Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des R in L, vertreten durch Dr. Reinhard Anderle, Rechtsanwalt in Linz, Jahnstraße 10, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 8. April 1998, Zl. VerkR - 393.046/1-1998/Au, betreffend Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages in einer Angelegenheit des Kraftfahrgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 18. Februar 1998 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Vorstellung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 26. September 1997 gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG abgewiesen. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 8. April 1998 gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und bestätigte den Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 18. Februar 1998. Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid - zusammengefaßt - wie folgt:
Der Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 26. September 1997 betreffend die Entziehung der Lenkerberechtigung sei laut Rückschein am 3. Oktober 1997 vom Beschwerdeführer übernommen worden. Dessen Rechtsvertreter habe am 17. Oktober 1997 die von ihm verfaßte Vorstellung an Herrn S., der deren Postaufgabe für den 17. Oktober 1997 zugesagt habe, übergeben. Herr S. habe vergessen, die Postaufgabe an diesem Tag fristgerecht durchzuführen. Er habe den ihm übergebenen Brief drei Tage später in seinem Anorak bemerkt und in der Folge dies dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mitgeteilt sowie den Brief rückübermittelt. Daraus ergebe sich zweifelsfrei, daß sich der bevollmächtigte Rechtsanwalt zur Aufgabe der von ihm vorbereiteten Briefsendung eines Boten bedient habe. Versäume der Bote den Auftrag, so könne darin für die Partei nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, das ohne ihr Verschulden die Einhaltung der Frist verhindere, erblickt werden, wenn sie der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen sei. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt sei der ihm zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nicht nachgekommen. Er hätte sich noch am 17. Oktober 1997 nachweisbar bei Herrn S. vergewissern müssen, daß dieser die Postaufgabe fristgerecht durchgeführt habe. Das Unterlassen dieser Kontrolle sei eine auffallende Sorglosigkeit. Rechtsanwälten oblägen gegenüber ihrem Kanzleipersonal Überwachungspflichten, weswegen umso mehr bei einem Boten durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sei, "daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen gewesen wären".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 27. Februar 1996, Zl. 95/04/0218, mwN) trifft ein zur Versäumung einer Frist führendes Verschulden eines Boten zwar nicht den Rechtsvertreter einer Partei und damit diese selbst, doch kann in der Versäumung eines Auftrags durch den Boten nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das ohne Verschulden der Partei die Einhaltung der Frist verhinderte, erblickt werden, wenn sie (ihr Vertreter) der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist.
Die belangte Behörde wertete das Unterbleiben einer Überwachung des Boten durch den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hinsichtlich der fristgerechten Postaufgabe als auffallende Sorglosigkeit in Ansehung der dem Rechtsvertreter obliegenden Überwachungspflicht und sie erblickte darin ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des Rechtsvertreters.
Diese Auffassung kann nicht geteilt werden. Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag handelte es sich bei dem vom Rechtsvertreter mit der Postaufgabe betrauten Boten um dessen ihm als verläßlich und gewissenhaft bekannten Versicherungsbetreuer. Dieser hatte sich anläßlich einer Besprechung in der Kanzlei des Rechtsvertreters am Nachmittag des 17. Oktober 1997 (des letzten Tages der Vorstellungsfrist) erbötig gemacht, auf dem Rückweg die Sendung noch am selben Tag zur Post zu geben. Der vorliegende Sachverhalt läßt nichts erkennen, was Anlaß zu Bedenken an der Einhaltung des gegebenen Versprechens und damit zur Kontrolle seiner Erfüllung noch am selben Tag gegeben hätte. Auch die belangte Behörde nennt keinen Umstand, der das Erfordernis einer Kontrolle des Boten durch den Rechtsvertreter nahegelegt hätte. Es kann dahinstehen, ob - wie die belangte Behörde meint - aus der einem Rechtsvertreter gegenüber seinen Kanzleiangestellten obliegenden Überwachungspflicht abzuleiten ist, daß einem Boten gegenüber erhöhte ("umso mehr") Überwachungspflicht besteht. Unter den hier gegebenen Umständen muß die Ansicht der belangten Behörde, der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hätte sich noch am selben Tag hinsichtlich der fristgerechten Postaufgabe vergewissern müssen (wobei offenblieb, ob dies dem Rechtsvertreter unter den gegebenen Verhältnissen überhaupt zumutbar gewesen wäre), als Überspannung der Überwachungspflicht angesehen werden. Bei der gegebenen Sachlage bedeutet das Unterbleiben einer Überwachung des Boten durch den Rechtsvertreter jedenfalls kein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes grobes Verschulden.
Da die belangte Behörde zu Unrecht ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Verschulden des Vertreters des Beschwerdeführers angenommen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens erfolgte deshalb, weil die Vollmachtsurkunde, für welche S 180,-- Stempelgebührenersatz beantragt wird, dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgelegt wurde.
Wien, am 10. November 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998110141.X00Im RIS seit
20.11.2000