TE Vfgh Erkenntnis 1996/11/25 B1668/96

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.1996
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
FremdenG §17 Abs1
FremdenG §19

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Ausweisung der Beschwerdeführerin aufgrund Unterlassung der gebotenen Interessenabwägung; bloßes Abstellen auf Rechtswidrigkeit des Aufenthaltes infolge Ablaufs des Sichtvermerkes nicht ausreichend; keine Berücksichtigung der intensiven familiären Bindung aufgrund der Ehe mit österreichischem Staatsbürger und Geburt eines gemeinsamen Kindes

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet ein im Instanzenzug ergangener Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien, mit dem die Beschwerdeführerin, eine mazedonische Staatsangehörige, gemäß §17 Abs1 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), ungeachtet dessen ausgewiesen wurde, daß sowohl ihr Gatte - mit dem sie seit Juni 1993 verheiratet und dem (mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 1. August 1995) die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft bereits zugesichert worden ist - als auch ihr in Österreich geborener Sohn im Bundesgebiet leben. Der bekämpfte Bescheid ist damit begründet, daß die Beschwerdeführerin seit ihrer offenbar sichtvermerksfreien Einreise im Juli 1995 eine Aufenthaltsbewilligung nicht zu erlangen vermochte. Wenngleich von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen sei, weil deren Ehegatte und Kind in Österreich lebten, so sei dieser Eingriff zur Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens, somit zur Erreichung der im Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele, dringend geboten. Einem geordneten Fremdenwesen komme ein hoher Stellenwert zu. Die Beschwerdeführerin sei auch bereits wegen des unerlaubten Aufenthaltes rechtskräftig bestraft worden; die Ausweisung verfolge lediglich den Zweck, die Beschwerdeführerin zu verhalten, den rechtswidrigen Zustand durch Ausreise zu beenden. Die Tolerierung eines weiteren rechtswidrigen Aufenthaltes würde der Beschwerdeführerin den tatsächlichen, jedoch rechtswidrigen Aufenthalt auf unbestimmte Zeit verschaffen, was einem geordneten Fremdenwesen grob zuwiderlaufen würde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie ihren Bescheid verteidigt und im wesentlichen darauf hinweist, daß die Beschwerdeführerin bisher noch keine Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz erlangt habe und mit ihrem illegalen Aufenthalt versuche, eine Familienzusammenführung entgegen den dafür geltenden und als notwendig anzusehenden gesetzlichen Bestimmungen zu erzwingen. Die belangte Behörde beantragt daher, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen oder aber ihre Behandlung gemäß Art144 Abs2 B-VG abzulehnen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das der Beschwerdeführerin gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicher Weise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988, 11857/1988, 11982/1989, 12919/1991, 13241/1992, 13489/1993).

2. Der Beschwerdefall entspricht in allen entscheidungswesentlichen Belangen jenem, der mit Erkenntnis vom 27. Juni 1996, B1838/94, entschieden wurde, weshalb sich der Verfassungsgerichtshof vornehmlich darauf beschränken kann, auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses hinzuweisen. Die belangte Behörde hätte auch im vorliegenden Fall angesichts der Tatsache, daß ein Eingriff in die durch Art8 EMRK geschützten Rechte vorliegt, eine Abwägung mit jenen Umständen vornehmen müssen, die für die Beschwerdeführerin sprechen: Insbesondere blieb unberücksichtigt, daß die Beschwerdeführerin auch vom Ausland aus einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gestellt hat, daß sie mit einem Fremden verheiratet ist, dem bescheidmäßig die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert wurde, und daß sie im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides Mutter eines Kleinkindes war. Damit hat die belangte Behörde in Wahrheit die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grunde aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 3.000,-- enthalten.

IV.                                  Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Ausweisung, Interessenabwägung, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1668.1996

Dokumentnummer

JFT_10038875_96B01668_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten