Entscheidungsdatum
29.03.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W258 2148740-3/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX alias XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl XXXX , in einer asylrechtlichen Angelegenheit zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in Folge kurz: "BF") stellte am 27.07.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 24.02.2017 wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft fest.
2. Mit hg Beschluss vom 03.05.2017, GZ W258 2148740-1/4E, wurde der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde Folge gegeben, der Bescheid wegen Verletzung von § 20 Abs 1 1. Satz AsylG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückverwiesen. Der Beschluss erwuchs in Rechtskraft.
3. Mit Bescheid vom 20.02.2018, AZ XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz neuerlich ab (Spruchpunkte 1. und 2.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, (Spruchpunkt 2.I.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt 3.), stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt 4.) und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft fest (Spruchpunkt 5.).
4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 08.03.2018 Beschwerde, die derzeit hg anhängig ist.
5. Mit Bescheid vom 25.10.2018 stellte die belangte Behörde fest, dass der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren hat.
6. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien zur AZ 65 Hv 107/18g vom 08.11.2018 wurde der BF wegen §§ 27 Abs 2a zweiter Fall, 27 Abs 1 Z 1 achter Fall und 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon drei Monate unbedingt, verurteilt.
7. Mit Bescheid vom XXXX änderte die belangte Behörde den Bescheid vom 20.02.2018 gemäß § 68 Abs 2 AVG ab, erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.), stellte fest, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt II.), verhängte gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 und 4 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.), erkannte einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz ab (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt V.). Die restlichen Spruchpunkte des Bescheids vom 20.02.2018, Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, lies die belangte Behörde unverändert. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen mit der strafrechtlichen Verurteilung des BF.
8. Gegen diesen Bescheid wendet sich die gegenständliche Beschwerde vom 19.03.2019, hg unter Anschluss des Verwaltungsakts eingelangt am 25.03.2019, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird.
Beweise wurden aufgenommen durch Einsicht in den Verwaltungsakt und den hg Akt zur AZ W258 2148740-2.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen und Beweiswürdigung:
Der unter I. beschriebene Verfahrensgang steht fest; er gründet auf dem unbedenklichen Verfahrensakt und dem hg Akt zur AZ W258 2148740-2.
2. Rechtlich folgt daraus:
Zu A), Ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheids:
2.1. Die zulässige Beschwerde ist berechtigt:
2.2. Der BF brachte in seiner Beschwerde zusammengengefasst vor, die belangte Behörde sei zu Unrecht von der Anwendung des § 68 Abs 2 AVG ausgegangen, weil für die Partei belastende Abänderungen eines der Berufung nicht unterliegenden Bescheids nicht auf § 68 Abs 2 AVG gestützt werden können. Der neue Bescheid enthalte aber ausschließlich für den BF belastende Änderungen, weshalb er rechtswidrig und ersatzlos zu beheben sei. Mit diesem Vorbringen ist der BF im Ergebnis im Recht.
2.3. Gemäß § 68 Abs 2 iVm Abs 1 AVG kann die Behörde einen von ihr erlassenen Bescheid aufheben oder abändern, wenn er der Berufung nicht unterliegt und aus ihm niemanden ein Recht erwachsen ist (siehe dazu grundlegend Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 53 mit Verweisen auf einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs).
2.4. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist für die Anwendbarkeit des § 68 Abs 2 AVG der Effekt der Aufhebung oder Abänderung ausschlaggebend. Wirkt sie zugunsten der Partei, ist sie in verfahrensrechtlicher Hinsicht nach § 68 Abs 2 AVG stets zulässig, gleichgültig, ob der Partei aus dem Bescheid ein Recht erwachsen ist oder nicht (vgl VfGH 21.02.2014, B 1512/2011). Belastende Abänderungen von der Berufung nicht (mehr) unterliegenden Bescheiden können allerdings nicht auf § 68 Abs 2 AVG gestützt werden (vgl VwGH 27. 5. 2014, 2011/10/0197), auch dann nicht, wenn es sich um Bescheide handelt, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist (vgl VwSlg 1293 A/1950; VwGH 26. 4. 1993, 90/10/0209; 17. 5. 2001, 2001/07/0034).
2.5. Die Anwendung des § 68 Abs 2 AVG ist dann ausgeschlossen, wenn mit dem neuen Bescheid eine der Partei auferlegte Pflicht vergrößert werden soll. Durch die nachträgliche Vergrößerung einer Verpflichtung, so der Verwaltungsgerichtshof, werde die Partei nämlich nicht weniger beeinträchtigt als durch die nachträgliche Verminderung eines ihr zuerkannten Rechts und es ließe sich eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Fälle nicht auffinden (VwSlg 9875 A/1979). Die Behörde darf daher von der ihr in § 68 Abs 2 AVG eingeräumten Möglichkeit nur dann Gebrauch machen, wenn damit keine Verschlechterung der Rechtsstellung der Partei verbunden ist (VwSlg 1293 A/1950; VwGH 20.03.1996, 95/21/0369; 24.02.2005, 2004/11/0215). Es ist ein Günstigkeitsvergleich durchzuführen (VwGH 22. 4. 2002, 99/10/0144).
2.6. Ein hinsichtlich des abzuändernden oder auszuhebenden Bescheids anhängiges Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht hindert die Behörde nicht, nach § 68 Abs 2 AVG vorzugehen (dazu grundlegend VwGH 16.11.2015 Ra 2015/12/0029).
2.7. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde mit dem - einer Beschwerde aber keiner Berufung unterliegenden - Bescheid vom 20.02.2018 ua gegenüber dem BF eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Frist für seine freiwillige Ausreise auf vierzehn Tage festgelegt; mangels gegenteiliger Anordnung kam einer Beschwerde gegen den Bescheid aufschiebenden Wirkung zu. Mit dem abändernden Bescheid vom XXXX wurde zusätzlich zur Rückkehrentscheidung ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen, keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt. Dadurch hat die belangte Behörde die Rechtsstellung des BF sowohl im Vergleich zum Bescheid vom 20.02.2018 als auch im Vergleich zu dem für die Partei schlechtestmöglichen Ergebnis der gegen diesen Bescheid anhängigen hg Beschwerde verschlechtert:
2.7.1. Letzteres, weil es dem Verwaltungsgericht verwehrt ist, erstmalig im Beschwerdeverfahren ein Einreiseverbot zu erlassen (Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheids; zur - übertragbaren - Rechtslage vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit siehe VwGH 10.10.2012, 2012/18/0104) und einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung der belangten Behörde über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung abzuerkennen (Spruchpunkt IV. des bekämpften Bescheids). Nur die belangte Behörde hat nämlich nach dem Wortlaut des § 18 BFA-VG die Befugnis einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung nach § 18 Abs 1 BFA-VG abzuerkennen und § 22 Abs 1 VwGVG, der es dem Verwaltungsgericht grundsätzlich ermöglichen würde, die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, ist im - wie hier gegenständlichen - Verfahren über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde nach § 18 Abs 1 bis Abs 6 BFA-VG gemäß § 18 Abs 7 BFA-VG nicht anwendbar.
2.7.2. Das Verwaltungsgericht wäre auf Grund der Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 20.02.2018 auch nicht befugt, gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist zur freiwilligen Ausreise einzuräumen (Spruchpunkt V. des bekämpften Bescheids). Das wäre nämlich nur bei einer - nicht gegenständlichen - zurückweisenden Entscheidung nach § 68 AVG oder dann zulässig, wenn eine Entscheidung gemäß § 18 BFA-VG - wie hier durch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung - durchführbar wird. Letztere ist dem Verwaltungsgericht aber wie zuvor ausgeführt verwehrt.
2.8. Insoweit mit dem angefochtenen Bescheid neuerlich eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und die Zulässigkeit der Abschiebung des BF nach Afghanistan festgestellt wurde (Spruchpunkt II.), stellt er keine Abänderung oder Aufhebung der bereits mit dem Bescheid vom 20.02.2018 erlassenen Rückkehrentscheidung bzw Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung dar. § 68 Abs 2 AVG sieht einen zulässigen Eingriff in die Rechtskraft eines Bescheides aber nur für den Fall seiner Aufhebung bzw Abänderung vor; für die Wiederholung eines mit dem früheren Bescheid identen Bescheides bietet diese Bestimmung jedoch keine Grundlage, weshalb sich (auch) dieser Teil des angefochtenen Bescheides als objektiv rechtswidrig erweist (vgl VwGH 17.05.2001, 2001/07/0034). Der BF wird dadurch auch in seinen subjektiven Rechten verletzt; im Gegensatz zu VwGH 17.05.2001, 2001/07/0034 unterliegt der mit dem angefochtenen Bescheid in seinen Spruchpunkte
3. und 4. wiederholte Bescheid vom 20.02.2018 nämlich noch einer - dem BF allenfalls begünstigen - Abänderbarkeit durch das Verwaltungsgericht, die mangels Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid verloren ginge.
2.9. § 68 Abs 2 bietet daher keine taugliche Grundlage für eine den BF benachteiligende Abänderung des Bescheids vom 20.02.2018. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Er war daher gemäß § 28 Abs 2 iVm Abs 5 VwGVG aufzuheben.
2.10. Angesichts dieses Ergebnisses konnte von der Durchführung einer - vom BF nur in eventu beantragten - mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 2. Fall VwGVG abgesehen werden.
Zu B), Unzulässigkeit der Revision:
2.11. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
2.12. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der (jeweils zitierten und - sofern sie sich auf die Rechtslage vor der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit bezieht - übertragbaren) bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Abänderung eines Bescheides, amtswegige Abänderung, aufschiebendeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W258.2148740.3.00Zuletzt aktualisiert am
03.10.2019