Entscheidungsdatum
15.04.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L516 2216515-1/5E
L516 2216517-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb XXXX und 2.) XXXX , geb XXXX , beide StA Georgien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2019, Zahlen 1187754904-180360796/BMI-BFA_WIEN_AST_01 und 1187755302-180360800/BMI-BFA_WIEN_AST_01, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I, II und III der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1, § 8 Abs 1 und § 57 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkt IV und V der angefochtenen Bescheide behoben und die Angelegenheit insoweit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin stellte für sich und die Zweitbeschwerdeführerin am 15.04.2018 Anträge auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung nach dem AsylG dazu fand dazu mit der Erstbeschwerdeführerin am selben Tag statt, eine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 20.06.2018.
2. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden diese Anträge jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG (Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides) sowie des Status von subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) gemäß § 8 AsylG ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung § 52 Abs 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Mit Spruchpunkt VI sprach das BFA aus, dass für die freiwillige Ausreise keine Frist bestehe und mit Spruchpunkt VII, dass einer Beschwerde gegen diese Entscheidungen über die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.
3. Mit gleichzeitiger Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG wurde vom BFA für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.
4. Die Beschwerdeführer haben gegen diese am 27.02.2019 zugestellten Bescheide des BFA fristgerecht am 22.03.2019 gemeinsam Beschwerde erhoben und diese zur Gänze angefochten.
5. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakten des BFA langte am 28.03.2019 beim Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Linz, ein.
6. Das Bundesverwaltungsgericht behob mit Teilerkenntnissen vom 02.04.2019, L516 2216515-1/2E und 2216517-1/2E, bereits jeweils Spruchpunkt VI und VII der angefochtenen Bescheide, da die Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nicht vorlagen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Zur Person
1.1. Die Beschwerdeführerinnen führen in Österreich die im Spruch genannten Namen sowie die ebenso dort angeführten Geburtsdaten. Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige von Georgien, gehören der georgischen Volksgruppe und der georgisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft an und stammen aus der Stadt XXXX . Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin.
Zur Begründung des Antrages
1.2. Die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz wurden ausschließlich mit der Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin begründet (Verwaltungsverfahrensakt des BFA betreffend die Erstbeschwerdeführerin (VA1), Aktenseite (AS) 19, 69, 201).
Zum Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin
1.3. Bei der fünzehnjährigen Zweitbeschwerdeführerin wurde in Österreich unter anderem eine Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) A81.1 diagnostiziert, die sich ab Jänner/Februar 2018 bemerkbar machte. Der Verlauf der Erkrankung ist in absehbarer Zeit -in einem Zeitraum von einigen Monaten bis zwei Jahren - regelmäßig letal, eine palliative Betreuung wurde angeraten. Es fehlen Therapieoptionen (VA1 AS 48, 45, 49, 50).
Bei der Zeitbeschwerdeführerin besteht eine qualitative Einschränkung des Bewusstseins. Sie benötigt Unterstützung bzw sie ist auf Leistungen durch Dritte angewiesen unter anderem bei den folgenden Verrichtungen:
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An- und Auskleiden
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tägliche Körperpflege
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Verrichtung der Notdurft
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Einnehmen von Mahlzeiten (Sondenernährung)
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Reinigung bei Inkontinenz (Windeln)
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Entleerung und Reinigung der Windeln
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Einnehmen von Medikamenten (über Sonde)
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Mobilitätshilfe in allen Belangen
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Besorgung von Nahrungsmitteln und Medikamenten
Der Pflegebedarf wird mit mehr als 180 Stunden im Monat geschätzt. Es sind keine zielgerichteten Bewegungen der Extremitäten mit funktioneller Umsetzung möglich, die Vigilanz ist deutlich eingeschränkt. Die Betreuungsmaßnahmen sind zum großen Teil zeitlich unkoordinierbar und während des Tages und nachts notwendig. Eine Pflegeperson muss ständig anwesend sein, weil die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung gegeben ist. Der Grad der Behinderung beträgt 100 Prozent, ein Pflegebedarf "entsprechend einer Stufe 7" wird ärztlicherseits angenommen. Die Erstbeschwerdeführerin, eine ausgebildete Krankenschwester, kümmert sich nach Kräften um die Zweitbeschwerdeführerin. Die Zweitbeschwerdeführerin befindet sich aktuell seit 31.01.2019 in einer Einrichtung für schwer erkrankte Kinder und Jugendliche mit einer lebensverkürzenden Diagnose, bei denen hoch komplexer Pflegebedarf gegeben ist (VA1 AS 49, 50, 165, 211-213).
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zur Person, Staatsangehörigkeit, zur Herkunft und zur allgemeinen Lebenssituation der Beschwerdeführerinnen (oben II.1.1.) ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben und den vorgelegten Identitätsdokumenten. Bereits das BFA erachtete die Identität der Beschwerdeführerinnen als erwiesen.
2.2. Die Feststellungen zur Begründung des Antrages (oben II.1.2.) beruhen auf den Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren, welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte (AS 19, 69, 201).
2.3. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin (oben II.1.3.) beruhen auf den im Verwaltungsakt des BFA befindlichen ärztlichen Befunden, welche vom BFA nicht in Zweifel gezogen wurden. Zu den jeweiligen Ausführungen wurden die entsprechenden Aktenseiten angeführt.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG
3.1. Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Spruchpunkt I
Zu Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide (Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005)
Asylgesetz 2005 - AsylG
3.3. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.
Zum gegenständlichen Verfahren
3.4. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).
3.5. Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
3.6. Unter "Verfolgung" im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art 15 Abs 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0083).
3.7. Fallbezogen wurden die Anträge auf internationalen Schutz ausschließlich mit der Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin und den unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat begründet. Damit wurde nach der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine wohlbegründete Furcht vor einer aktuellen Verfolgung glaubhaft gemacht.
3.8. Da somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten nicht gegeben sind, war daher Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide des BFA zu bestätigen.
Zu Spruchpunkt II der angefochtenen Bescheide (Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005)
Asylgesetz 2005 - AsylG
3.9. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Zum gegenständlichen Verfahren
3.10. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widerspricht es der Statusrichtlinie 2011/95/EU, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (VwGH 21.11.2018, Ra 2018/01/0461).
3.11. Fallbezogen wurden die Anträge auf internationalen Schutz ausschließlich mit der Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin und den unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat begründet. Die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderlichen Voraussetzungen sind somit nicht erfüllt.
3.12. Demnach war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II der angefochtenen Bescheide abzuweisen.
Zu Spruchpunkt III der angefochtenen Bescheide (Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem § 57 AsylG)
Asylgesetz 2005 - AsylG
3.13. Gemäß § 57 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen 1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen [...] 2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen [...] oder 3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl Nr 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Zum gegenständlichen Verfahren
3.14. Fallbezogen liegen nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen vor dem BFA und in der Beschwerde die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nicht vor.
3.15. Demnach war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt III der angefochtenen Bescheide abzuweisen.
Spruchpunkt II
Behebung der Spruchpunkte IV und V der bekämpften Bescheide und Zurückverweisung der Angelegenheit insoweit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl
Asylgesetz 2005 - AsylG, Fremdenpolizeigesetz -FPG, BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG
3.16. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
3.17. Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
3.18. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG idgF die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
3.19. Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; 4. der Grad der Integration; 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit; 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
3.20. Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Zum gegenständlichen Verfahren
3.21. Bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Bei dieser Abwägung kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird, die im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich führen kann (VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146).
3.22. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105).
3.23. Auch eine wesentliche Erschwerung der Behandlungsmöglichkeiten eines Fremden im Heimatstaat, die noch keine Verletzung des Art 3 MRK darstellt und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme somit nicht absolut unzulässig macht, kann unter dem Gesichtspunkt des Art 8 MRK das Interesse an einem Verbleib in Österreich maßgeblich verstärken (VwGH 22.07.2011, 2010/22/0171).
3.24. Fallbezogen sind zwischen der ersten und gleichzeitig letzten Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin durch das BFA am 20.06.2018, bei der diese zuletzt zum Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin und zur Rückkehrbefürchtung befragt wurde, und der Erlassung des gegenständlich angefochtenen Bescheides mit der Zustellung am 27.02.2019 über acht Monate vergangen. Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an einer Erkrankung, die in einem Zeitraum von einigen Monaten bis ein bis zwei Jahren letal verläuft, was auch dem BFA bereits seit 09.05.2018 bewusst war (VA1 AS 45). Das BFA hat es dennoch unterlassen, zeitnah vor Bescheiderlassung Ermittlungen zum aktuellen Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin, die inzwischen bereits palliativ betreut werden muss, durchzuführen, was bei einer derart rasch voranschreitenden Erkrankung, wie sie im Fall der Zweitbeschwerdeführerin vorliegt, und unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR, welche aktuellste Informationen zum Gesundheitszustand verlangt (vgl EGMR 02.05.1997, Nr 30240/96, D v Vereinigtes Königreich, Rz 50: "most recent information on his state of health") im vorliegenden Fall unerlässlich gewesen und muss dieses Versäumnis des BFA als besonders gravierende Ermittlungslücke angesehen werden, weshalb nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen werden kann.
Soweit das BFA im angefochtenen Bescheid der Zweitbeschwerdeführerin die Feststellungen trifft, diese stamme "aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großen Wert gelegt" werde sowie, dass davon auszugehen sei, dass die Zweitbeschwerdeführerin neben ihren Eltern auch von weiteren in Georgien lebenden Familienangehörigen Unterstützung sowie von einem in Griechenland erwerbstätigen Onkel Geldüberweisung erhalten könne (Bescheid zur Zweitbeschwerdeführerin, S 16, 17), ist dazu festzustellen, dass das BFA auch dazu bisher keine Ermittlungen durchgeführt hat, ob dies tatsächlich der Fall wäre und für jene Personen unter Berücksichtigung deren individuellen Lebensumstände überhaupt möglich wäre.
Schließlich verweist das BFA darauf, dass es laut einer öffentlich zugänglichen Homepage ein staatliches georgisches Programm der Palliativversorgung gebe; das BFA ignoriert jedoch gleichzeitig im angefochtenen Bescheid der Zweitbeschwerdeführerin das Ergebnis der vom BFA selbst veranlassten Anfrage zur Situation in Georgien insoweit, als in jener Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 26.09.2018 festgehalten wurde, dass es in Georgien zwar Programme zur Palliativmedizin und zur Behandlung seltener Krankheiten gebe, welche in einer vordefinierten Liste von Krankheiten angeführt seien, jedoch im aktuellen Fall die Zweitbeschwerdeführerin eine recht seltene Krankheit hat und sie fast keine finanzielle Unterstützung erhält, da diese nicht in der genannten Liste enthalten ist (Bescheid zur Zweitbeschwerdeführerin, S 44, 46).
3.25. Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren eine neuerliche Einvernahme mit der Erstbeschwerdeführerin durchzuführen haben und diese zum aktuellen Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin sowie zu ihrer aktuellen Rückkehrbefürchtung zu befragen haben; sie wird dabei auch zur Vorlage von aktuellen Bescheinigungsmitteln aufzufordern sein und nach Durchführung der demnach allenfalls anschließenden weiteren erforderlichen, geeigneten und angemessenen Ermittlungen werden der Erstbeschwerdeführerin vom BFA die Ermittlungsergebnisse und insbesondere auch entscheidungsrelevante, aktuelle und auf den festgestellten Sachverhalt abgestimmte Länderfeststellungen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist zur Kenntnis zu bringen sein. In weiterer Folge wird das BFA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer - schlüssigen - Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.
3.26. Auch unter Effizienzgesichtspunkten verbietet sich eine Heranziehung des § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können. Im Gegenteil ist angesichts der erforderlichen Beweisaufnahme und der grundsätzlich gegebenen Verhandlungspflicht nicht anzunehmen, dass die zur Erforschung der materiellen Wahrheit ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Bundesverwaltungsgericht selbst mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Wobei es bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung ankommt. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 20 mwN).
3.27. Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und hinsichtlich der Spruchpunkte IV und V der angefochtenen Bescheide das Verfahren spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.
Entfall der mündlichen Verhandlung
3.28. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall hinsichtlich der angefochtenen Spruchpunkte I-III gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist, hinsichtlich der Spruchpunkt IV und V der angefochtenen Bescheide gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, da die Bescheide insoweit behoben wurden.
Zu B)
Revision
3.29. Die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage ist durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt, weshalb die Revision nicht zulässig ist.
3.30. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Abschiebung, Asylantragstellung, asylrechtlich relevante Verfolgung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L516.2216515.1.01Zuletzt aktualisiert am
04.10.2019