Entscheidungsdatum
29.04.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I420 2135011-2/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Magdalena HONSIG-ERLENBURG als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.01.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 03.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 04.03.2016 gab sie, zu ihren Fluchtgründen befragt, an, dass sie in Nigeria eine feste Beziehung mit einer Frau gehabt habe. Da Homosexualität in ihrer Heimat mit einer Freiheitsstrafe und teilweise sogar mit dem Tode bestraft werde, sei sie geflüchtet. Außerdem finde man in Nigeria keine Arbeit. Ohne Arbeit und ohne Geld könne man nicht leben. Bei einer Rückkehr fürchte sie um ihre Freiheit und sogar um ihr Leben. Bevor sie in Österreich eingereist sei, habe sie neun Monate in Italien verbracht.
Am 09.06.2016 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), bei der sie hinsichtlich ihrer Fluchtmotive im Wesentlichen vorbrachte, dass sie bei einem gleichgeschlechtlichen Akt gesehen worden sei. Ihre Freundin und sie seien mit 14 Jahren Gefängnis bedroht worden. Es sei in Nigeria nicht erlaubt, lesbisch oder homosexuell zu sein, man werde dafür vor Gericht gebracht und für 14 Jahre inhaftiert. Sie brauche aber ihre persönliche Freiheit. Ihre Freundin habe XXXX geheißen und sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie seien auf einer Geburtstagsfeier gewesen und ein Polizist - der sich allerdings nicht als Polizist zu erkennen gegeben habe - habe sie beim Liebesakt erwischt. Sie seien nackt gewesen, und er habe ihnen dann seinen Ausweis gezeigt und ihnen gedroht, sie anzuzeigen. Er habe sie geschlagen. Ihre Freundin habe sich auf der Flucht das Bein gebrochen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.08.2016, zugestellt am 31.08.2016, wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten "gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr.100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria "gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Zugleich wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57" nicht erteilt. "Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung "gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen. Weiters wurde "gemäß § 52 Absatz 9 FPG" festgestellt, dass ihre Abschiebung "gemäß § 46 FPG" nach Nigeria zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise "gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG" 14 Tage ab Rechtskraft betrage (Spruchpunkt III.). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin wurde als unglaubhaft befunden.
Mit Schriftsatz, welcher am 12.09.2016 beim BFA einlangte, erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründet wurde sie mit fehlerhaften Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung.
Am 09.11.2016 wurde am Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung abgehalten, in welcher die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe wiederholte. Sie erklärte, in Wien eine Beziehung mit einer Frau zu führen.
Mit Schriftsatz vom 15.11.2016 wurde die Beschwerdeführerin im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung aufgefordert, den Namen und die Adresse ihrer Partnerin bekanntzugeben. Am 29.11.2016 langte ein Schreiben der Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welchem erklärt wurde, dass die Beschwerdeführerin trotz mehrmaliger Nachfrage nicht bereit sei, die Adresse ihrer Lebensgefährtin bekanntzugeben.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.01.2017, Zl. I403 2135011-1/13E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin wurde als nicht glaubhaft befunden. Das Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
Am 28.02.2017 stellte die Beschwerdeführerin einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Bei ihrer Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag führte die Beschwerdeführerin - nachdem sie auf ihr bereits rechtskräftig entschiedenes Verfahren hingewiesen wurde - hinsichtlich ihrer Fluchtgründe aus: "Ich habe einen Grund, welchen ich in meinem ersten Verfahren aus Angst nicht erwähnt habe. Im Jahr 2015 habe ich über eine Agentur in Nigeria die Hilfe einer Nigerianischen Frau in Italien in Anspruch genommen. Diese Frau verlangt von mir €40.000,-
weil sie mir dabei behilflich war, im Jahr 2016 nach Italien zu reisen. Diese Frau hat mich eingeschüchtert, damit ich niemandem von dieser Geldforderung erzähle. Diese Frau hat mir eine Arbeit als Friseurin in Italien versprochen. Nach meiner Ankunft in Italien traf ich zwar die Frau, aber sie hat mir die versprochene Arbeit nicht vermittelt und wollte mich dazu zwingen, dass ich der Prostitution nachgehe. Das ist mein neuer Grund." Des Weiteren gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr diese Gründe seit ihrer Ausreise bekannt gewesen seien, sie diese lediglich noch nicht erwähnt habe.
Am 06.04.2017 wurde die Beschwerdeführerin durch das BFA niederschriftlich einvernommen und führte an, dass sie seit 2013 Mitglied der Partei Biafra gewesen sei und deswegen Probleme gehabt habe. Außerdem erklärte die Beschwerdeführerin, dass ihr in Nigeria versprochen worden sei, dass sie in Europa zur Schule gehen und Friseurin werden könne. Als sie nach Italien gekommen sei, sei jedoch alles anders gewesen und sie sei zur Prostitution gezwungen worden. Allerdings habe sie nur zweimal bei der Dame, für welche sie tätig werden hätte sollen, geschlafen und sei dann mit einer Freundin zusammengezogen. Die Person, welche ihre Ausreise organisiert habe, wolle nun jedoch das Geld zurück und mache nun ihrer Familie Probleme. Im Dezember 2016 sei sie von ihrer Schwester angerufen worden, welche ihr mitgeteilt habe, dass man sie aus dem Haus vertrieben habe. Aus Angst habe sie dieses Vorbringen nicht bereits im ersten Asylverfahren erwähnt.
Am 12.02.2018 wurde die Beschwerdeführerin neuerlich vom BFA niederschriftlich einvernommen, wobei sie wiederholte, dass sie in Italien zur Prostitution gezwungen werden hätte sollen, sich jedoch geweigert habe und davongelaufen sei. Daraufhin habe sie auf der Straße gelebt und um Hilfe gebeten. Dann habe sie einen weißen Mann getroffen, dem sie sich anvertraut habe und der sie dann nach Österreich gebracht habe. Mit dem Mann, welchem sie € 40.000 für ihre Ausreise schulde, habe sie zuletzt in Italien Kontakt gehabt. Bei einer Rückkehr nach Nigeria müsste sie allerdings das Geld bezahlen, da sie bei einem "Native Doctor" einen Eid ablegen habe müssen, dass der Mann sie bei Nichtbezahlung töten oder all ihre Familieneigentümer nehmen könnte. Der andere Grund für ihre Ausreise sei ihre Homosexualität gewesen, allerdings sei sie jetzt nicht mehr lesbisch.
Am 26.02.2018 langte eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin beim BFA ein, in welcher vor allem auf die fatale Sicherheitslage und die fehlende Existenzmöglichkeit der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria hingewiesen wurde.
Am 03.12.2018 wurde die Beschwerdeführerin abermals vom BFA niederschriftlich einvernommen. Sie wiederholte ihr bisheriges Vorbringen, gab aber abweichend dazu an, dass das Haus der Dame, für welche sie sich prostituieren hätte sollen, in Napoli gewesen sei und sie danach auf den Straßen Napolis gelebt habe.
Mit Bescheid des BFA vom 23.01.2019 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 28.02.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin wurde für nicht glaubhaft befunden.
Dagegen wurde fristgerecht am 21.02.2019 Beschwerde erhoben und beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und der Beschwerdeführerin den Status einer Asylberechtigen gemäß § 3 AsylG zuerkennen; in eventu für den Fall der Abweisung des obigen Beschwerdeantrages gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 feststellen, dass der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat zukommt; in eventu feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG vorliegen und der Beschwerdeführerin daher eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG von Amts wegen zur erteilen ist; in eventu feststellen, dass die gemäß § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist und feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eine Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG vorliegen und der Beschwerdeführerin daher gemäß § 58 Abs. 2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen zu erteilen ist; jedenfalls eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG durchführen (der vorliegende Sachverhalt sei so mangelhaft ermittelt worden, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG zur ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbringens der Beschwerdeführerin unvermeidlich erscheine); in eventu den hier angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen (§ 66 Abs. 2 AVG, § 28 Abs. 3 und 4 VwGVG).
Beschwerde und Verwaltungsakt wurden am 27.02.2019 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Nigerias. Die Identität der Beschwerdeführerin steht nicht fest.
Sie ist volljährig, bekennt sich zum christlichen Glauben und gehört der Volksgruppe der I(g)bo an.
Die Beschwerdeführerin ist gesund und leidet weder an lebensbedrohlichen Krankheiten noch ist sie längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig und ist daher auch erwerbsfähig. Sie gab lediglich an Schmerzen im unteren Bauchbereich und Probleme mit ihrem Eileiter zu haben, aber keine Medikamente zu nehmen.
Die Beschwerdeführerin verfügt über eine Schulbildung und war in Nigeria als Friseurin tätig.
In Nigeria verfügt die Beschwerdeführerin über familiäre Anknüpfungspunkte, unter anderem leben ihre Mutter und ihre Schwestern noch dort.
Es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten der Beschwerdeführerin in Österreich.
Die Beschwerdeführerin weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Sie unterstützt zwar seit September 2017 die XXXX ehrenamtlich, hat Bekanntschaften geschlossen und hat einen Deutschkurs A2 besucht, doch kann alleine deswegen noch nicht von einer nachhaltigen Verfestigung gesprochen werden.
Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin hatte vorgebracht, Opfer von Menschenhandel zu sein, doch ist dies nicht glaubhaft bzw. muss jedenfalls festgestellt werden, dass sie im Falle der Rückkehr nach Nigeria keine Verfolgung zu befürchten hat. Es ist nicht davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr Gefahr liefe, von dem Mann, welcher ihre Ausreise organisiert habe, oder der Bordellbesitzerin in Italien bedroht, zur Prostitution gezwungen oder andersweitig verfolgt zu werden.
Es kann somit insgesamt nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in Nigeria aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde oder werden wird.
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine gesunde, arbeitsfähige Frau und besteht keine reale Gefahr, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria in eine existenzbedrohende Lage oder eine sonstige unmenschliche Situation geraten würde.
1.3. Zur allgemeinen Situation in Nigeria:
Hinsichtlich der aktuellen Sicherheitslage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 23.01.2019 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle (Stand 07.08.2017) "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria auszugsweise zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt.
Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Wahlen von Präsident und Nationalversammlung 2015 und die seitdem stattgefundenen Wahlen der Gouverneur- und Landesparlamente in 31 von 36 Bundesstaaten haben die politische Landschaft in Nigeria grundlegend verändert. Die seit 2013 im All Progressives' Congress (APC) vereinigte Opposition gewann neben der Präsidentschaftswahl eine klare Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments und regiert nun auch in 23 der 36 Bundesstaaten. Die seit 1999 dominierende People-s Democratic Party (PDP) musste zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung stark geschwächt. Lediglich in den südöstlichen Bundesstaaten des ölreichen Niger-Deltas konnte sie sich als Regierungspartei behaupten (AA 21.11.2016). Bei den Präsidentschaftswahlen am 28.3.2015 besiegte der frühere Militärmachthaber und Kandidat der Opposition, Muhammadu Buhari, den bisherigen Amtsinhaber Goodluck Jonathan mit 54,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei diesen Wahlen, die von der internationalen Öffentlichkeit als beispielhaft für die Demokratie Afrikas gelobt wurden, kam es zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Nigerias zu einem demokratischen Machtwechsel (GIZ 7.2017a).
Im Länderbericht ergibt die geschilderte allgemeine Sicherheitslage keine konkrete gegen die Person der Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgungsgefahr, die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land, sodass sich Bürger in jedem Teil des Landes niederlassen können. Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o.ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Darüber hinaus sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten. Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen. Prinzipiell sollte es einer Person, die von nichtstaatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen.
Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o.ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken Nigerian Police Force (NPF). Die NPF untersteht dem Generalinspektor der Polizei. Er ist für die Durchsetzung der Gesetze verantwortlich. Ihm unterstehen in jedem Bundesstaat Assistenten zur Leitung der Polizeikräfte. Bundesstaaten dürfen gemäß Verfassung über keine eigenen Sicherheitskräfte verfügen. In Notsituationen kann die Bundespolizei jedoch dem Gouverneur eines Staates unterstellt werden (USDOS 13.4.2016). Etwa 100.000 Polizisten sollen als Sicherheitskräfte bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen tätig sein. Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee. Jedoch sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten (UKHO 8.2016b).
In Nigeria sind rund 50 Prozent der Bevölkerung Muslime, 40-45 Prozent Christen und 5-10 Prozent Anhänger von Naturreligionen (CIA 7.6.2017; vgl. GIZ 7.2017b). Der Norden ist überwiegend muslimisch, der Süden überwiegend christlich bzw. "christlich-animistisch" (AA 21.11.2016). Allerdings gibt es im Norden, wo die moslemischen Hausa-Fulani überwiegen, auch signifikante Anteile christlicher Bevölkerung. Das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen ist äußerst gespannt. Oft genügt ein geringer Anlass, um blutige Unruhen auszulösen. Ein Teil des Landes ist von starker Verfolgung betroffen (der Teil, der überwiegend von Muslimen bewohnt wird), wohingegen der andere, überwiegend von Christen bewohnte, Landesteil überhaupt nicht beeinträchtigt ist.
Zur wirtschaftlichen Lage ist allgemein auszuführen, dass Nigeria seit 2014 als die größte Volkswirtschaft Afrikas gilt, im Jahr 2014 wurde sogar das Bruttoinlandsprodukt von Südafrika übertroffen (GIZ 6.2016c; vgl. AA 5.2016), neben der Öl- und Gasförderung sind der (informelle) Handel und die Landwirtschaft von Bedeutung, die dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bietet (AA 3.12.2015).
Selbst wenn man davon ausgeht, dass in Nigeria beschäftigungslose Angehörige von der Großfamilie unterstützt werden und die Beschwerdeführerin diese Unterstützung nicht erhält, ist davon auszugehen, dass in Nigeria eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern kann, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖBA 7.2014).
Heimkehrer können gegen Gebühr eine Wohnung in jeder Region Nigerias mieten. Es gibt keine speziellen Unterkünfte für Heimkehrer. Reintegrationshilfe kann durch Regierungsprogramme wie etwa NDE, NAPEP, NAPTIP, COSUDOW, UBE, SMEDAN, NACRDB erhalten werden und nichtstaatliche Organisationen wie etwa die Lift above Poverty-Organisation (LAPO) bieten allgemeine Reintegrationshilfe (IOM 8.2014).
Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (AA 3.12.2015; vgl. ÖBA 7.2014). Auch ein nationales funktionierendes polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Damit ist es in der Praxis äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, nach verdächtigen Personen national zu fahnden, wenn diese untergetaucht sind. Das Fehlen von Meldeämtern und gesamtnigerianischen polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung "unterzutauchen" (ÖBA 7.2014).
Nigeria verfügt über ein sehr kompliziertes Gesundheitssystem. Die meisten Landeshauptstädte haben öffentliche und private Krankenhäuser sowie Fachkliniken, und jede Stadt hat darüber hinaus eine Universitätsklinik. (IOM 8.2014). Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen. Sie ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 4.7.2017). Laut dem Gesundheitsministerium gibt es weniger als 150 Psychiater in Nigeria (IRIN 13.7.2017). Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten dagegen als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 21.11.2016). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 21.11.2016). Hat eine Person keine Dokumente, führt dieser Umstand nicht zur Verweigerung medizinischer Versorgung oder zum Ausschluss von anderen öffentlichen Diensten (z.B. Bildung) (USDOS 3.3.2017). In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 21.11.2016).
Es besteht auch wie im Länderbericht ausgeführt, keine Gefahr dahingehend, dass ein ob eines abgelehnten Asylantrages rückgeführter Asylwerber bei seiner Rückkehr nach Nigeria mit staatlichen Repressionen zu rechnen habe. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt außerdem darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖBA 7.2014).
Diese Feststellungen basieren im Wesentlichen auf den folgenden Quellen:
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FH - Freedom House (2.6.2017): Freedom in the World 2017 - Nigeria, http://www.refworld.org/docid/5936a4663.html, Zugriff 8.6.2017
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IOM - International Organization for Migration (8.2013): Nigeria - Country Fact Sheet,
https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698704/8628861/16296710/16800759/Nigeria_-_Country_Fact_Sheet_2013%2C_deutsch.pdf?nodeid=16801531&vernum=-2, Zugriff 8.6.2017
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IOM - International Organization for Migration (8.2014): Nigeria - Country Fact Sheet,
https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698704/8628861/17247436/17297905/Nigeria_-_Country_Fact_Sheet_2014%2C_deutsch.pdf?nodeid=17298000&vernum=-2, Zugriff 4.7.2017
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ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (7.2014): Asylländerbericht Nigeria
1.4. Zur Situation von Frauen und Homosexuellen in Nigeria:
Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht, kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 3.3.2017). Frauen werden in der patriarchalischen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias dennoch in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt. Dies wird am deutlichsten in Bereichen, in denen vor allem traditionelle Regeln gelten: So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen (AA 21.11.2016). Allerdings berichtet die Bertelsmann Stiftung, dass der Oberste Gerichtshof in einem bahnbrechenden Urteil entschied, dass Witwen das Recht haben von dem Verstorbenen zu erben (BS 2016). Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwenzeremonien über sich ergehen lassen (z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt). Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 21.11.2016). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden. Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen jedoch kaum eine Rolle (BS 2016).
Frauen mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz. So findet sich z.B. beim Obersten Gerichtshof eine oberste Richterin, auch die Minister für Finanz und für Erdöl sind Frauen (BS 2016). Insgesamt bleiben Frauen in politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. In den 36 Bundesstaaten Nigerias gibt es keine Gouverneurin, allerdings vier Vizegouverneurinnen (AA 21.11.2016). Die Zahl weiblicher Abgeordneter ist gering - nur 6 von 109 Senatoren und 14 von 360 Mitgliedern des Repräsentantenhauses sind Frauen (AA 4.2017a). In der informellen Wirtschaft haben Frauen eine bedeutende Rolle (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 3.3.2017).
Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sich mit sexueller Gewalt, körperlicher Gewalt, psychologischer Gewalt, schädlichen traditionellen Praktiken und sozioökonomischen Gewalt. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, FGM/C usw. Straftatbestände da. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Das Gesetz ist nur im Federal Capital Territory (FCT) gültig, solange es nicht in den anderen Bundesstaaten verabschiedet wird (USDOS 3.3.2017).
Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert. Die Polizei schreitet oft bei häuslichen Disputen nicht ein. In ländlichen Gebieten zögerten die Polizei und die Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht überstieg (USDOS 3.3.2017).
Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von Maximum drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 3.3.2017). Frauen zögern oft, Misshandlungsfälle bei den Behörden zu melden. Viele Misshandlungen werden nicht gemeldet. Begründet wird dies damit, dass die Polizei nicht gewillt ist, Gewalt an Frauen ernst zu nehmen und Anschuldigungen weiterzuverfolgen. Die Zahl an Fällen strafrechtlicher Verfolgung von häuslicher Gewalt ist niedrig, obwohl die Gerichte diese Vergehen zunehmend ernst nehmen. Die Polizei arbeitet in Kooperation mit anderen Behörden, um die Reaktion und die Haltung gegenüber geschlechtsspezifischer Gewalt zu verbessern. Dies beinhaltet den Aufbau von Referenzeinrichtungen für Opfer sexueller Misshandlung, sowie die Neuerrichtung eines Genderref