TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/30 W214 2187936-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.04.2019
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Entscheidungsdatum

30.04.2019

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs6
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W214 2187931-1/10E

W214 2187927-1/10E

W214 2187933-1/9E

W214 2187936-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von (1.) XXXX , geb. XXXX , (2.) XXXX , geb. XXXX , (3.) XXXX , geb. XXXX und

(4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Syrien, (4.) vertreten durch seine Mutter, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen jeweils Spruchteil I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 10.02.2018, Zlen. XXXX und XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und (1.) XXXX , (2.) XXXX und (3.) XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) sowie (4.) XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass und (1.) XXXX ,

(3.) XXXX und (4.) XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der Drittbeschwerdeführerin und des (nunmehrigen) Viertbeschwerdeführers (der Viertbeschwerdeführer wird in der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht noch als "BF5" bezeichnet, weil eine seiner Schwestern, die inzwischen die Beschwerde zurückgezogen hat, dort noch als "BF4" bezeichnet wurde, Anm.) und sind syrische Staatsangehörige, sunnitischen Glaubens und Zugehörige der arabischen Volksgruppe.

Sie stellten am XXXX 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei ihrer Erstbefragung gaben der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin an, in XXXX , Syrien, gelebt zu haben.

Zu den Fluchtgründen gab der Erstbeschwerdeführer an, dass sie vor dem Krieg geflüchtet seien, die Sicherheitslage sei immer schlechter geworden, ihr Stadtviertel sei mehr unter Bombenangriffe geraten, seine Kinder hätten nicht mehr zur Schule bzw. Universität gehen und er habe seiner Arbeit nicht mehr nachgehen können.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, ihre beiden Söhne seien geflüchtet; danach hätten die syrischen Behörden sie mehrmals aufgesucht. Es habe verstärkt Bombenangriffe gegeben, es sei zu Entführungen von jungen Frauen gekommen. Deshalb hätten sie sich entschlossen zu fliehen.

Die Drittbeschwerdeführerin führte aus, dass an ihrer Universität mehrere Bomben explodiert seien. Außerdem habe sie von Entführungen von jungen Frauen durch radikale Gruppierungen gehört.

Die Beschwerdeführer/innen führten aus, sie hätten Syrien am XXXX .2015 legal mit einem Bus Richtung Libanon verlassen. Ihr Zielland sei Österreich gewesen, da der Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin bzw. Bruder der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers bereits in Österreich lebe. Im Falle einer Rückkehr hätten die Beschwerdeführer/innen Angst um ihr Leben.

Weiters legten die Beschwerdeführer/innen u. a. ihre syrischen Reisepässe und einen Auszug aus dem syrischen Familienbuch vor.

2. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) am 18. bzw. 19.07.2017 gaben die Erst- bis Drittbeschwerdeführer/innen zusammengefasst Folgendes an:

Die Beschwerdeführer/innen hätten in XXXX gelebt und seien am XXXX 12.2015 in das Bundesgebiet eingereist. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er mehrmals von den Sicherheitsbehörden aufgesucht worden sei, die nach seinen ausgereisten Söhnen gefragt hätten. Seine Söhne seien nämlich 2013 bzw. 2014 aus Syrien geflohen. Irgendwann hätten diese Besuche dann aufgehört. Seine Töchter hätten nicht mehr studieren können, da die Universität bombardiert werde.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, aus Angst um ihre Kinder aus Syrien ausgereist zu sein. Es habe Entführungen von Frauen gegeben und an der Universität sei eine Bombe explodiert. Es gebe keine Sicherheit, keine Zukunft für ihre Kinder mehr in Syrien. Sie wolle, dass ihre Kinder in Österreich studieren. Sie habe immer nur Angst um ihre Kinder gehabt, dass sie zwangsrekrutiert würden und aufgrund der allgemeinen schlechten Lage und des Krieges in Syrien.

Der minderjährige Viertbeschwerdeführer habe die Fluchtgründe seiner Eltern.

Die Drittbeschwerdeführerin gab an, dass ihre Universität zerstört worden sei. In der Nähe ihres Hauses seien Luftraketen eingeschlagen. Man habe davon gehört, dass viele Frauen entführt worden seien. Ihre Familie habe Angst gehabt. Ihr Vater habe sich für die Flucht aus Syrien entschlossen, sie hätten alles liegen gelassen.

3. Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer/innen auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i. V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (jeweils Spruchteil I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (jeweils Spruchteil II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 befristete Aufenthaltsberechtigungen (jeweils Spruchteil III.).

Zur Person und den Fluchtgründen der Beschwerdeführer/innen stellte die belangte Behörde u.a. Folgendes fest:

Ihre Identität stehe fest; sie seien syrische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens und Angehörige der arabischen Volksgruppe.

Die Beschwerdeführer/innen hätten Syrien wegen des Krieges verlassen. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor.

Rechtlich begründete die belangte Behörde die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten damit, dass die Beschwerdeführer/innen Angst um die Kinder bzw. Angst vor dem Bürgerkrieg vorgebracht hätten und eine asylrelevante Verfolgungshandlung nicht gegeben sei. Die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten begründete die belangte Behörde mit der allgemeinen schlechten Sicherheitslage in Syrien.

4. Gegen die Spruchteile I. dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführer/innen fristgerecht Beschwerden, in welchen sie zusammengefasst Folgendes vorbrachten:

Die belangte Behörde habe es unterlassen, auf das individuelle Vorbringen der Beschwerdeführer/innen einzugehen. Bezüglich des Erstbeschwerdeführers gebe es für ihn in Syrien keine Sicherheit, nicht als Reservist zum Militärdienst eingezogen zu werden. Bei der Zweitbeschwerdeführerin und dem Viertbeschwerdeführer handle es sich um besonders vulnerable Gruppen, welche in Syrien einem besonders hohen Risiko ausgesetzt seien. Dies gelte auch für die Drittbeschwerdeführerin. Frauen seien Gewalt, Diskriminierung und starken Einschränkungen ihrer Rechte ausgesetzt. In Konfliktgebieten würden Frauen auch Opfer von Entführungen durch bewaffnete Gruppen, welche ihre Gegner nicht militärisch besiegen konnten, und Entführungen dazu nutzen, um die Gegenseite zur Kapitulation zu zwingen. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang nicht primär, ob eine Verfolgung bereits stattgefunden habe und ob eine solche ausschlaggebend für die Ausreise der Beschwerdeführer/innen aus Syrien gewesen sei, sondern ob sie solchen Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr noch ausgesetzt sein könnten. Die Beschwerdeführer/innen würden bei einer Einreise die Aufmerksamkeit der syrischen Behörden erwecken und in Verdacht geraten, Oppositionelle zu sein bzw. anderen Konfliktparteien anzugehören.

5. Am 26.03.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, in der der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin abermals zu ihren Fluchtgründen befragt wurden.

Der Erstbeschwerdeführer führte aus, dass er seinen Sohn XXXX in die Türkei geschickt habe. Er sei damals in dem Alter gewesen, um zum Militärdienst einrücken zu müssen, und er habe nicht gewollt, dass er für die syrische Regierung kämpfe und Leute ermorde. Sein Sohn XXXX habe seinen Militärdienst am XXXX beendet. Einen Monat später habe die Revolution begonnen. Wenn er geblieben wäre, wäre er zum Reservedienst einberufen worden, deshalb habe der Erstbeschwerdeführer ihn auch ins Ausland geschickt. Der erstgenannte Sohn habe das Land ca. Anfang XXXX verlassen der zweite Sohn sei am XXXX ausgereist. Der Erstbeschwerdeführer gab an, dass er von Männern, die der Militärpolizei und dem Geheimdienst angehört hätten, mehrmals aufgesucht und nach seinen Söhnen gefragt worden sei. Vier bis fünf Monate vor der Ausreise hätten diese Besuche aufgehört, aber der Geheimdienst sei immer in ihrer Nachbarschaft anwesend gewesen. Nachbarn hätten seiner Frau erzählt, dass diese Männer inzwischen wiedergekommen seien und sogar nach ihm gefragt hätten. Die Männer hätten nicht nur nach ihnen, sondern nach allen Männern, die in dem Gebäude wohnen, gefragt, weil sie Soldaten für den Reservedienst bräuchten. Zuletzt habe die Polizei auch seine Töchter an der Universität verfolgt.

Nach der legalen Ausreise befragt führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass die Ausreise legal, aber "in einer anderen Art auch illegal" gewesen sei. Er habe an sechs Kontrollposten Schmiergeld bezahlt, damit die Familie keine Probleme bekommen würde.

Auf den Inhalt seiner Beschwerde angesprochen führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er selbst nicht zum Reservedienst mitgenommen würde, weil er dafür zu alt sei. Er würde aber - wie viele - festgenommen und wegen seiner Söhne inhaftiert werden, weil diese aus dem Land geflohen seien.

Die Zweitbeschwerdeführerin führte aus, dass sie dieselben Fluchtgründe habe wie ihr Mann. Sie hätten das Land wegen ihrer Söhne und wegen der unsicheren Lage verlassen. Sie habe auch Angst um ihre Töchter und um ihren jüngeren Sohn gehabt. Außerdem seien sie unter Druck gesetzt worden, weil die Polizei zu ihnen gekommen sei und nach ihren Söhnen gefragt habe. Sie habe von der Nachbarin erfahren, dass noch immer von den Sicherheitskräften nach ihnen gefragt werde. Die Sicherheitskräfte seien bis vor ein paar Monaten, bevor die Beschwerdeführer/innen das Land verlassen hätten, gekommen. Ihre Tochter (die Drittbeschwerdeführerin) sei von jungen Männern verfolgt worden. Es herrsche keine Sicherheit. Sie habe Angst um ihre Kinder, und die Regierung könne sie nicht schützen.

Nach ihrer Rückkehr nach Syrien werde sie vielleicht festgenommen, weil die Sicherheitskräfte noch immer nach ihren Söhnen fragten. Vielleicht würden sie glauben, dass sie gegen das Regime seien.

Die Drittbeschwerdeführerin führte aus, dass sie unter Druck gesetzt und von Offizieren belästigt worden sei, sie sei von den Offizieren auch verfolgt worden. Sie hätten dann gewusst, wo sie wohne und sie indirekt bedroht. Sie habe Angst vor Entführungen und Angst um ihr Leben. Nach der Ausreise ihrer Brüder sei zwei- bis dreimal nach ihnen gefragt worden. Außerdem sei die Familie als Sunniten von den Alewiten diskriminiert worden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführern

Die Beschwerdeführer/innen sind syrische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens und Zugehörige der arabischen Volksgruppe. Sie tragen die im Spruch angeführten Namen, sind am XXXX geboren und lebten in XXXX . Ein Bruder des Erstbeschwerdeführers arbeitet bei der Wasserbehörde in XXXX , ein Bruder und eine Schwester der Zweitbeschwerdeführerin leben ebenfalls noch in diesem Ort.

Die Beschwerdeführer/innen reisten am XXXX .2015 legal (gemeinsam mit einer weiteren Tochter, die inzwischen in Deutschland lebt und ihren Antrag auf internationalen Schutz in Österreich zurückgezogen hat) mit einem Kleinbus aus Syrien aus und stellten am XXXX .2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Ein Sohn bzw. Bruder der Beschwerdeführer/innen ( XXXX ) floh bereits im Alter von 17 Jahren aus Syrien und entzog sich so dem Militärdienst. Er lebt nunmehr in Deutschland.

Ein weiterer Sohn bzw. Bruder der Beschwerdeführer/innen ( XXXX ) entzog sich einer drohenden Einberufung vor dem Reservedienst durch Flucht nach Österreich und bekam von der belangten Behörde den Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Bei dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin wurde von den Sicherheitskräften einige Male nach den Söhnen gefragt.

Die Beschwerdeführer/innen verließen primär wegen der durch den Bürgerkrieg verursachten schlechten Sicherheitslage, insbesondere aus Angst vor Entführungen der Drittbeschwerdeführerin und der anderen Tochter sowie auch der psychischen Belastung des minderjährigen Viertbeschwerdeführers Syrien.

Im Falle einer Rückkehr besteht für die Beschwerdeführer/innen als Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern, nach denen von den Sicherheitskräften auch schon gefragt wurde, die Gefahr, als "Oppositionelle" wahrgenommen zu werden und eine unmenschliche Behandlung zu erfahren.

Die Beschwerdeführer/innen haben von der belangten Behörde subsidiären Schutz zuerkannt bekommen.

Die Beschwerdeführer/innen sind strafgerichtlich unbescholten. Asylausschlussgründe liegen nicht vor.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien

1.2.1. Politische Lage

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche, eine politische Alternative zu schaffen, wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce".

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Am 13. April 2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden. Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten.

Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt.

Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, lebt. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte. Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht, wird auf etwa ein Viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt.

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch.

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden. Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 14ff.)

1.2.2. Folter und unmenschliche Behandlung

Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren. Folter und andere Misshandlungen wurden durch das syrische Regime schon seit Jahrzehnten genutzt, um Widerstand zu unterdrücken. Das syrische Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten.

Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch von Minderjährigen sind weitverbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt. Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind, oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter. Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen. Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert.

Rebellengruppierungen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen. Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie wären Mitglieder von regierungstreuen Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel. Auch der IS begeht Misshandlungen, Folter, Bestrafungen von Individuen, und agiert mit Brutalität. Der IS bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, inklusive Kindern, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 39ff.)

1.2.3. Sunniten

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss. Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit, was demographische Daten betrifft, Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74% der Bevölkerung stellen, wobei diese ethnische Araber, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und Turkmenen inkludieren. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13% aus, die Drusen 3%. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10%, wobei laut Medien- und anderen Berichten davon auszugehen ist, dass viele Christen aufgrund des Bürgerkrieges das Land verließen, und die Zahl nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jesiden. Diese Zahl könnte aufgrund des Zuzugs von Jesiden, die aus dem Irak nach Syrien flüchteten, mittlerweile höher sein.

Die syrische Regierung und die mit ihr verbündeten schiitischen Milizen töten, verhaften und misshandeln Sunniten und Mitglieder von bestimmten Minderheiten physisch, als Teil der Bemühungen den bewaffneten Aufstand von oppositionellen Gruppierungen niederzuschlagen. Laut mehreren Beobachtern des Konfliktes wandte das Regime Taktiken an, die darauf abzielten die extremsten Elemente der sunnitisch-islamistischen Opposition zu stärken, um den Konflikt dahingehend zu formen, dass dieser als ein Konflikt gesehen wird, in dem eine religiös moderate Regierung einer religiös extremistischen Opposition gegenübersteht.

Die Revolution wurde somit mit der sunnitischen Bevölkerung assoziiert, die Regierung zielte Berichten zufolge auf Städte und Nachbarschaften mit Belagerung, Beschuss und Luftangriffen auf Basis der Religionszugehörigkeit der Bewohner ab. Während sich Rebellen in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten identifizierten und eine Unterstützerbasis haben, die fast ausschließlich aus Sunniten besteht, und dadurch das Abzielen der Regierung konfessionell motiviert erscheint, merkten Beobachter jedoch an, dass zweifellos auch andere Motivationen für die Gewalt existierten. Experten argumentierten, dass Gewalt auf beiden Seiten oft religiös motiviert sei. Auch der IS ist für Menschenrechtsverletzungen Sunniten gegenüber verantwortlich.

Dies führte dazu, dass manche Mitglieder religiöser Minderheiten die Regierung Präsident Assads als ihren einzigen Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen. Gleichzeitig sehen sunnitische Araber viele der syrischen Christen, Alawiten und schiitischen Muslime aufgrund ihrer fehlenden Unterstützung oder Neutralität gegenüber der syrischen Revolution als mit der syrischen Regierung verbündet an. Die Minderheiten sind zwischen den konfessionellen Spannungen gefangen und in ihrer Loyalität gespalten. Viele entschieden sich dafür, das Regime zu unterstützen, da sie sich Schutz durch die syrische Regierung erhoffen, während andere Mitglieder von Minderheiten auf der Seite der Opposition stehen.

Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Assad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär. Nichtsdestotrotz werden auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter, Haft und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes außerdem zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen. Durch den Aufstieg und die Verbreitung von extremistischen bewaffneten Gruppen seit 2014 werden Minderheiten vermehrt Menschenrechtsverletzungen durch diese Organisationen ausgesetzt. Gruppierungen wie der IS oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Minderheiten, in Gebieten unter ihrer Kontrolle Angriffen und Unterdrückung ihrer Religionsfreiheit aus, und bestrafen jene hart, die gegen ihre Kontrolle sind.

In Gebieten, welche der IS kontrolliert, wurden Christen gezwungen eine Schutzsteuer zu zahlen, zu konvertieren oder liefen Gefahr getötet zu werden. In Raqqa hielt der IS tausende jesidische Frauen und Mädchen, die im Irak entführt und nach Syrien verschleppt wurden, gefangen, um sie zu verkaufen, oder um sie an seine Kämpfer als Kriegsbeute zu verteilen. Jabhat Fatah ash-Sham und einige verbündete Rebellengruppen zielen im Norden des Landes mit Bomben und Selbstmordattentaten auf Drusen und Schiiten ab, was laut Jabhat Fatah ash-Sham eine Reaktion auf das "Massaker an Sunniten" durch die Regierung sei. Oppositionelle Gruppen entführen Mitglieder religiöser Minderheiten. Da sich die Motive politischer, ethnischer, konfessioneller und religiöser Gewalt überschneiden, ist es schwierig, Übergriffe als lediglich religiös motiviert zu kategorisieren.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 59ff.)

1.2.4. Wehrdienst

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden.

Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt. Für männliche Syrer und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten.

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen. Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zurzeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe.

Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden. Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein. Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden. Die syrische Armee hat durch Todesfallen, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kampfer benötigt. Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden.

Wehrdienstverweigerung/Desertion

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft. Nach Verbüßen der Strafe muss der Wehrdienstverweigerer weiterhin den regulären Wehrdienst ableisten.

Bei einer Wehrdienstverweigerung hat man die Möglichkeit sich zu verstecken und das Haus nicht mehr zu verlassen, das Land zu verlassen, sich durch Bestechung freizukaufen oder einer anderen Gruppierung beizutreten. Bezüglich Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden. Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster. Wenn jemand den Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu "regularisieren", wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche "Regularisierung" schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (so genannte externe Desertion), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt.

In vielen Fällen erwartet Deserteure der Tod. Möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert, wobei die Behandlung eines Deserteurs auch davon abhängt wer er ist, welcher Konfession er angehört, wie wohlhabend er ist etc. Die große Sorge vieler ist hierbei auch, dass dies nicht nur den Tod des Deserteurs oder die Vergeltung gegen ihn, sondern auch Maßnahmen gegen seine Familie nach sich ziehen kann. Die gängige Vorgehensweise ist, Deserteure nicht zurück an die Front zu schicken, sondern sie zu töten. Berichten zufolge werden sie an Ort und Stelle erschossen. Theoretisch ist ein Militärgerichtsverfahren vorgesehen und Deserteure könnten auch inhaftiert und dann strafrechtlich verfolgt werden. Außergerichtliche Tötungen passieren dennoch. Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen. Im Gegensatz zum Beginn des Konfliktes haben sich mittlerweile die Gründe für Desertion geändert: Nun desertieren Soldaten, weil sie kampfmüde sind und dem andauernden Krieg entkommen wollen.

Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert.

Befreiung und Aufschub

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, die Situation in der Praxis ist jedoch anders. Präsident al-Assad versucht den Druck in Bezug auf den Wehrdienst zu erhöhen, und es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe beim Wehrdienst. Generell werden die Regelungen nun strenger durchgesetzt, außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden. Was die Regelungen zur Befreiung oder zum Aufschub des Wehrdienstes betrifft, so hat man als einziger Sohn der Familie noch die besten Chancen. Das Risiko der Willkür ist jedoch immer gegeben.

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, in den letzten zwei Jahren wird der Status von Studenten aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Kürzlich gab es eine Änderung bezüglich des Aufschubs aufgrund eines Lehramts-Studiums. Zuvor war es möglich, einen Aufschub des Wehrdienstes zu erwirken, wenn man ein Lehramts-Masterstudium begann, unabhängig davon welches Bachelor-Studium man zuvor absolviert hatte. Dieser Aufschubgrund funktioniert nun nur noch, wenn man auch den Bachelorabschluss im Lehramtsstudium gemacht hat.

Es gibt Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann, sondern schlicht Willkür darstellt. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden. Es gibt ein Gesetz, das syrischen Männern, die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben, gegen Zahlung eines Bußgeldes die Befreiung vom Militärdienst ermöglicht. Diese Gebühr wurde von 5.000 USD auf 8.000 USD erhöht.

Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein. Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Um sich ein "Pool" von potentiell zur Verfügung Stehenden zu sichern, wurde ein Dekret bezüglich Staatsangestellte und Wehrdienst erlassen: Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen. Hierzu gab es bereits Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers Imad Khamis, laut der "die Anstellung von jenen beendet werden soll, die den verpflichtenden Wehrdienst oder den Reservedienst vermeiden". Dieser Direktive folgten bereits Entlassungen, wobei nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß sie stattfinden. Gerade auch in alawitischen Gebieten gibt es eine Verbindung zwischen Staatsangestellten und der Notwendigkeit der Erfüllung bürgerlicher Pflichten.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 44 ff.)

Personen, die sich einem Schießbefehl widersetzten, desertierten oder einer geplanten Desertion verdächtigt wurden, werden in der Regel nicht formell angeklagt. Stattdessen wurden sie entweder zum Zeitpunkt der Desertion umgehend hingerichtet oder willkürlich inhaftiert, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und extralegal hingerichtet. Andere wurden nach einer Untersuchung zurück in ihre Einheit geschickt. Regierungskräfte griffen bei Verhaftungskampagnen in Gebieten, in denen ihrer Wahrnehmung nach die Opposition unterstützt wurde, gezielt Angehörige von Deserteuren heraus. Das Eigentum von Deserteuren wurde durch Plünderung und Brandstiftung zerstört.

Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandt) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet.

Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.

(UNHCR-Bericht: Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen, Stand:

Februar 2017, S. 12f. und S. 22ff.)

1.2.5. Frauen

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des IS, zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind. Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation und vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt. In oppositionellen Gebieten, welche von radikalislamistischen Gruppen kontrolliert werden (z.B. in Idlib oder umkämpften Gebieten östlich von Damaskus), sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Außerdem ist es schwierig für sie zu arbeiten, weil sie unter Druck stehen, zu heiraten. Dies hängt jedoch von der Region ab.

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die der IS kontrolliert(e), wurde ein Dokument veröffentlicht, welches Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt. Die Punkte waren unter anderem, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten (mahram) zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen. In Raqqa gründete der IS die "al-Khansaa"-Brigade, welche hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des IS bei anderen Frauen durchsetzen soll. Familien werden auch gezwungen ihre Töchter an IS-Kämpfer zu verheiraten. Jabhat Fatah ash-Sham [Anm.: vormals Jabhat al-Nusra] ist Frauen gegenüber etwas weniger restriktiv, die Situation ist jedoch ähnlich. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikalislamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet.

Frauen, deren Ehemänner als vermisst gelten, können sich unter bestimmten Umständen weder scheiden lassen, noch gelten sie als Witwen, solange es keinen Beweis für den Tod des Ehemannes gibt. Wenn der Ehemann vermisst wird, bleibt er dennoch der Vormund der Ehefrau, und sie gilt rechtlich weiterhin als verheiratet. Gleichzeitig hat sie aber den Ernährer der Familie verloren und ist so von ihrer Verwandtschaft abhängig. Dies gilt auch für Frauen, deren Männer inhaftiert sind, und die nicht wissen, ob diese überhaupt noch am Leben sind. Es gibt keinen rechtlichen Schutzmechanismus, der diesem Problem entgegenwirken würde. Dies kann zur Vulnerabilität von Frauen führen und sie dem Risiko einer Ausbeutung aussetzen, welche auch von Verwandten ausgehen kann.

Sexuelle Gewalt und deren Folgen

Vergewaltigungen sind weit verbreitet und die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigungen gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder ein, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden. Es passieren auch Vergewaltigungen durch Wächter und Sicherheitskräfte in Haftanstalten. Frauen und Mädchen sind besonders im Kontext von Hausdurchsuchungen, an Checkpoints, in Haftanstalten, an Grenzübergängen und nach einer Entführung durch regierungstreue Einheiten von sexueller Gewalt betroffen, während Männer und Jungen vor allem während Verhören in Haftanstalten der Regierung von sexueller Gewalt betroffen sind. Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung vollstreckt dieses Gesetz jedoch nicht. Außerdem kann der Täter Straffreiheit erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden. Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird. Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehrenmorden werden. Berichten von NGOs zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem starken Anstieg bei Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von Vergewaltigungen durch Regierungseinheiten und Ausbeutung durch den IS.

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten. Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können. Im Dezember 2017 hat das von Hay'at Tahrir ash-Sham gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib, die großteils von islamistischen Oppositionsgruppen kontrolliert wird, eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Shari'a-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für "jeden der sich nicht nach dieser Regelung richtet", es ist jedoch noch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wird.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 63ff.)

1.2.6. Rückkehr

Die Hauptfaktoren, die die Entscheidung zurückzukehren, beeinflussen, sind primär die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern, den Zustand des eigenen Besitzes/Grundstücks zu prüfen und in manchen Fällen auch die tatsächliche oder wahrgenommene Verbesserung der Sicherheitslage in Teilen des Landes. Andere Rückkehrgründe können eine Verschlechterung der ökonomischen Situation am Zufluchtsort oder soziokulturelle Probleme sein.

Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen. Im Prinzip steht es syrischen Staatsangehörigen frei, mit ihrem syrischen Pass (oder bei einer Ausreise in den Libanon: mit gültigem Personalausweis) über alle funktionsfähigen Grenzübergänge, einschließlich dem Flughafen Damaskus, das Land zu verlassen. Syrische Staatsangehörige müssen eine Ausreisegebühr in einer Höhe zahlen, die vom Ausreisepunkt (Landgrenze oder Flughafen) abhängt. Auf Grundlage des Gesetzes Nr. 18 aus dem Jahr 2014 kann die Ausreise oder Rückkehr ohne gültigen Pass oder ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt je nach Umständen des Einzelfalls Freiheits- und/oder Geldstrafen nach sich ziehen. Es ist nicht klar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt wird und ob Personen, die aus dem Ausland zurückkehren, gemäß Gesetz Nr. 18 von 2014 einer Strafverfolgung ausgesetzt sind.

Personen werden bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird. Oder der Person wird die Einreise nach Syrien erlaubt, sie muss sich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt erneut melden und verschwindet dann. Eine Person kann auch Opfer von Misshandlungen werden, ohne dass es dafür einen bestimmten Grund gibt.

Das System ist sehr unberechenbar. Bereits im Jahr 2012 hat ein britisches Gericht festgestellt, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr besteht, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seit dieser Feststellung hat sich die Situation weiter verschlimmert. Es kann jedoch auch sein, dass eine Person, trotz eines abgelehnten Asylantrages, auch nach der Rückkehr nach Syrien noch als Unterstützer des Assad-Regimes angesehen wird. Das syrische Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Asyl zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden.

Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien. Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland, auch deshalb, um oppositionelle Alternativen zum gegenwärtigen Regime zu unterbinden. Die Regierung überwacht Aktivitäten dieser Art im Ausland, auch in Österreich. Dass die syrische Regierung Kenntnis von solchen Aktivitäten hat, ist wahrscheinlich, und sie hat die Möglichkeit, ihr diesbezügliches Wissen zu nützen, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt. Eine Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten passiert hauptsächlich an Orten mit einer größeren syrischen Gemeinde, weil sich dort eher Informanten der Regierung befinden können. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen.

Im September 2017 sprach der damalige Generalmajor der syrischen Republikanischen Garden Issam Zahreddine eine Drohung gegen syrische Flüchtlinge aus. In einem Live-Interview mit dem syrischen Staatsfernsehen sagte er "Kehrt nicht zurück! Selbst wenn der Staat euch vergibt, wir werden niemals vergessen und verzeihen. Ein Rat von diesem Bart: Kommt nicht zurück!", umstehende Offiziere hätten dazu gelacht. Zum Berichtszeitpunkt befehligte er mehrere tausend Soldaten und leitete die Eroberung von Deir ez-Zour.

Offiziell gibt das Assad-Regime vor, eine "nationale Versöhnung" in Syrien anzustreben. Syrer, die nicht gegen die Regierung kämpften, hätten demnach nichts zu befürchten. Zahreddine, der im Oktober 2017 durch eine Landmine getötet wurde, entschuldigte sich später für die Aussage und sagte, dass sie missinterpretiert worden sei und er sich lediglich auf IS und Rebellenkämpfer bezog, die syrische Truppen getötet haben. Im Dezember 2017 besuchte Ali Haidar, der syrische Minister für nationale Versöhnung (Minister of State for National Reconciliation), den Südlibanon und rief syrische Flüchtlinge aus den Provinzen Hama und Aleppo dazu auf, nach Hause zurück zu kehren, unter der Behauptung, dass die Situation in den Provinzen stabil sei.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 87ff.)

Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, insbesondere aus den unter den Risikoprofilen unten beschriebenen Gründen, sind Berichten zufolge dem Risiko einer längeren incommunicado Haft und Folter ausgesetzt.

Für Rückkehrer besteht außerdem das Risiko, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht werden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet haben, weil sie aus einem Gebiet stammen, das sich unter der Kontrolle der Opposition befindet, oder weil sie aufgrund ihrer konservativen Kleidung als religiös wahrgenommen werden. Andere werden ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt.

(UNHCR-Bericht, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen vom Februar 2017 [deutsche Version April 2017], S. 5ff.)

1.2.7. Risikogruppen

In seinen Richtlinien "zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" vom November 2017 geht UNHCR u.

a. von folgenden "Risikoprofilen" aus:

* Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen (u.a. Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern [Wehrdienstverweigerern])

* Mitglieder religiöser Gruppen (u.a. Sunniten)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zu den Beschwerdeführern und Beschwerdeführerinnen basieren auf ihren vorgelegten Unterlagen, ihren glaubwürdigen Angaben sowie den aktuellen Strafregisterauskünften. Die belangte Behörde hat die Identität der Beschwerdeführer/innen anhand der Pässe festgestellt, auch wurde der belangten Behörde ein Auszug aus dem Familienbuch vorgelegt.

Dass der Sohn bzw. Bruder der Beschwerdeführer/innen, XXXX , bereits vor Erreichung der Wehrpflicht ausgereist ist und in Deutschland lebt, basiert auf den glaubwürdigen Aussagen der Beschwerdeführer/innen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und seines Bruders XXXX bei dessen Einvernahme im Rahmen seines Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz.

Dass die belangte Behörde dem Sohn bzw. Bruder der Beschwerdeführer/innen, XXXX , den Status eines Asylberechtigten zuerkannte, ergibt sich aus dem Bescheid der belangten Behörde vom 07.11.2014, Zl. XXXX . Die Asylgründe ergeben sich aus dem zugehörigen Akt.

Dass nach den vorweg ausgereisten Söhnen bzw. Brüdern der Beschwerdeführer/innen bereits von den Sicherheitskräften gefragt wurde, ergibt sich aus den Aussagen der Erst- bis Drittbeschwerdeführer/innen. Die Zweitbeschwerdeführerin hat bereits bei der Erstbefragung angegeben, dass nach ihren Söhnen gefragt worden sei. Weiters hat der Erstbeschwerdeführer bei der Einvernahme vor der belangten Behörde angegeben, dass mehrere Male Sicherheitskräfte zu ihnen gekommen seien, die nach ihren Söhnen gefragt hätten. Dies hätte jedoch nach einer gewissen Zeit wieder aufgehört. Auch vor dem Bundesverwaltungsgericht haben die Erst- bis Drittbeschwerdeführer/innen ausgeführt, dass diese Befragungen stattgefunden haben. Dass dabei die Beschwerdeführer/innen mit genauen Zeitangaben Probleme hatten (dies scheint ein generelles Problem zu sein, da der Erstbeschwerdeführer auch die Ausreise seines Sohnes XXXX einmal mit 2012 und ein anderes Mal mit 2013 datierte), ändert nichts an der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit der Tatsache, dass Befragungen stattgefunden haben, wenngleich diese offenbar nicht unmittelbar fluchtauslösend waren, sondern die Beschwerdeführer/innen noch einige Monate in Syrien geblieben sind.

Aufgrund der Länderberichte ist davon auszugehen, dass Personen bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert werden. Da der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin bereits von Sicherheitskräften zum Verbleib ihrer Söhne befragt wurden, sind die Beschwerdeführer/innen bereits in das Blickfeld der syrischen Sicherheitskräfte geraten und würden bei einer Einreise die besondere Aufmerksamkeit der Behörden auf sich ziehen. In diesem Zusammenhang

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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