TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/10 W102 2132207-1

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Veröffentlicht am 10.04.2019
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Entscheidungsdatum

10.04.2019

Norm

AsylG 2005 §55
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §52

Spruch

W102 2132207-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland, vom 21.07.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.08.2017 zu Recht:

A) I. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV.

des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 52 FPG 2005 und Art. 8 EMRK eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

II. XXXX wird gemäß § 55 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer vor 12 Monaten erteilt

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 07.04.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 18.04.2016 gab der Beschwerdeführer zu im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen an, in Österreich seien ein Onkel mütterlicherseits sowie Cousins und Cousinen des Beschwerdeführers aufhältig. Er habe in Österreich eine Freundin, sie lebe in Wien und sei seine Cousine. Zusammenleben würden sie nicht. Er wolle sie heiraten.

I.2. Mit Bescheid vom 21.07.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

I.3. Das Verfahren über die dagegen erhobene Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.11.2017 wegen Zurückziehung der Beschwerde eingestellt. Im Übrigen wurde die Beschwerde mit Erkenntnis vom 27.11.2017 als unbegründet abgewiesen.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.08.2017 gab der Beschwerdeführer an, er habe am 30.05.2017 geheiratet. Sie hätten sich etwa eineinhalb Jahre zuvor in Österreich kennengelernt und würden seit acht Monaten in einer gemeinsamen Wohnung wohnen. Der Beschwerdeführer verbringe viel Zeit mit seiner Ehefrau, sie würde ihn beim Lernen unterstützen und sie würden manchmal etwas unternehmen. Seine Ehefrau gab an, sie sei seit sechs Jahren anerkannter Flüchtling in Österreich.

I.4. Aufgrund der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision hob der Verwaltungsgerichtshof die angefochtene Entscheidung mit Erkenntnis vom 06.09.2018 insoweit, als damit die Beschwerde in Bezug auf die erlassene Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 52 Abs. 9 FPG und die Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf. Im Übrigen wurde die Revision zurückgewiesen.

I.5. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.03.2019 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, Sachverhaltsänderungen bekannt zu geben sowie allfälliges weiteres Vorbringen zu erstatten. Die diesbezügliche Stellungnahme und Urkundenvorlage langte am 08.04.2019 am Bundesverwaltungsgericht ein.

I.6. Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Tazirka des Beschwerdeführers im Original

* Führerschein des Beschwerdeführers

* Diverse Deutschkursbestätigungen

* Unterstützungsschreiben

* Heiratsurkunde

* Geburtsurkunde seiner Tochter

* Asylbescheide von Ehefrau und Tochter des Beschwerdeführers

* Diverse Fotos

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stammt aus der Provinz Kabul, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Im Herkunftsdorf leben noch Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer hält sich zumindest seit 07.04.2015, als er seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durchgehend im Bundesgebiet auf. Er lebt in Österreich von der Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er hat Deutschkurse besucht und im Bundesgebiet einige Kontakte geknüpft. Im Bundesgebiet sind auch einige Verwandte aufhältig.

Der Beschwerdeführer hat am 30.05.2017 mit XXXX , geb. am XXXX , die Ehe geschlossen. Ein gemeinsamer Wohnsitz besteht seit 09.06.2017.

Am XXXX wurde die gemeinsame Tochter im Bundesgebiet geboren.

Ehefrau und Tochter des Beschwerdeführers sind afghanische Staatsangehörige. Der Ehefrau des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid vom 15.03.2011 und der Tochter des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 23.01.2019 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Der Beschwerdeführer ist gesund und strafrechtlich unbescholten.

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit basiert auf der vorgelegten Tazkira und dem Führerschein des Beschwerdeführers. Dies Feststellungen zu seinen Lebensverhältnissen im Herkunftsstaat und seinen dort aufhältigen Angehörigen beruhen auf seinen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Zur Aufenthaltsdauer in Österreich ist auszuführen, dass das Antragsdatum aktenkundig ist und sind im Lauf des Verfahrens keine Anhaltspunkte hervorgekommen sind, dass der Beschwerdeführer das Bundesgebiet zwischenzeitig verlassen hätte. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nicht erwerbstätig ist, ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer anderes nicht vorgebracht hat. Die Feststellung zum Grundversorgungsbezug des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Die Feststellung zum vom Beschwerdeführer wahrgenommenen Bildungsangebot basiert auf den vorgelegten diesbezüglichen Bestätigungen. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet Kontakte geknüpft hat, ergibt sich aus seinen Angaben sowie den vorgelegten Unterstützungsschreiben. Die Feststellung zu den im Bundesgebiet aufhältigen Verwandten ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.08.2017.

Die Feststellung zur Eheschließung beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.08.2017 sowie auf der vorgelegten Heiratsurkunde. Die Feststellung zum gemeinsamen Wohnsitz beruhen auf den im Akt einliegenden Auszügen aus dem zentralen Melderegister.

Die Feststellung zur Geburt der gemeinsamen Tochter ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde, wobei dem zentralen Melderegister zu entnehmen ist, dass auch ein gemeinsamer Wohnsitz mit dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau besteht.

Die Feststellungen, dass der Ehefrau und der Tochter des Beschwerdeführers der Status der Asylberechtigten zukommt, ist aktenkundig.

Dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich daraus, dass ein anderslautendes Vorbringen nicht erstattet und medizinische Unterlagen nicht vorgelegt wurden.

Dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich daraus, dass ein anderslautendes Vorbringen nicht erstattet und im Lauf des Verfahrens auch keine ärztlichen Unterlagen vorgelegt wurden, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers nachweisen würden.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Stattgebung der Beschwerde

II.3.1. Zur dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung

Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 AsylG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

§ 9 Abs. 1 BFA-VG normiert, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1-9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (zuletzt VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0026).

Der Beschwerdeführer hält sich infolge seiner illegalen Einreise seit zumindest April 2015 und damit etwa vier Jahre durchgehend im Bundesgebiet auf, wobei der Beschwerdeführer durchgehend gemäß § 13 AsylG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich dabei um eine nur vorläufige Aufenthaltsberechtigung handelt, der der Verwaltungsgerichtshof, wenn sie nur auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist, keine hohe Bedeutung zumisst (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479). Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weswegen der Verwaltungsgerichtshof es ablehnt, bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen. Gleichzeitig spricht der Verwaltungsgerichtshof allerdings aus, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Trennung von Ehepartnern nur gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0026 mwN). Der Beschwerdeführer ist wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt seit 30.05.2017 mit einer in Österreich asylberechtigten afghanischen Staatsangehörigen verheiratet. Anhaltspunkte dafür, dass die Ehe zur Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung im Sinne der oben zitierten Judikatur geschlossen wurde, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Weiter ist stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes eine Rückkehrentscheidung, die zwangsläufig zu einer Trennung eines Kleinkindes von Mutter oder Vater (die in Lebensgemeinschaft leben) führt, in jedem Fall eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar. Kontakte der Mutter zu ihrem Lebensgefährten über Telefon oder E-Mail können das nicht wettmachen (VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0108 mwN). Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt weiter der Frage, ob das Familienleben in einem ungewissen Aufenthaltszustand entstanden ist, ein wesentliches Gewicht zu und ist auch die Frage der Zumutbarkeit der Fortführung des Familienlebens im Herkunftsstaat zu beachten (VfGH 03.10.2012, U119/12). Eine Fortsetzung des Familienlebens des Beschwerdeführers mit Ehefrau und Tochter ist bedingt dadurch, dass beide afghanische Staatsangehörige sind und ihnen in Österreich der Status der Asylberechtigten zukommt, im gemeinsamen Herkunftsstaat ausgeschlossen. Damit kommt dem Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter unter Berücksichtigung der oben zitierten höchstgerichtlichen Judikatur erhebliches Gewicht zu (§ 9 Abs. 2 Z 2 BFA-VG).

Die Rückkehrentscheidung greift auch in das Recht auf Achtung des Privatlebens des Beschwerdeführers ein, soweit sie den Beschwerdeführer von seinem übrigen gegenwärtigen sozialen Umfeld in Österreich trennt, insbesondere, weil Verwandte im Bundesgebiet aufhältig sind (zu denen allerdings ein spezifisches Abhänigkeitsverhältnis nicht hervorgekommen ist, vgl. VwGH 02.08.2016, Ra 2016/20/0152 mwN) und der Beschwerdeführer soziale Kontakte geknüpft hat. Hier ist jedoch relativierend in die Gewichtung einzubeziehen, dass die das Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich betreffenden integrationsbegründenden Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem er sich (spätestens nach Abweisung seines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz durch das Bundesasylamt) seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034; § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG). Das Gewicht des schutzwürdigen Privatlebens des Beschwerdeführers ist daher insofern erheblich gemindert.

Zum Grad der Integration des Beschwerdeführers (§ 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG) ist zunächst auszuführen, dass mit § 2 Integrationsgesetz (IntG), StF: BGBl. I Nr. 68/2017 den Materialien zufolge erstmals bundesweit geregelt wurde, was unter dem Begriff Integration verstanden wird (Vgl. ErläutRV 1586 Blg NR 25. GP 2). Zwar fällt der Beschwerdeführer als Asylwerber nach der taxativen Aufzählung des § 3 IntG (Vgl. auch ErläutRsehr V 1586 Blg NR 25. GP 3) nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Allerdings handelt es sich bei den §§ 1 und 2 IntG um programmatische Umschreibungen von Zielvorstellungen des Gesetzgebers ohne normativen Gehalt (Vgl. Czech, Integriert Euch! Ein Überblick über Integrationsgesetz und Integrationsjahrgesetz. FABL 2/2017-I, 25), aus denen Rechte und Pflichten nicht abgeleitet werden können. Bedingt durch den Verweisungszusammenhang zwischen AsylG (§ 55 Abs. 1 Z 1 AsylG), IntG und BFA-VG erscheint eine Berücksichtigung der Ziele und der Teleologie des IntG dennoch geboten, mag der Beschwerdeführer auch nicht in den Genuss der im IntG vorgesehenen Fördermaßnahmen kommen.

Aus § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 IntG ergibt sich in Zusammenschau mit den im IntG vorgesehenen Maßnahmen unter Berücksichtigung der Erläuterungen, dass Sprachkenntnisse, wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit sowie die Anerkennung und Einhaltung der österreichischen und europäischen Rechts- und Werteordnung die drei Grundpfeiler der Integration darstellen (Vgl. ErläutRV 1586 Blg NR 25. GP 1).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Judikatur zu § 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG auch bereits ausgesprochen, dass den sehr guten Deutschkenntnissen des Fremden bei der Beurteilung des Grades der Integration Bedeutung zukommt (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224). Dass der Beschwerdeführer über sehr gute Deutschkenntnisse verfügen würde, ist dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen, weswegen von einer besonderen Integrationsverfestigung im Teilaspekt der Sprachkenntnisse nicht ausgegangen werden kann. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Beschwerdeführer durch die festgestellte Teilnahme an Deutschkursen zumindest sichtbare Bemühungen an den Tag legt, sich die deutsche Sprache anzueignen.

Zur wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass dieser von der Grundversorgung leben und nicht erwerbstätig ist. Auch Einstellungszusagen wurden nicht vorgelegt. Der Beschwerdeführer ist damit nicht selbsterhaltungsfähig.

Zur Anerkennung und Einhaltung der österreichischen und europäischen Rechts- und Werteordnung ist zunächst auszuführen, dass der Beschwerdeführer dadurch, dass er sich keine aktenkundigen Rechtsverstöße zuschulden hat kommen lassen, wohl ausdrückt, dass er die österreichische Rechtsordnung einhält und anerkennt (Vgl. auch Czech, Integriert Euch! Ein Überblick über Integrationsgesetz und Integrationsjahrgesetz. FABL 2/2017-I, 25). Zu beachten ist allerdings, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes strafgerichtliche Unbescholtenheit insofern nicht besonders ins Gewicht fällt, als nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die strafrechtliche Unbescholtenheit weder das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen vermag (VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253 mwN). Dies muss auch für das Nichtvorliegen von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung gelten (§ 9 Abs. 2 Z 6 und 7 BFA-VG). Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer die Österreichische Werteordnung nicht achten würde, haben sich im Verfahren nicht ergeben.

Insgesamt lässt sich beim Beschwerdeführer damit bereits eine gewisse Integrationsverfestigung erkennen, besondere Integrationserfolge lassen sich gemessen an seiner Aufenthaltsdauer jedoch nicht erkennen.

Der Beschwerdeführer hat sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise nach Europa im Herkunftsstaat verbracht und sind noch Familienangehörige (Eltern, Geschwister) im Herkunftsstaat aufhältig. Nach der Rechtsprechung des EGMR sind bei der Beurteilung, inwieweit noch ein Bezug zum Herkunftsstaat besteht, auch die Sprachkenntnisse zu berücksichtigen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht. § 9 BFA-VG K46), wobei der Beschwerdeführer eine Landessprache des Herkunftsstaates spricht. Demnach ist nach wie vor von einer aufrechten starken Bindung des Beschwerdeführers auszugehen. Demgegenüber kann vermittelt durch die Aufenthaltsberechtigung von Ehefrau und Tochter des Beschwerdeführers durch deren Status als Asylberechtigte, mit denen wie schon ausgeführt ein schützenswertes Familienleben besteht, dessen Fortführung im Herkunftsstaat nicht möglich ist, auch von einer großen Bindung des Beschwerdeführers zu Österreich ausgegangen werden und davon, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers in Österreich liegt (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes übersteigt eine Verfahrensdauer von drei Jahren nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist (VfGH 12.06.2013, U485/2012). Demnach ist wohl auch im Fall des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der schon zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der einer Aufenthaltsdauer von unter fünf Jahren für sich genommen keine maßgebliche Bedeutung zumisst (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070) davon auszugehen, dass sich aus einer Verfahrensdauer von etwa vier Jahren alleine ein die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen überwiegendes Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich ableiten lässt.

In einer Gesamtbetrachtung der nach § 9 Abs. 2 BFA-VG zu berücksichtigenden Aspekte ergibt sich, dass das private Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens überwiegt. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass ein großes öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen besteht (VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0062). Allerdings hat sich der Beschwerdeführer abgesehen von seiner illegalen Einreise und der Legalisierung seines Aufenthaltes durch die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz, der sich letztendlich als unbegründet erwiesen hat, keine weiteren Beeinträchtigungen der öffentlichen Ordnung zuschulden kommen lassen und führt dem gegenüber ein Familienleben mit Tochter und Ehefrau, dem wie bereits erläutert erhebliches Gewicht zukommt. Insbesondere ist der Beschwerdeführer nicht straffällig geworden und sind im Verfahren keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer sein Familienleben von Anfang an zum Zweck der Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung begründet hat (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0026 mwN). Insbesondere in Bezug auf die Tochter des Beschwerdeführers kommt auch dem Kindeswohl erhebliches Gewicht zu (VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0108 mwN). Insgesamt würde eine Rückkehrentscheidung daher einen unverhältnismäßigen, seinem Wesen nach nicht bloß vorrübergehenden Eingriff in das nach Art. 8 EMRK geschützt Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers und ist die Rückkehrentscheidung daher auf Dauer unzulässig.

II.3.2. Zur Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung" gemäß § 55 AsylG an den Beschwerdeführer

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird. Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z. 1 AsylG vorliegt.

Dass die Voraussetzung der Z. 1 erfüllt ist, ergibt sich bereits aus den bisherigen Ausführungen. Eine den Voraussetzungen der Z. 2 entsprechende Erwerbstätigkeit wurde im Verfahren weder behauptet noch ist sie sonst hervorgekommen. Daher war zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die alternative Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z. 2 AsylG erfüllt.

Die Erfüllung des Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG wurde im Verfahren weder behauptet, noch wurde ein Nachweis im Sinne des § 9 Abs. 4 IntG vorgelegt.

Gemäß § 81 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG auch als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

Gemäß § 73 Abs 16 AsylG tritt § 55 Abs 1 Z 2 idF BGBl. I Nr. 68/2017 mit 01.10.2017 in Kraft.

Gemäß § 14a Abs 4 Z 2 NAG idF BGBl. I Nr. 122/2015 (vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. INr. 68/2017) ist Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs 2 Z 1 NAG vorlegt. Gemäß § 14 Abs. 3 NAG idF BGBl. I Nr. 122/2015 hat die näheren Bestimmungen zu den Inhalten des Moduls 1 der Bundesminister für Inneres mit Verordnung festzulegen. Nach § 9 Abs 1 Z 1 der auf dieser Rechtsgrundlage ergangenen Integrations-Verordnung gelten als Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse im Sinne des § 14a Abs. 4 Z 2 und § 14b Abs. 2 Z 2 NAG allgemein anerkannte Sprachdiplome oder Kurszeugnisse der Einrichtung Österreichisches Sprachdiplom Deutsch.

§ 9 Abs 4 Integrations-Verordnung verlangt als Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14a Abs 4 Z 2 NAG den erfolgreichen Abschluss einer Prüfung auf A2-Niveau oder B1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer hat auch einen Nachweis über den erfolgreichen Abschluss einer Prüfung auf A2-Niveau oder B1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen nicht in Vorlage gebracht. Nachdem die Vorlage eines entsprechenden Nachweises zwingende Voraussetzung für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 AsylG (VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0203) ist, war dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt bei der Beurteilung, ob die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall auf Grundlage der höchstgerichtlichen Judikatur vor und orientiert sich dabei an den unter A) umfassend zitierten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes (und des Verfassungsgerichtshofes).

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung, Familienleben, Interessenabwägung,
Kindeswohl, Privatleben, Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W102.2132207.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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