TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/11 L504 1251722-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.02.2019
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Entscheidungsdatum

11.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z5
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52
FPG §52 Abs4 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L504 1251722-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Taner Önal, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. insoweit stattgegeben, als dieser ersatzlos behoben wird.

Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II., III., IV. als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt V. mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als dieser zu lauten hat: Gem. § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z5 FPG idF BGBl. I Nr. 56/2018 wird gegen Sie ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Taner Önal, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. XXXX , beschlossen:

A) Der Antrag der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen,

wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Aus dem Verfahrensgang des angefochtenen Bescheides ergibt sich Folgendes:

"-Laut Aktenlage reisten Sie im April 2004 in das österreichische Bundesgebiet ein.

-

Am 23.03.2004 stellten Sie einen Asylantrag, dieser wurde jedoch am 20.12.2012 in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden.

-

Am 04.02.2013 stellten Sie bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX -Umgebung einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot-Karte Plus und erhielten diesen am 07.06.2013 erstmalig und waren somit rechtmäßig niedergelassen.

-

Letztmalig beantragten Sie bei der XXXX Landesregierung die Verlängerung Ihres Aufenthaltstitels am 25.05.2016. Dieser Antrag wurde genehmigt und ist bis 30.05.2019 gültig.

-

Laut Gerichtsurteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 15.09.2016, GZ: XXXX , rechtskräftig seit 20.09.2016, wurden Sie wegen des Vergehens vorsätzlicher Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 5 (fünf) Monaten verurteilt.

-

Laut Abschlussbericht der XXXX XXXX vom 12.12.2016, GZ: XXXX , wurden Sie aufgrund des Verdachtes

• der gefährlichen Drohung

• der Nötigung und

• der Körperverletzung

• angezeigt.

-

Am 16.12.2017 wurden Sie von Beamten der XXXX aufgrund des Verdachtes des Verbrechens des Suchtgifthandels verhaftet und in die Justizanstalt XXXX verbracht. Der zuständige Staatsanwalt verhängte daraufhin am 18.12.2016, GZ: XXXX , die Untersuchungshaft.

-

Laut Gerichtsurteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 25.04.2017, GZ: XXXX , wurden Sie wegen

• der Verbrechen des Suchtgifthandels nach den §§ 28a Abs. 1 zweiter Fall, 28a Abs. 4 Ziffer 3, 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 4 Ziffer 3 SMG und Abs. 2 Z 2, 28a Abs 1 5. Fall und 6. Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG, 28 Abs 1 2. Fall SMG

• des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall SMG und

• des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Ziffer 1 zweiter Fall, Abs. 2 SMG, nicht rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 (drei) Jahren verurteilt.

-

Mit rechtskräftigem Gerichtsurteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom 18.10.2017, GZ: XXXX wurde Ihrer Berufung (gemeint wohl "Berufung der Staatsanwaltschaft) Folge gegeben und die Freiheitsstrafe von 3 (drei) auf 4 (vier) Jahre angehoben.

-

Mit Schreiben der bescheiderlassenden Behörde vom 22.12.2016, Zahl: XXXX , wurde Ihnen das gesetzlich normierte Parteiengehör eingeräumt und Ihnen die beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahmen zur Kenntnis gebracht, sowie Ihnen die Gelegenheit gegeben, binnen einer Frist von 2 Wochen ab Zustellung (29.12.2016) dieses Schreibens eine sachverhaltsbezogene Stellungnahme - insbesondere zu allfälligen in Österreich vorhandenen Bindungen - abzugeben. Dieses Schreiben und das Länderinformationsblatt für die Türkei wurden Ihnen nachweislich zugestellt.

-

Ihre Stellungnahme vom 18.01.2017 langte am 19.01.2017 bei der ho. Behörde ein und wird in diesem Bescheid als Beweismittel herangezogen.

-

Am 21.03.2018 wurde Ihnen, aufgrund der großen Zeitspanne zu Ihrer letzten Stellungnahme vom 18.01.2017, ein mündliches Parteiengehör zuteil und wurden diesbezüglich niederschriftlich einvernommen.

Diese Niederschrift stellte sich wie folgt dar:

"[...]

Einvernahmegrund:

Es wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion XXXX , aufgrund rechtskräftig strafrechtlicher Verurteilungen, gegen Sie eine Rückkehrentscheidung i.V.m. einem Einreiseverbot erlassen wird. Des Weiteren ist vorgesehen, Sie nach Ihrer Haftentlassung, zur Sicherung der Abschiebung, im Stande der Festnahme oder gegebenenfalls im Stande der Schubhaft, so rasch als möglich in die Türkei abzuschieben.

F: Haben Sie das verstanden?

A: Ja, das habe ich verstanden.

[...]

Aufgrund des Umstandes, dass Ihnen das schriftliche Parteiengehör vor mehr als einem Jahr erteilt wurde und daher für die Behörde nicht mehr aktuell erscheint, wird Ihnen nochmalig ein mündliches Parteiengehör zuteil.

F: Haben Sie zum Verfahrensverlauf etwas hinzuzufügen?

A: Das entspricht alles der Wahrheit.

F: Fühlen Sie sich gesund?

A: Ja, ich bin gesund.

F: Sind Sie derzeit im Besitze eines Aufenthaltstitels?

A: Ja, ich bin im Besitze eines gültigen Aufenthaltstitels, gültig bis Juni 2019.

F: Was haben Sie bisher zur Integration in Österreich beigetragen?

A: Ich bin 2 Jahre in die Schule gegangen und habe als Koch gearbeitet.

F: Wann waren Sie zuletzt in der Türkei?

A: Ich war nie mehr in der Türkei.

F: Sind Sie im Besitze der österreichischen Staatsbürgerschaft?

A: Nein.

F: Wann werden Sie aus der Haft entlassen?

A: Ich werde voraussichtlich am 16. Dezember 2020 (Endstrafe) aus der Haft entlassen.

F: Welchen Bezug haben Sie zu Österreich?

A: Meine ganze Familie (Vater, Mutter, Geschwister, Tante, Onkel und meine Freundin).

F: Sind Sie verheiratet?

A: Nein.

F: Welchen Bezug haben Sie zur Türkei?

A: Meine Oma und mein Opa leben in der Türkei.

F: Wo haben Sie zuletzt gewohnt?

A: Ich habe zuletzt bei meiner Freundin in XXXX gelebt.

F: Sind Sie in Österreich kranken- oder sozialversichert?

A: Ja.

F: Wo sehen Sie Ihren Lebensmittelpunkt?

A: In Österreich, meine ganze Familie lebt hier in Österreich.

F: Haben Sie in Österreich familiäre, berufliche oder sonstige Bindungen?

A: Meine ganze Familie lebt in Österreich. Ich möchte nach meiner Haft in einer Pizzeria arbeiten.

F: Welche Angehörigen sind in der Türkei wohnhaft?

A: Meine Großeltern.

F: Wo leben Ihre Eltern?

A: In XXXX .

F: Haben Sie in der Türkei irgendwelche Verfolgungen zu befürchten?

A: Ich gehöre der Bevölkerungsgruppe der ZAZA an und bekenne mich zur Religion der Aleviten. Sollte ich in die Türkei abgeschoben werden, müsste ich um mein Leben fürchten. Die Türken mögen keine Aleviten. Mein Freund, den Namen kenne ich nicht genau ( XXXX ) wurde voriges Jahr im August oder September in die Türkei abgeschoben. Nach 3 oder 4 Monaten wurde er in Istanbul von der Polizei erschossen. Das habe ich damals von einem Mithäftling in der Justizantstalt XXXX erfahren.

F: Besteht in einem anderen Land ein Aufenthaltsverbot gegen Ihre Person?

A: Nein.

F: Haben Sie abschließend noch etwas hinzuzufügen?

A: Ich will nicht zurück in die Türkei, ich lebe seit 14 Jahren hier in Österreich, die Türkei ist für mich gestorben.

Der Inhalt der Niederschrift habe ich mir selbst durgelesen. Sie ist in allen Teilen richtig und ich habe auch alles verstanden. Die von mir gemachten Angaben wurden in der Niederschrift vollständig und richtig festgehalten.

Beilagen: Länderinformationsblatt Türkei

-

Nachdem Sie persönlich angegeben haben, bei einer Rückkehr in die Türkei mit dem Leben bedroht zu werden, wurde dies als Asylantrag gewertet und eine Asyl-Erstbefragung durch Beamte der XXXX XXXX veranlasst.

-

Laut Bericht der XXXX XXXX vom 30.03.2018, GZ: XXXX , wurde Ihnen von Ihrem Rechtsanwalt Dr. Kocher empfohlen, vorerst von einer Asylantragstellung Abstand zu nehmen. Aufgrund dessen wurde von den Beamten kein Asylantrag aufgenommen.

-

Mit e-Mail vom 03.03.2018 wurde Ihr Rechtsanwalt ersucht, hinsichtlich einer etwaigen Bedrohung bei einer Rückkehr in die Türkei, eine Stellungnahme abzugeben.

-

Mit Schreiben vom 10.04.2018 wurde in einer Stellungnahme Ihres Rechtsanwaltes mitgeteilt, dass zum jetzigen Zeitpunkt von einer Stellungnahme hinsichtlich einer etwaigen Bedrohung abgesehen wird und die Möglichkeit vorbehalten bleibt. Ein Asylverfahren wird von Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angestrebt.

[...]"

Mit Bescheid des Bundesamtes wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und § 55 AsylG nicht erteilt (I.).

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen [II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (III.).

Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt; einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gem. § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (IV).

Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Abs 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz wird ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (V.).

Das BFA führte ua. aus, dass die bP aufgrund seiner strafbaren Handlungen eine massive Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle und kein schützenswertes Privat- und Familienleben vorliege. Es lägen auch keine Umstände vor, welche gegen eine Abschiebung in die Türkei sprechen würden.

Bezüglich der Verhängung eines Einreiseverbots wurde ausgeführt, dass mit den Verurteilungen der bP die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt sei und aufgrund des Verhaltens der bP davon auszugehen sei, dass sie eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Eine Gefährlichkeitsprognose gehe daher zu Lasten der bP. Familiäre oder private Anknüpfungspunkte der bP in der Türkei seien in Form ihrer Großeltern gegeben. Die Erlassung eines Einreiseverbotes auf die Dauer von 10 Jahren sei daher angemessen. Im Falle der Abschiebung bestehe auch keine Gefahr einer Menschenrechtsverletzung.

Es sei auch der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG erfüllt, zumal das gezeigte Gesamt-Fehlverhalten im österreichischen Bundesgebiet, insbesondere der Handel mit Drogen, eine besonders große Gefahr für die österreichische Bevölkerung darstelle und daher die Ausreise der bP zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dringend geboten sei.

Gegen den genannten Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. In der Türkei würden sich nur mehr die Großeltern der bP aufhalten, weshalb die Ausweisung - insbesondere vor dem Hintergrund ihres 14jährigen Aufenthaltes in Österreich - einen gravierenden Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle, zumal die bP verlobt sei. Die bP verfüge über einen verbindlichen Arbeitsvorvertrag. Auf Grund der fortschreitenden Islamisierung der türkischen Gesellschaft drohe der bP in der Türkei wegen der in Österreich begangenen Straftaten Gefahr, zumal der Konsum als auch der Handel mit Suchtmitteln in der Türkei verpönt sei. Beantragt wird die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Der Verwaltungsakt langte am 18.05.2018 beim BVwG und am 22.05.2018 bei der zuständigen Geschäftsabteilung L504 ein.

Mit Aktenvermerk vom 30.05.2018 wurde nach Prüfung der Sach- und Rechtslage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität steht fest.

Die bP ist Staatsangehöriger der Türkei, gehört der Volksgruppe der Zaza an und ist alevitischen Glaubens.

Die bP kommt aus der Türkei, reiste 2004 in das österreichische Bundegebiet ein und stellte am 23.03.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher am 20.12.2012 in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden worden ist.

Am 07.06.2013 erhielt die bP auf ihren Antrag hin von der BH XXXX eine Rot-Weiß-Rot-Karte Plus, welche bis 30.05.2019 verlängert wurde.

Bis auf die Großeltern halten sich sämtliche Familienangehörigen in Österreich auf. Die bP lebte zuletzt mit ihrer nunmehrigen Ex-Verlobten in einem gemeinsamen Haushalt.

Die bP ging seit dem 24.06.2013 sporadisch einer Beschäftigung als Arbeiter nach; zuletzt im Zeitraum vom 02.03.2016 bis 31.07.2016. Sie bezog vom 29.06.2015 bis zum 16.12.2016 Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe.

Die bP wurde zwei Mal gerichtlich verurteilt:

1) LG f. Strafsachen vom 15.09.2016, RK 20.09.2016, § 178 StGB, Freiheitsstrafe 5 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Zu LG f. Strafsachen, RK 20.09.2016

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre, LG f. Strafsachen vom 25.04.2017

2) LG f. Strafsachen vom 25.04.2017, RK 18.10.2017, §§ 28a (1) 2. Fall, 28a (4) Z 3, 28a (1) 5. Fall, 28a (4) Z 3, 28 (1) 2. Fall, 27

(1) Z 1 2. Fall SMG

Freiheitsstrafe 4 Jahre

Gegenständlich liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten.

Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer umfassenden und fortgeschrittenen Integration der bP in Österreich in beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden, welche die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei in eine ihre Existenz gefährdende Notlage geraten würde.

Es liegen im gegenständlichen Fall auch keine Anhaltspunkte zum Bestehen eines aktuellen Familienlebens der bP im Bundesgebiet vor, welches ihr die Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen im Sinne der Stillhalteklausel ermöglichen würde bzw. dass die Bestimmungen des FRG 1997 für begünstigte Drittstaatsangehörige bzw. des ARB 1/80 zur Anwendung gelangen würden.

Es konnte unter Berücksichtigung der gegenständlichen Berichtslage und einer aktuellen Einsichtnahme in www.ecoi.net keine entscheidungsrelevante Veränderung oder Verschlechterung der allgemeinen tatsächlichen Gegebenheiten in der Türkei für Personen mit dem Profil der bP, seit der Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 20.12.2012 festgestellt werden.

In Bezug auf die individuelle Lage der bP im Falle einer Rückkehr in die Türkei konnte für Personen mit dem Profil der bP keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem über ihren Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte Situation festgestellt werden.

Somit konnten auch keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung der bP in die Türkei unzulässig wäre.

1.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Aus dem vom Bundesamt zur Beurteilung der Lage herangezogenen und vor Bescheiderlassung zu Gehör gebrachten Länderinformationsblattes der Staatendokumentation und den darin ersichtlichen Berichten ergibt sich zusammengefasst Folgendes:

In der Türkei sind ca. 99% der Bevölkerung muslimischen Glaubens, 77,5% davon sind schätzungsweise Sunniten der hanafitischen Rechtsschule. Es gibt einen beträchtlichen Anteil an Aleviten. Die Türkei hat weltweit den größten Anteil an Aleviten. Man geht von 15 bis 25 Millionen Aleviten aus. Vor allem die Provinzen Tunceli, Elazig, Bingöl, Sivas, Erzincan, Malatya, Kaysereri, Adana und Tokat sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Die Zaza sind eine Bevölkerungsgruppe va. in Ostanatolien. Sie zählen ungefähr drei bis vier Millionen Personen. Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt.

Die Kurden (ca. 20% der Bevölkerung) leben v.a. im Südosten des Landes sowie, bedingt durch Binnenmigration und Mischehen, in den südlich und westlich gelegenen Großstädten

(Istanbul, Izmir, Antalya, Adana, Mersin, Gaziantep). Mehr als 15 Millionen türkische Bürger haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte (USDOS 20.4.2018).

Wenngleich es Mängel im Sicherheits- und Rechtschutzsystem gibt, kann nicht davon gesprochen werden, dass für die Bevölkerung generell keine wirksamen Schutzmechanismen vorhanden wären oder, dass dazu kein Zugang möglich wäre.

Es ergibt sich auf Grund der Berichtslage und dem aktuellen Amtswissen (www.ecoi.net) nicht, dass im Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Partei eine Lage herrschen würde, die für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit (infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes) mit sich bringen würde.

Es kann auf Grund der aktuellen Berichtslage und dem aktuellen Amtswissen nicht festgestellt werden, dass derzeit quasi jede Person mit dem Persönlichkeitsprofil der beschwerdeführenden Partei (insbes. ethnische, konfessionelle Zugehörigkeit) in der Türkei einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung aus asylrelevanten Motiven unterliegen würde.

Es kann ebenso nicht festgestellt werden, dass für solche Personen in der Türkei eine allgemeine Sicherheitslage herrschen würde, wonach sie per se einer realen Gefahr einer Gefährdung der persönlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären

Es kann auf Grund der Berichtslage und dem aktuellen Amtswissen nicht festgestellt werden, dass aktuell in der Türkei eine derart schlechte Versorgungslage herrschen würde, dass nicht das zur Existenz unbedingt Notwendige erlangbar wäre.

Die Gesundheitsversorgung ist grds. gewährleistet und zugänglich.

2. Beweiswürdigung

Ad 1.1.1 Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich aus ihren in diesem Punkt einheitlichen, im Wesentlichen widerspruchsfreien Angaben sowie ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel.

Ad 1.1.2. Das BFA hat den entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens erhoben und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammengefasst und schließt sich das Bundesverwaltungsgericht diesen Ausführungen aus nachstehenden Erwägungen an.

Die festgestellten Tatsachen zur Person der bP, ihrem Aufenthalt und ihres Privat- und Familienlebens in Österreich ergeben sich aus den Akten des BFA und des Bundesverwaltungsgerichtes, dem Auszug aus dem zentralen Melderegister, insbesondere aus dem angefochtenen Bescheid des BFA und wurde dem von der bP auch zu keinem Zeitpunkt im Verfahren substantiiert entgegengetreten.

Die Haftzeit sowie das errechnete Haftende der bP ist der Vollzugsinformation vom 16.02.2018 (AS 137) zu entnehmen.

Auch die in der gegenständlichen Entscheidung getroffenen Feststellungen beruhen gänzlich auf den im Laufe des Verfahrens getätigten Angaben der bP. Den Feststellungen zu den persönlichen Lebensumständen der bP in Österreich ist sie im Rahmen der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid nicht hinreichend konkret und substantiiert entgegengetreten, sondern wurden ihre persönlichen Lebensumstände im Rahmen der Beschwerdeschrift größtenteils wiederholt.

Die von der bP in der Beschwerde angeführte Behauptung, dass sie nach der Haftentlassung wieder bei ihrer Verlobten G.E. einziehen könne, wird der Entscheidung zugrunde gelegt.

Soweit die bP in der Beschwerde anführt, dass auf Grund der Verurteilung der bP nach dem Suchtmittelgesetz ins Visier der türkischen Behörden und in den Verdacht des Terrorismus geraten könnte, ist dies reine Spekulation, zumal nicht nachvollziehbar dargelegt wurde, wie die türkischen Behörden von der Verurteilung der bP in Österreich überhaupt erfahren sollten.

Sofern die Beschwerde auf die Scharia verweist, ist festzustellen, dass die angeführten Webadressen in ihren Randziffer darauf hinweisen "Dieses Urteil findet ausschließlich in einem, unter islamischen Gesetz stehenden, Land seine Anwendung und wird vom islamischen Richter rechtskräftig gemacht". Somit beschränkt der Artikel seine Relevanz ausschließlich auf unter islamischen Gesetz stehende Länder, wozu die Türkei nicht gehört. Derartiges ist auch den Länderfeststellungen nicht zu entnehmen; vielmehr gibt es in der Türkei sechs Höchstgerichte, regionale Berufungs- und Verwaltungsgerichte und die Gerichte 1. Instanz. Zudem hat sie auch nicht dargelegt, dass sie ihr der Verurteilung zugrundeliegendes Verhalten nach dem Suchtmittelgesetz auch in der Türkei fortsetzen wolle.

Ad 1.3.3. Zur abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Die belangte Behörde hat der bP im Rahmen der Einvernahme Berichte zur abschiebungsrelevanten Lage übergeben und zur Stellungnahme aufgefordert. Die Behörde hat damit das Parteiengehör ordnungsgemäß gewahrt. Eine diesbezügliche Stellungnahme ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen bzw. hat sich die bP dazu verschwiegen.

Weder aus der Berichtslage des BFA noch aus den in der Beschwerde angeführten Berichten lässt sich, vor allem unter zentraler Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse, die Prognose stellen, dass die bP im Falle einer Rückkehr eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende reale Gefährdung für hier maßgebliche Rechtsgüter zu gegenwärtigen hätte.

Die bP hat diesbezüglich im Rahmen einer Stellungnahme vom 10.04.2018 durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter ausgeführt, "ein Asylverfahren wird vom Einschreiter (bP) zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angestrebt", was alleine schon das Nichtvorliegen einer derartigen subjektiven Furcht vor relevanten Repressalien in der Türkei nahelegt. Würde die anwaltlich vertretene bP selbst von einer zur letzten negativen Asylentscheidung, mit der keine Rückkehrgefährdung festgestellt wurde, geänderten Sachlage und Gefährdung ausgehen, so würde der Versuch über einen Antrag auf internationalen Schutz Sicherheit in Österreich zu erlangen, durch die Möglichkeit der Erteilung eines entsprechenden Status, nahe liegen.

3. Rechtliche Beurteilung

Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen

Das Bundesamt führte spruchgemäß aus, dass der bP ein Aufenthaltstitel gem. § 55 und 57 AsylG nicht erteilt werde.

Das Bundesamt argumentiert, dass gem. § 58 Abs 1 Z 5 AsylG das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen habe, wenn ein Fremder sich "nicht rechtmäßig" im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

Gegenständlich verfügt die bP über einen Aufenthaltstitel gem. NAG bis zum 30.05.2019 und hält sich noch rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb hier § 57 AsylG nicht zu prüfen ist.

Auch die amtswegige Prüfung des § 55 AsylG war verfehlt, weil gem. § 58 Abs 2 BFA-VG eine solche Prüfung nur dann durchzuführen ist, wenn eine Rückkehrentscheidung "auf Dauer für unzulässig" zu erklären wäre, was gegenständlich aber nicht der Fall war.

Spruchpunkt I. war somit ersatzlos zu beheben.

Rückkehrentscheidung

Gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumsfreien Einreise entgegengestanden wäre.

Die bP verfügt bis 30.05.2019 über den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte-plus" und hält sich aufgrund dessen gegenwärtig rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb die Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung anhand § 52 Abs. 4 FPG rechtlich zu beurteilen ist.

Wie unten näher ausgeführt wird, widerstreitet der weitere Aufenthalt der bP im Bundesgebiet, aufgrund ihres in einer strafgerichtlichen Verurteilung gemündetes Verhalten, den öffentlichen Interessen und ist sohin gegenständlich der Tatbestand des § 52 Abs. 4 Z 1 FPG iVm. § 11 Abs. 2 Z 1 NAG [...Aufenthaltstitel dürfen Fremden nur erteilt werden wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet...] erfüllt.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

§ 9 BFA-VG

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

Für die Beurteilung ob ein relevantes Privat- und/oder Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliegt sind nach der höchstgerichtlichen Judikatur insbesondere nachfolgende Umstände beachtlich:

Privatleben

Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Rückkehrentscheidungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Bei der Schutzwürdigkeit des Privatlebens manifestiert sich der Grad der Integration des Fremden insbesondere an intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen (vgl. EGMR 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124; 11.10.2005, 2002/21/0124).

Familienleben

Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben;

das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR Kroon, VfGH 28.06.2003, G 78/00); etwa bei Zutreffen anderer Faktoren aus denen sich ergibt, dass eine Beziehung genügend Konstanz aufweist, um de facto familiäre Bindungen zu erzeugen: zB Natur und Dauer der Beziehung der Eltern und insbesondere, ob sie geplant haben ein gemeinsames Kind zu haben; ob der Vater das Kind als eigenes anerkannt hat; ob Unterhaltszahlungen für die Pflege und Erziehung des Kindes geleistet wurden; und die Intensität und Regelmäßigkeit des Umgans (EGMR v. 8.1.2009, Zl 10606/07, Fall Grant gg. Vereinigtes Königreich).

Kinder werden erst vom Moment ihrer Geburt an rechtlich Teil der Familie. Zu noch ungeborenen Kindern liegt somit bis dahin (noch) kein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK vor (vgl. zB VfGH 24.02.2003, B 1670/01; EGMR 19.02.1996, GÜL vs Switzerland).

Der Begriff des Familienlebens ist jedoch nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere "de facto Beziehungen" ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua).

Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 2006, B 1277/04, unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR; des Weiteren auch das Erkenntnis des VwGH vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0423 und die darauf aufbauende Folgejudikatur, etwa die Erkenntnisse vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0235, vom 8. Juni 2006, Zl. 2003/01/0600, vom 22. August 2006, Zl. 2004/01/0220 und vom 29. März 2007, Zl. 2005/20/0040, vom 26. Juni 2007, 2007/01/0479).

Die Beziehung der bereits volljährigen Kinder zu den Eltern ist vor allem dann als Familienleben zu qualifizieren, wenn jene auch nach Eintritt der Volljährigkeit im Haushalt der Eltern weiterleben, ohne dass sich ihr Naheverhältnis zu den Eltern wesentlich ändert (Chvosta, Die Rückkehrentscheidung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 860 unter Hinweis auf Wiederin in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 8 EMRK Rz 76).

Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern, die wegen des Fehlens von über die üblichen Bindungen hinausgehenden Merkmalen der Abhängigkeit nicht (mehr) unter den Begriff des Familienlebens fallen, unter den Begriff des ebenfalls von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Privatlebens zu subsumieren (VwGH 21.4.2011, 2011/01/0093-7 [vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 9. Oktober 2003, Slivenko gegen Lettland, Beschwerde Nr. 48321/99, Randnr. 97, vom 15. Juni 2006, Shevanova gegen Lettland, Beschwerde Nr. 58822/00, Randnr. 67, vom 22. Juni 2006, Kaftailova gegen Lettland, Beschwerde Nr. 59643/00, Randnr. 63, und vom 12. Jänner 2010, A.W. Khan gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 47486/06, Randnr. 31 ff]).

Alle anderen verwandtschaftlichen Beziehungen (zB zwischen Enkel und Großeltern, erwachsenen Geschwistern [vgl. VwGH 22.08.2006, 2004/01/0220, mwN; 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723-8], Cousinen [VwGH 15.01.1999, 97/21/0778; 26.6.2007, 2007/01/0479], Onkeln bzw. Tanten und Neffen bzw. Nichten) sind nur dann als Familienleben geschützt, wenn eine "hinreichend starke Nahebeziehung" besteht. Nach Ansicht der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist für diese Wertung insbesondere die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung (vgl. VfSlg 17.457/2005). Dabei werden vor allem das Zusammenleben und die gegenseitige Unterhaltsgewährung zur Annahme eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK führen, soweit nicht besondere Abhängigkeitsverhältnisse, wie die Pflege eines behinderten oder kranken Verwandten, vorliegen.

Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR im Fall Cruz Varas gegen Schweden). In diesen Fällen ist nach der Judikatur des EGMR der Eingriff in das Privatleben gegebenenfalls separat zu prüfen (Chvosta, Die Rückkehrentscheidung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 856 mwN).

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Die bP weist aktuell aufgrund ihrer Eltern, der Verlobten und sonstigen Angehörigen erhebliche familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich auf, lebt jedoch - nicht zuletzt wegen des langjährigen Haftaufenthaltes - mit diesen nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Lediglich die Großeltern sind in der Türkei aufhältig.

Auf Grund der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet und der gegebenen persönlichen Umstände liegt hier auch ein relevantes Privatleben in Österreich vor.

Da die Rückkehrentscheidung somit einen Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben darstellt, bedarf es diesbezüglich einer Abwägung der persönlichen Interessen an einem Verbleib mit den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendung, somit, ob eine Rückkehrentscheidung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Im vorliegenden Fall ist der Eingriff gesetzlich vorgesehen und verfolgt gem. Art 8 Abs 2 EMRK legitime Ziele, nämlich

-

die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, worunter auch die geschriebene

Rechtsordnung zu subsumieren ist;

-

das wirtschaftliche Wohl des Landes;

-

zur Verhinderung von strafbaren Handlungen;

-

die Verteidigung der Ordnung;

-

zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

Öffentliche Ordnung

Der EGMR geht davon aus, dass die Konvention kein Recht auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat garantiert. Der EGMR erkennt in stRsp weiters, dass die Konventionsstaaten nach völkerrechtlichen Bestimmungen berechtigt sind, Einreise, Rückkehrentscheidung und Aufenthalt von Fremden ihrer Kontrolle zu unterwerfen, soweit ihre vertraglichen Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen (vgl. uva. zB. Urteil Vilvarajah/GB, A/215 § 102 = NL 92/1/07 und NL 92/1/27f.). Die Schaffung eines Ordnungssystems mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt wird, ist auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) daher ein hoher Stellenwert zu (VfGH 29.9.2007, B 328/07, VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251 uva.). Die Rückkehrentscheidung kann in solchen Fällen trotz eines vielleicht damit verbundenen Eingriffs in das Privatleben und/oder Familienleben erforderlich sein, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (VwGH 21.2.1996, 95/21/1256). Aus Art 8 EMRK ist zudem kein Recht auf Wahl des Familienwohnsitzes ableitbar (VfGH 13.10.2007, B1462/06 mwN).

Wirtschaftliches Wohl

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist auch für das wirtschaftliche Wohl des Landes (vgl zB EGMR 31.7.2008, Darren Omoregie u.a. gg. Norwegen) von besonderer Bedeutung, da diese sowohl für den geordneten Arbeitsmarkt als auch für das Sozial- und Gesundheitssystem erhebliche Auswirkung hat.

Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass insbesondere bei nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Fremden, welche daher auch grds. über keine arbeitsrechtliche Berechtigung verfügen, idR die reale Gefahr besteht, dass sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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