Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. B*****, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1081 Wien, Josefstädterstraße 80, wegen Familienzeitbonus, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Juli 2019, GZ 9 Rs 73/19z-12, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Tochter des Klägers wurde am 10. 10. 2018 geboren. Der Kläger gab am 4. 1. 2019 einen Antrag auf Familienzeitbonus für Väter zur Post. Der Antrag langte am 10. 1. 2019 bei der beklagten Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter ein.
Mit Bescheid vom 31. 1. 2019 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Familienzeitbonus für die Tochter als verspätet ab.
Das Erstgericht sprach dem Kläger den Familienzeitbonus für den Zeitraum 24. 10. 2018 bis 20. 11. 2018 (28 Tage) für die Tochter in Höhe von 632,80 EUR zu. Der Antrag sei fristgerecht zur Post gegeben worden, die Tage des Postlaufs seien nicht in die Frist einzurechnen.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren hingegen ab. § 3 Abs 3 Satz 2 FamZeitbG normiere eine materiell-rechtliche Frist, weil ihr Versäumen mit dem Verlust des Anspruchs verbunden sei. Die §§ 32 f AVG seien auf materiell-rechtliche Fristen nicht anwendbar. Selbst unter Außerachtlassung des Tages der Geburt der Tochter wäre die 91-tägige Frist des § 3 Abs 3 Satz 2 FamZeitbG am 9. 1. 2019 abgelaufen gewesen, sodass der erst am 10. 1. 2019 bei der Beklagten eingelangte Antrag verspätet sei. Die Revision sei mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass zur Frage, ob es sich bei der in § 3 Abs 3 FamZeitbG normierten Frist zur Antragstellung um eine materiell-rechtliche oder eine verfahrensrechtliche Frist handle, Rechtsprechung fehle. Nach seiner Ansicht handle es sich bei dieser Frist um eine verfahrensrechtliche Frist, weshalb die Tage des Postlaufs nicht einzurechnen seien.
Rechtliche Beurteilung
Dazu wurde erwogen:
1. Ob eine bestimmte Frist dem Verfahrensrecht oder dem materiellen Recht zuzuordnen ist, hängt nicht davon ab, in welcher Rechtsvorschrift sie angeordnet ist, sondern ob an ihre Einhaltung verfahrens- oder materiell-rechtliche Folgen geknüpft sind. Fristen des materiellen Rechts sind Zeiträume, an deren Beachtung das Gesetz bestimmte materielle Rechtsfolgen knüpft (1 Ob 665/90; RS0038465 [T1]; ebenso VwGH 2008/22/0348 ua; Hengstschläger/Leeb, AVG [Stand 1. 1. 2014.rdb] § 32 Rz 3 mwH). Eine prozessuale Frist ist nach ständiger Rechtsprechung nur eine solche, die entweder durch ein Verfahren ausgelöst wird oder in einem Verfahren läuft (vgl etwa ausführlich zu § 575 Abs 2 ZPO 3 Ob 179/07f; RS0123438; VfGH B 1426/99 VfSlg 16.461 mwH). Wird die Einleitung eines Verfahrens an eine Frist gebunden, so ist diese keinesfalls eine prozessuale (RS0038465; 7 Ob 73/09z; vgl etwa zu den Antragsfristen des § 10 LPG RS0066182). Die Wertung einer Frist als materiell-rechtliche muss vom Gesetz unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht werden; im Zweifel ist von einer verfahrensrechtlichen Frist auszugehen (VwGH 2011/03/0017 mwH).
2. Gemäß § 3 Abs 3 Satz 2 FamZeitbG muss der Antrag bei sonstigem Anspruchsverlust, spätestens binnen 91 Tagen ab dem Tag der Geburt des Kindes gestellt werden. Das Berufungsgericht hat diese Bestimmung in Übereinstimmung mit der oben dargestellten Rechtsprechung zutreffend als (ausschließlich) materiell-rechtliche Frist qualifiziert. Dies ergibt sich erstens daraus, dass es sich um eine Frist handelt, an die die Einleitung des Verfahrens gebunden ist. Zweitens ist die Versäumung der Frist nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung mit dem Verlust des Anspruchs verbunden. Damit übereinstimmend führen auch die Gesetzesmaterialien zum FamZeitbG aus, dass der Antrag „am 91. Tag nach der Geburt beim Krankenversicherungsträger einlangen“ muss (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 3).
3. § 8 FamZeitbG ordnet ua die sinngemäße Anwendung des § 25a KBGG im Verfahren nach dem FamZeitbG an. Gemäß § 25a KBGG sind die für Leistungssachen in der Krankenversicherung geltenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen des ASVG, GSVG, BSVG und B-KUVG anzuwenden, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt. § 360b ASVG (hier iVm § 129 B-KUVG) ist daher infolge der Regelung der Antragsfrist in § 3 Abs 3 FamZeitbG nicht anzuwenden.
4. Der Revisionswerber führt für sich ins Treffen, dass das – gemäß § 5 Abs 1 FamZeitbG zwingend zu verwendende – Antragsformular missverständlich formuliert sei („Der Antrag muss binnen 91 Tagen … per Post oder persönlich … beim zuständigen Krankenversicherungsträger eingebracht werden …“). Dies mag nicht unbegründet sein, ändert aber nichts an der gesetzlichen Qualifikation der Antragsfrist als materiell-rechtliche Frist und der damit verbundenen Verspätung des Antrags. Es trifft zwar zu, dass nach herrschender Rechtsprechung bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorgegangen, dh der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden muss. Die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrags lässt sich aber auch aus den Grundsätzen sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten (RS0086446 [T1]). Das Gesetz kennt auch kein Institut, welches den Versicherten vor versicherungsrechtlichen Nachteilen bewahrt, wenn ihm ohne sein Verschulden eine zeitgerechte Antragstellung nicht möglich war. Auch eine wegen Unkenntnis des Gesetzes verspätete Antragstellung wirkt auf keinen früheren Zeitpunkt zurück (RS0085841 [T2]).
5. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die §§ 32 f AVG auf ausschließlich materiell-rechtliche Fristen nicht anwendbar sind – die Ausnahme einer sondergesetzlichen Anordnung liegt hier nicht vor – ist zutreffend (Hengstschläger/Leeb § 32 AVG Rz 6 mwH) und wird vom Revisionswerber nicht in Zweifel gezogen.
Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.
Textnummer
E126243European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00125.19H.0913.000Im RIS seit
09.10.2019Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021