TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/17 L516 1422590-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.04.2019
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Entscheidungsdatum

17.04.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 1422590-3/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.03.2015, Zahl 810808009, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27.11.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 29.07.2011 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Rechtsmittelverfahren vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 19.09.2012, E12 422.590-I/2011-7E zur Gänze abgewiesen wurde; gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer nach Pakistan ausgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs mit der am 26.09.2012 erfolgten Zustellung an den Beschwerdeführer in Rechtskraft.

2. Am 25.02.2014 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung nach dem Asylgesetz (AsylG) fand dazu am selben Tag statt sowie nach Zulassung des Verfahrens am 08.04.2014 eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Mit Schriftsatz vom 14.04.2014 gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab.

3. Das BFA wies mit erstem Bescheid vom 23.06.2014 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und sprach aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III). Das Bundesverwaltungsgericht gab einer dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 27.10.2014, L516 1422590-2/3E, statt und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.

4. Am 05.01.2015 wurde der Beschwerdeführer vom BFA niederschriftlich einvernommen.

5. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 14.03.2015 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 idgF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides) und gemäß § 8 Abs 1 Z 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan (Spruchpunkt II) ab. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§§ 57 und 55 AsylG" und erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG. Das BFA stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei, und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III).

6. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 07.04.2015.

7. Mit Schriftsatz vom 28.09.2015 brachte der Beschwerdeführer eine Einstellungszusage in Vorlage.

8. Mit Schriftsatz vom 17.09.2018 legte der Beschwerdeführer die Geburtsurkunden seine zwei in Österreich geborenen Kinder vor.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache des Beschwerdeführers am 27.11.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer teilnahm; die belangte Behörde erschien nicht.

10. Am 19.12.2019 legte der Beschwerdeführer weitere Dokumente betreffend seine Kinder und seine Glaubensbetätigung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan. Seine Identität steht fest.

1.2. Der Beschwerdeführer war ursprünglich sunnitischen Glaubens und hat sich in Österreich dem religiösen Glauben der Ahmadi angeschlossen. Dem Beschwerdeführer ist es persönlich zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig, frei als Ahmadi leben zu können. Er lebt seinen Glauben auch öffentlich, nimmt seit rund fünf Jahren regelmäßig mehrmals im Jahr an den Glaubensveranstaltungen der Ahmadiyya-Gemeinschaft in Wien teil und hat auch bereits in Österreich an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen der Ahmadiyya-Gemeinschaft teilgenommen und dabei auch mitgearbeitet, worüber auch in Zeitungspublikationen berichtet wurde.

1.3. Zur Lage der Ahmadis in Pakistan

1.3.1. Die sich als Muslime verstehenden und zum großen Teil als gebildet geltenden Ahmadiya, deren Lehren und Riten sich von den beiden muslimischen Hauptkonfessionen insofern unterscheiden, indem sie an die Existenz eines nach Mohammed tätigen Propheten namens Mirza Ghulam Ahmad glauben und zudem einige hinduistische, buddhistische und zorastische Figuren in ihrem Glauben integriert haben, werden vom Islam ausgegrenzt (Gümüs / Ermagan 2016). Die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiya wird von muslimischen Geistlichen in Pakistan nicht als muslimisch anerkannt. Durch Änderung der Verfassung im Jahre 1974 wurde diese Lehrmeinung Verfassungsgrundsatz (AA 20.10.2017).

Die Anzahl der in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiya Muslim Community wird auf zwischen 400.000 bzw. zwei bis vier Millionen geschätzt. Die Divergenz dieser Werte wird damit begründet, dass die meisten Ahmadis eine Registrierung als Nicht-Muslime ablehnen (UKHO 5.2016). Laut pakistanischer Volkszählung 2017 sind 0,22 % der ca. 207 Millionen Menschen Ahmadis [Anm.: ca. 460.000] (PBS 2017b). Die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiya teilt sich in die Qadiani-Gruppe (Ahmadiya Muslim Jamaat) und die Lahore-Gruppe (Ahmadiya Anjuman Ischat-i-Islam Lahore). Die wesentlich kleinere Lahore-Gruppe besteht weltweit aus über 30.000 Anhängern. Etwa 5.000 bis 10.000 davon leben in Pakistan (BFA 10.2014, vgl. UKHO 5.2016).

Die Ahmadiya-Gemeinde der Qadiani-Gruppe hat ihr Hauptquartier in Großbritannien. Ahmadis sind über ganz Pakistan verteilt. Hauptsiedlungsräume der Ahmadis in Pakistan, abgesehen von Rabwah sind Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karatschi, Lahore und Faisalabad, sowie weiters auch Khewra, Sarghoda, Bhalwal, Shahpur, Gujaranwala. Das Zentrum der Ahmadis in Pakistan liegt in Chenab Nagar, dem vormaligen Rabwah. Mehr als 95 % - oder etwa 70.000 - der Einwohner der Stadt sind Ahmadis. In Rabwah fühlen sich die Mitglieder der Gemeinschaft vor Ort relativ sicher. Rabwah bietet für Ahmadis ein großes Maß an Freiheit, um ihre religiösen Aktivitäten durchführen zu können. Ahmadis aus ganz Pakistan nehmen die Stadt Rabwah als "sicheren Ort" wahr, wo sie sich nicht verstecken müssen und ihre Identität kein Tabu ist. Allerdings führt diese hohe Konzentration an Ahmadis in Rabwah auch zu Bedrohungen durch Gegner dieser Glaubensrichtung. Mehrmals im Jahr versammeln sich in Rabwah Gegner der Gemeinschaft von außerhalb in großer Anzahl vor die Stadt, um Demonstrationen abzuhalten und Hassparolen zu skandieren, während sich die Ahmadis derweil in ihren Häusern einschließen (UKHO 5.2016).

Ahmadis sind von gezielten Angriffen, Blasphemie-Vorwürfen, der Entweihung und Zerstörung ihrer Kultstätten sowie verschiedenen Formen der sozialen Diskriminierung betroffen (UKHO 5.2016). Ahmadis unterliegen strengen gesetzlichen Einschränkungen und staatlicher Diskriminierung (USCIRF 4.2017). Ihnen wird zwar vom Gesetz der Status einer religiösen Minderheit eingeräumt (AA 20.10.2017), allerdings werden sie durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert (AA 20.10.2017; vgl. USCIRF 28.4.2016).

Obwohl sich die Ahmadis selbst als Muslime sehen (Gümüs / Ermagan 2016) führt die zweite Novellierung der Verfassung (Constitutional (Second Amendment) Act of 1974) im Artikel 260 die Ahmadis, insbesondere die Quadiani- und Lahore-Gruppen explizit als nicht-muslimische Minderheit auf (Pakistan Consitution Law 1973, 2016). Paragraf 298-C des pakistanischen Strafgesetzbuches macht es für Ahmadis, sowohl der Lahore- als auch der Quadiani-Gruppe, strafbar, sich selbst als Muslime zu bezeichnen, ihren Glauben Islam zu nennen und ihren Glauben zu bewerben oder zu missionieren, sich in irgendeiner Form als Muslime darzustellen und in irgendeiner Form die religiösen Gefühle der Muslime zu verletzen. Paragraf 298-B behandelt den Missbrauch von Titeln und Bezeichnungen, die für Heiligtümer bzw. heilige Persönlichkeiten reserviert sind. Er verbietet Ahmadis beider Denominationen unter anderem, andere Personen als die dafür im Gesetz definierten "Kalif", ihre Gebetshäuser "Moscheen (masjid)" und ihren Gebetsruf "Azan" zu nennen. Vergehen gegen die beiden Paragrafen können mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden (Pakistan Penal Code 1984).

Die vagen Formulierungen des Abschnitts 295-C betreffen die Mitglieder der Ahmadiya-Gemeinschaft besonders. In einigen Fällen interpretierten Richter die religiöse Überzeugung der Ahmadis als eine Form der Gotteslästerung (ICJ 11.2015). So ist es für Ahmadis auch strafbar, den traditionellen islamischen Gruß "assalaamu alaikum" zu verwenden, öffentlich den Koran zu zitieren, in Moscheen nicht-ahmadischer muslimischer Denominationen zu beten und andere Ausdrücke des muslimischen Glaubens zu zeigen (UKHO 5.2016). Gemäß Paragraf 298-C des Pakistanischen Strafgesetzbuches werden diese Vergehen mit einer Strafandrohung von maximal drei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert (Pakistan Penal Code 1984). Die "Anti-Ahmadi" Gesetze und die Blasphemiegesetze werden regelmäßig gegen Ahmadis aller Gesellschafts- und Altersgruppen angewandt (UKHO 5.2016).

Strafverfahren gegen Ahmadis werden in der Regel von islamistischen Gruppierungen der Khatm-e-Nabuwwat ("Siegel der Prophetenschaft") in Gang gebracht (AA 20.10.2017). Die radikalen (Splitter-)Gruppen werden mit Einschüchterungen, Drohungen und Gewalt gegen Ahmadis in Verbindung gebracht (MBZ NL 4.2017). Sie verbreiten eine extremistisch-religiöse Überzeugung, Mohammed sei der letzte Prophet und kein anderer Prophet käme jemals nach ihm. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist in den Augen von Khatm-e-Nabuwwat ein Ketzer. Die meisten sektiererischen Parteien haben ihren eigenen Khatme-Nabuwwat-Flügel (MBZ NL 11.2014).

Ähnlich wie gegenüber Christen wird die Blasphemie-Gesetzgebung dazu benutzt, die Angehörigen dieser Minderheit aus den verschiedensten Motiven unter Druck zu setzen, die nur zum Teil einen religiösen Hintergrund haben. Oft geht es auch um Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder Geschäftsleuten und vor allem um Auseinandersetzungen um Grundbesitz (AA 20.10.2017). Wenn die Anklage um den Vorwurf der Blasphemie erweitert wird, kann die Todesstrafe verhängt werden (UKHO 5.2016, vgl. AA 20.10.2017). Sie wurde allerdings wegen Blasphemie noch nie tatsächlich durchgeführt, wobei dennoch die Gefahr einer langen Haftstrafe besteht (UKHO 5.2016). In der Berufungsinstanz erfolgt häufig eine Abänderung des Strafvorwurfs (z. B. Entweihung des Korans, § 295b Pakistan Penal Code - PPC), sodass die für Blasphemie zwingend vorgesehene Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe (die auf 25 Jahre begrenzt ist) umgewandelt wird (AA 20.10.2017).

Laut Vertretern der Ahmadis wurden im Jahr 2016 14 Ahmadis in Fällen mit religiösem Bezug angeklagt, Stand Ende 2016 sind 14 Ahmadis wegen diesen Fällen inhaftiert, darunter seit 2015 ein 80-jähriger Mann aufgrund des Verkaufs von Literatur der Ahmadiya (USDOS 15.8.2017). Laut Auswärtigem Amt wurden im Jahr 2016 14 Personen wegen Blasphemie festgenommen, darunter zehn Muslime und fünf Mitglieder anderer Religionen (AA 20.10.2017). Von 2012 bis Juni 2015 wurden laut Jinnah Institute mehr als 1070 Ahmadis wegen Verstoß gegen die Anti-Ahmadi-Gesetze und 303 Ahmadis wegen Blasphemie angezeigt (Jinnah Institute 8.3.2016).

Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebt friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen; berichtet wird aber weiterhin über Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadis (AA 20.10.2017). Es gibt klare Belege, dass die Gesetzgebung durch nicht-staatliche Akteure benutzt wird, um Ahmadis zu schikanieren und zu bedrohen, u. a. durch das Einreichen eines First Information Reports (FIR; entspricht einer Anzeige seitens Dritter und stellt den ersten Schritt in einem Strafverfahren dar), der auch zu Untersuchungshaft führen kann. Auch sind die Ahmadis Ziel von Angriffen durch nicht-staatliche Akteure aus den Bereichen der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung (UKHO 5.2016). Die Diskriminierung der religiösen Minderheit der Ahmadis durch das Verhalten der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung setzte sich 2016 fort. Vereinzelt kommen auch Maßnahmen staatlicher Stellen vor, wie z. B. die Durchsuchung des Hauptbüros der Ahmadis in Pakistan. Auch wurden Ahmadis Opfer von radikal-sunnitischem Terrorismus. So bekannte sich im März 2017 die Terrorgruppe Lashkar-e-Jhangvi zum Mord an Malik Saleem Latif, einem Ahmadi-Führer im Punjab (AA 20.10.2017).

Erhebungen von Verbrechen gegen Ahmadis sind laut Jinnah Institut wegen Selbstzensur der Medien in der Berichterstattung über Gewalttaten gegen Angehörige der Ahmadis eine Herausforderung. Das Jinnah Institut zählt für den Zeitraum zwischen 2012 und 2014 43 gezielte Angriffe gegen Mitglieder der Ahmadi-Gemeinschaft, 13 Mitglieder wurden wegen Blasphemie angezeigt, fünf Gebetsstätten und sieben Friedhöfe wurden geschändet (Jinnah Institute 8.3.2016). Am 24.5.2018 zerstörte ein ca. 600-köpfiger Mob in der Stadt Sialkot im Punjab die Minarette einer Ahmadi-Gebetsstätte. Bei dem Vorfall wurde niemand verletzt, allerdings wurde seitens der Ahmadiya-Gemeinde die Stadtverwaltung der Beihilfe des Vandalismus bezichtigt. Ein Video zeigt einen angeblichen Anführer einer größeren Partei, wie er der örtlichen Polizei und der Stadtverwaltung für die Mithilfe beim Entfernen islamischer Symbole von der Ahmadiya-Gebetsstätte dankt (Dawn 24.5.2018).

USDOS berichtet von drei Todesopfern durch gezielte Angriffe auf Ahmadis im Jahr 2017 (USDOS 20.4.2018); PIPS berichtet von vier Todesopfern durch gezielte Angriffe auf Ahmadis im Jahr 2017 im Punjab (PIPS 1.2018). Die Polizei ist ineffektiv beim Schutz vor bzw. beim Ermitteln in Fällen von Gewalt gegen Ahmadis und nur wenige Fälle von Gewalt gegen Ahmadis wurden [im Zeitraum 2013-1/2016] verfolgt (IRB 13.1.2016).

Gesellschaftliche Diskriminierung und Anti-Ahmadi Propaganda sind weit verbreitet. Der Einsatz von Hassreden gegen Ahmadis wird von den Medien oftmals unkritisch behandelt. Gegen Ahmadi-Geschäftsleute aller gesellschaftlichen Klassen erfolgen auch Kampagnen zum wirtschaftlichen Ausschluss bis hin zu Morddrohungen (UKHO 5.2016).

Laut Minderheitenvertretern erlaubt die Regierung religiösen Gruppen, Glaubensstätten einzurichten und religiöses Personal auszubilden. Auch bei Ahmadis gibt es keine offiziellen Einschränkungen im Bau von Glaubens- und Kultstätten, jedoch verweigern lokale Behörden regelmäßig notwendige Baubewilligungen (USDOS 15.8.2017).

Die scheckkartenartige "Computerized National Identity Card" (CNIC) identifiziert dessen Besitzer nicht als Ahmadi, da diese Information nicht auf der Karte angegeben ist. Um eine CNIC zu erhalten, ist die eigene Religion bei der NADRA (National Database and Registration Authority) anzugeben. Bei der Beantragung einer National Identity Card müssen alle Personen, die sich als Muslime verzeichnen lassen wollen, eine Deklaration unterschreiben, in der sie den Propheten der Ahmadis verurteilen (UKHO 5.2016), und erklären, dass der Begründer des Glaubens der Ahmadis ein falscher Prophet sowie dessen Anhänger keine Muslime sind. Im Reisepass wird als Religionszugehörigkeit "Ahmadi" angegeben, wenn der Antragsteller sich als solcher deklariert (USDOS 15.8.2017). Bezüglich der Registrierung der Religionszugehörigkeit am Pass berichtete USCIRF für das Jahr 2012, dass es Personen gab, die sich weigerten, die Klausel mit den religiösen Beteuerungen für die Passausstellung zu unterzeichnen und dennoch einen Pass erhielten (USCIRF 30.4.2013).

Die genannte Voraussetzung hält die Gemeinde der Ahmadis effektiv von der Beschaffung von rechtlichen Dokumenten ab und übt Druck auf sie aus, gegen ihren Glauben zu handeln um ihre Bürgerrechte, einschließlich des Wahlrechts, wahrzunehmen; bzw. wenn sie sich als Muslime deklarieren, riskieren sie rechtliche Probleme (UKHO 5.2016, vgl. USDOS 20.4.2018). Laut Berichten von Vertretern der Ahmadi kam es auch zu physischen Einschüchterungen beim Versuch der Stimmabgabe (USDOS 15.8.2017). Als einzige religiöse Minderheit werden Ahmadiyya-Angehörige auf einer gesonderten Wählerliste geführt (AA 20.10.2017). Ahmadis sind derzeit nicht im Parlament vertreten, weil sie sich selbst als Muslime verstehen und deshalb nicht für die Listenplätze der Parteien für nichtmuslimische Minderheiten kandidieren (AA 20.10.2017).

Der Anlass der etwa dreiwöchigen Blockade des Autobahnknotens Fayzabad Interchange in Islamabad im November 2017 [vgl. Abschnitte 2 und 3.9] war die Novelle des Wahlgesetzes. Nach Meinung der Demonstranten wurde der Khatm-i-Nabuwwat-Eid verändert (Dawn 28.11.2017). So wäre es Ahmadis etwas erleichtert worden, aktiv und passiv an Wahlen teilzunehmen (Nation 19.11.2017). Die Änderung am Eid wurde durch einen Parlamentsbeschluss rückgängig gemacht, dennoch wurden die Proteste fortgesetzt und der Rücktritt des Justizministers erwirkt (Dawn 28.11.2017).

Die Ahmadiya-Gemeinde verfügt über finanzielle Mittel, z. B. für rechtlichen Schutz (BAA 6.2013).

(Quelle: BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation 21.06.2018)

1.3.2. Zur Konversion zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadi enthält der Bericht des UK Home Office vom März 2019, Country Policy and Information Note "Pakistan: Ahmadis" Insbesondere folgende Ausführungen:

"Ahmadi converts

7.1.1 A person who converts to another faith or who is seen to renounce Islam in any other way can be targeted for blasphemy, which carries the death penalty110; Pakistani society in general is extremely hostile to converts with reports of converts being harassed, attacked and 'tortured'.

7.1.2 In a note to CPIT, dated 25 April 2018, the IHRC stated 'The situation for converts [to the Ahmadi faith] is extremely more difficult and dangerous. If the conversion is declared in public then such a person has to face severe consequences and he/she would be legally declared non-Muslim and liable to be killed under the Blasphemy laws.' The IHRC noted that if a conversion to the Ahmadi faith remains secret then '... such a person may escape legal punishment but still faces social excommunication, mental torture and prejudicial and discriminatory treatment.'

7.1.3 According to 2017 census data, provided by the National Database Registration Authority (NADRA), 10,205 people had changed their religious status from Muslim to Ahmadi. It was reported in February 2018 that the Islamabad High Court ordered Pakistan's national citizen database (NADRA) to provide detailed information on the estimated 10,000 Pakistani citizens who had reportedly changed their religion to Ahmadiyya. The court directed NADRA to provide the converts age and parent's names, and also ordered the Federal Investigation Agency to submit the international travel history of those who had changed their religion to Ahmadi. In February 2018, the same the same court barred NADRA from making any changes in the religion column on national identity cards of the Muslim citizens.

7.1.4 In its note to CPIT, the IHRC said 'The Ahmadiyya Community in Pakistan confirmed to the IHRC that they do get converts but the exact figures were not confirmed. This was corroborated by speaking to some converts in Pakistan. It is fair to say that they do no advertise their conversion to the Ahmadi faith [to avoid discrimination and harassment].'

7.1.5 Although section 298c of the Pakistan Penal Code (see 'Anti-Ahmadi' laws) bans Ahmadis from seeking converts, religious conversion is not in itself illegal but, according to DFAT, may be seen as blasphemous and '... can result in either prosecution under blasphemy laws (see Blasphemy laws) or familial or communal violence (or both).' The Human Rights Commission of Pakistan (HRCP) reported in its 2017 Annual Report that, according to an 'anti-Ahmadi' resolution passed by the Azad Kashmir (AJK) Assembly, 'Muslims who joined the Ahmadiyya sect were to be designated apostates (murtad) and subjected to effective penal action.'

7.1.6 Despite laws prohibiting Ahmadis from calling themselves Muslim (see 'Anti-Ahmadi' laws), Ahmadis self-identify as Muslim.

7.1.7 The official website of the Ahmadiyya Muslim Community, Al Islam, provided information on the process for joining the community, and the 'Conditions of Initiation (Bai'at)'.

7.1.8 In November 2009, the IRB Research Directorate outlined the treatment of converts to the Ahmadi faith in Pakistan. Ahmadiyya leaders in Canada reported to the IRB that non-Ahmadi Muslims who convert to the Ahmadi religion face physical torture, eviction from their families, social segregation or even death at the hands of their families or religious leaders. The report noted:

'In correspondence with the Research Directorate, the National

General Secretary of Ahmadiyya Muslim Jama'at Canada stated that a

non-Ahmadi Muslim who converts to the Ahmadi faith "will face

extreme persecution which could be ... physical torture, expulsion

from family, social boycott, murder or a combination of all" ... The

Eastern Canada Regional Amir of Ahmadiyya Muslim Jama'at Canada

stated that violence against converts can come from both their

immediate family and religious leaders ... The Eastern Canada

Regional Amir further stated that there is a fatwa [religious ruling] which states that non-Ahmadi Muslims who convert to the Ahmadi faith should be killed within three days of their conversion ... Further information on the fatwa could not be found among the sources consulted by the Research Directorate.'

7.1.9 The IRB response also noted:

'The General Secretary of Ahmadiyya Anjuman Lahore provided the following information on the consequences of both public conversion and private conversion:

'"[I]f the conversion is declared in public then such a person has to face severe consequences and he would be legally declared non-Muslim and liable to be killed...

'"If the case is not declared and such conversion remains secret

then ... such a person escapes legal punishment but still faces

mental torture and prejudicial treatment". ...

'In a telephone interview with the Research Directorate, the Eastern Canada Regional Amir corroborated that some people do not advertise their conversion to the Ahmadi faith...'

7.1.10 The IHRC stated in its April 2018 note to CPIT:

'Those who have converted face social boycotts in their society, marital problems with pressure from the side of the family on the partner who has not converted to the Ahmadi faith. This issue is further compounded if there are children.

'It is also common for converts to not reveal to their family or friends that they have converted to the Ahmadi faith.

'In one case in the UK, a lady [...] explained that her first husband left Ahmadiyyat due to pressure from his family. He told this lady to also leave so that they could remain married. When she did not, clerics, particularly from Khatme Nabuwwat started to cause problems for her which eventually led her to leave Pakistan.'"

(Quelle: UK Home Office, Country Policy and Information Note "Pakistan: Ahmadis", März 2019)

1.3.3. Das pakistanische Counter-Terrorism Department (CTD) Faisalabad führte Anfang Dezember 2016 in Rabwah eine Razzia durch, verhaftete zwei Personen, die angeblich verbotene Literatur, die in Zusammenhang mit der Ahmaddiyya-Gemeinschaft steht, veröffentlicht haben sollen, und beschlagnahmten Computer, Telefone, Bücher und Publikationen.

(Dawn 06.12.2016, Ahmedi community linked literature seized, printing press sealed https://www.dawn.com/news/1300860; Dawn 15.12.2016, ll-treatment of Ahmadis HRCP calls for thorough probe https://epaper.dawn.com/DetailImage.php?StoryImage=15_12_2016_178_002; siehe auch UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Member of Religious Minorities from Pakistan, Jänner 2017)

1.3.4. Im Oktober 2017 wurden drei Angehörige der Ahmadi-Gemeinschaft von einem Gericht in Sheikhupura/Punjab wegen des Vorwurfs der Blasphemie zum Tod verurteilt, da sie an ihrer Gebetsstätte ein Plakat sowie Banner in einer beleidigenden Weise aufgehängt haben sollen und von einem Geschäftsinhaber angezeigt worden waren.

(Dawn 12.10.2017, Three Ahamdi men sentenced to death on blasphemy charge https://www.dawn.com/news/1363201)

1.3.5. Im Oktober und November 2017 kam es in Islamabad und anderen Teilen Pakistans zu religiös-motivierten Protesten, Demonstrationen und Sit-ins. Die fundamentalistisch-religiöse Gruppierung Tehreek-i-Labaik Ya Rasool Allah (TLY), forderte unter anderem den Rücktritt des damaligen Justizministers Zahid Hamid, nachdem dieser den Text eines Eides, den Parlamentarier ablegen müssen, zugunsten der Minderheit der Ahmadi abgeändert hatte. Die pakistanische Regierung akzeptierte in der Folge zur Beendigung der Proteste einige Forderungen der TLY, unter anderem, dass ein Gremium von Geistlichen die Bemerkungen des Justizministers von Punjab, Rana Sanaullah, nach denen sich dieser gegen die Verfolgung von Ahmadis ausgesprochen haben soll, untersucht und Sanaullah die Entscheidung jenes Gremiums wird akzeptieren müssen; dass es keine Schwierigkeiten geben wird, Anzeigen nach § 295-C des pakistanischen Strafgesetzbuches (Blasphemie-Gesetze) zu erstatten; dass es keine Nachsicht für Personen gibt, die wegen Blasphemie verurteilt wurden.

(Dawn 27.11.2017, TLY chief Khadim Rizvi orders followers to end sit-ins across country after govt gives in to demands; https://www.dawn.com/news/1373182)

2. Beweiswürdigung:

Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft des Beschwerdeführers (oben 1.1.) ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben, an denen auf Grund seiner Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Bereits das BFA erachtete die Identität des Beschwerdeführers als erwiesen an (Bescheid, S 27).

2.2. Die oben unter 1.2. getroffenen Feststellungen waren aufgrund der folgenden Erwägungen zu treffen: Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes lässt sich alleine mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zum Ausreisegrund nicht schlüssig begründen, dass alle im Zusammenhang mit dem neu erworbenen Glauben stehenden weiteren Aktivitäten eines Asylwerbers nur zum Schein mit dem (ausschließlichen) Ziel der Asylerlangung entfaltet worden seien (vgl VwGH, 02.09.2015, Ra 2015/19/0091). Die Feststellungen zur Hinwendung des Beschwerdeführers in Österreich zum Glauben der Ahmadis in Österreich und seinen religiösen Aktivitäten in diesem Zusammenhang beruhen auf seinen insofern entsprechend stringenten Angaben im Verfahren vor dem BFA zu seinem gegenständlichen Antrag und insbesondere in der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung glaubhaft, da logisch konsistent, widerspruchsfrei detailreich dargelegt, welche Glaubensaktivitäten er in Österreich unternimmt (Verhandlungsschrift S 15-17). Der Beschwerdeführer hat auch Zeitungsberichte aus 2017 und 2018 vorgelegt, in denen er zusammen mit anderem Mitgliedern seiner Glaubensgemeinschaft bei öffentlichkeitswirksamen Ritualen zu sehen ist (OZ 8). Der Beschwerdeführer hinterließ in der mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck. Die zentralen Motive für seinen Glaubenswechsel vermochte er in der Beschwerdeverhandlung engagiert und anschaulich zu schildern. Das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Verhandlung über die in Pakistan für die Glaubensausübung drohende Verfolgung erweist sich vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zu Pakistan (oben 1.3.) als glaubhaft. Implausibilitäten oder Widersprüche in den Angaben während der Verhandlung konnten nicht erkannt werden. Die seit Erlassung des angefochtenen Bescheides gesetzten Glaubensaktivitäten konnte das BFA naturgemäß noch nicht berücksichtigen. Der Beschwerdeführer konnte sohin jedenfalls im Beschwerdeverfahren eine ernsthafte Konversion zur religiösen Glaubensgemeinschaft der Ahmadi glaubhaft machen.

2.3. Die Feststellungen zur Lage der Ahmadi in Pakistan (oben 1.3.) beruhen auf dem jüngsten Länderinformationsblatt des BFA, auf dem unverdächtigen Bericht des britischen Innenministeriums UK Home Office vom April 2019, Country Policy and Information Note "Pakistan: Ahmadis" und in Bezug auf die Ereignisse in den Jahren 2016 und 2017 (oben 1.3.3-1.3.5.) auf den dort angegebenen Quellen. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Plausibilität der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht daher kein Grund, an der Richtigkeit der Länderberichte zu zweifeln. Dazu das den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ist, siehe VwGH 23.01.2019, Ra 2018/18/0521).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005

Rechtsgrundlagen

3.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

3.2. Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.3. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 05.09.2012, C-71/11 und C-99/11, in Zusammenhang mit der Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie; neu gefasst durch die mit 09.01.2012 in Kraft getretene Richtlinie 2011/95/EU) ausgesprochen, dass Art 9 Abs 1 lit a der Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr: Art 9 Abs 1 lit a der Richtlinie 2011/95/EU) dahin auszulegen, dass - nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art 10 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, bereits eine "Verfolgungshandlung" im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt; eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser Freiheit ergeben kann und bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der Art 10 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt, eine "Verfolgungshandlung" darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland ua tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art 6 der Richtlinie 2004/83/EG genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Art 2 lit c der Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr: Art 2 lit d der Richtlinie 2011/95/EU) ist nach derselben Entscheidung des EuGH dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen, wobei die Behörden bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling dem Antragsteller nicht zumuten können, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten.

3.4. Das Bundesverwaltungsgericht geht im Einklang mit der Judikatur des EuGH und den Länderfeststellungen grundsätzlich davon aus, dass die bloße Zugehörigkeit einer Person zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadi nicht schon für sich allein und gleichsam automatisch zu einer asylrelevanten Verfolgung dieser Person in Pakistan führt.

Fallbezogen hat der Beschwerdeführer jedoch in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft und überzeugend zum Ausdruck gebracht, dass es ihm persönlich zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, sich öffentlich als Ahmadi manifestieren zu können und seinen Glauben nicht lediglich im Verborgenen zu leben und sich als Muslime deklarieren zu dürfen. Bereits in Österreich ist er bei Veranstaltung seiner Glaubensgemeinschaft öffentlich in Erscheinung getreten. Es ist vor dem Hintergrund der persönlichen Umstände anzunehmen, dass er auch nach seiner Rückkehr religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen würden, oder er bei einer Rückkehr ausschließlich deshalb auf die Ausübung seines Glaubens nach seinen inneren Wertvorstellungen verzichten würde, um einer Verfolgung von erheblicher Intensität zu entgehen und es ist dem Beschwerdeführer nach der zuvor zitierten Judikatur des EuGH nicht zuzumuten, bei einer Rückkehr in seine Heimat auf diese religiöse Betätigung zu verzichten. Es ist somit davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer in Pakistan aus Gründen seiner Religion ungerechtfertigte Eingriffe von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen drohen, die nach den oben getroffenen Feststellungen nicht mehr nur als entfernt möglich, sondern als maßgeblich wahrscheinlich anzusehen sind. Es kann im vorliegenden Fall auch nicht angenommen werden, dass sich der Beschwerdeführer der dargestellten Bedrohung durch Ausweichen in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates entziehen kann; die Gebiets- und Hoheitsgewalt der pakistanischen Regierung erstreckt sich auf das gesamte pakistanische Staatsgebiet und werden die vom pakistanischen Staat ausgehenden Verfolgungsmaßnahmen landesweit unterschiedslos praktiziert. Es wäre dem Beschwerdeführer daher nicht möglich, sich dauerhaft verborgen zu halten und sich der Suche zu entziehen.

3.5. Es ist daher objektiv nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Herkunftsstaates zu bedienen.

3.6. Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.

3.7. Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben.

3.8. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.9. Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt dem Beschwerdeführer das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs 1 Z 15 AsylG 2005 idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).

Zu B)

Revision

3.10. Die ordentliche Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG gegen die gegenständliche Entscheidung ist nicht zulässig, da die Rechtslage durch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.11. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aktuelle Bedrohung, aktuelle Gefahr, Asylgewährung, asylrechtlich
relevante Verfolgung, Asylverfahren, begründete Furcht vor
Verfolgung, Fluchtgründe, Flüchtlingseigenschaft,
Glaubensgemeinschaft, Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, inländische
Schutzalternative, innerstaatliche Fluchtalternative, Konversion,
mündliche Verhandlung, religiöse Gründe, Schutzfähigkeit des
Staates, staatlicher Schutz, Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L516.1422590.3.00

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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