TE Vwgh Erkenntnis 1998/11/6 96/21/0357

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Veröffentlicht am 06.11.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §17 Abs2 Z4;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des MAD (geboren am 12. April 1970) in Wien, vertreten durch Dr. Kurt Heller, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 30. November 1995, Zl. Fr-3928/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 30. November 1995, wurde der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsbürger, gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, in der Fassung vor der Fremdengesetz-Novelle 1996, ausgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 29. August 1995 mit dem Flugzeug nach Wien eingereist. Er sei nicht im Besitz eines gültigen Reisedokuments oder einer Aufenthaltsberechtigung für Österreich gewesen. Am 1. September 1995 habe er einen Asylantrag gestellt, welcher mit Bescheid (des Bundesasylamtes) vom 5. September 1995 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, abgewiesen worden sei. Der Beschwerdeführer habe im September 1994 sein Heimatland verlassen und sei mit einem Boot nach Jemen geflüchtet. In Jemen sei er in Schubhaft genommen und schließlich nach Syrien abgeschoben worden. Von Syrien sei er schließlich mit einem gefälschten dänischen Fremdenpaß mit einem Flugzeug nach Wien gereist, von wo er weiter nach Dänemark reisen habe wollen. Er sei somit nicht direkt aus dem Land eingereist, in welchem verfolgt zu werden er behaupte. Es komme ihm demnach auch kein vorläufiges Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz zu. Von der Bezirkshauptmannschaft Baden am 8. September 1995 niederschriftlich einvernommen, habe er angegeben, daß er völlig mittellos und die Einreise in das Bundesgebiet illegal erfolgt wäre. Während des Berufungsverfahrens habe er weder eine tragfähige Verpflichtungserklärung beigebracht, noch reiche der Hinweis, daß er von der Caritas untergebracht und versorgt werde, für die Erbringung des Nachweises zum Unterhalt aus. Eine nicht bloß vorübergehende Sicherung des künftigen Unterhalts könne daraus mangels eines durchsetzbaren Rechtsanspruches nicht abgeleitet werden. Die Rechtsordnung messe der Beachtung der zwischenstaatlichen Regelungen über die Einhaltung paßrechtlicher, nunmehr fremdengesetzlicher Vorschriften ein solches Gewicht bei, daß selbst bei Einmaligkeit von Verfehlungen gegen diese Normen ein schwerwiegender Verstoß gegen erhebliche öffentliche Interessen des österreichischen Staates vorliege. Ein geordnetes Fremdenwesen sei für den österreichischen Staat von eminentem Interesse. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu. Bei der Erlassung des Ausweisungsbescheides sei nicht zu prüfen, in welches Land der Beschwerdeführer allenfalls abgeschoben würde. Mit der Verfügung der Ausweisung sei aber nicht zwangsläufig seine Abschiebung in sein Heimatland verbunden. Eine neuerliche Einreise in das Bundesgebiet sei ihm durch die verfügte Ausweisung nicht verwehrt. Somit seien sämtliche Tatbestandsmerkmale der zitierten gesetzlichen Bestimmungen erfüllt.

Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 2 FrG können Fremde im Interesse der öffentlichen Ordnung mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie innerhalb eines Monates nach der Einreise den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögen (Z. 4) oder wenn sie unter Mißachtung der Bestimmungen des zweiten Teiles des Fremdengesetzes oder unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen eines Monates betreten werden (Z. 6).

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid in Ansehung des § 17 Abs. 2 Z. 6 FrG deswegen für rechtswidrig, weil er - anders als die belangte Behörde festgestellt habe - weder unter Mißachtung der Bestimmungen des zweiten Teiles des Fremdengesetzes noch unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sei. Er habe sich im Transitbereich des Flughafens Wien-Schwechat befunden und beabsichtigt, ein Flugzeug nach Kopenhagen zu besteigen. Nachdem ihm die Weiterreise verweigert worden sei, sei er vor Durchschreiten der Grenzkontrolle von der Bundespolizeidirektion Schwechat-Paßkontrollstelle einvernommen worden. Aus der aufgenommenen Niederschrift vom 29. August 1995 gehe eindeutig hervor, daß er seine Personalien korrekt angegeben und auch zugegeben habe, daß der dänische Reisepaß, den er mitgeführt habe, nicht auf seine Person ausgestellt gewesen sei. Diese Tatsachen seien folglich auch der zuständigen Behörde bei der Grenzkontrolle bekannt gewesen. Da er die Behörde nicht über seine Identität getäuscht habe, sei er auch nicht unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist, er sei vielmehr von der Behörde selbst vom Transitbereich des Flughafens nach Traiskirchen gebracht worden. Unter Mißachtung der Bestimmungen des zweiten Teiles des Fremdengesetzes sei er deshalb nicht eingereist, weil ihm von der Grenzkontrolle in Kenntnis aller Umstände vielmehr die Einreise ohne gültigen Reisepaß, wie es bei Asylwerbern den internationalen Gepflogenheiten entspreche, gestattet worden sei. Überdies sei davon auszugehen, daß ihm anläßlich des Grenzübertrittes die Einreise gemäß § 6 Abs. 2 Asylgesetz formlos gestattet worden sei.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Bereits in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hatte der Beschwerdeführer - der zwei Tage nach seiner Einreise in das Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt hat - nämlich vorgebracht, er habe bereits bei seiner Einreise den Wunsch erkennen lassen, einen Asylantrag zu stellen. Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid lediglich fest, daß der Beschwerdeführer nach Österreich eingereist sei, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokuments oder einer Aufenthaltsberechtigung zu sein. Sie vertrat indes nicht die Ansicht, daß der Beschwerdeführer auf dem Flughafen Wien Schwechat die Grenzkontrolle umgangen habe. Da er nicht direkt aus dem Land komme, in dem er behaupte, verfolgt zu werden, komme ihm auch kein vorläufiges Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz 1991 zu. Die belangte Behörde hat sich aber nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob er gemäß § 37 FrG wegen Vorliegens der dort genannten Gründe nicht in den Staat, aus dem er direkt einreiste (Syrien), zurückgewiesen werden durfte (§ 6 Abs. 2 zweiter Fall Asylgesetz 1991) und ihm deswegen tatsächlich am Flughafen Wien-Schwechat die Einreise gemäß § 6 Abs. 2 Asylgesetz 1991 gestattet worden ist. Zutreffendenfalls hätte die belangte Behörde den Tatbestand des § 17 Abs. 2 Z. 6 FrG nicht als erfüllt ansehen dürfen, weil § 6 Abs. 2 Asylgesetz 1991 eine Ausnahme von der im 2. Teil des Fremdengesetzes (§ 5) angeordneten Paß- und Sichtvermerkspflicht normiert.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid auch insofern für rechtswidrig, als die belangte Behörde das ihr gemäß § 17 Abs. 2 FrG eingeräumte Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes geübt habe. Die Behörde habe zwar richtig festgestellt, daß er gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG mittellos sei, sie habe jedoch offensichtlich keine Gründe dafür angeben können, warum er deshalb im Interesse der öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden müsse. Überdies sei nach der Regierungsvorlage zum Fremdengesetz die Ausweisung von Fremden im Sinne der öffentlichen Ordnung nur bei solchen Mittellosen geboten, "bei denen die Wahrscheinlichkeit besonders groß sei, daß sie früher oder später zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in eine der drei genannten Formen rechtswidrigen Verhaltens (§ 17 Abs. 2 Z. 1 bis 3 Fremdengesetz, Anm.) ausweichen müßten". Dies sei jedoch im gegenständlichen Fall nicht anzunehmen, da er von der Caritas versorgt und unterstützt werde und auch bisher nicht straffällig geworden sei.

Bei Anwendung des § 17 Abs. 2 Fremdengesetz ist der Behörde nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Ermessen eingeräumt (vgl. das Erkenntnis vom 7. September 1995, Zl. 94/18/0694). Die Ermessensübung der Behörde hat sich davon leiten zu lassen, von welchem Gewicht die Störung der öffentlichen Ordnung ist. Lediglich in Fällen, in denen die öffentliche Ordnung (nur) geringfügig beeinträchtigt wird, wird im Lichte einer gesetzmäßigen Ermessensausübung von der Erlassung einer Ausweisung abzusehen sein (vgl. etwa das hg. Erkennntis vom 12. Februar 1998, Zl. 96/21/1025).

Im vorliegenden Fall war die belangte Behörde zwar zutreffend der Auffassung, daß das Tatbestandselement des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG (daß der Fremde innerhalb eines Monats nach seiner Einreise den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermochte) verwirklicht war. Die belangte Behörde hat jedoch daraus ohne weiteres den Schluß gezogen, daß der Beschwerdeführer im Grunde des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG auszuweisen sei. Sie hat keinerlei Gründe dafür angegeben, warum sie von dem ihr in dieser Gesetzesstelle eingeräumten Ermessen, von einer Ausweisung Abstand zu nehmen, nicht Gebrauch gemacht hat. Die belangte Behörde hätte aber zu begründen gehabt, warum im vorliegenden Fall nicht eine (bloß) geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung vorlag. Selbst ein bloßer Hinweis auf das der Behörde eingeräumte Ermessen reichte zur Begründung einer Entscheidung jedenfalls in den Fällen nicht aus, in denen eine Überprüfung der getroffenen Maßnahme dahingehend, ob sie mit dem Sinn des Gesetzes in Einklang zu bringen ist, ohne eine die Erwägungen der Behörde darlegende Begründung nicht möglich ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. November 1966, Zl. 1990/65, Slg. Nr. 7022/A). Zweifellos gibt es auch im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2 FrG Fälle, die so beschaffen sind, daß die für die Handhabung des von der Behörde zum Nachteil des Betroffenen geübten Ermessens maßgeblichen Gründe auch ohne ausdrückliche Erwähnung klar auf der Hand liegen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 27. März 1998, Zl. 95/21/0463). Von einem solchen Fall kann aber hier nicht die Rede sein, wenn der Beschwerdeführer - wie von ihm im Verwaltungsverfahren vorgebracht - von der Caritas untergebracht und versorgt wurde. Nach § 17 Abs. 2 FrG hat die Behörde überdies darauf Bedacht zu nehmen, daß die Ausweisung von Gesetzes wegen sofort vollstreckbar ist. Bei einer Ausweisung nach § 17 Abs. 2 Z. 4 leg. cit. - bei der hier gegebenen Sachlage - liegt eine solche Notwendigkeit ohne Darlegung der für einen sofortigen Vollzug des Bescheides sprechenden Erwägungen in der Bescheidbegründung nicht auf der Hand (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 1995, G 1306/95, sowie das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 95/21/0463).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. November 1998

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH ErmessensentscheidungenBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelErmessen VwRallg8ErmessenBegründung von Ermessensentscheidungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996210357.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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