TE Vwgh Erkenntnis 1998/11/10 98/11/0181

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Veröffentlicht am 10.11.1998
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Index

68/01 Behinderteneinstellung;

Norm

BEinstG §2 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der E in W, vertreten durch Dr. Peter Bock, Rechtsanwalt in Wien VI, Capistrangasse 2/19, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. Mai 1998, Zl. MA 15-II-BEG 167/97, betreffend Anerkennung als begünstigte Behinderte, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 18. Juni 1996 auf Feststellung ihrer Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 Abs. 1 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) abgewiesen.

In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 erster Satz BEinstG sind begünstigte Behinderte im Sinne dieses Gesetzes österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. Gemäß § 3 Abs. 2 leg. cit. sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 ... mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, daß Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Die belangte Behörde hat ein amtsärztliches Gutachten über den Grad der Behinderung ("Einschätzung gemäß § 7 KOVG") eingeholt. Dieses mit 14. April 1998 datierte Gutachten listet vier Gesundheitsstörungen auf, die mit Behinderungsgraden von (zweimal) 20 v.H. und (zweimal) 10 v.H. verbunden seien. Der führende Wert von 20 v.H. werde durch die anderen Leidenskomponenten um eine Stufe erhöht, sodaß der Gesamtgrad der Behinderung 30 v.H. betrage. Die belangte Behörde schloß sich diesem Gutachten an und kam so zur Abweisung des Antrages.

Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, daß zwei bei ihr vorliegende Leidenskomponenten überhaupt nicht berücksichtigt und zwei der berücksichtigten Leidenskomponenten zu niedrig eingeschätzt worden seien. Bei diesem Vorbringen muß sie sich entgegenhalten lassen, daß ihr das Gutachten vom 14. April 1998 zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit eingeräumt worden ist, dazu Stellung zu nehmen. Von dieser Möglichkeit hat sie keinen Gebrauch gemacht. Unter diesem Gesichtspunkt konnte sich die belangte Behörde dem Gutachten anschließen, es sei denn, es wäre offenkundig unschlüssig oder unvollständig.

In diese Richtung geht auch das Beschwerdevorbringen. Die Beschwerdeführerin rügt zunächst, daß ein Leidenszustand, der von ihr im Antrag vom 18. Juni 1996 genannt worden war und der auch Gegenstand des Verfahrens der Erstbehörde, des Bundessozialamtes Wien, Niederösterreich, Burgenland, war - ein Nierenleiden - im Gutachten vom 14. April 1998 und im angefochtenen Bescheid überhaupt keine Berücksichtigung gefunden habe.

Dieses Nierenleiden war aber in dem dem Erstbescheid zugrunde gelegten Sachverständigengutachten vom 30. Oktober 1996 als Gesundheitsschädigung mit einem Grad der Behinderung von weniger als 20 v.H., die auch im Zusammenwirken mit anderen Gesundheitsschädigungen keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursache, bezeichnet worden. In der Beschwerde wird erstmals in Frage gestellt, ob diese Einschätzung zutreffend war. Eine konkrete Behauptung in dieser Richtung wurde nicht aufgestellt. In Ansehung dieses Leidens kann die Schlüssigkeit des Gutachtens in Ansehung dieser Gesundheitsschädigung vom 14. April 1998 - seine Richtigkeit könnte nur durch ein ärztliches Gegengutachten in Frage gestellt werden - nicht erschüttert werden.

In Ansehung der als Leidenszustand anerkannten und mit einem Grad der Behinderung von 20 v.H. eingestuften Pigmentstörung macht die Beschwerdeführerin geltend, dieser Behinderungsgrad müßte zutreffenderweise höher angenommen werden. Diesbezüglich fällt auf, daß im Gutachten des erstinstanzlichen Verfahrens der Grad der durch die Pigmentstörung bewirkten Behinderung tatsächlich höher, nämlich mit 30 v.H. angegeben worden war. Es fehlt jegliche Auseinandersetzung der belangten Behörde mit dieser Einschätzung. Dasselbe gilt für den weiteren mit einem Behinderungsgrad von 20 v.H. angenommenen Leidenszustand - eine Persönlichkeitsstörung (histriotisches Zustandsbild); auch dieser war im Gutachten vom 30. Oktober 1996 mit 30 v.H. qualifziert worden. Das Nichteingehen auf diese höheren Einschätzungen stellt einen Verfahrensmangel dar, dem die Wesentlichkeit nicht abgesprochen werden kann, weil für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar ist, aus welchen Gründen die Herabsetzung durch die Sachverständige der belangten Behörde erfolgt ist. Eine Auseinandersetzung mit den Einschätzungen im erstinstanzlichen Verfahren fand nicht statt, weder im Gutachten vom 14. April 1998 noch im angefochtenen Bescheid. Diese Auseinandersetzung hätte dazu führen können, daß von höheren Behinderungsgraden auszugehen wäre. Dazu kommt, daß die Beschwerdeführerin in Übereinstimmung mit der Aktenlage des erstinstanzlichen Verfahrens betont, die Pigmentstörung fände sich am ganzen Körper auch an üblicherweise nicht bedeckten Körperteilen (den Händen), sodaß ein Behinderungsgrad von 50 v.H. anzunehmen gewesen wäre.

Einen weiteren Begründungsmangel erblickt der Verwaltungsgerichtshof darin, daß nicht ausreichend dargetan wurde, wieso die belangte Behörde gemäß § 3 der Richtsatzverordnung zum KOVG 1957 das Zusammentreffen mehrerer Leiden nur zum Anlaß für die Erhöhung des Grades der Behinderung um 10 v.H. genommen hat.

Was schließlich die Beschwerdeausführungen hinsichtlich eines weiteren Leidenszustandes - einer Agraphie (Schreibstörung) - anlangt, wurde derartiges von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht konkret geltend gemacht. Diese Ausführungen verstoßen daher gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot.

Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 10. November 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998110181.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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