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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §38;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 98/21/0065Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerden des (am 6. Juli 1954 geborenen) JK in Bregenz, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 2. August 1996, Zl. 1-0471/96/E2, und vom 27. August 1997, Zl. 1-0910/96/E2, jeweils betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 25.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit den im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheiden des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg (der belangten Behörde) wurde der Beschwerdeführer jeweils wegen Übertretung des § 82 Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 15 Abs. 1 Z. 2 und 3 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, gemäß § 82 Abs. 1 FrG mit einer Geldstrafe in Höhe von S 3.000,-- bzw. S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden bzw. 48 Stunden) bestraft, weil er sich als Fremder, ohne im Besitz eines von der Sicherheitsbehörde ausgestellten Sichtvermerkes, einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz oder einer Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zu sein und damit unrechtmäßig, vom 5. Februar 1994 bis 31. August 1995 bzw. vom 22. Mai 1996 bis 18. August 1996 in Bregenz/Hörbranz aufgehalten habe. Begründend führte die belangte Behörde in beiden Fällen im wesentlichen aus, daß sich der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, bis zum 4. Februar 1994 mit einem gültigen Touristensichtvermerk im Bundesgebiet aufgehalten habe. Daß er daran anschließend bis zum 31. August 1995 und in weiterer Folge vom 22. Mai 1996 bis 18. August 1996 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet gewesen sei, werde von ihm nicht in Abrede gestellt. Er habe das Tatbild der ihm zur Last gelegten Übertretung des Fremdengesetzes in beiden Fällen objektiv verwirklicht. Zur subjektiven Tatseite sei anzumerken, daß es sich bei der vorliegenden Übertretung um ein Ungehorsamsdelikt handle. Der Beschwerdeführer bliebe bei Begehung eines solchen Deliktes nur dann straffrei, wenn er glaubhaft machen könnte, daß ihn an der Verletzung der Vorschrift kein Verschulden treffe. Davon könne aber - wiederum in beiden Fällen - nicht ausgegangen werden. Daß der Beschwerdeführer schließlich - diese Begründung bezieht sich nur auf das zweite Straferkenntnis - bereits hinsichtlich eines weiter zurückliegenden Zeitraumes bestraft worden sei, stehe einem neuerlichen Verwaltungsstrafverfahren bezüglich eines nachfolgenden Tatzeitraumes nicht im Weg, weil es sich bei der gegenständlichen Verwaltungsübertretung um ein Dauerdelikt handle.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, jeweils vom Verfassungsgerichtshof abgetretenen Beschwerden mit dem Antrag, sie wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete jeweils eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden als unbegründet beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese, wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbundenen Beschwerden in dem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer läßt in beiden Fällen die maßgeblichen Feststellungen unbestritten, wonach er sich zwischen dem 5. Februar 1994 und dem 31. August 1995 sowie zwischen dem 22. Mai 1996 und dem 18. August 1996 im Bundesgebiet aufgehalten habe, und zwar jeweils ohne im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, eines Sichtvermerkes oder einer Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991 zu sein. Die auf diesen Feststellungen beruhende Auffassung der belangten Behörde, daß sich der Beschwerdeführer in den fraglichen Zeiträumen unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und damit das Tatbild des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG objektiv verwirklicht habe, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Dennoch sind die Beschwerden im Ergebnis berechtigt. Schon in dem dem erstangefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Verfahren vor der belangten Behörde waren aus den Akten Hinweise darauf ersichtlich, daß sich der Beschwerdeführer bereits längere Zeit in Österreich aufhalte. Weiters ging aus den Akten hervor, daß der Beschwerdeführer einen bis 4. Februar 1994 gültigen Touristensichtvermerk besaß (das hat die belangte Behörde im übrigen auch festgestellt), im Mai 1994 seine im Inland aufhältige langjährige Lebensgefährtin heiratete und mit dieser und (zumindest) einem Kind im gemeinsamen Haushalt wohnte. Noch deutlichere Anhaltspunkte für eine Integration des Beschwerdeführers im Inland boten die Ergebnisse des Verfahrens, welches in die Erlassung des zweitangefochtenen Straferkenntnisses mündete. In der im Rahmen dieses Verfahrens durchgeführten mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, 1989 nach Österreich gekommen zu sein und 1991 - im Besitz eines Sichtvermerkes - bei einer Reinigungsfirma in Dornbirn gearbeitet zu haben; bezüglich seiner Vermögensverhältnisse verwies er auf die Berufstätigkeit seiner - wie sich aus dem Zustellschein ergibt - mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegattin sowie auf Sorgepflichten für zwei Kinder.
Wenngleich infolge der nicht näher festgestellten Dauer und der Modalitäten des inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich einerseits und infolge seiner nicht näher geklärten privaten und familiären Verhältnisse im Inland andererseits eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist, bleibt festzuhalten, daß der belangten Behörde nach dem Vorgesagten jedenfalls nicht vernachlässigbare Indizien vorlagen, wonach - bezogen auf die jeweils in Frage stehenden Tatzeiträume - einer Ausweisung des Beschwerdeführers allenfalls § 19 FrG entgegengestanden wäre. § 19 FrG stellt auf den Schutz des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden ab. Bei Vorliegen eines im Sinn dieser Bestimmung relevanten Eingriffes in das Privat- und/oder Familienleben ist weiters zu prüfen, ob die Erlassung (unter anderem) einer Ausweisung dringend geboten ist. Ein relevanter Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers ist hier schon im Hinblick auf den gemeinsamen Haushalt mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin und nunmehrigen Ehegattin gegeben. Wenn auch nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 98/21/0220) den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Einhaltung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt, ist dem öffentlichen Interesse an einer Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 FrG das aus seinem rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich und sonstigen Umständen resultierende Ausmaß der Integration des Fremden gegenüberzustellen und zu prüfen, ob die Ausweisung auch in diesem Fall dringend geboten ist. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer möglicherweise mehr als sechs (bezogen auf den angenommenen Tatzeitraum des ersten Straferkenntnisses) bzw. sieben Jahre (bezogen auf den angenommenen Tatzeitraum des zweiten Straferkenntnisses) in Österreich aufhältig war (davon allenfalls den überwiegenden Teil rechtmäßig), kann nicht gesagt werden, die gebotene Interessenabwägung hätte zwingend zu seinen Lasten ausgehen müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1996, Zlen. 95/21/1252, 1253).
Ergibt sich damit, daß eine (hypothetische) Ausweisung des Beschwerdeführers in den jeweiligen Tatzeiträumen aus dem Grund des § 19 FrG nicht gerechtfertigt gewesen sein könnte, so muß sich dies im Ergebnis auch auf die Strafbarkeit des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG auswirken. Denn wären auch Fremde, die derart gravierende private und familiäre Bindungen in Österreich haben, daß ihr Interesse an deren Aufrechterhaltung die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an einer Ausweisung überwiegt, von der Strafdrohung der genannten Norm erfaßt, so läge darin ein dem Gesetzgeber nicht zusinnbarer Wertungswiderspruch. In Weiterverfolgung des im hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 96/21/1012, entwickelten Gedankens, wonach die Strafnorm des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht die Fälle eines unrechtmäßigen Aufenthaltes eines Fremden erfasse, der unmittelbar auf Grund des Gesetzes einen Ausweisungsschutz genieße oder aber auf einer solchen Grundlage im Inland behördlich geduldet werde, weshalb im Ausweisungsverbot des § 17 Abs. 4 FrG ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund für den Tatbestand des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG zu sehen sei, muß daher auch dann das Vorliegen eines gesetzlichen Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG angenommen werden, wenn - wie möglicherweise im vorliegenden Fall - einer Ausweisung des Fremden eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung nach § 19 FrG im Weg steht (vgl. auch, wenngleich unter anderem Blickwinkel, U. Davy, Unbefugter Aufenthalt und Familienbindungen ZfV 1997/1, 21 ff.).
In Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde die für sie Vorfrage iSd § 38 AVG bildende Zulässigkeit einer Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des § 19 FrG, bezogen auf die in Frage stehenden Tatzeiträume, ungeprüft gelassen und keine Feststellungen zur Dauer und zu den Modalitäten des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Inland sowie zu seinen näheren privaten und familiären Verhältnissen getroffen. Damit belastete sie die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren.
Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die - verfehlten - Ausführungen des Beschwerdeführers betreffend die von ihm in Zweifel gezogene Tribunalqualität der belangten Behörde einzugehen. (Vgl. dazu auch den hg. Beschluß vom 5. November 1997, Zl. 96/21/0781.)
Ergänzend sei weiters bemerkt, daß der Ansicht des Beschwerdeführers über eine Verfassungswidrigkeit des § 24 Abs. 3 erster Satz VwGG i.d.F. BGBl. I Nr. 88/1997, mit welcher Bestimmung eine Einbringungsgebühr von S 2.500,-- für Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof eingeführt wurde, nicht gefolgt werden kann (vgl. dazu näher den hg. Beschluß vom 5. Juni 1998, Zl. 98/21/0122). Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt, und Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Da dem Beschwerdeführer die Verfahrenshilfe bewilligt wurde, kommt ein Zuspruch von Stempelgebühren nicht in Betracht.
Wien, am 6. November 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997210085.X00Im RIS seit
20.02.2002