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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1380;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Repa, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. Georg Vetter, Rechtsanwalt in Wien VIII, Landesgerichtsstraße 7, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat VI) vom 24. Juni 1993, Zl. 6/3 - 3154/93-05, betreffend Einkommensteuer und Gewerbesteuer für das Jahr 1989, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, der seine Tätigkeit als "Kaufmann" bezeichnet und seinen Gewinn gemäß § 5 EStG ermittelt, war als selbständiger Handelsvertreter für B tätig. Das Vertragsverhältnis wurde mit Wirkung ab 30. Juni 1989 beendet. Zu diesem Zeitpunkt bestand nach Auffassung des Beschwerdeführers ein Provisionsanspruch gegenüber B in Höhe von S 871.764,--, der dem Grunde nach von B bestritten wurde. Gleichzeitig bestand für den Beschwerdeführer eine Verbindlichkeit B gegenüber im Ausmaß von S 76.052,46.
Der Beschwerdeführer klagte seinen Provisionsanspruch gegenüber B am 18. Juli 1989 gerichtlich ein, was Prozeßkosten in Höhe von S 76.006,95 verursachte. Der Prozeß endete am 18. Juni 1990 mit einem Vergleich, in dem der Provisionsanspruch des Beschwerdeführers mit S 142.000,-- anerkannt sowie die Verbindlichkeit B gegenüber erlassen wurde.
Mit Rücksicht darauf, daß zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1989 der Provisionsanspruch in vollem Umfang von B bestritten war, wurde diese Forderung vom Beschwerdeführer in der Bilanz nicht ausgewiesen.
Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung für die Jahre 1987 bis 1989 vertrat die Prüferin die Auffassung, daß das Ergebnis des im Jahr 1990 geschlossenen gerichtlichen Vergleiches, nämlich die Anerkennung eines Provisionsanspruches des Beschwerdeführers B gegenüber in Höhe von S 142.000,-- sowie das Erlöschen der Forderung des B dem Beschwerdeführer gegenüber in Höhe von S 76.052,46 bereits im Jahr 1989 erfolgswirksam zu berücksichtigen seien.
Gegen die den Feststellungen der Prüferin folgenden Abgabenbescheide erhob der Beschwerdeführer Berufung und brachte vor, daß es unzulässig sei, die Ergebnisse des gerichtlichen Vergleiches auf den Bilanzstichtag 31. Dezember 1989 zurückzuprojizieren. Weiters wurde begehrt, die (bisher nicht geltend gemachten) Prozeßkosten im Ausmaß von S 76.006,95 im Jahr 1989 gewinnmindernd zu berücksichtigen.
In einer Stellungnahme zur Berufung vertrat die Prüferin die Auffassung, daß die dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung für das Jahr 1989 bekannten Umstände bereits zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1989 zu berücksichtigen seien. Da dem Beschwerdeführer der gerichtliche Vergleich vom 18. Juni 1990 zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung für das Jahr 1989 bereits bekannt gewesen sei, müsse sein Inhalt (rückwirkend) für diese Periode erfaßt werden. Eine Rückstellung für Prozeßkosten sei nicht geltend gemacht worden.
Der Beschwerdeführer hielt dem entgegen, daß für ihn als Kaufmann das Vorsichtsprinzip (Niederstwertprinzip) gelte. Zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1989 sei seine Forderung dem B gegenüber von diesem zur Gänze bestritten gewesen, während die Forderung des B ihm gegenüber geltend gemacht worden sei. Es entspreche dem Vorsichtsprinzip, diese Umstände bei der Bilanzerstellung zu berücksichtigen, weil es anderenfalls zu einem unzulässigen Ausweis nicht verwirklichter Gewinne käme.
Außerdem übermittelte der Beschwerdeführer dem Finanzamt als Nachweis seiner Anwaltskosten die Fotokopie der Honorarnote vom 22. August 1990. Da der Prozeßbeginn ins Jahr 1989 falle, seien die Anwaltskosten bereits in diesem Jahr zur Gänze erfolgswirksam.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung insoweit Folge, als sie den auf das Jahr 1989 entfallenden Teil der Prozeßkosten gewinnmindernd berücksichtigte; im übrigen wies sie die Berufung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer erklärt sich durch den angefochtenen Bescheid erkennbar insoweit beschwert, als die Wertberichtigung (Abschreibung) seiner Forderung B gegenüber nicht in vollem Ausmaß zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1989 anerkannt wurde und die zu diesem Stichtag bestehende Verbindlichkeit des Beschwerdeführers B gegenüber als Passivpost unberücksichtigt geblieben ist. Bezüglich der Prozeßkosten enthält die Beschwerde kein Vorbringen.
Die belangte Behörde begründet ihre Entscheidung lediglich damit, daß der Beschwerdeführer die Steuererklärungen für das Jahr 1989 am 19. April 1991 beim Finanzamt eingebracht habe und daher verpflichtet gewesen sei, "in die Bilanz Bekanntes (also das Resultat des Prozesses ...) und das Jahr 1989 Betreffendes aufzunehmen und nicht, wie in der Berufung begehrt, in das Jahr 1990 zu verlegen".
Die belangte Behörde verkennt mit dieser Rechtsansicht die Grundsätze des Bilanzsteuerrechtes. Nach dem jeweiligen Bilanzstichtag bekannt gewordene Tatsachen - und zwar unabhängig davon zu welchem Zeitpunkt die Bilanz erstellt und die Abgabenerklärung eingereicht wird - sind (nur) dann bereits zum Bilanzstichtag zu berücksichtigen, wenn sie zu diesem Stichtag als Umstände vorhanden waren, die für die Erstellung einer Bilanz relevant sind. Dem Bilanzerstellungszeitpunkt bzw. dem Zeitpunkt der Einreichung der Bilanz beim Finanzamt kommt nur insoweit Bedeutung zu, als Änderungen bei Bilanzierungswahlrechten, die durch später hervorgekommene Umstände beeinflußt werden, der Zustimmung durch das Finanzamt bedürfen (vgl. § 4 Abs. 2 letzter Satz EStG 1988). Die Verpflichtung zur Bilanzberichtigung, also zur Richtigstellung einer fehlerhaften Bilanz, besteht hingegen zeitlich unbeschränkt und führt zur Berichtigung der Abgabenbemessungsgrundlage solange als dies verfahrensrechtlich möglich ist.
Da es im Beschwerdefall nicht um die Inanspruchnahme eines Bilanzierungswahlrechtes, sondern um die periodengerechte Erfassung von Betriebsvorfällen, somit um die Richtigkeit der Bilanz geht, kam dem Zeitpunkt der Einreichung der Bilanz beim Finanzamt keine rechtliche Bedeutung zu. Waren alle zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1989 bestehenden Umstände in der Bilanz ordnungsgemäß berücksichtigt, so konnte eine später eingetretene Änderung des Wissensstandes über nach dem Bilanzstichtag eingetretene Ereignisse auf die Richtigkeit der Bilanz keinen Einfluß haben. Kamen umgekehrt bilanzrelevante Tatsachen hervor, die am Bilanzstichtag zwar vorhanden aber zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung noch nicht bekannt waren, so war die Bilanz zu berichtigen, auch wenn sie zusammen mit den Abgabenerklärungen bereits beim Finanzamt eingereicht war.
Entscheidend dafür, ob und in welchem Ausmaß bezüglich der Forderung des Beschwerdeführers gegenüber B am Bilanzstichtag 31. Dezember 1989 eine Wertberichtigung bzw. eine Abschreibung vorzunehmen und ob die Forderung des B dem Beschwerdeführer gegenüber noch auszuweisen war, konnten somit nicht der auf den gerichtlichen Vergleich des Jahres 1990 zurückzuführende Wissensstand zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung sein, sondern nur die am Bilanzstichtag tatsächlich gegeben Verhältnisse. Wohl trifft es zu, daß auch nach dem Bilanzstichtag eintretende Ereignisse - wie z.B. der vorliegende gerichtliche Vergleich - geeignet sein können, Rückschlüsse auf die Vermögensverhältnisse zum Zeitpunkt des Bilanzstichtages zu ziehen. Der Denkvorgang, auf dem solche Rückschlüsse beruhen, ist aber nachvollziehbar darzulegen. Ein wechselseitiger teilweiser Anspruchsverzicht, wie er einem Vergleich nach Maßgabe des § 1380 ABGB eigentümlich ist, kann nämlich durchaus eine Änderung der Vermögenssituation ex nunc und damit auch eine spätere Änderung des für eine zeitlich vorangehende Bilanzierung maßgebenden Vermögens bewirken. Nur wenn der Vergleich keine solche Änderung herbeiführt, kann als erwiesen angenommen werden, daß die im Vergleich geregelten Vermögensverhältnisse bereits zu einem früheren Zeitpunkt, also auch zu einem vor Vergleichsabschluß gelegenen Bilanzstichtag bestanden haben.
Ausgehend von der unrichtigen Rechtsansicht, daß die zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung bekannte Vermögenssituation stets auf den Bilanzstichtag zurückzuprojizieren sei, hat es die belangte Behörde versäumt darzulegen, aus welchen Gründen sie eine von B zur Gänze bestrittene Forderung bereits am Bilanzstichtag mit dem später verglichenen Betrag bewertete und warum sie eine erst durch den Vergleich beseitigte Verpflichtung des Beschwerdeführers bereits zum vorangegangenen Bilanzstichtag als nicht mehr bestehend angenommen hat.
Der angefochtene Bescheid erweist sich demnach als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 4. November 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1993130186.X00Im RIS seit
20.11.2000