt angesehen, weil sie das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht als glaubwürdig erachtete.
In der Beschwerde wird dem entgegengehalten, die belangte Behörde sei von den Abweisungsgründen des Bescheides erster Instanz abgegangen. Sie habe die Ermittlungsergebnisse neu gewürdigt und der Beschwerdeführerin die Glaubwürdigkeit aberkannt, ohne ihre neuerliche Vernehmung durchzuführen. Um den Angaben der Beschwerdeführerin mehr als 19 Monate nach der erstinstanzlichen Entscheidung aufgrund neuer Beweiswürdigung die Glaubwürdigkeit abzusprechen, hätte die belangte Behörde "eine zumindest ergänzende Ermittlungstätigkeit entfalten und auch neue Feststellungen treffen sowie begründen müssen, warum sie von der erstinstanzlichen Begründung und Feststellung abgeht".
Diese Ausführungen, in denen sich die Verfahrensrüge erschöpft, scheinen davon auszugehen, die im angefochtenen Bescheid ausführlich gewürdigte Einvernahme der Beschwerdeführerin zu der von ihr vorgelegten Urkunde habe schon im erstinstanzlichen Verfahren stattgefunden, die Behörde erster Instanz sei von der Glaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin zu der von ihr vorgelegten Urkunde ausgegangen und die belangte Behörde habe die Beweise überraschend umgewürdigt. Da das Gegenteil der Fall ist, erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Teil der Beschwerdeausführungen. Ein Versuch, die nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht erkennbar unschlüssige und im angefochtenen Bescheid näher ausgeführte Beweiswürdigung der belangten Behörde, wonach sich die Beschwerdeführerin durch ihre Reaktion auf die Fragen und Vorhalte am 18. Oktober 1995 als unglaubwürdig erwiesen habe, inhaltlich zu erschüttern, wird in der Beschwerde nicht unternommen.
Unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides wird in der Beschwerde nach einem einleitenden Hinweis darauf, daß die belangte Behörde sich dieses Abweisungsgrundes nicht mehr bedient habe, zunächst die Ansicht der Behörde erster Instanz bekämpft, die Beschwerdeführerin sei schon in anderen Staaten vor Verfolgung sicher gewesen. Davon abgesehen enthält die Beschwerde im wesentlichen nur noch die Behauptung, "aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahren" könne "nicht überzeugend verneint werden", daß die Beschwerdeführerin "entgegen der Ansicht der belangten Behörde wohl berechtigt Furcht vor Verfolgungshandlungen in der Türkei hatte". Auch mit dieser auf die Begründung und die Ergebnisse der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht näher eingehenden Behauptung zeigt die Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt, und Art. 6 Abs. 1 MRK dem nicht entgegensteht, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 29. Oktober 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996200231.X00Im RIS seit
20.11.2000