TE Bvwg Beschluss 2019/3/20 W158 2200167-1

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Veröffentlicht am 20.03.2019
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Entscheidungsdatum

20.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28

Spruch

W158 2200167-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX :

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 34 Abs. 4, 5 AsylG iVm § 28 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und unstrittiger Sachverhalt:

I.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine Staatsangehörige Afghanistans reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am darauffolgenden Tag wurde die BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab sie unter anderem an, am XXXX in XXXX geboren worden und verheiratet zu sein. Befragt nach ihren Fluchtgründen führte die BF aus, sie sei mit ihrem Mann geflüchtet, sie habe keine eigenen Fluchtgründe.

I.3. Am XXXX wurde die BF von einem Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Die BF wurde dabei unter anderem zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer Identität, ihren Lebensumständen in Afghanistan, ihren Familienangehörigen und ihren Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die die BF bewogen, ihre Heimat zu verlassen, gab diese an, dass die Fluchtgründe ihres Mannes auch für sie gelten würden. Zusätzlich gab sie an, dass sie weder in Afghanistan noch im Iran Rechte gehabt habe und keine Schule besuchen habe können.

Als Beilage zur Niederschrift wurde die Tazkira der BF genommen.

I.4. Mit Bescheid vom XXXX , der BF am XXXX zugestellt, wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung der Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA aus, dass das Vorbringen der BF vage gewesen und emotionslos geschildert worden sei, weswegen ihr der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Die BF könne nach Kabul, XXXX oder jede unter Regierungskontrolle stehende Provinz zurückkehren, sodass ihr auch kein subsidiärer Schutz gewährt werden könne. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das BFA eine Abwägung durch und kam dabei zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen sei ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig.

I.5. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde der BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.6. Am XXXX erhob die BF durch ihre Vertretung Beschwerde in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung der Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens in Folge einer mangelhaften Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, der BF den Status der Asylberechtigten zu gewähren; in eventu ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; in eventu ihr subsidiären Schutz zu gewähren; in eventu einen Aufenthaltstitel zu erteilen; in eventu die Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben; in eventu die Bescheide zu beheben und zur Verfahrensergänzung an das BFA zurückzuverweisen.

Das Verfahren sei insofern mangelhaft geführt worden, als die BF nicht ausreichend befragt worden sei und unvollständige Länderfeststellungen getroffen worden seien beziehungsweise diese nicht in die Beweiswürdigung eingeflossen seien. Außerdem sei die BF westlich orientiert.

I.7. Am XXXX langte der gegenständliche Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was gegenständlich nicht der Fall ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

II.2. Zum Spruchpunkt A):

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Diese Bestimmung gilt nach § 34 Abs. 5 AsylG sinngemäß auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Nach § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Nach den erläuternden Bemerkungen zu § 34 AsylG 2005 (ErläutRV 952 BlgNR 22. GP, 54) sind die Asylverfahren einer Familie "unter einem" zu führen, wobei jeder Antrag auf internationalen Schutz gesondert zu prüfen ist. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienmitglieder anzuwenden. Das gemeinsame Führen der Verfahren hat den Vorteil, dass möglichst zeitgleich über die Berechtigungen, die Österreich einer Familie gewährt, abgesprochen wird. Diese Vereinfachung und Straffung der Verfahren wird auch im Berufungsverfahren (nunmehr: Beschwerdeverfahren) fortgesetzt.

Nach § 16 Abs. 3 BFA-VG ist keine Entscheidung eines Familienangehörigen der Rechtskraft zugänglich, wenn gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren gemäß dem 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben wird, da diese auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen gilt; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

Nach den erläuternden Bemerkungen zur inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 16 Abs. 2 BFA-VG soll mit dieser Bestimmung erreicht werden, dass alle Anträge von Familienmitgliedern von der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt entschieden werden können (ErläutRV 2144 BlgNR 24. GP, 11f). Auch der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass Familienverfahren "gemäß §34 AsylG 2005 zwingend gemeinsam" zu führen sind (VfGH 18.09.2015, E 1174/2014).

Da der Bescheid ihrer minderjährigen Kinder, die Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG sind, mit Beschluss vom heutigen Tage aufgrund gravierender Ermittlungsmängel aufzuheben und das Verfahren an das BFA zurückzuverweisen war, ist auch der Bescheid der BF aufzuheben und das Verfahren an das BFA zurückzuverweisen. Andernfalls wäre eine Führung des Verfahrens "unter einem" und eine Entscheidung der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt nicht möglich. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (etwa VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0357).

Der Vollständigkeit halber ist auch noch auszuführen, dass das BFA bei der Frage der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten zu beachten haben wird, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die besondere Vulnerabilität von Minderjährigen bei der Beurteilung, ob bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen ist. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF mit ihrer Familie tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit. Dass die Lage in den großen Städten grundsätzlich vergleichsweise sicher und stabil ist, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass dies in gleicher Weise für besonders vulnerable Personen gilt (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 bis 0320; 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479). Dabei sind auch konkrete Feststellungen zu den Möglichkeiten eine entsprechende Unterkunft zu finden, zu treffen (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315). Ausgehend davon bedarf es im gegenständlichen Fall einer genaueren, auf aktuellen Berichten beruhenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob der BF und ihrer Familie unter Beachtung ihrer Vulnerabilität bei einer Rückkehr nach Afghanistan, eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte droht. Das BFA setzte sich zwar mit einigen Aspekten der Art. 3 EMRK-Prüfung auseinander, lässt jedoch eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahren, insbesondere in Anbetracht der bereits ausgeführten besonderen Schutzbedürftigkeit der Familie der BF, vermissen.

II.3. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Familieneinheit, Familienverfahren, Kassation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W158.2200167.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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