TE OGH 2019/9/5 17Ob12/19t

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Veröffentlicht am 05.09.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Musger und Priv.-Doz. Dr. Rassi, die Hofrätin Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M***** W*****, Rechtsanwalt, *****, vertreten durch Hajek & Boss & Wagner Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, als Insolvenzverwalter im Konkurs über das Vermögen der B***** Gesellschaft ***** mbH, gegen die beklagte Partei M*****, družba tveganega kapitala, d.o.o., *****, Slowenien, vertreten durch DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Anfechtung und 1.500.000 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 9. Mai 2019, GZ 3 R 18/19t-31, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt vom 14. Februar 2019, GZ 4 Cg 63/16p-27 abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.721 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt vom 15. September 2015 ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit seiner auf § 28 Z 1 und Z 2 IO sowie auf § 31 Abs 1 Z 2 und Z 3 IO gestützten Anfechtungsklage wurden vom Kläger bestimmte Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte der Beklagten (Beteiligungsvertrag, Kapitalerhöhungsbeschluss, Gesellschaftsvertrag) angefochten und zuletzt der Betrag von 1.500.000 EUR begehrt. Auf Antrag des Klägers fällte das Erstgericht am 16. August 2017 ein stattgebendes Versäumungsurteil. Der Kläger beantragte eine Bestätigung des Versäumungsurteils als europäischer Vollstreckungstitel. Das Erstgericht entsprach diesem Antrag.

Die Beklagte begehrt, den Widerruf dieser Bestätigung nach Art 10 Abs 1 lit b EuVTVO. Neben der Geltendmachung von Zustellmängel brachte sie dazu vor, dass Art 2 Abs 2 lit b EuVTVO „Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“ vom Anwendungsbereich der EuVTVO ausnehme. Von dieser Ausnahme seien auch insolvenznahe Verfahren umfasst, wozu auch die gegenständliche Anfechtungsklage zähle.

Das Erstgericht wies den auf den fehlenden sachlichen Anwendungsbereich der EuVTVO gestützten Antrag der Beklagten ab. Insoweit sich die Beklagte auf Zustellmängel berief, behielt sich das Erstgericht die Entscheidung erkennbar vor. Seine abweisende Entscheidung stützte es auf die Öffnungsklausel des Art 25 EuInsVO 2000. Der dortige Verweis auf das EuGVÜ sei dynamisch zu verstehen und betreffe auch die EuVTVO.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten Folge und widerrief die Bestätigung nach Art 10 Abs 1 lit b EuVTVO. Auch für Anfechtungsklagen sei die EuVTVO gemäß Art 2 Abs 2 lit b leg cit nicht anwendbar. Schon die fehlende ordre-public-Kontrolle im Bereich der EuVTVO spreche gegen die Ansicht des Klägers. Eine planwidrige Regelungslücke liege nicht vor.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im abweisenden Sinn abzuändern.

Die Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig, weil die im Schrifttum unterschiedlich beurteilte Problematik, ob der Verweis in Art 25 EuInsVO 2000 auch für die EuVTVO gilt, in der höchstgerichtlichen Judikatur noch ungeklärt ist. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

1. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2015 noch die EuInsVO 2000 Anwendung findet, zumal die EuInsVO 2015 nur auf solche Insolvenzverfahren anzuwenden ist, die ab dem 26. Juni 2017 eröffnet worden sind (Art 84 Abs 1 EuInsVO 2015). Für Rechtshandlungen des Schuldners vor diesem Datum gilt weiterhin das Recht, das für diese Rechtshandlungen anwendbar war, als sie vorgenommen wurden. Gegenstand der Klage (und damit auch des hier zu beurteilenden Versäumungsurteils) sind Rechtshandlungen im Jahr 2015.

2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen lauten:

EuVTVO:

Art 2

Anwendungsbereich

(1) Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. …

(2) Diese Verordnung ist nicht anzuwenden auf

...

b) Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren;

...

Art 10

Berichtigung oder Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel

(1) Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel wird auf Antrag an das Ursprungsgericht

a) berichtigt, wenn die Entscheidung und die Bestätigung aufgrund eines materiellen Fehlers voneinander abweichen;

b) widerrufen, wenn sie hinsichtlich der in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen eindeutig zu Unrecht erteilt wurde.

(2) Für die Berichtigung oder den Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist das Recht des Ursprungsmitgliedstaats maßgebend.

EuGVVO 2000 und EuGVVO 2012:

Art 1

(1) Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. ...

(2) Sie ist nicht anzuwenden auf:

...

b) Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren;

...

Art 68

(1) Diese Verordnung tritt im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten an die Stelle des Brüsseler Übereinkommens, ...

(2) Soweit diese Verordnung die Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens zwischen den Mitgliedstaaten ersetzt, gelten Verweise auf dieses Übereinkommen als Verweise auf die vorliegende Verordnung.

EuInsVO 2000:

Art 25

(1) Die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichts, dessen Eröffnungsentscheidung nach Artikel 16 anerkannt wird, sowie ein von einem solchen Gericht bestätigter Vergleich werden ebenfalls ohne weitere Förmlichkeiten anerkannt. Diese Entscheidungen werden nach den Artikeln 31 bis 51 (mit Ausnahme von Artikel 34 Absatz 2) des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch die Beitrittsübereinkommen zu diesem Übereinkommen geänderten Fassung vollstreckt.

Unterabsatz 1 gilt auch für Entscheidungen, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen, auch wenn diese Entscheidungen von einem anderen Gericht getroffen werden.

Unterabsatz 1 gilt auch für Entscheidungen über Sicherungsmaßnahmen, die nach dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens getroffen werden.

(2) Die Anerkennung und Vollstreckung der anderen als der in Absatz 1 genannten Entscheidungen unterliegen dem Übereinkommen nach Absatz 1, soweit jenes Übereinkommen anwendbar ist.

(3) Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, eine Entscheidung gemäß Absatz 1 anzuerkennen und zu vollstrecken, die eine Einschränkung der persönlichen Freiheit oder des Postgeheimnisses zur Folge hätte.

3. Vom EuGH wurde bereits geklärt, dass Anfechtungsklagen im Verhältnis zum Konkurs „ähnliche Verfahren“ sind, sodass diesbezüglich eine Anwendung des EuGVÜ (bzw der EuGVVO 2000, EuGVVO 2012 und der EuVTVO) grundsätzlich ausscheidet (EuGH Rs 133/78 Gourdain/Nadler; EuGH C-339/07 Seagon/Deko Marty Belgium NV).

4. Davon zu trennen ist die Frage, wie die sogenannte Öffnungsklausel in Art 25 EuInsVO 2000 auszulegen ist. Nach dieser Bestimmung werden auch Entscheidungen, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und damit in engem Zusammenhang stehen, nach dem EuGVÜ (und damit wegen Art 68 EuGVVO nach der EuGVVO 2000 bzw EuGVVO 2012) vollstreckt. Es ist unstrittig und auch aus der Judikatur des EuGH (C-339/07 Seagon/Deko Marty Belgium NV Rn 26 f) abzuleiten, dass auch insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen unter die Regel des Art 25 Abs 1 Unterabsatz 2 EuInsVO fallen (Klauser/Pogacar in Konecny, Insolvenzgesetze Art 25 EuInsVO Rz 38 ua).

5. Nach einer wörtlicher Auslegung bezieht sich diese Öffnungsklausel nur auf das EuGVÜ bzw nunmehr auf die EuGVVO, nicht aber auch auf die EuVTVO. Im Schrifttum wurde die Frage, ob die zuletzt genannte Verordnung aufgrund eines „dynamischen“ Verständnisses von der Öffnungsklausel ebenfalls umfasst sei, unterschiedlich beantwortet.

5.1 Neumayr (in Mayr, Europäisches Zivilverfahren Rz 8.75) bejahte dieses dynamische Verständnis, wobei er allerdings zur Neufassung der EuInsVO 2015 eine Lücke verneinte und damit offenbar berücksichtigte, dass zu diesem Zeitpunkt die EuVTVO bereits bestanden hat.

5.2 Mehrfach im Sinne des Rechtsmittelwerbers hat sich auch König geäußert (Anfechtung5 Rz 23/23; König, Aus dem Aktualitätenkino des Konkursanfechtungsrechts, Insolvenzforum 2007, 156; König, EuVTVO: Anwendungsbereich und Belehrungserfordernisse, RZ 2008, 101). Der Hinweis, dass sich Ausnahmebestimmungen zum Anwendungsbereich der EuVTVO (hier „Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“) mit jenen zur EuGVVO deckten, sei nicht stichhältig. Die EuVTVO sei eben wegen Art 25 EuInsVO 2015 trotz Art 2 Abs 2 lit b EuVTVO anwendbar, weil die EuVTVO für unbestrittene Forderungen Bestimmungen der EuGVVO ersetzen könne. Die EuVTVO stelle eine Vereinfachung der vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen der EuGVVO dar.

5.3 Bereits 2003 – also noch vor Erlassung der EuVTVO – hat Schollmeyer (Vollstreckungsschutz kraft ausländischen Insolvenzrechts und Inlandsklausel, IPRax 2003, 230) in Deutschland unter Bezugnahme auf den damals (erst) vorliegenden Vorschlag für eine EuVTVO eine „dynamische“ Verweisung vertreten, zumal sich die Anwendungsbereiche der geplanten EuVTVO und der EuGVVO gleichen sollten.

5.4 Das „dynamische“ Verständnis wurde vor allem in der umfassenden Untersuchung von Zenker (Zur Vollstreckbarkeit insolvenzrechtlicher Titel nach der EuVTVO – zugleich ein Beitrag zur Auslegung von Art 25 EuInsVO, FS-Simotta [2012] 741 ff) geteilt, auf die sich das Rechtsmittel und das Erstgericht stützen. Dieser Autor argumentierte vor allem systematisch-teleologisch und verwies auf die zeitliche Abfolge der Verordnungen und die Übernahme der Bereichsausnahmen vom EuGVÜ zunächst in die EuGVVO und dann in die EuVTVO. Die sachlichen Anwendungsbereiche seien jeweils identisch abzustecken. Der „Anfangsverdacht“ spreche für die Anwendbarkeit der EuVTVO, die ein Pilotprojekt darstelle. Es sei nicht einzusehen, warum gerade bei (unbestrittenen) insolvenzrechtlichen Titeln dem Gläubiger die Wohltat der Vollstreckbarkeit auf Grundlage der EuVTVO entzogen sein solle. Der Einwand, der fehlenden ordre-public-Kontrolle bei der EuVTVO sei zwar gravierend (vgl Art 26 EuInsVO 2000), dieser Ausschluss entspreche aber der unionsrechtlichen Fortentwicklung der justiziellen Zusammenarbeit.

         5.5 Daneben vertrat in Deutschland ua auch Papst (in Rauscher EuZPR/EuIPR II4 Art 2 EuVTVO Rz 2) zu Art 25 EuInsVO 2000 ein „dynamisches“ Verständnis. Nur so könne ein Gleichlauf der sachlichen Anwendungsbereiche der EuGVVO mit der EuVTVO sichergestellt werden. Als Argumentationsbruch erweist sich jedoch der Hinweis dieses Autors, dass davon Anfechtungsklagen ausgeschlossen seien (Rz 13).

5.6 Die Gegenansicht lehrten in Österreich etwa Jelinek (Praxisprobleme bei grenzüberschreitenden Zivilprozessen mit insolvenzrechtlichen Zusammenhängen, Insolvenzforum 2007, 43) und G. Kodek (EuGH zur Konkursanfechtung: Eine erste Analyse, ÖBA 2009, 632 f), die diese mit einem Hinweis auf Art 2 Abs 2 lit b EuVTVO begründeten, der der Bestimmung des Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO entspreche und daher gleich auszulegen sei. Das deckt sich auch mit der Rechtsansicht von Höllwerth, nach dem auch konkursrechtliche Anfechtungsklagen vom Anwendungsbereich der EuVTVO ausgeschlossen seien, wobei dieser Autor zuvor Art 25 Abs 1 Unterabsatz 2 EuInsVO 2000 als Abgrenzungskriterium heranzog (Höllwerth in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Lieferung, Art 2 EuVTVO Rz 22).

5.7 In Deutschland zeigte sich Arnold (in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr II, 40. Lieferung, Art 2 EuVTVO Rz 11) von der dynamischen Verweisung „nicht überzeugt“. Die EuVTVO finde auf die in Art 25 Abs 1 Satz 2 EuInsVO 2000 genannten Titeln keine Anwendung, wobei er systematisch argumentierte: Der Verweis auf das EuGVÜ sei als Verweisung auf die EuGVVO zu lesen. Art 68 EuGVVO enthalte einen „Anwendungsbefehl“, der verhindere, dass Verweisungen auf das EuGVÜ nach dessen Ablösung ins Leere laufen. Ein solcher Befehl fehle für die EuVTVO. Eine Analogie scheide mangels Lücke aus.

5.8 Im Ergebnis kritisch prüfte auch Thole (in MünchKomm zur IO3 Art 25 EuInsVO 2000 Rz 15), ob die Verweisung auf die EuGVVO als Verweisung auf die jüngere EuVTVO anzusehen sei. Das sei „fraglich und eher zu verneinen“. Dafür spreche (zwar), dass die EuVTVO eine Erleichterung einer Vollstreckung gegenüber der EuGVVO bedeute. Allerdings wäre mit einer Verweisung auch die ordre-public-Kontrolle im Rechtsbehelfverfahren ausgehebelt. „Die Frage ist bisher ungeklärt. Praktisch fehlt es meist an einer unbestrittenen Forderung.

6. Die bisherige zweitinstanzliche Rechtsprechung deckt das Ergebnis des Rekursgerichts (OLG Linz ZIK 2007/329, 204 [umfassend referiert bei König, RZ 2008, 100]). Demnach gelten auch für die EuVTVO die für die zum Anwendungsbereich der EuGVVO entwickelten Grundsätze. Verfahren, die ohne eine Insolvenzeröffnung nicht eingeleitet hätten werden können (also zB Anfechtungsklagen), fielen unter die Ausnahmebestimmungen des Art 2 EuVTVO. Es könne hier daher keine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nach dieser Verordnung ausgestellt werden.

7. Der Senat schließt sich aus folgenden Erwägungen der Rechtsansicht des Rekursgerichts an:

7.1 Zunächst ist zu beachten, dass Anfechtungsprozesse als „ähnliche Verfahren“ im Sinne der klaren Bestimmung des Art 2 Abs 2 lit b EuVTVO vom Anwendungsbereich der EuVTVO ausgenommen sind.

7.2 Das Rechtsmittel argumentiert damit, dass dessen ungeachtet eine Vollstreckung der Urteile über Anfechtungsklagen aufgrund des Art 25 EuInsVO 2000 wegen der jeweils gleich lautenden Ausnahmetatbestände von EuGVVO und EuVTVO für „Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“ auch für den Bereich der EuVTVO möglich sein müsse. Der Hinweis auf Art 2 Abs 2 lit b EuVTVO sei nicht überzeugend, weil auch die EuGVVO eine entsprechende Ausnahmebestimmung enthalte.

Dabei wird aber der unterschiedliche Regelungsgegenstand der beiden Verordnungen ausgeblendet. Wenngleich die EuVTVO „neben der und ergänzend zur EuGVVO steht“ (Mayr, Europäisches Zivilprozessrecht Rz IV/68), betreffen ihre Normen ausschließlich die unionsweite Anerkennung und Vollstreckung. Die EuGVVO beinhaltet aber neben ihren Bestimmungen zur transnationalen Anerkennung und Vollstreckung vor allem Regeln über die internationale Zuständigkeit von Zivilverfahren. Ungeachtet der Öffnungsklausel in Art 25 EuInsVO 2000 bleibt damit für die EuGVVO jedenfalls ein sinnvoller, eigenständiger Anwendungsbereich des Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO. Abseits der Regeln über die Anerkennung und Vollstreckbarkeit ist die EuGVVO daher weiterhin für „Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“ nicht anwendbar.

Entsprechendes würde aber nicht für die EuVTVO gelten, wenn man Art 25 EuInsVO 2000 im Sinne des Klägers „dynamisch“ auslegt, regelt die EuVTVO nämlich nur die internationale Anerkennung und Vollstreckung. Damit hätte Art 2 Abs 2 lit b EuVTVO keinen sinnvollen restlichen Anwendungsbereich mehr. Die Auslegung des Art 25 EuInsVO 2000 im Sinne des Klägers würde damit die Regel des Art 2 Abs 2 lit b EuVTVO sinnlos machen. Ein derartiges Verständnis kann dieser Bestimmung aber nicht unterstellt werden (RS0008773).

7.3 Die von Teilen des Schrifttums postulierte „dynamische“ Interpretation erfordert eine planwidrige Lücke des Art 25 EuInsVO 2000, die sich aber nicht schlüssig begründen lässt. So sah sich der Europäische Gesetzgeber im Jahr der Erlassung der EuVTVO (2004) nicht veranlasst, die damals bereits geltende EuInsVO 2000 entsprechend anzupassen oder in der EuVTVO – etwa durch Nichtaufnahme der Insolvenzausnahme für einen Gleichklang bezüglich der Vollstreckung von anfechtungsrechtlichen Entscheidungen mit dem Vollstreckungsregime der EuGVVO zu sorgen bzw im entsprechenden Abschnitt der EuVTVO (Kapitel VII) die sehr streng formulierte Ausnahmeregel des Art 2 Abs 2 lit b EuVTVO im Verhältnis zu anderen Rechtsakten der Gemeinschaft abzuschwächen.

7.4 Schließlich zeigt auch die nachfolgende Entwicklung, dass nach dem Willen des Unionsgesetzgebers zwar (nach wie vor) die EuGVVO, nicht aber die EuVTVO für die Vollstreckung von genuin insolvenzrechtlichen Entscheidungen Anwendung finden soll. Art 32 EuInsVO 2015 nimmt nämlich ausdrücklich Bezug auf die EuGVVO 2012, nicht aber auf die damals schon seit mehreren Jahren geltende EuVTVO.

7.5 Zusammenfassend besteht somit wegen des klaren Ausnahmetatbestands des Art 2 Abs 2 lit b EuVTVO und der nur auf die EuGVVO abzielende Öffnungsklausel des Art 25 EuInsVO 2000 keine Grundlage für die Anwendung der EuVTVO auf ein in einem Anfechtungsprozess ergangenes (Versäumungs-)Urteil, sodass das Rekursgericht die eindeutig zu Unrecht erteilte Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel zutreffend nach Art 10 Abs 1 lit b EuVTVO widerrufen hat.

7.6 Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Auch für das Verfahren über einen Antrag auf Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel gelten die Grundsätze jenes Verfahrens, in dem der Titel entstand (vgl RS0001596), was auch für die Kostenentscheidung gilt.

Textnummer

E126250

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0170OB00012.19T.0905.000

Im RIS seit

09.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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