Entscheidungsdatum
16.04.2019Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
L516 2174000-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 31.08.2017, 1032086604-140018754, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2019 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang
1.1 Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 29.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung nach dem AsylG fand am 01.10.2014 statt, eine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) 07.02.2017.
1.2 Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (AsylG) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) ab. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III). Das BFA sprach schließlich aus, dass die Frist für die freiwillige Rückkehr ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung 14 Tage betrage (Spruchpunkt IV.
1.3 Mit Verfahrensanordnung des BFA wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.
1.4 Der Beschwerdeführer hat gegen den am 22.09.2017 zugestellten Bescheid des BFA am 02.10.2017 Beschwerde erhoben und diesen zur Gänze angefochten.
1.5 Mit Schriftsätzen vom 16.07.2018 und 22.11.2018 legte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen vor (OZ 10).
1.6 Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache des Beschwerdeführers am 27.03.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner rechtsfreundlichen Vertretung teilnahm; die belangte Behörde erschien nicht.
2. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Sachverhalt
2.1 Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Iran. Der Beschwerdeführer ist Derwisch und gehört dem sufistischen Gonabadi-Orden an. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer lebte vor seiner Ausreise aus dem Iran bei seinen Eltern in XXXX in der Provinz XXXX . Seine Eltern und seine Geschwister sind ebenso Derwische und leben nach wie vor in XXXX .
2.2 Der Beschwerdeführer ist XXXX . Er trat im Iran XXXX öffentlich auf. Durch seine XXXX Auftritte XXXX gelangte er in das Blickfeld der iranischen Sicherheitsbehörden. In der Folge wurden ihm aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Gonabadi-Orden und seiner Auftritte XXXX nicht bloß XXXX verboten, er wurde vielmehr auch bereits mehrfach festgenommen, kurzfristig angehalten und gefoltert. XXXX ist ein wesentliches Element der religiösen Praxis der Derwische des Gonabadi-Ordens und dem Beschwerdeführer zur Ausübung seines Glaubens sehr wichtig. Im Falle seiner Rückkehr in den Iran drohen ihm, da er bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der iranischen Sicherheitsbehörden geraten ist, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erneut Festnahmen, Anhaltungen Misshandlungen und Folterungen aufgrund seines Glaubens. Der Beschwerdeführer kann sich einer solchen Bedrohung nicht durch Ausweichen in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates entziehen.
2.3 Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
2.4 Zur Lage im Iran:
Derwisch-Orden/Sufi
Bestimmte Teile der iranischen Bevölkerung sind starken Repressionen ausgesetzt, die aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, politischer, künstlerischer oder intellektueller Betätigung oder aufgrund der sexuellen Orientierung erfolgen können. So sind Journalisten in ihrer freien Betätigung stark eingeschränkt und laufen Gefahr, bei Abweichungen von den Vorgaben scharfen Sanktionen ausgeliefert zu sein. Auch Angehörige der Bahá'í oder - wie im Frühjahr in einer beispiellosen Verhaftungswelle unter Beweis gestellt - die Derwische des Gonabadi-Ordens sind umfassender Diskriminierung ausgesetzt und stark in ihren Rechten eingeschränkt. Jeder, der öffentlich Kritik an Missständen übt oder sich für Menschenrechtsthemen engagiert, setzt sich der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus. Frauen erfahren im Gegensatz zu Männern erhebliche rechtliche und gesellschaftliche Einschränkungen bei deren Verstoß sie mit Sanktionen zu rechnen haben. Die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis ist geprägt von Korruption und Willkür, besonders bei politischen Fällen, sodass einheitliche Aussagen kaum möglich sind. Menschenrechtskritik von außen wird von regimetreuen Akteuren instrumentalisiert und öffentlich als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen.
Die Sufis (sog. "Derwische") werden immer wieder Opfer gewaltsamer Übergriffe, zuletzt im Frühjahr 2018 als eine friedliche Demonstration eskalierte und es zum Tod von Angehörigen der Sicherheitskräfte kam. Zahlreiche Derwische sind seitdem festgenommen worden, es gibt bis auf eine Hinrichtung nach einem öffentlichen Prozess praktisch keine Informationen über die Inhaftierten. In iranischen Medien werden Sufis gelegentlich als Teufelsanbeter und Satanisten stigmatisiert. Sunniten werden mitunter sowohl aufgrund ihrer religiösen wie auch ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, da viele kurdischer oder arabischer Volkszugehörigkeit sind. In den sunnitischen Siedlungsgebieten im Westen und Südosten Irans ist die Religionsausübung jedoch ohne Einschränkungen möglich.
(Quelle: Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran, 20.01.2019)
Repressionen erleben auch Mitglieder der Derwisch-Gemeinschaft. Ihre Gemeinden sehen sich verschiedenen Arten von Diskriminierung und Angriffen (auch auf ihr Eigentum), willkürlichen Festnahmen und Dämonisierung (u.a. im staatlichen Fernsehen) ausgesetzt (ÖB Teheran 8.2017; vgl. AA 2.3.2018). Verschiedene Quellen berichten von Gewalt und Verhaftungen von Derwischen im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen Derwisch-Gemeinden und Basij-Einheiten. Infolgedessen wird unter anderem von langen Wartezeiten auf Prozesse, Verurteilungen, Gefängnisstrafen sowie auch von mangelnder Strafverfolgung im Zusammenhang mit Tötungen von Derwischen berichtet. Unter anderem kommt es auch zu Verhaftungen von Strafverteidigern, die Derwische vertreten. Als Gründe für Inhaftierungen werden unter anderem Störung der öffentlichen Ordnung, Verbreitung von systemfeindlicher Propaganda, Handlungen gegen die Nationale Sicherheit, Mitgliedschaft in Gruppierungen und Beleidigung des Obersten Führers genannt. Im Jahr 2015 wurden Dutzende Derwische festgehalten, viele zu Gefängnis- und/oder körperlichen Strafen verurteilt. Im Juni 2015 wurde ein Derwisch für eine "haram"-Straftat zu 74 Peitschenhieben verurteilt, weil er den Glauben des Gonabadi Derwischordens verbreitet haben soll (ÖB Teheran 9.2017). Seit 2008 sind 238 Gonabadi Derwische inhaftiert worden (ÖB Teheran 9.2017, vgl. AI 22.2.2018, FH 1.2018). Im Februar 2018 wurden über 300 Derwische bei einer Protestveranstaltung verhaftet, darunter 60 Frauen. Die meisten von ihnen wurden kurze Zeit später wieder entlassen. Bei den Zusammenstößen wurden Dutzende verletzt und zumindest drei Polizisten und ein Basij-Mitglied starben. Ein inhaftierter Demonstrant starb in Haft unter ungeklärten Umständen (HRW 15.3.2018).
Es gibt auch Angriffe auf Gebetshäuser der Gonabadi-Derwische. Einige verloren ihren Arbeitsplatz aufgrund willkürlicher Kündigungen, andere durften sich nicht an Universitäten einschreiben (AI 22.2.2018, vgl. FH 1.2018).
(Quelle: BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Juli 2018)
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Verschiedenen Berichten zufolge schließen Verhörmethoden und Haftbedingungen in Iran in einzelnen Fällen seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung nicht aus. Dazu kommt es vorrangig in nichtregistrierten Gefängnissen, aber auch aus "offiziellen" Gefängnissen wird von derartigen Praktiken berichtet, insbesondere dem berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht (AA 2.3.2018).
Die Justizbehörden verhängten und vollstreckten auch 2017 weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkamen. In einigen Fällen wurden die Strafen öffentlich vollstreckt. Zahlreiche Personen, unter ihnen auch Minderjährige, erhielten Strafen von bis zu 100 Peitschenhieben. Sie wurden wegen Diebstahls oder tätlichen Angriffen verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. außereheliche Beziehungen, Anwesenheit bei Feiern, an denen sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen, Essen in der Öffentlichkeit während des Fastenmonats Ramadan oder Teilnahme an friedlichen Protestkundgebungen. Gerichte verhängten in zahlreichen Fällen Amputationsstrafen, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. Die Behörden vollstreckten auch erniedrigende Strafen (AI 22.2.2018).
Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Personen zu Peitschenhieben verurteilt werden, die selbst Alkohol weder besessen noch konsumiert haben, u.U. ist bereits die bloße Anwesenheit bei einer Veranstaltung, bei der Alkohol konsumiert wird, für die Betroffenen gefährlich. So wurden etwa im Mai 2016 mehr als 30 Studenten wegen Teilnahme an einer Party mit Alkohol und Tanz zu je 99 Peitschenhieben verurteilt. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auspeitschungen werden zum Teil auch öffentlich vollstreckt. Berichten zufolge werden auch die Strafen der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung noch angewandt - auf die Anwendung letzterer kann die/der ursprünglich Verletzte jedoch gegen Erhalt eines "Abstandsgeldes" verzichten (ÖB Teheran 9.2017).
Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 9.2017, vgl. HRC 5.3.2018).
(Quelle: BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Juli 2018)
Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen
2.5 Die Feststellungen zur Person, zur Staatsangehörigkeit und Identität des Beschwerdeführers (oben 2.1) ergeben sich im Einklang mit seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und an denen auf Grund der Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Bereits das BFA erachtete die Identität und die religiöse Ordenszugehörigkeit des Beschwerdeführers als erwiesen (Bescheid, S 15).
2.6 Die Feststellungen zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers im Iran, zu den erlittenen Verfolgungshandlungen vor seiner Ausreise und zur Rückkehrerwartung (oben 2.2) beruhen auf den folgenden Erwägungen:
2.6.1 Bereits das BFA erachtete die religiöse Zugehörigkeit des Beschwerdeführers als Derwisch zum Gonabadi-Orden als glaubhaft. Die Feststellungen zur Tätigkeit des Beschwerdeführers XXXX hält das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der zahlreichen bereits im Verfahren vor dem BFA vorgelegten und in der mündlichen Verhandlung ergänzten XXXX als erwiesen, zumal diesbezüglich keine Zweifel an deren Echtheit aufkamen und auch von der Behörde nicht geltend gemacht wurden. In der mündlichen Verhandlung war er in der Lage, sein Kernvorbringen jedenfalls im hier festgestellten Umfang widerspruchsfrei und kohärent erneut wiederzugeben, ohne sein Vorbringen vor dem BFA wörtlich zu wiederholen (vgl Verwaltungsverfahrensakt des BFA, Aktenseite 136 f; Verhandlungsschrift 27.03.2019, S 8 ff). Die Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Vorgehens der iranischen Behörden gegen ihn selbst aufgrund seiner Religionsausübung und der von ihm bereits erlittenen Misshandlungen decken sich schließlich mit der festgestellten Ländersituation hinsichtlich des Vorgehens der iranischen Behörden gegen Derwische des Gonabadi-Ordens (oben 1.4). Sein Vorbringen wird daher im hier festgestellten Umfang als glaubhaft erachtet.
2.7 Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem Strafregister der Republik Österreich.
2.8 Die Feststellungen zur Lage im Iran (oben 2.4) beruhen auf den aktuellen Länderinformationen des BFA (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zum Iran vom Juli 2018) und dem Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran vom 20.01.2019, die beide in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden (VHS, S 14).
Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005
2.9 Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.
2.10 Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl VfSlg 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10).
2.11 Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl VwGH 28.5.2009, 2008/19/1031).
2.12 Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 21.12.2000, 2000/01/0131).
2.13 Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Benachteiligungen auf sozialem, wirtschaftlichem oder religiösem Gebiet sind, sofern sie aus asylrelevanten Motiven erfolgen, für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft dann ausreichend, wenn sie eine solche Intensität erreichen, die einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich machen, wobei bei der Beurteilung dieser Frage ein objektiver Maßstab anzulegen ist (vgl VwGH 22.06.1994, 93/01/0443). Ein völliger Entzug der Lebensgrundlage stellt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine solche Intensität dar, dass diesem Asylrelevanz zukommen kann (VwGH 24.03.1999, 98/01/0380; 13.05.1998, 97/01/0099). Daraus ergibt sich, dass ein wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Nachteil grundsätzlich als Verfolgung zu qualifizieren sein wird, wenn durch das Vorliegen des Nachteils die Lebensgrundlage massiv bedroht ist.
2.14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl VwGH 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.
2.15 Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1101). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 24.3.2011, 2008/23/1101). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl VwGH 24.3.2011, 2008/23/1101).
2.16 Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN).
2.17 Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann (vgl VwGH 19.10.2006, 2006/19/0297 mwN). Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (vgl VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534).
Zum gegenständlichen Verfahren
2.18 Fallbezogen hat der Beschwerdeführer seine Heimat aufgrund seiner Glaubensbetätigung vorverfolgt verlassen. Im Falle seiner Rückkehr in den Iran drohen ihm, da er bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der iranischen Sicherheitsbehörden geraten ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erneut Festnahmen, Misshandlungen und Folterungen aufgrund seines Glaubens. Von seinen Familienangehörigen, die nach wie vor im Iran leben, unterscheidet sich der Beschwerdeführer dadurch, dass er XXXX einen breiteren Bekanntheitsgrad erlangt hat und die iranischen Behörden deshalb erhöhte Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet haben.
2.19 Es ist dem Beschwerdeführer nach der Judikatur des EuGH nicht zuzumuten, bei einer Rückkehr in seine Heimat auf diese religiöse Betätigung zu verzichten (vgl EuGH 05.09.2012, C-71/11 und C-99/11).
2.20 Es ist daher objektiv nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, nämlich aufgrund seiner religiösen Gesinnung nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Herkunftsstaates zu bedienen. Da sich die iranische Staatsgewalt über das gesamte Territorium erstreckt, die von ihr ausgehenden Verfolgungsmaßnahmen landesweit unterschiedslos praktiziert werden, ist auch keine inländischen Fluchtalternative gegeben.
2.21 Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.
2.22 Im vorliegenden Fall sind somit unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben. Eine darüber hinaus gehende Beurteilung des übrigen Vorbringens des Beschwerdeführers ist angesichts des Spruchinhaltes nicht mehr erforderlich.
2.23 Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
2.24 Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt dem Beschwerdeführer das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs 1 Z 15 AsylG 2005 idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).
Zu B)
Revision
2.25 Die ordentliche Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG gegen die gegenständliche Entscheidung ist nicht zulässig, da die Rechtslage durch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.
2.26 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
aktuelle Bedrohung, aktuelle Gefahr, Anhaltung, Asylgewährung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L516.2174000.1.00Zuletzt aktualisiert am
02.10.2019