Entscheidungsdatum
17.05.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W211 2164879-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Iran gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids richtet, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als die zitierte Rechtsgrundlage zu lauten hat: § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG.
II. Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid in seinen Spruchpunkten I. - III., V.-VII. ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer stellte am XXXX 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
Mit Bescheid vom XXXX 2017 wies die belangte Behörde diesen Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt (III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise verfügt (Spruchpunkt IV.).
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am XXXX 2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Das diesbezügliche Verfahren ist derzeit zur Zl. W170 2164879-1 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX 2018 festgenommen und über ihn am XXXX 2018 die Untersuchungshaft verhängt. Mit Mitteilung vom XXXX 2019 informierte die Staatsanwaltschaft XXXX darüber, dass gegen den Beschwerdeführer wegen § 15 StGB; §§ 146, 148 1. Fall StGB; §§ 28a
(1) 5. Fall, 28a (2) Z 3 SMG, §§ 27 (1) Z1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG Anklage erhoben wurde.
Mit Verfahrensanordnung vom XXXX 2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 AsylG der Verlust des Aufenthaltsrechts wegen Straffälligkeit mitgeteilt.
Mit Schreiben vom XXXX 2019 räumte die belangte Behörde ein Parteiengehör ein, worauf der Beschwerdeführer mit Schreiben vom XXXX 2019 antwortete.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom XXXX 2019 hob die belangte Behörde gemäß § 68 Abs. 2 AVG den Bescheid des BFA vom XXXX 2017 betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung in Spruchpunkt III. sowie betreffend Spruchpunkt IV. von Amts wegen auf (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt III.) und sprach aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem XXXX 2018 verloren hat (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen den Bescheid gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer mit dem Bescheid vom XXXX 2017 keine Rechte eingeräumt oder festgestellt wurden. Daher sei § 68 Abs. 2 AVG grundsätzlich anwendbar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Anträge gestellt wurden, den Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu die Rückkehrentscheidung aufzuheben, die Abschiebung für unzulässig zu erklären, das Einreiseverbot zur Gänze zu beheben in eventu die Dauer auf ein verhältnismäßiges Maß zu reduzieren.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung:
Der oben wiedergegebene Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten den Beschwerdeführer betreffenden Verwaltungs- und Gerichtsakten.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A:
1. Über den Beschwerdeführer wurde am XXXX 2018 Untersuchungshaft verhängt; das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sprach daher im Grundsatz zu Recht aus, dass der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 verlor. Die Beschwerde war daher in Bezug auf Spruchpunkt IV. mit der Maßgabe abzuweisen, dass die dafür heranzuziehende Rechtsgrundlage § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 zu sein hat.
2. Stattgabe der Beschwerde und ersatzlose Behebung der weiteren Spruchpunkte:
§ 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. 51/1991 idgF lautet auszugsweise:
"§ 68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
(2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.
[...]"
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Ziel und Zweck der Regelung des § 68 AVG ist, die Bestandskraft von Bescheiden zu schützen (Kopp, ZfV 1977, 390), oder anders ausgedrückt, eine Aufhebung oder Abänderung des Bescheides durch die Verwaltungsbehörde, insbesondere der im Spruch des Bescheides getroffenen normativen Anordnung, außerhalb des Rechtsmittelverfahrens nur unter bestimmten, vom Gesetz eng begrenzten Voraussetzungen zuzulassen. Die Anwendbarkeit des § 68 AVG setzt nach hA gemäß seinem Abs 1 weiterhin, daran hat die AVG-Nov BGBl I 2013/33 nichts geändert, das Vorliegen eines "der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides" voraus. Dies hat sich mit der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit dahingehend geändert, dass nun unter formeller Rechtskraft die Unanfechtbarkeit des Bescheides nicht nur mit ordentlichen Rechtsmitteln iSd AVG, sondern auch mit Beschwerde (Vorlageantrag gem § 15 VwGVG) an das VwG zu verstehen ist (Hengstschläger/Leeb, Verwaltungsverfahrensrecht5 Rz 558; Leeb, Änderung 132 f; Palmstorfer/Reitshammer, ZÖR 2014, 362; Raschauer, Auswirkungen 240 f; Stolzlechner in Stolzlechner/Wendl/Bergthaler, Betriebsanlage4 Rz 359; Unterpertinger, ÖJZ 2013, 998 ff; vgl auch Kolonovits/Muzak/Stöger10 Rz 453/1, die zwischen formeller Rechtskraft im engeren Sinn [Unanfechtbarkeit mit verwaltungsinternen ordentlichen Rechtsmitteln] und im weiteren Sinn [Unanfechtbarkeit mit Beschwerde an ein VwG] unterscheiden). § 68 AVG stellt nicht auf die formelle Rechtskraft von Bescheiden ab, sondern macht seine Anwendbarkeit ausschließlich davon abhängig, dass der Bescheid der Berufung (gemeint sind alle im AVG geregelten ordentlichen Rechtsmittel) nicht oder nicht mehr unterliegt. Die Anhängigkeit einer zulässigen Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht steht einer Anwendung des § 68 Abs. 2 AVG nicht entgegen (vgl. VwGH vom 16.11.2015, Zl. Ra 2015/12/0029; vgl. auch Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 8, 9).
Dies bedeutet, dass Bescheide, die nur noch mit Beschwerde an das VwG bekämpft werden können und gegen die ein im AVG vorgesehenes ordentliches Rechtsmittel iSd § 68 Abs 1 AVG nicht mehr zur Verfügung steht, gem § 68 AVG von Amts wegen aufgehoben oder abgeändert werden können. Die Möglichkeit sowie die Anhängigkeit einer zulässigen Beschwerde beim VwG stehen der Anwendung des § 68 AVG grundsätzlich nicht entgegen.
Dem Wortlaut nach käme eine amtswegige Aufhebung oder Abänderung von der Berufung nicht (mehr) unterliegenden Bescheiden nach § 68 Abs 2 AVG nur für rein belastende Bescheide, eben solche, "aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist", in Betracht. Der VwGH vertritt allerdings in ständiger Rechtsprechung über den Wortlaut des § 68 Abs 2 AVG hinausgehend die Auffassung, dass es letztendlich nicht darauf ankommt, ob der abzuändernde Bescheid selbst begünstigende oder belastende Wirkung hat. Ausschlaggebend für die Anwendbarkeit des § 68 Abs 2 AVG ist der Effekt der Aufhebung oder Abänderung. Wirkt sie zugunsten der Partei(en), ist sie in verfahrensrechtlicher Hinsicht nach § 68 Abs 2 AVG stets zulässig, gleichgültig, ob der Partei aus dem Bescheid ein Recht erwachsen ist oder nicht (vgl VfGH 21. 2. 2014, B 1512/2011). Belastende Abänderungen von der Berufung nicht (mehr) unterliegenden Bescheiden können nicht auf § 68 Abs 2 AVG gestützt werden (vgl VwGH 27. 5. 2014, 2011/10/0197), auch dann nicht, wenn es sich um Bescheide handelt, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist (vgl VwSlg 1293 A/1950; 17. 5.2001, 2001/07/0034; ferner Antoniolli/Koja 581; Hengstschläger, Die Verwaltung 1979, 347 f; Kolonovits/Muzak/Stöger10 Rz 654; Raschauer, Rechtskraftdurchbrechungen 289; Thienel/Schulev-Steindl5 302). Der VwGH beruft sich bei seiner den Wortlaut des § 68 Abs 2 AVG ergänzenden bzw. berichtigenden Interpretation auf den "Sinn der Vorschrift" im "Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen dieser Gesetzesstelle" (VwSlg 4187 A/1956) sowie auf das dem Gleichheitssatz innewohnende Sachlichkeitsgebot (VwSlg 9875 A/1979) (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 68 Rz 81).
Im Ergebnis vertritt der VwGH den Standpunkt, dass es unmaßgeblich ist, ob es sich um einen begünstigenden oder belastenden Bescheid handelt, die Behörde aber von der ihr in § 68 Abs 2 AVG eingeräumten Möglichkeit nur dann Gebrauch machen darf, wenn damit keine Verschlechterung der Rechtsstellung einer Partei verbunden ist, weshalb eine Vorgangsweise, durch welche die Rechtslage - nicht sonstige Umstände - ungünstiger als durch den ursprünglichen, aufgehobenen oder abgeänderten Bescheid gestaltet wird, nicht auf § 68 Abs 2 AVG gestützt werden kann (VwSlg 1293 A/1950; VwGH 20. 3. 1996, 95/21/0369; 24. 2. 2005, 2004/11/0215).
Mit dem Bescheid vom XXXX 2019 wird die im Bescheid vom XXXX 2017 verfügte Rückkehrentscheidung (und die Frist für die freiwillige Ausreise von Amts wegen behoben (Spruchpunkte III. und IV. des Bescheids vom XXXX 2017), nur um unter einem eine gleichlautende Rückkehrentscheidung zu verfügen, neuerlich die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran festzustellen, ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot zu erlassen und keine Frist für die freiwillige Ausreise vorzusehen.
Es ist bei dieser Spruchtechnik offensichtlich, dass durch den Abänderungsbescheid unzweifelhaft belastend auf die Rechtsposition des Beschwerdeführers eingewirkt werden soll, zumal auch die neuerliche - gleichlautende - Rückkehrentscheidung nur verfügt wird, um ein damit zusammenhängendes Einreiseverbot zu erlassen. Da die Rechtsposition des Beschwerdeführers damit ungünstiger als durch den ursprünglichen Bescheid gestaltet wird, war die belangte Behörde nicht zur amtswegigen Abänderung des Bescheides vom XXXX 2017 befugt (vgl. BVwG 16.01.2019, W237 2130403-2/3Z, 16.10.2018, W218 2191313-2; 23.11.2018, W208 2181309-1 ua.).
Spruchpunkt VI. ist (zusätzlich) deshalb rechtswidrig, weil § 18 Abs. 1 BFA-VG nur auf Beschwerden gegen abweisende Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz abstellt, was vorliegend nicht der Fall ist.
Hat die Unterbehörde von Amts wegen einen Bescheid erlassen, der nicht hätte ergehen dürfen, weil in der betreffenden Angelegenheit die Erlassung eines Bescheides nicht vorgesehen ist oder weil die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind, hat die Berufungsbehörde den zu Unrecht ergangenen Bescheid ersatzlos zu beheben (Hengstschläger/Leeb, AVG² § 66 Rz 105, mwH).
3. Vor dem Hintergrund, dass der gegenständlich angefochtene Bescheid bereits auf Grund der Aktenlage aufzuheben war, konnte gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine - im Übrigen nicht beantragte - mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
amtswegige Abänderung, Aufenthaltsrecht, Ausreise, Behebung derEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W211.2164879.2.00Zuletzt aktualisiert am
10.10.2019