Entscheidungsdatum
15.05.2019Norm
BVergG 2006 §105Spruch
W134 2215377-2/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas Gruber als Vorsitzender sowie Mag. Georg Konetzky als fachkundiger Laienrichter der Auftraggeberseite und Mag. Hagen Pleile als fachkundiger Laienrichter der Auftragnehmerseite betreffend das Vergabeverfahren "Einmalkatheter" der Auftraggeberin Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Schramm Öhler Rechtsanwälte OG, Bartensteingasse 2, 1010 Wien, aufgrund der Anträge der XXXX , vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Schubertring 6, 1010 Wien, vom 01.03.2019 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.04.2019 zu Recht erkannt:
A)
Der Antrag "die im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 07.02.2019 (2019/S 027- 059617) bekannt gemachte Ausschreibung zur Gänze für nichtig zu erklären, in eventu diese dahingehend für nichtig zu erklären, dass in sämtlichen Losen jeweils folgende Festlegung zu streichen ist: "Die Einmalkatheter sind PVC-frei"" wird gemäß § 342 BVergG 2018 abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Vorbringen der Parteien:
Mit Schreiben vom 01.03.2019, beim BVwG eingelangt am gleichen Tag, begehrte die Antragstellerin die am 07.02.2019 bekanntgemachte Ausschreibung zur Gänze für nichtig zu erklären, in eventu diese dahingehend für nichtig zu erklären, dass in sämtlichen Losen jeweils folgende Festlegung zu streichen ist: "Die Einmalkatheter sind PVC-frei", die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, Akteneinsicht, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung und den Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren durch die Auftraggeberin.
Begründend wurde von der Antragstellerin im Wesentlichen folgendes ausgeführt:
Mit EU-weiter Bekanntmachung vom 07.02.2019, habe die Auftraggeberin ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich über die Lieferung von "Einmalkatheter" nach dem Bestbieterprinzip eingeleitet. Bei dem gegenständlichen Auftrag handle es sich um einen Lieferauftrag. Angefochtene Entscheidung sei die am 07.02.2019 bekanntgemachte Ausschreibung. Bei der Ausschreibung vom 07.02.2019 handle es sich gemäß § 2 Z 15 lit a sublit aa BVergG 2018 um eine gesondert anfechtbare Entscheidung in einem offenen Verfahren. Zur Rechtswidrigkeit der Ausschreibung gab die Antragstellerin zusammengefasst folgendes an:
1. Unzulässiges Abgehen von geeigneten Leitlinien und standardisierten Leistungsbeschreibungen: Die von der Auftraggeberin gewählte Materialeigenschaft "PVC-frei" stelle ein gänzliches Abweichen insbesondere von der ÖNORM EN ISO 20697 dar. In keiner Weise verbiete die ÖNORM eine Verwendung des Stoffes PVC bei der Produktion von Kathetern. Das gänzliche Abweichen der Auftraggeberin von dieser Normbestimmung sei medizinisch in keiner Weise begründbar und stelle, mangels Bedachtnahme der Leistungsverzeichnisse auf die ÖNORM, eine Verletzung des § 105 Abs 3 BVergG dar.
2. Unzulässigkeit der diskriminierenden, wettbewerbsbeschränkenden und unsachlichen technischen Spezifikationen: Die Auftraggeberin habe technische Spezifikationen festgelegt, die von den gebräuchlichen und sachgerechten Standardregelungen für einschlägige Produkte durchgängig abweichen würden. Insbesondere sei die Einzelbestimmung zur PVC-Freiheit inhaltlich in keiner Weise nachvollziehbar. Eine (allgemeine) PVC-Freiheit entspreche weder dem Stand der Technik noch sei sie aus Gründen der Patientensicherheit sachlich gerechtfertigt. PVC sei kein gesundheitsgefährdender Stoff. Die Produktspezifikationen der gegenständlichen Ausschreibung sei auf die Produkte einiger weniger Anbieter zugeschnitten. Allen übrigen einschlägigen Anbietern würde faktisch eine Beteiligung an der gegenständlichen Ausschreibung verunmöglicht oder zumindest erheblich erschwert werden. Die Ausschreibung sei daher rechtswidrig und für nichtig zu erklären.
Die Antragstellerin habe ein Interesse am Vertragsabschluss, es drohe ihr ein Schaden und ihre Rechte würden verletzt.
Mit Schreiben der Auftraggeberin vom 05.03.2019 gab diese bekannt, dass Auftraggeberin die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte OG, Bartensteingasse 2, 1010 Wien, sei. Bei dem gegenständlichen Vergabeverfahren handle es sich um einen Lieferauftrag im Oberschwellenbereich der in einem offenen Verfahren nach dem Bestbieterprinzip vergeben werden solle. Die Bekanntmachung in Österreich sei am 04.02.2019, in der EU am 04.02.2019 erfolgt. Die Angebotsöffnung habe noch nicht stattgefunden. Angebote hätten ursprünglich bis 11.3.2019 abgegeben werden müssen. Mit Infomail vom 4.3.2019 habe die Auftraggeberin die Angebotsfrist auf 24.4.2019, 11:00 Uhr, erstreckt.
Mit Beschluss des BVwG vom 11.3.2019, W134 2215377-1/2E, wurde der Lauf der Angebotsfrist für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens ausgesetzt.
Mit Schreiben der Auftraggeberin vom 11.3.2019 brachte diese im Wesentlichen vor, dass anders als noch im BVergG 2006 wonach geeignete Leitlinien heranzuziehen gewesen seien, gemäß § 105 Abs. 3 BVergG 2018 auf allenfalls vorhandene geeignete Leitlinien lediglich Bedacht zu nehmen sei. Der Auftraggeber habe bei der Formulierung der technischen Spezifikationen eines Auftrages ein weites Ermessen. Ein Abweichen der Antragsgegnerin von der ÖNORM EN 20697 sei jedenfalls vergaberechtskonform und begründete dies mit medizinischen, ethischen, ökologischen und umwelttechnischen Gründen.
Mit Schreiben der Antragstellerin vom 02.04.2019 brachte diese eine ergänzende Stellungnahme vor. Darin stimmte sie der Auftraggeberin zu, dass die ÖNORM EN 1616/A1 aufgrund ihrer Rückziehung am 1.2.2019 keine geeignete Leitlinie darstelle und verwies auf die Nachfolge ÖNORM EN ISO 20696, welche gegenständlich relevant sei.
Am 8.4.2019 fand darüber im BVWG eine mündliche Verhandlung statt.
Dabei wurde unter anderem folgendes vorgebracht:
" XXXX : Die Tatsache, dass nur PVC-freie Katheter in der gegenständlichen Ausschreibung beschafft werden sollen, ergibt sich aus S. 1 des Leistungsverzeichnisses Punkt 1.1. "Die Einmalkatheter sind PVC-frei und der Tatsache, dass es sich um eine mit "M" gekennzeichnete Mussanforderung handelt. Diese Anforderung gibt es bei allen 4 Losen. Der Wiener Krankenanstaltenverbund hat bereits im Jahr 1992 sein Positionspapier "ÖkoKauf Wien" erstellt mit dem die Stadt Wien die Vermeidung von PVC-hältigen Substanzen anstrebt. Das war der Auslöser, warum wir PVC-freie Einmalkatheter beschaffen wollen. Bisher haben wir auch PVC-hältige Einmalkatheter verwendet. Wir übergeben der AST den Endbericht des Lebensministeriums und des Wiener KAV: Identifikation von PVC-freien Artikeln und Forcierung der Herstellung und des Einsatzes von PVC-freien medizinischen Artikeln. Dieser Endbericht vom Jänner 2006 besagt im Wesentlichen, dass tunlichst medizinische Artikel ohne PVC einzusetzen sind. Ich verweise darauf, dass in der Kurzzusammenfassung dieses Endberichts aus 2006, S. 2, 2. Spiegelstrich im Zusammenhang mit dem 4. Spiegelstrich sich ergibt, dass auf Grund der langen Applikationsdauer von Kathetern am Patienten eine Substitution durch PVC-freie Systeme zu begrüßen ist.
R: Welche anderen Krankenanstalten verwenden PVC-freie Katheter?
XXXX : Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) verzichtet seit dem Jahr 2001 bei dem invasiven Einsatz von Medizinprodukten auf PVC-haltige Medizinprodukte. Dies ergibt sich aus Telefonaten, die ich im 4. Quartal 2018 mit dem Einkaufsleiter des KAV geführt habe. Dies ergibt sich auch aus dem Endbericht des KAV vom Jänner 2006, S. 11 ff.
R: Wie viele Anbieter von PVC-freien Kathetern gibt es am Markt und welche sind diese?
XXXX : Die AUVA hat eine Markterkundung gestartet. Abgabetermin der Markterkundung oder für die Interessensbekundung war März 2018 und das Ergebnis der Markterkundung war, dass 3 Hersteller, nämlich Coloplast, Firma Dentsply und Firma B Braun PVC-freie Einmalkatheter herstellen und das darüber hinaus ein umfangreiches Händlernetz für den Handel mit PVC-freien Einmalkathetern besteht. Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass neben den genannten 3 Interessenten an der Markterkundung noch andere Hersteller von PVC-freie Einmalkathetern am Markt existieren. Alle 3 genannten sind nach wie vor lieferbereit.
R: Was ist das Ziel der AG, wenn sie PVC-Freiheit bei den zu beschaffenden Einmalkathetern fordert?
XXXX : Ziel der AG ist die Patientensicherheit und die Artikelharmonisierung. Patientensicherheit deshalb, weil PVC-hältige Einmalkatheter Weichmacher enthalten und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Schädigungen Erkrankungen entstehen können.
XXXX : Aus ethischer Sicht muss dem Patienten ein Medizinprodukt verschrieben werden mit möglichst geringem Risiko von Folgeschäden. Es sind Katheter am Markt, die PVC-frei und somit weichmacherfrei sind. Es sind Katheter am Markt die aus PVC bestehen und daher Weichmacher enthalten. Nachdem es für verschiedene Weichmachergruppen nachgewiesenermaßen Gesundheitsrisiken gibt, ist aus ärztlicher Sicht die Verordnung PVC-freier Produkte als Standardprodukt wegen des aus heutiger Sicht geringerem Risikos für Folgeschäden zu bevorzugen. Auch wenn es für gewisse Weichmacher aus heutiger Sicht keinen Nachweis an Gesundheitsschädigung gibt, so ist das potentielle Risiko, dass später doch herausgefunden werden könnte, dass damit Risiken verbunden sind, zu vermeiden und daher diese Weichmacherprodukte nicht zu verwenden. Ich möchte tunlichst eine ärztliche Haftung für mich und für meinen Dienstgeber vermeiden.
R: Was genau regelt diesbezüglich die ÖNORM und welche?
XXXX : Die einschlägigen ÖNORMEN EN ISO 20696 gibt keine Vorgaben zu einem bestimmten Material der Einmalkatheter.
XXXX : Dem im obigen Absatz Gesagten betreffend die ÖNORMEN wird zugestimmt.
R: Weichen Sie mit Ihrer PVC-freien Beschaffung von der ÖNORM ab?
XXXX : Nein.
XXXX : In der ÖNORM ISO 20696 steht unter Punkt 5.2, dass das Produkt frei von biologischen Gefahren im entsprechenden Testverfahren sein soll. Die Produkte der AST und auch vieler anderer Wettbewerber am Markt entsprechen genau dem. Das gesamte Vorbringen der AG bezieht sich auf DEHP weichgemachtes PVC. Die Produkte der AST enthalten nicht den Weichmacher DEHP, sondern den Weichmacher TOTM. Ausgehend von einer intensiven Testung des Weichmachers DEHP wurden auch die alternativen Weichmacher, wie insbesondere TOTM intensiv getestet. Anders ist dies hier im Zusammenhang mit den neuen Stoffen oder Stoffgruppen (POBE bzw. TPU) welche PVC-frei sind. Die von diesen Stoffgruppen ausgehenden potenziellen Gefahren und Risiken sind mit heutigem Stand nicht annähernd entsprechen Teststudien unterzogen worden wie die Weichmacher bei PVC. Man weiß noch viel weniger über die Risiken dieser Stoffgruppen als über die Risiken von getesteten Weichmachern von PVC. Das liegt unter anderem auch daran, dass im Zusammenhang mit der Stoffgruppe POBE die genaue Zusammensetzung von POBE nicht transparent dargestellt wird und auf Grund deren Vielfalt auch nicht getestet werden konnte. Wenn man ein Produkt aus POBE oder TPU kauft, kauft man die Katze im Sack.
XXXX : Die heute verwendeten Einmalkatheter haben eine Gleitbeschichtung die entweder schon fertig auf dem Katheter ist oder aufgebracht wird bei der Anwendung. Es kommt zu keinen Problemen der Reibung und des Abriebs.
XXXX : Zum Thema nachhaltige Beschaffung: Das Positionspapier der Stadt Wien aus 1992 bezieht sich nicht auf Medizinprodukte, sondern generell auf Produkte des täglichen Bedarfs wie z.B. Plastiksackerl. Haben Sie sich in der selben Intensität betreffend die Risiken und Umweltauswirkungen mit der Sie sich mit Weichmachern beschäftigt haben, auch mit alternativen Materialien beschäftigt?
XXXX : Ja. Damit hat sich die AG beschäftigt und es gibt soweit derzeit ersichtlich keine Nachweise für die alternativen Materialien POBE und TPU, die eine vergleichbar hohe Schädlichkeit, wie für viele Weichmacher die in PVC Produkten verwendet werden, nachgewiesen wird. Es kann einer AG nicht überbürdet werden, gleichsam wissenschaftliche Forschungsarbeiten zu Produkten anzustellen, für die noch keine so detaillierte Faktenlage vorhanden ist, wie für PVC Produkte.
XXXX : Wir bestreiten, das Vorbringen der AST, dass sich das gesamte Vorbringen der AG auf den Weichmacher DEHP beziehe. Richtig ist, dass die AG die potenzielle Gefährlichkeit sämtliche Weichmacher in PVC vermeiden will. Die Thematik der potenziellen Gefährlichkeit sämtlicher Weichmacher in PVC wird auch im Punkt 2.1.4 (S. 5 des Endberichts des KAV Beilage ./6) behandelt. Das Papier "ÖkoKauf Wien" der Stadt Wien aus 1992 wird laufend aktualisiert, zuletzt geschah dies 2011. Es handelt sich somit nicht um ein antiquiertes Papier.
XXXX : Ich möchte dem entgegenhalten, dass die Beilage ./6 aus dem Jahr 2006 ist. Zu diesem Zeitpunkt hat es nur wenige Daten über toxische und ökologische Wirkungen zu alternativen Weichmachern gegeben. In der Zwischenzeit gibt es aktuelle Studien (z.B. aus dem Jahr 2017) die zu dem Ergebnis kommen, das TOTM der präferierte Weichmacher für Medizinprodukte ist. Ich verweise zu dieser Studie auf die Fußnote 6, auf S. 7 meines Schreibens vom 02.04.2019. Ich lege vor ein Gutachten Nr. 1907, von XXXX , vom 27.03.2019.
Das Gutachten wird auch der AG übergeben.
XXXX : Die AG hat eine vergaberechtskonforme Systementscheidung getroffen, siehe VWGH 21.12.2016, 2016/04/0133; BVA vom 06.11.2013, N/0090-BVA/12/2013-20a). Die Gründe für die Entscheidung hat die AG im Vergabeakt dokumentiert.
XXXX : Der Ausschluss einer Stoffgruppe stellt keine Systemwahl dar."
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt (schlüssiges Beweismittel)
Die Auftraggeberin Allgemeine Unfallversicherungsanstalt hat einen Lieferauftrag im Wege eines offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Bekanntmachung in Österreich ist am 04.02.2019, in der EU am 04.02.2019 erfolgt. Das Ende der Angebotsfrist war ursprünglich für den 11.3.2019 vorgesehen und ist nach einer Fristerstreckung für den 24.04.2019, 11:00 Uhr, festgesetzt worden. (Schreiben der Auftraggeberin vom 05.03.2019).
Mit der gegenständlichen Ausschreibung sollen nur PVC-freie Katheter beschafft werden. Diese Anforderung gibt es bei allen 4 Losen. (S. 1 des Leistungsverzeichnisses Punkt 1.1.)
Die ÖNORM EN ISO 20697, "Sterile urethral catheters for single use", Punkt 5.2, lautet:
"5.2 Biocompatibility
The device shall be free from biological hazard in accordance with appropriate testing under ISO 10993-1." (ÖNORM EN ISO 20697, Edition: 2019-02-01)
2. Beweiswürdigung:
Dieser Sachverhalt ergibt sich schlüssig aus den in Klammer genannten Quellen, deren Echtheit und Richtigkeit außer Zweifel steht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die Ausschreibungsunterlagen sind nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt auszulegen (VwGH 17. 6. 2014, 2013/04/0029; VwGH 14. 4. 2011, 2008/04/0065; VwGH 15. 3. 2017, Ra 2014/04/0052).
Mit der gegenständlichen Ausschreibung sollen bei allen 4 Losen nur PVC-freie Katheter beschafft werden.
Die Antragstellerin hat vorgebracht, die von der Auftraggeberin in der Ausschreibung gewählte Materialeigenschaft "PVC-frei" sei rechtswidrig und stelle ein gänzliches Abweichen von der ÖNORM EN ISO 20697, Punkt 5.2, dar.
Die ÖNORM EN ISO 20697, Punkt 5.2, welche nur in englischer Sprache vorliegt, wurde von der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung so übersetzt, dass das Produkt (Anmerkung: also der Einmalkatheter) frei von biologischen Gefahren im entsprechenden Testverfahren sein soll. Wie die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung selbst zugestanden hat, gibt die ÖNORM EN ISO 20696 somit keine Vorgaben zu einem bestimmten Material der Einmalkatheter. Gemäß § 105 Abs. 3 BVergG 2018 ist für die Beschreibung oder Aufgliederung bestimmter Leistungen auf geeignete Leitlinien wie ÖNORMEN oder standardisierte Leistungsbeschreibungen Bedacht zu nehmen, wenn diese vorhanden sind. Da die oben genannte ÖNORM keine Vorgaben zu einem bestimmten Material der Einmalkatheter macht, konnte die Auftraggeberin darauf auch nicht Bedacht nehmen. Der diesbezügliche Vorwurf der Antragstellerin geht daher ins Leere.
Der EuGH führte in seinem Urteil vom 25.10.2018, C-413/17, Roche Lietuva, welches die Lieferung von medizinischem Material betraf, unter anderem Folgendes aus:
"29 Zum anderen ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass die Unionsregelung über die technischen Spezifikationen dem öffentlichen Auftraggeber ein weites Ermessen bei der Formulierung der technischen Spezifikationen eines Auftrags einräumt.
35 Weiter wird in Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 klargestellt, dass das Vergabeverfahren nicht mit der Absicht konzipiert werden darf, es vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken und dass eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs als gegeben gilt, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.
40 Nach alledem hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die besondere Detailliertheit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden technischen Spezifikationen unter Berücksichtigung des Ermessens, über das der öffentliche Auftraggeber verfügt, um die technischen Spezifikationen nach qualitativen Anforderungen anhand des Auftragsgegenstands festzulegen, nicht dazu führt, einen Bieter mittelbar zu begünstigen.
41 Wichtig ist auch, dass der Detaillierungsgrad der technischen Spezifikationen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt, was insbesondere eine Prüfung der Frage erfordert, ob dieser Detaillierungsgrad zur Erreichung der verfolgten Ziele notwendig ist.
42 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt besonders für den sensiblen Bereich der Gesundheit der Bevölkerung. Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs geht nämlich hervor, dass bei der Prüfung, ob ein Mitgliedstaat den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesem Bereich beachtet hat, zu berücksichtigen ist, dass unter den vom AEU-Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang einnehmen und dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Da dieses Niveau sich von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, ist den Mitgliedstaaten ein entsprechender Beurteilungsspielraum zuzuerkennen (Urteil vom 8. Juni 2017, Medisanus, C-296/15, EU:C:2017:431, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung)."
Entsprechend diesem EuGH Urteil ist dem öffentlichen Auftraggeber bei der Formulierung der technischen Spezifikationen eines Auftrags ein weites Ermessen einräumt.
Allerdings darf der Wettbewerb nicht künstlich eingeschränkt werden was als gegeben gilt, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Auch ist zu prüfen, ob die besondere Detailliertheit der gegenständlichen technischen Spezifikationen nicht dazu führt, dass ein Bieter mittelbar begünstigt wird, wobei der Detaillierungsgrad der technischen Spezifikationen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren soll. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist zu berücksichtigen, dass unter den vom AEU-Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang einnehmen.
Mit der gegenständlichen Ausschreibung sollen bei allen 4 Losen nur PVC-freie Katheter beschafft werden. Es ist somit zu prüfen, ob mit diesem Detaillierungsgrad der technischen Spezifikationen bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise bevorzugt werden oder ein Bieter mittelbar begünstigt wird und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.
Die ärztliche Leiterin des Rehabilitationszentrum Weißer Hof und allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige XXXX hat in der mündlichen Verhandlung Folgendes angegeben:
"Aus ethischer Sicht muss dem Patienten ein Medizinprodukt verschrieben werden mit möglichst geringem Risiko von Folgeschäden. Es sind Katheter am Markt, die PVC-frei und somit weichmacherfrei sind. Es sind Katheter am Markt die aus PVC bestehen und daher Weichmacher enthalten. Nachdem es für verschiedene Weichmachergruppen nachgewiesenermaßen Gesundheitsrisiken gibt, ist aus ärztlicher Sicht die Verordnung PVC-freier Produkte als Standardprodukt wegen des aus heutiger Sicht geringerem Risikos für Folgeschäden zu bevorzugen. Auch wenn es für gewisse Weichmacher aus heutiger Sicht keinen Nachweis an Gesundheitsschädigung gibt, so ist das potentielle Risiko, dass später doch herausgefunden werden könnte, dass damit Risiken verbunden sind, zu vermeiden und daher diese Weichmacherprodukte nicht zu verwenden. Ich möchte tunlichst eine ärztliche Haftung für mich und für meinen Dienstgeber vermeiden."
Den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von XXXX ist zu folgen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt, da dem Interesse der Gesundheit und des Lebens von Menschen der höchste Rang eingeräumt wurde.
Wie die Auftraggeberin in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen und glaubhaft angab, ergab ihre Markterkundung, dass zumindest drei Hersteller PVC-freie Einmalkatheter herstellen und ein umfangreiches Händlernetz für den Handel mit PVC-freien Einmalkathetern besteht. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass die Einschränkung auf PVC-freie Katheter bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise bevorzugt oder einen Bieter mittelbar begünstigt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Auftraggeberin das ihr eingeräumte weite Ermessen bei der Formulierung der technischen Spezifikationen des gegenständlichen Auftrags in zulässiger Weise und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrend rechtskonform ausgeübt hat.
4) Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu die im Erkenntnis zitierten Erkenntnisse des VwGH) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Auslegung der Ausschreibung, Ermessen, Lieferauftrag, mündlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W134.2215377.2.00Zuletzt aktualisiert am
03.10.2019