TE Vwgh Erkenntnis 1998/11/6 95/21/1169

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Veröffentlicht am 06.11.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §9;
EGVG Art2 Abs2 A Z7;
FrG 1993 §17;
FrG 1993 §71 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des AA, (geboren am 18. Mai 1977), in Wien, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lugeck 7/14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. August 1995, Zl. Fr 1068/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 16. August 1995 wurde der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, gemäß § 17 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 21. November 1994 über Wien-Schwechat ohne gültiges Reisedokument und ohne Aufenthaltsberechtigung in das Bundesgebiet eingereist. Sein Aufenthalt sei somit seit seiner Einreise ein rechtswidriger. Dies sei vom Beschwerdeführer in seiner Berufung nicht bestritten worden, er habe lediglich darauf verwiesen, daß seine Mutter und seine Schwester sich ebenfalls im Bundesgebiet aufhielten, daß sie Flüchtlinge seien, und für die Einreise nicht bestraft werden dürften. Seine Angehörigen hätten ebenfalls um Asyl angesucht. Bei der Erlassung der Ausweisung handle es sich um ein Administrativverfahren und um kein Strafverfahren. Allfällige Asylgründe seien in diesem Verfahren nicht zu prüfen und ebensowenig Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen würden. Bei der Erlassung der Ausweisung sei auch nicht auf die wirtschaftliche Situation Bedacht zu nehmen, sondern die Ausweisung würde sich an der Rechtmäßigkeit bzw. Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes orientieren. Eine Aufenthaltsberechtigung habe der Beschwerdeführer nicht beibringen können. Diese sei ihm auch nicht von der Asylbehörde erteilt worden, vielmehr sei im Bescheid des Bundesasylamtes ausgeführt worden, daß er nicht gemäß § 7 Asylgesetz 1991 zum Aufenthalt berechtigt sei. Die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers seien mit ihm gemeinsam aus ihrem Heimatland geflohen und hielten sich nunmehr ebenfalls im Bundesgebiet auf. Die belangte Behörde verkenne daher nicht, daß durch die Ausweisung ein Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers stattfinde. Sein Aufenthalt sei seit seiner Einreise ein rechtswidriger und so komme in Anbetracht des hohen Stellenwertes, den die österreichische Rechtsordnung einem geordneten Fremdenwesen beimesse, die Behörde zu dem Ergebnis, daß die Ausweisung zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) dringend geboten sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Feststellung im angefochtenen Bescheid, daß ihm keine Bewilligung zum Aufenthalt in Österreich erteilt worden sei. Er bringt nicht vor, direkt aus dem behaupteten Verfolgerstaat Iran zu kommen (§ 6 Abs. 1 Asylgesetz 1991), und er behauptet auch nicht, er hätte wegen der Gefahr einer Rückschiebung in den Verfolgerstaat nicht in den Staat, aus dem er eingereist sei, zurückgewiesen werden dürfen (§ 6 Abs. 2 Asylgesetz 1991) und daß ihm - am Flughafen Wien-Schwechat - seine Einreise zu gestatten gewesen wäre. Die Ausführungen der Beschwerde beschränken sich - im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung nach § 28 Abs. 1 Z. 3 VwGG - darauf, daß ein vom Beschwerdeführer gestellter Asylantrag mangels Anführung eigener Fluchtgründe abgewiesen worden sei. Es bleiben somit die maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde unbestritten und die daraus gezogene rechtliche Schlußfolgerung, daß sich der Beschwerdeführer seit seiner Einreise am 21. November 1994 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, unbekämpft. Der Verwaltungsgerichtshof hegt gegen diese rechtliche Beurteilung sowie die zugrundeliegende Sachverhaltsfeststellung keine Bedenken, die Voraussetzung des § 17 Abs. 1 FrG durfte daher - vorbehaltlich des § 19 FrG - als erfüllt angesehen werden.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deshalb für rechtswidrig, weil er aufgrund seiner Minderjährigkeit - er war zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides 17 Jahre und im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides 18 Jahre alt - nicht in der Lage gewesen sei, rechtswirksam im Verfahren aufzutreten, da er eines gesetzlichen Vertreters bedurft hätte.

Dieses Vorbringen verhilft dem Beschwerdeführer nicht zum Erfolg. Gemäß Art. II Abs. 2 A Z. 7 EGVG ist zwar auf das behördliche Verfahren der Sicherheitsdirektionen (sowie der Bundespolizeibehörden) das AVG anzuwenden. § 9 AVG normiert jedoch, daß die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen ist - es sei denn, in den Verwaltungsvorschriften wird anderes bestimmt. Es ist daher im gegenständlichen Fall die spezielle Regelung des § 71 Abs. 1 FrG anzuwenden, wonach minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, in Verfahren nach dem 3., 4. und 5. Teil des FrG - somit auch im Verfahren betreffend die im 3. Teil des FrG geregelte Ausweisung gemäß § 17 - handlungsfähig sind. Der Beschwerdeführer war demnach - er hatte im Entscheidungszeitpunkt das 16. Lebensjahr vollendet - in der Lage, rechtswirksam im Ausweisungsverfahren aufzutreten.

Der Beschwerdeführer erachtet sich weiters wegen unrichtiger Anwendung des § 19 FrG in seinem durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes sei nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen sei und eine Maßnahme darstelle, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sei. Bei Abwägung der Interessen des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung und Achtung seines Familienlebens einerseits mit der ihm vorgeworfenen gesetzwidrigen Einreise in das Bundesgebiet andererseits, müsse man zum Ergebnis gelangen, daß im vorliegenden Fall der Achtung des Familienlebens des minderjährigen Beschwerdeführers das höhere Gewicht beizumessen sei. Es sei auch darauf zu verweisen, daß der minderjährige Beschwerdeführer auf die Fluchtgründe seiner Familie hingewiesen habe und keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht habe. Auch aus dieser Tatsache sei ableitbar, in welchem Ausmaß die Flucht des Beschwerdeführers mit seinen Familienbindungen im Zusammenhang stehe. Eine "gesetzeskonforme Auslegung des Art. 8 MRK" müsse insbesondere bei minderjährigen Personen "sehr weitgehend" sein. Solchen Personen könne die Trennung von der Familie weniger leicht zugemutet werden als einer erwachsenen Person. Zusammenfassend habe die belangte Behörde daher die Bestimmung des Art. 8 Abs. 2 EMRK zum Nachteil des Beschwerdeführers "zu weit" ausgelegt, weshalb der angefochtene Bescheid gesetzwidrig sei.

Würde durch eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 FrG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Der unbestritten etwa neunmonatige rechtswidrige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stellt zweifellos eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar. Unter der Annahme eines mit der Ausweisung verbundenen relevanten Eingriffes in sein Privat- und Familienleben steht somit dem daraus erfließenden Interesse an einem Weiterverbleib in Österreich das maßgebliche öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, dem aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 24. April 1998, Zl. 98/21/0110), gegenüber. Unter Berücksichtigung des erst kurzen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich ist seine Integration entgegen seiner Ansicht keineswegs so stark, daß das dargelegte öffentliche Interesse, gegen das der Beschwerdeführer durch seinen zur Gänze unrechtmäßigen Aufenthalt in gravierender Weise verstoßen hat, zurückzutreten hätte. Auch ist nicht ersichtlich, inwiefern das Fortkommen des - zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung 18-jährigen - Beschwerdeführers getrennt von in Österreich lebenden Angehörigen ernsthaft gefährdet wäre. Die belangte Behörde durfte daher trotz der Jugend des Beschwerdeführers zu dem Ergebnis gelangen, daß der durch seine Ausweisung bewirkte Eingriff in seine privaten und familiären Beziehungen gemäß § 19 FrG dringend geboten war (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. September 1995, Zl. 95/21/0267, und vom 23. Juni 1998, Zl. 98/21/0220).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 6. November 1998

Schlagworte

Handlungsfähigkeit Prozeßfähigkeit natürliche Person Öffentliches Recht Verwaltungsvorschriften vom bürgerlichen Recht abweichend

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995211169.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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