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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
ASVG §133 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der A GmbH in W, vertreten durch Gillhofer & Plank Rechtsanwälte GesBR in 1010 Wien, Herrengasse 6- 8/3/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. April 2019, Zl. W147 2201482-1/11E, betreffend Aufnahme in den Erstattungskodex nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, vertreten durch die Preslmayer Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Universitätsring 12), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Spruchpunkt I des Bescheids vom 22. Juni 2018 hat die belangte Behörde (im Folgenden: Hauptverband) den Antrag der revisionswerbenden Partei vom 3. April 2018 auf Aufnahme der Arzneispezialität "Neulasta 6mg Injektionslösung Fertigspritze mit On-Body-Injektor (OnPro Kit)" mit dem Wirkstoff Pegfilgrastim (im Folgenden: OnPro Kit) in den Erstattungskodex gemäß § 20 Abs. 3 der Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach § 351g ASVG (in der Folge: VO-EKO) abgewiesen. Mit Spruchpunkt II des genannten Bescheides wurde OnPro Kit gemäß § 20 Abs. 3 VO-EKO aus dem (Roten Bereich des) Erstattungskodex gestrichen. (Anm.: Vom OnPro Kit zu unterscheiden ist die in den Erstattungskodex aufgenommene wirkstoffgleiche "Neulasta 6mg Injektionslösung in einem vorgefüllten Injektor", die mindestens 24 Stunden nach einer Chemotherapie von einem Arzt im niedergelassenen Bereich oder vom Patienten zu verabreichen ist. Beim OnPro Kit handelt es sich um eine neue Darreichungsform iSd § 23 Abs. 2 Z 4 VO-EKO. Dem Revisionsvorbringen zu Folge werden beide Produkte zum gleichen Preis angeboten.) 2 Begründend führte der Hauptverband aus, OnPro Kit mit dem Wirkstoff Pegfilgrastim (zur Behandlung der Abnahme der Zahl der weißen Blutkörperchen im Zusammenhang mit einer Chemotherapie) falle in die Kategorie 1 der gemäß § 351c Abs. 2 ASVG erstellten Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien (Arzneimittel zur Behandlung in Krankenanstalten) und sei somit gemäß § 20 Abs. 3 VO-EKO von einer Erstattung ausgeschlossen. Chemotherapien würden "im stationären Setting" oder in Krankenhausambulanzen durchgeführt, die gemäß § 2 Abs. 1 KAKuG Krankenanstalten im Sinn des § 1 KAKuG und somit dem intramuralen Bereich zuzuordnen seien. Die Arzneispezialität sei am Tag der Chemotherapie anzuwenden. Die beantragte Arzneispezialität sei Teil des intramuralen Behandlungskonzepts. Es handle sich um ein "Krankenhausprodukt". Der Antrag sei gemäß § 20 Abs. 3 VO-EKO abzulehnen, weil die beantragte Arzneispezialität gemäß § 351c Abs. 2 und 4 ASVG von der Erstattung ausgeschlossen sei. 3 Gegen diesen Bescheid erhob die revisionswerbende Partei Beschwerde.
4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt.
5 Die beantragte Arzneispezialität sei als Arzneimittel in der Europäischen Union zentral zugelassen. Sie habe keine gesonderte Konformitätsbewertung als Medizinprodukt durchlaufen, sondern sei zusammen mit der wirkstoffhältigen Injektionslösung als Arzneimittel zugelassen worden. Es handle sich nicht um ein aus einem Medizinprodukt und einem Arzneimittel bestehendes System, sondern um ein Arzneimittel im Sinn des Arzneimittelgesetzes. Das OnPro Kit sei als neue Packungsgröße zu Neulasta 6 mg Injektionslösung (Fertigspritze) zentral zugelassen worden. 6 Unstrittig würden Chemotherapien in Österreich überwiegend im intramuralen Bereich stattfinden. Unmittelbar nach erfolgter Chemotherapie würde das OnPro Kit von Angehörigen der Gesundheitsberufe aus der Verpackung genommen, die Folie des Batteriefaches entfernt, das OnPro Kit mit dem Wirkstoff befüllt und mit einer selbstklebenden Folie entweder am Oberarm oder in der Bauchregion des Patienten angebracht. Ton- und Lichtsignale würden ankündigen, dass in Kürze die Nadel in die Haut des Patienten eingeführt werde. Ein grünes Leuchtsignal würde sodann die Funktionstüchtigkeit des OnPro Kit bestätigen. Es habe eine Überwachung durch Angehörige von Gesundheitsberufen zu erfolgen, welche sicherstellen soll, dass die Nadel in die Haut des Patienten eingeführt worden sei und der OnPro Kit ordnungsgemäß funktioniere. Erst nach Einführung der Nadel erfolge die "Entlassung" des Patienten aus dem intramuralen Bereich. Nach 27 Stunden, abzüglich 2 Minuten, werde der Patient mittels eines Tonsignals darauf aufmerksam gemacht, dass in den nächsten 2 Minuten der Start der 45-minütigen Wirkstoffabgabe durch die Nadel erfolge. Nach diesen 45 Minuten erfolge ein Tonsignal. Über eine Skala sei überprüfbar, ob die wirkstoffhältige Injektionslösung vollständig injiziert worden sei. In weiterer Folge würde sich die Nadel zurückziehen und der Patient könne die Selbstklebefolie abziehen und den "On-Body-Injektor" entfernen und entsorgen.
7 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, gemäß § 31 Abs. 3 Z 12 ASVG würden zu den Aufgaben des Hauptverbandes iSd § 31 Abs. 2 Z 1 ASVG die Herausgabe eines Erstattungskodex der Sozialversicherung für die Abgabe von Arzneispezialitäten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers im niedergelassenen Bereich gehören. Gemäß § 351c Abs. 2 ASVG habe der Hauptverband eine Liste jener Arzneimittelkategorien zu erstellen, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung iSd § 133 Abs. 2 ASVG geeignet seien, weil sie z.B. überwiegend zur Behandlung in Krankenanstalten, unter ständiger Beobachtung oder zur Prophylaxe verwendbar seien. Diese Liste samt einer Begründung für die Anführung der Arzneimittelkategorien sei im Internet zu veröffentlichen.
8 Die Arzneimittelkategorie 1 der Anlage gemäß § 1 Abs. 2 der gemäß § 351c Abs. 2 ASVG erstellten Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien betreffe "Arzneimittel zur Behandlung in Krankenanstalten". Dabei handle es sich um Arzneimittel, deren Anwendung im Allgemeinen nur im Rahmen eines Aufenthaltes in einer Krankenanstalt, einer Leistungserbringung in einer Krankenanstalt oder im Zusammenhang mit einer Leistungserbringung einer Krankenanstalt medizinisch zweckmäßig und vertretbar sei. In der Begründung der Aufnahme in diese Liste werde darauf hingewiesen, dass Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung in Krankenanstalten oder unter ständiger Beobachtung verwendbar seien, im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im niedergelassenen Bereich iSd § 133 Abs. 2 ASVG dienen würden. 9 Chemotherapien würden in Österreich überwiegend im intramuralen Bereich durchgeführt. Die beantragte
Arzneispezialität werde unmittelbar nach einer (intramural) erfolgten Chemotherapie durch Angehörige von Gesundheitsberufen am Patienten appliziert. Unter "Anwendung eines Arzneimittels" sei nicht die (spätere) Freisetzung des Wirkstoffes oder der Zeitpunkt der Wirkstoffabgabe zu verstehen, sondern - vergleichbar dem Einnehmen eines Medikaments - die Anwendung des OnPro Kits in Form seiner Anbringung am Körper des Patienten. Auch in berufsrechtlicher Sicht erfolge die "Verabreichung" des beantragten Arzneimittels im unmittelbaren Anschluss an eine intramural durchgeführte Chemotherapie (iSd § 15 Abs. 4 Z 1 GEKG). Die Anwendung des OnPro Kits erfolge überwiegend in Krankenanstalten und nicht überwiegend im niedergelassenen Bereich. Eine solche Anwendung im niedergelassenen Bereich wäre jedoch eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Aufnahme in den Erstattungskodex (§ 31 Abs. 3 Z 12 ASVG).
10 Im Gegensatz dazu werde die bereits im Erstattungskodex gelistete Neulasta Fertigspritze überwiegend im niedergelassenen Bereich verabreicht und angewendet (Versorgung durch Hausärzte im niedergelassenen Bereich bzw. Selbstverabreichung durch den Patienten). Der Zeitpunkt bzw. der Ort der Anwendung einer Arzneispezialität (im intramuralen bzw. extramuralen Bereich) stelle im Hinblick auf das Gleichheitsgebot gemäß § 2 VO-EKO ein Differenzierungsmerkmal dar, das eine unterschiedliche Behandlung der beantragten Arzneispezialität und der Neulasta Fertigspritze rechtfertige. Dies unbeschadet der Tatsache, dass diese denselben Wirkstoff freisetzen und beide injiziert würden. Das OnPro Kit weise durchaus neue Aspekte auf und ermögliche die Wirkstoffabgabe im optimalen Zeitfenster unter Vermeidung gewisser Risken in der Sphäre des Patienten. Dem stehe jedoch gegenüber, dass das OnPro Kit im überwiegenden Ausmaß nicht im niedergelassenen Bereich eingesetzt würde.
11 Gemäß § 20 Abs. 4 VO-EKO könne der Hauptverband auch für Arzneispezialitäten, die einer Kategorie gemäß § 351c Abs. 2 ASVG angehörten, die Erstattungsfähigkeit feststellen, wenn ein Nachweis darüber erbracht werde, dass die Arzneispezialität zur extramuralen Behandlung iSd § 133 Abs. 2 ASVG geeignet sei. Dies sei jedoch im Hinblick darauf, dass die beantragte Arzneispezialität im unmittelbaren Anschluss an eine (intramurale) Chemotherapie zu applizieren sei, nicht der Fall.
12 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil der Verwaltungsgerichtshof zur Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs. 2 ASVG noch kein Erkenntnis erlassen habe und auch zur Frage, was unter "Anwendung eines Arzneimittels" im Sinn der genannten Arzneimittelkategorie 1 zu verstehen ist, noch nicht Stellung genommen habe. 13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Der Hauptverband hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der er die Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die revisionswerbende Partei führt zur Zulässigkeit der Revision aus, dass die Arzneimittelkategorie 1 (Krankenanstaltenprodukte) der gemäß § 351c Abs. 2 ASVG erstellten Liste die Gesetzesbegriffe "Anwendung von Arzneimitteln" sowie "überwiegend in Krankenanstalten" enthalte, die nicht entsprechend definiert seien. Es bestehe keine höchstgerichtliche Judikatur, die diese für die Erstattung von Arzneimitteln wesentlichen Begriffe näher erläutere. Die Begriffe seien wesentliche Elemente zur Qualifikation einer Arzneimittelspezialität als "Krankenanstaltenprodukt" iSd Arzneimittelkategorie 1 der "Negativ-Liste" nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs. 2 ASVG. Diese Qualifikation habe große Auswirkungen in Verfahren zur Aufnahme von Produkten in den Erstattungskodex, weil jene Arzneimittelspezialitäten, die unter die genannte Kategorie fielen, gemäß § 351c Abs. 2 ASVG iVm § 20 VO-EKO nicht erstattungsfähig seien und damit nicht in den Erstattungskodex aufgenommen werden könnten. Die Frage der Erstattungsfähigkeit habe sowohl für die Rechte von Herstellern als auch von Patienten, die von niedergelassenen Ärzten behandelt würden, wesentliche Auswirkungen, weil nicht erstattungsfähige Arzneimittel nicht oder nur in Einzelfällen nach chef- bzw. kontrollärztlicher Genehmigung als therapeutische Alternative zur Verfügung stünden. In der Praxis zeige sich, dass die Chef- und Kontrollärzte der Sozialversicherungsträger Produkte, die als Krankenanstaltenprodukte qualifiziert seien, nicht bewilligen würden. Daher hänge die Entscheidung der Revision von der grundsätzlichen Rechtsfrage ab, ob die Begriffe "Anwendung eines Arzneimittels" und "überwiegende Anwendung in Krankenanstalten" ausschließlich auf Basis von § 351c Abs. 2 ASVG starr wörtlich auszulegen seien, wie das das Bundesverwaltungsgericht angenommen habe, oder auch der Normzweck, der in der Verordnung zu § 351c Abs. 2 ASVG - nämlich der Liste erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien - zum Ausdruck komme, sowie die Gesetzesmaterialien und das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27.9.2007, B 2013/06, zur Auslegung dieser Begriffe heranzuziehen seien. Bisher sei keine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Thematik ergangen. Die Klärung dieser Rechtsfragen sei von grundsätzlicher Bedeutung. Auch fehle es an einer Rechtsprechung, wie die Kriterien des § 351c Abs. 2 ASVG und der daraus abgeleiteten Verordnung (Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien) zu interpretieren bzw. abzuwägen seien. Der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Begriff "überwiegend zur Behandlung in Krankenanstalten" sei in der genannten Verordnung nur als eines unter mehreren Kriterien wie "der notwendigen Überwachung und/oder der Sicherheitsvorkehrungen", "nur im Rahmen eines Aufenthaltes in einer Krankenanstalt (...) medizinisch zweckmäßig und vertretbar" oder "unter ständiger Beobachtung" angeführt. Es fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wie diese Kriterien gegeneinander abzuwägen seien und ob - wie dies das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt habe - ein Kriterium als maßgebliches herausgegriffen werden dürfe. Es sei anzunehmen, dass entgegen der getroffenen Entscheidung eine Auseinandersetzung mit allen Kriterien notwendig sei und eine Abwägung zu treffen sei, welche Kriterien vorliegen würden und ob in ihrer Gesamtheit die Kriterien bezogen auf eine Anwendung in Krankenanstalten überwiegen würden. Auch dabei handle es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. 15 Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt. 16 Gemäß § 133 Abs. 1 ASVG umfasst die Krankenbehandlung ärztliche Hilfe (§ 135 ASVG), Heilmittel (§ 136 ASVG) und Heilbehelfe (§ 137 ASVG). Die Krankenbehandlung muss nach § 133 Abs. 2 ASVG ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden. Die Leistungen der Krankenbehandlung werden, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird, als Sachleistungen erbracht.
17 Gemäß § 135 Abs. 1 ASVG wird die ärztliche Hilfe durch Vertragsärztinnen/Vertragsärzte, durch Vertrags-Gruppenpraxen, Wahlärztinnen/Wahlärzte, Wahl-Gruppenpraxen sowie in eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen der Versicherungsträger gewährt.
18 Gemäß § 136 Abs. 1 ASVG umfassen die Heilmittel die notwendigen Arzneien und die sonstigen Mittel, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolges dienen. Gemäß § 136 Abs. 2 ASVG werden die Kosten der Heilmittel vom Träger der Krankenversicherung durch Abrechnung mit den Apotheken übernommen.
19 Der die Abgabe von Heilmitteln regelnde § 350 Abs. 1 ASVG lautet in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 131/2017:
"(1) Heilmittel (§ 136) und Heilbehelfe (§ 137) usw. dürfen für Rechnung der Krankenversicherungsträger von Apothekern und Hausapotheken führenden Ärzten nur unter folgenden Voraussetzungen abgegeben werden:
1. Bestehen eines Vertragsverhältnisses mit dem Krankenversicherungsträger,
2. Verordnung
a) durch eine nach § 1 des Rezeptpflichtgesetzes, BGBl. Nr. 413/1972, befugte Person, die in einem Vertragsverhältnis zum Krankenversicherungsträger steht oder in einer Vertrags-Gruppenpraxis oder Primärversorgungseinheit tätig ist oder
b) durch einen ermächtigten/eine ermächtigte Arzt/Ärztin oder Zahnarzt/Zahnärztin, der/die bei einer Vertragskrankenanstalt beschäftigt ist, welche mit dem zuständigen Sozialversicherungsträger eine Vereinbarung über Verordnungen abgeschlossen hat,
-
bei der Entlassung von PatientInnen aus der stationären Pflege oder
-
während der Nachtstunden, an Wochenenden oder Feiertagen, wenn die Verordnung wegen Unaufschiebbarkeit der ärztlichen oder zahnärzlichen Handlung erforderlich ist, und
3. Verschreibbarkeit nach den Regeln des vom Hauptverband herausgegebenen Erstattungskodex (§ 31 Abs. 3 Z 12) und nach den Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise (§ 31 Abs. 5 Z 13)."
20 Gemäß § 31 Abs. 2 Z 1 ASVG obliegt dem Hauptverband die Wahrnehmung der allgemeinen und gesamtwirtschaftlichen Interessen im Vollzugsbereich der Sozialversicherung. Gemäß § 31 Abs. 3 Z 12 ASVG gehört zu den Aufgaben im Sinne des Abs. 2 Z 1 leg. cit. die Herausgabe eines Erstattungskodex der Sozialversicherung für die Abgabe von Arzneispezialitäten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers im niedergelassenen Bereich; in dieses Verzeichnis sind jene für Österreich zugelassenen, erstattungsfähigen und gesichert lieferbaren Arzneispezialitäten aufzunehmen, die nach den Erfahrungen im In- und Ausland und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine therapeutische Wirkung und einen Nutzen für Patienten und Patientinnen im Sinne der Ziele der Krankenbehandlung (§ 133 Abs. 2 ASVG) annehmen lassen. Die Arzneispezialitäten sind bestimmten Bereichen ("rot", "gelb", "grün") zuzuordnen, womit ua die Verschreibungsregel für die betreffende Arzneispezialität bestimmt wird. Der von der Revisionswerberin für den OnPro Kit angestrebte gelbe Bereich beinhaltet jene Arzneispezialitäten, die einen wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für Patienten und Patientinnen aufweisen und die aus medizinischen oder gesundheitsökonomischen Gründen nicht in den grünen Bereich aufgenommen werden. Arzneispezialitäten des gelben Bereiches unterliegen - im Gegensatz zu denen des grünen Bereiches - der ärztlichen Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger nach Maßgabe der Richtlinie nach § 31 Abs. 5 Z 13 ASVG.
21 § 351c ASVG lautet in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 49/2017 samt Überschrift:
"Aufnahme von Arzneispezialitäten in den Erstattungskodex
§ 351c. (1) Das vertriebsberechtigte Unternehmen beantragt beim Hauptverband die Aufnahme einer Arzneispezialität in den gelben oder den grünen Bereich des Erstattungskodex. Mit Einlangen des Antrages, mit dem zumindest die Zulassungsnummer und ein Preis bekannt gegeben wird und dem eine Bestätigung der Lieferfähigkeit und eine Bestätigung über die Dauer der Patentlaufzeit angeschlossen ist, wird die Arzneispezialität zeitlich befristet in den roten Bereich aufgenommen. Stellt der Hauptverband innerhalb von 90 Tagen (wird auch über den Preis entschieden, innerhalb von 180 Tagen) nach Einlangen des Antrages fest, dass die Arzneispezialität nicht in den gelben oder grünen Bereich des Erstattungskodex aufzunehmen ist, so ist sie aus dem roten Bereich des Erstattungskodex zu streichen. Der Hauptverband hat die Änderungen des Erstattungskodex monatlich im Internet kundzumachen.
(2) Der Hauptverband hat eine Liste jener Arzneimittelkategorien zu erstellen, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs. 2 geeignet sind, da sie zB überwiegend
-
zur Behandlung in Krankenanstalten,
-
unter ständiger Beobachtung oder
-
zur Prophylaxe
verwendbar sind. Diese Liste samt einer Begründung für die Anführung der Arzneimittelkategorien ist im Internet zu veröffentlichen.
(3) Zur Beurteilung eines Antrages nach Abs. 1, insbesondere inwieweit ein wesentlicher therapeutischer Nutzen für Patienten und Patientinnen oder eine wesentliche therapeutische Innovation vorliegt, sind vom Antragsteller pharmakologische, medizinischtherapeutische und gesundheitsökonomische Unterlagen vorzulegen. Das vertriebsberechtigte Unternehmen ist verpflichtet, bei der Antragstellung auf Aufnahme in den Erstattungskodex mitzuteilen, wann der Patentschutz der in der jeweiligen Arzneispezialität enthaltenen Wirkstoffe in Österreich endet. Die näheren Bestimmungen über das Verfahren zur Aufnahme in den Erstattungskodex und über den Umfang, die Qualität und den Zeitpunkt der Vorlage von Unterlagen, werden in der Verfahrensordnung (§ 351g) geregelt. Abs. 1 letzter Satz ist anzuwenden.
(4) ...
(...)"
22 Gemäß § 351g Abs. 1 ASVG regelt der Hauptverband die nähere Organisation zur Aufnahme einer Arzneispezialität und das Verfahren zur Herausgabe des Erstattungskodex durch Verordnung, die insbesondere Zahl, Qualität, Form und Zeitpunkt der vorzulegenden Unterlagen festzusetzen und Regeln darüber zu enthalten hat, in welchen Fällen weiterführende Studien notwendig sind.
23 Nach § 1 VO-EKO regelt diese die Herausgabe eines Erstattungskodex der Sozialversicherung für die Abgabe von Arzneispezialitäten zur Anwendung am Menschen auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers im niedergelassenen Bereich durch den Hauptverband.
24 § 20 Abs. 3 und 4 VO-EKO lautet:
"(3) Der Hauptverband prüft nach Vorliegen der vollständigen Stammdaten, ob die beantragte Arzneispezialität gemäß § 351c Abs. 2 und 4 (nunmehr: 1) ASVG von der Erstattung ausgeschlossen ist. Kommt der Hauptverband zu dem vorläufigen Ergebnis, dass die Möglichkeit besteht, dass die beantragte Arzneispezialität von der Erstattung ausgeschlossen ist, ist dies dem antragstellenden Unternehmen schriftlich samt Begründung mitzuteilen. Das antragstellende Unternehmen kann innerhalb von 14 Tagen schriftlich Stellung nehmen. Die Stellungnahme hat sich auf die Begründung des vorläufigen Ergebnisses des Hauptverbandes zu beziehen. Alle Teile der Stellungnahme, die sich nicht auf die Begründung des vorläufigen Ergebnisses des Hauptverbandes beziehen, sind unbeachtlich. Das vorläufige Ergebnis und die allfällige Stellungnahme des antragstellenden Unternehmens sind der HEK (Heilmittel-Evaluierungs-Kommission) vorzulegen. Die HEK empfiehlt unter Berücksichtigung der allfälligen Stellungnahme des antragstellenden Unternehmens, ob die beantragte Arzneispezialität von der Erstattung ausgeschlossen ist oder nicht. Ist die beantragte Arzneispezialität nicht erstattungsfähig, lehnt der Hauptverband auf Empfehlung der HEK den Antrag innerhalb von 90 Tagen ab Aufnahme der Arzneispezialität in den Roten Bereich des Erstattungskodex ab; die Arzneispezialität ist aus dem Erstattungskodex zu streichen.
(4) Der Hauptverband kann für Arzneispezialitäten, die einer Kategorie gemäß § 351c Abs. 2 angehören, die Erstattungsfähigkeit feststellen, wenn sich aus den Unterlagen ergibt, dass die Arzneispezialität zur Krankenbehandlung gemäß § 133 Abs. 2 ASVG geeignet ist."
25 Für das Verständnis des § 351c Abs. 2 ASVG bzw. der in die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien aufgenommenen Arzneimittelkategorie 1 (Arzneimittel zur Behandlung in Krankenanstalten) spielt die Unterscheidung zwischen der Kostentragung für "intramurale" Krankenbehandlungen (in erster Linie durch Leistungen einer der durch einen Landesgesundheitsfonds finanzierten Krankenanstalten) und "extramurale" Krankenbehandlungen (in erster Linie durch niedergelassene Ärzte iSd § 71 Abs. 3 Z 1 bis 4 ÄrzteG 1998 und durch Vertragsapotheken) eine ausschlaggebende Rolle. Die darauf abstellende Finanzierung des österreichischen Gesundheitssystems beruht auf der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, BGBl. I Nr. 98/2017.
26 Die Krankenversicherungsträger decken mit ihren Beiträgen zur Krankenanstaltenfinanzierung gemäß § 447f ASVG die intramuralen Leistungen der (über Landesgesundheitsfonds finanzierten) Krankenanstalten gemäß § 148 Z 3 ASVG, dh. im stationären, halbstationären, tagesklinischen und spitalsambulatorischen Bereich unter Einschluss der aus dem medizinischen Fortschritt resultierenden Leistungen, ab. Die Abrechnung der medizinischen Leistungen erfolgt nach einem Fallpauschalensystem ("System der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF)"), in dem auch alle während des (stationären bzw. ambulanten) Aufenthalts verabreichten Medikamente enthalten sind.
27 Im Übrigen, also in erster Linie im niedergelassenen Bereich, erbringen die Krankenversicherungsträger gemäß § 133 Abs. 2 letzter Satz ASVG Krankenbehandlungen als Sachleistungen, und zwar insbesondere durch Vertragsärzte bzw. Wahlärzte (ärztliche Hilfe gemäß § 135 Abs. 1 ASVG) bzw. durch (Vertrags)Apotheken (Heilmittelabgabe gemäß § 136 Abs. 2 iVm § 350 ASVG). Diese extramural erbrachten Sachleistungen werden nach vereinbarten Tarifen von den Krankenversicherungsträgern bezahlt.
28 Dementsprechend wird zwischen einem "extramuralen ambulanten Bereich" (Vertragsärzte, Wahlärzte, Gruppenpraxen, Primärversorgungseinheiten) und einem "intramuralen ambulanten Bereich" (Anstaltsambulatorien gemäß § 26 KAKuG) unterschieden (vgl. etwa § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 Gesundheitsdokumentationsverordnung , BGBl. I Nr 25/2017). Es gehören nicht nur - wie die revisionswerbende Partei meint - die "stationäre Pflege", sondern auch die Leistungen im spitalsambulatorischen Bereich ("Krankenhausambulanz"; "Anstaltsambulatorien") - zB Chemotherapien - zum intramuralen Bereich.
29 Die revisionswerbende Partei bringt zunächst vor, die Verneinung der Erstattungsfähigkeit von OnPro Kit werde dazu führen, dass die Arzneispezialität (mit ihrer höheren Erfolgsrate) den österreichischen Patienten nicht zur Verfügung stehen werde. Die (fondsfinanzierten) Krankenanstalten würden OnPro Kit (in Ansehung der Kostenübernahme durch die Sozialversicherungsträger für das extramural anzuwendende Alternativprodukt einer Neulasta Fertigspritze) nicht auf ihre Kosten zum Einsatz bringen. 30 Diese Frage, ob und welche Arzneimittel im intramuralen Bereich zur Anwendung gelangen, ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
31 Die revisionswerbende Partei bringt weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht habe seine Entscheidung allein darauf gestützt, dass der OnPro Kit "überwiegend in Krankenanstalten" angewendet würde. Abgesehen davon, dass sich der Begriff des Überwiegens in der zu Grunde liegenden Gesetzesbestimmung nicht finden würde, stelle er auch nicht das einzige Kriterium für die Arzneimittelkategorie 1 der Liste dar. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich mit allen Kriterien der Arzneimittelkategorie 1 auseinandersetzen und entscheiden müssen, "welche Kriterien vorliegen und ob in ihrer Gesamtheit die Kriterien bezogen auf eine Anwendung in Krankenanstalten überwiegen". Das Bundesverwaltungsgericht habe keine Feststellungen darüber getroffen, ob das Arzneimittel in gleicher Weise auch außerhalb von Krankenanstalten angewendet werden könne. Die Revisionswerberin habe bei Antragstellung Stellungnahmen führender Ärzte vorgelegt, die eine Gleichwertigkeit des OnPro Kit mit der Neulasta Fertigspritze bestätigen würden. Der sachverständige Zeuge Dr. H habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht angegeben, er würde selbst Chemotherapien im niedergelassenen Bereich durchführen. In anderen Ländern Europas würden Chemotherapien überwiegend im niedergelassenen Bereich durchgeführt werden. Der Ausschluss der Erstattungsfähigkeit des OnPro Kit trage indirekt dazu bei, dass die Behandlung in Österreich nicht im "Best point of service" (§ 3 Z 3 Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz), sohin extramural, durchgeführt werde. Die Anwendung des OnPro Kit - so die revisionswerbende Partei weiter - wäre für den ohnehin belasteten Patienten von großem Nutzen, weil er am Tag nach der Chemotherapie nicht gleich wieder zum Arzt bzw. zur Apotheke müsste. 32 Dieses Vorbringen ist im Ergebnis berechtigt:
33 Der Erstattungskodex iSd § 31 Abs. 3 Z 12 ASVG ist ein nur für den niedergelassenen Bereich konzipiertes Instrument für die (extramurale) Abgabe von Arzneispezialitäten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers. Dementsprechend sieht § 351c Abs. 2 ASVG vor, dass zu den Arzneimittelkategorien, die im Allgemeinen nicht für eine Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs. 2 ASVG geeignet und die daher von einer Erstattung ausgeschlossen sind, zB solche zählen, die überwiegend zur Behandlung in Krankenanstalten verwendbar sind. Diejenigen Arzneimittel, die - ungeachtet überwiegend intramuralen Einsatzes -
auch im extramuralen Bereich eingesetzt werden können, sind gemäß § 20 Abs. 4 VO-EKO erstattungsfähig.
34 Der Grund für die "Grobsteuerung" der grundsätzlichen Möglichkeit einer Aufnahme in den Erstattungskodex durch das Kriterium der "Erstattungsfähigkeit" iSd § 351c Abs. 2 ASVG bzw. der demgemäß erstellten Liste liegt darin, dass die Aufnahme eines Arzneimittels in den Erstattungskodex, das praktisch nur im intramuralen Bereich zur Anwendung kommt, ins Leere ginge. Eine Erstattung der Kosten für derartige Arzneimittel durch den Krankenversicherungsträger kommt nicht in Frage. Er hat für die Behandlungen im intramuralen Bereich den vorgesehenen Pauschalbeitrag geleistet. Für dort verwendete Arzneimittel gilt der Erstattungskodex nicht.
35 § 1 Abs. 2 und 3 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs. 2 ASVG (amtliche Verlautbarung der österreichischen Sozialversicherung im Internet:
www.avsv.at, avsv Nr. 34/2004, im Folgenden: Liste) lautet:
"(2) Der Hauptverband hat gemäß § 351c Abs. 2 ASVG eine Liste jener Arzneimittelkategorien (Arzneispezialitäten und Stoffe für magistrale Zubereitungen) zu erstellen, die nach objektiven und überprüfbaren Kriterien im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs. 2 ASVG geeignet und daher nicht erstattungsfähig sind. Die Anlage enthält die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien samt Begründung ihrer Anführung.
(3) Nicht-Erstattungsfähig bedeutet, dass Arzneispezialitäten und Stoffe für magistrale Zubereitungen, die unter eine in der Anlage angeführte Arzneimittelkategorie fallen,
-
nicht im Erstattungskodex gemäß § 31 Abs. 3 Z 12 ASVG angeführt werden und
-
grundsätzlich nicht als Leistung der Krankenbehandlung auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers abgegeben werden dürfen."
36 Die Anlage gemäß § 1 Abs. 2 der Liste lautet auszugsweise:
"Arzneimittelkategorie 1:
Arzneimittel zur Behandlung in Krankenanstalten Spezifizierung:
-
Arzneimittel, die im Allgemeinen aufgrund des Anwendungsgebietes, der Behandlungsqualität, der notwendigen Überwachung und/oder der Sicherheitsvorkehrungen für Fertigstellung, Anwendung oder Entsorgung nicht im
niedergelassenen Bereich verwendbar sind;
-
Arzneimittel, deren Anwendung im Allgemeinen nur im Rahmen eines Aufenthaltes in einer Krankenanstalt, einer Leistungserbringung in einer Krankenanstalt oder im Zusammenhang mit einer Leistungserbringung einer Krankenanstalt medizinisch zweckmäßig und vertretbar ist.
Begründung:
Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung in Krankenanstalten und/oder unter ständiger Beobachtung verwendbar sind, dienen im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im niedergelassenen Bereich im Sinne des § 133 Abs. 2 ASVG. Dies wird bereits durch den § 351c Abs. 2 ASVG festgehalten."
37 Die Liste ist eine Verordnung iSd Art. 139 B-VG (VfGH 5.10.2016, V77/2015, VfSlg. 20.080). Die unbestimmten Gesetzesbegriffe des § 351c Abs. 2 ASVG verletzen nicht das in Art. 18 B-VG enthaltene Legalitätsprinzip. Gegen die Verfassungskonformität von § 351c Abs. 2 ASVG bestehen keine Bedenken (VfGH 15.10.2005, B446/05, VfSlg. 17.686; 27.9.2007, B2013/06, VfSlg. 18.217; 5.10.2016, V77/2015, VfSlg. 20.080). 38 Zur im vorliegenden Fall maßgeblichen Arzneimittelkategorie 1 (Arzneimittel zur Behandlung in Krankenanstalten) führte der Verfassungsgerichtshof aus (VfGH 27.9.2007, B2013/06, VfSlg. 18.217), § 351c Abs. 2 ASVG nenne (beispielsweise) als Indiz für die mangelnde Eignung einer Arzneimittelkategorie zur Krankenbehandlung (im Sinne des § 133 Abs. 2 ASVG) keineswegs die tatsächliche Verwendung, sondern die überwiegende Verwendbarkeit zur Behandlung in Krankenanstalten. Die Bestimmung verpflichte die Behörde, auch im Falle eines faktisch überwiegend in Krankenanstalten verwendeten Arzneimittels Feststellungen darüber zu treffen, ob es lege artis (unter anderem unter den Gesichtspunkten entsprechender Überwachungsmöglichkeiten und möglicher Nebenwirkungen auf den Gesundheitszustand der betreffenden Patienten) in gleicher Weise auch außerhalb von Krankenanstalten angewendet werden könne. § 20 Abs. 4 VO-EKO sei zu entnehmen, dass der Hauptverband auch für Arzneispezialitäten, die einer Kategorie gemäß § 351c Abs. 2 ASVG angehören, die Erstattungsfähigkeit feststellen könne, wenn der Nachweis darüber erbracht werde, dass die Arzneispezialität zur (extramuralen) Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs. 2 ASVG geeignet ist. Der Ausschluss der freien Verschreibbarkeit von Arzneimitteln, die überwiegend für die Verwendung in Krankenanstalten geeignet sind, führe zwar nicht zum Ausschluss der Abgabe dieses Arzneimittels auf Kosten der Krankenversicherung, wohl aber zur vorherigen Genehmigungspflicht durch den chefärztlichen Dienst. Diese Genehmigung sei zu erteilen, sofern "die Behandlung aus zwingenden therapeutischen Gründen notwendig ist und damit die Verschreibung in diesen Einzelfällen nicht mit Arzneimitteln aus dem Erstattungskodex durchgeführt werden kann" (§ 31 Abs. 3 Z 12 dritt- und viertletzter Satz ASVG).
39 Zur Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) führte der Verfassungsgerichtshof in einem weiteren Erkenntnis aus (VfGH 5.10.2016, V77/2015, VfSlg. 20.080), dass Bedenken gegen den "kategorischen Ausschluss" von Arzneimitteln zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch (ohne eine Differenzierung zwischen dem noch nicht schädigenden Tabakkonsum einerseits und der nikotinassoziierten Tabakabhängigkeit andererseits vorzunehmen) nicht zuträfen, denn Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch seien jedenfalls "im Allgemeinen" nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs. 2 ASVG geeignet. Die Zugehörigkeit eines Arzneimittels zu einer nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorie stehe der Abgabe eines in eine solche Kategorie fallenden Arzneimittels auf Kosten des Krankenversicherungsträgers in jenen Fällen nicht entgegen, in denen (ausnahmsweise) die Voraussetzungen der §§ 120 und 133 ASVG vorlägen. Die Liste habe keine weiterreichende Wirkung als der Erstattungskodex (bzw. die Nichtaufnahme in diesen) selbst: Sie enthalte bloß die Vermutung, dass die darin genannten Kategorien von Arzneimitteln zur Krankenbehandlung nicht geeignet seien; diese Vermutung sei im Einzelfall widerlegbar, worüber im Streitfall die ordentlichen Gerichte als Arbeits- und Sozialgerichte im krankenversicherungsrechtlichen Leistungsstreitverfahren zu entscheiden hätten. Sei das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung im Sinne von § 120 iVm § 133 Abs. 2 ASVG erwiesen, so könne das Arzneimittel (gegebenenfalls mit chef- bzw. kontrollärztlicher Bewilligung, vgl. § 31 Abs. 3 Z 12 ASVG) auf Kosten des Krankenversicherungsträgers abgegeben werden.
40 Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich der Auslegung des § 351c Abs. 2 ASVG durch den Verfassungsgerichtshof an, wonach die überwiegende Verwendbarkeit eines Arzneimittels zur Behandlung in Krankenanstalten dessen mangelnde Eignung zur Krankenbehandlung (im Sinne des § 133 Abs. 2 ASVG) indiziert. Wird ein Arzneimittel faktisch überwiegend in Krankenanstalten verwendet, so sind demnach Feststellungen darüber zu treffen, ob es lege artis (unter anderem unter den Gesichtspunkten entsprechender Überwachungsmöglichkeiten und möglicher Nebenwirkungen auf den Gesundheitszustand der betreffenden Patienten) in gleicher Weise auch außerhalb von Krankenanstalten zweckmäßig angewendet werden kann, ohne das Maß des Notwendigen zu überschreiten (§ 133 Abs. 2 ASVG). Wird der Nachweis erbracht, dass die Arzneispezialität zur (extramuralen) Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs. 2 ASVG geeignet ist, kann der Hauptverband gemäß § 20 Abs. 4 VO-EKO auch für die Arzneispezialität, die der Arzneimittelkategorie gemäß § 351c Abs. 2 1. Spiegelstrich ASVG angehört, die Erstattungsfähigkeit feststellen.
41 Den Feststellungen zu Folge zeichnet sich der OnPro Kit dadurch aus, dass er unmittelbar nach einer Chemotherapie in einer Krankenanstalt (intramural) angebracht wird. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes besteht die Anwendung des OnPro Kit in diesem Anbringen am Körper des Patienten unter medizinischer Aufsicht und nicht etwa erst über 24 Stunden später in der automatischen Abgabe des Wirkstoffes in den Körper des Patienten. Es handelt sich um ein Arzneimittel mit retardierter Wirkung, wie sie auch bei anderen Arzneimitteln vorkommt. Die vorgezogene Anwendung des Arzneimittels bzw. die verzögerte Abgabe des Wirkstoffs erspart es dem - uU durch die Folgen der Chemotherapie geschwächten - Patienten, sich nach Ablauf von 24 Stunden zum Zweck der Verabreichung der Fertigspritze ein weiteres Mal in ärztliche Behandlung (diesmal im niedergelassenen Bereich) zu begeben. Die Anwendung des OnPro Kit erfolgt intramural, wenn auch die unmittelbar vorangehende Chemotherapie intramural durchgeführt wurde.
42 Die Anwendbarkeit des OnPro Kit iSd § 133 Abs. 2 ASVG, insbesondere deren Zweckmäßigkeit, im extramuralen Bereich hängt davon ab, ob die vorangehende chemotherapeutische Behandlung - von praktisch nicht relevanten Not- bzw. Ausnahmesituationen abgesehen - lege artis auch im extramuralen Bereich durchgeführt werden kann. Dass die an eine solche Behandlung anschließende extramurale Anwendung des OnPro Kit unter ärztlicher Aufsicht lege artis erfolgen könnte, ist nicht strittig. Würde die betreffende Chemotherapie (unter anderem unter den Gesichtspunkten entsprechender Überwachungsmöglichkeiten und möglicher Nebenwirkungen auf den Gesundheitszustand der betreffenden Patienten) im niedergelassenen Bereich (extramural) durchgeführt werden können, so kann auch der OnPro Kit im extramuralen Bereich in zweckmäßiger Weise angewendet werden, womit seine Erstattungsfähigkeit iSd § 351c Abs. 2 ASVG gemäß § 20 Abs. 4 VO-EKO grundsätzlich zu bejahen wäre.
43 Das Bundesverwaltungsgericht hat nur festgestellt, dass in Österreich Chemotherapien überwiegend im intramuralen Bereich durchgeführt würden. Der Frage, ob in Österreich extramurale Anwendungen der vorangehenden Chemotherapie lege artis im obigen Sinn erfolgen können, wird das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren nachzugehen haben.
44 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
45 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am 11. September 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019080013.J00Im RIS seit
31.10.2019Zuletzt aktualisiert am
31.10.2019