TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/23 L504 2216636-1

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Veröffentlicht am 23.05.2019
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Entscheidungsdatum

23.05.2019

Norm

BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §53
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
StGB §107 Abs1
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L504 2216636-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Bitsche, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG idgF sowie § 70 Abs. 3 FPG idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Aus dem von der Behörde dargestellten und unbestritten gebliebenen Verfahrensgang ergibt sich Folgendes (Auszug aus dem Bescheid des Bundesamtes):

"[...]

Sie sind im Rahmen einer Familienzusammenführung am 17.08.2002 mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern nach Österreich immigriert. Seit der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet besitzen Sie den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EU"

Sie wurden vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen § 84 (4) und § 107 (1) StGB rechtskräftig verurteilt. Diese Umstände zeigen Ihre Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Auf Grund dieser Verurteilung wurde seitens der Behörde ein Verfahren gem. §67 Absatz 2 FPG gegen Sie eingeleitet.

Die Absicht der Behörde ein Aufenthaltsverbot zu erlassen wurde Ihnen im Rahmen der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 14.11.2018 mitgeteilt, in welcher Sie zur Stellungnahme aufgefordert wurden. Sie legten eine Stellungnahme vor.

Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

B) Beweismittel

Die Behörde zog die folgenden Beweismittel heran:

? Von Ihnen vorgelegte Beweismittel:

-

Ihre Stellungnahme vom Dezember 2018

-

Meldezettel

-

Lebenslauf

-

Lehrabschlussprüfungszeugnis

-

Berufsschulabschlusszeugnis

-

Lohnabrechnungen für die Monate August, September, Oktober

-

Bestätigungen über Mietzahlungen

-

Kopie Aufenthaltstitel

? Weitere von der Behörde herangezogene Beweismittel:

-

Alle Unterlagen aus dem Akt zur IFA-Zahl XXXX

[...]"

Das Bundesamt hat folglich entschieden:

"I. Gemäß § 67 Absatz 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein für die Dauer von 7 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

II. Gemäß § 70 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird Ihnen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt.

Dagegen wurde innerhalb offener Frist durch den Rechtsfreund der bP Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

Das Bundesamt traf im angefochtenen Bescheid nachfolgende Feststellungen:

"[...]

Zu Ihrer Person:

Sie sind nicht österreichischer Staatsbürger, somit Fremder.

Sie sind Staatsangehöriger der Türkei.

Ihre Identität steht fest. Sie sind ledig und kinderlos.

Sie sind gesund und arbeitsfähig.

Zu Ihrem Aufenthalt in Österreich:

Sie sind im Rahmen einer Familienzusammenführung am 17.08.2002 mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern nach Österreich immigriert. Seit der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet besitzen Sie den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EU".

Sie fallen im Bundesgebiet seit 2011 immer wieder durch strafbare Handlungen im Bereich der Gewaltdelikte auf.

Sie wurden zudem vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen § 84

(4) und § 107 (1) StGB rechtskräftig verurteilt. Diese Umstände zeigen Ihre Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

Aufgrund Ihrer Arbeitstätigkeit von über einem Jahr bei der gleichen Firma, fallen Sie unter das Assoziationsabkommen und sind somit als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie sind im Rahmen einer Familienzusammenführung am 17.08.2002 mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern nach Österreich immigriert. Seit der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet besitzen Sie den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EU".

Sie sind ledig und haben keine Kinder.

Sie absolvierten Ihre gesamte Schulbildung in Österreich. Nach der 9-jährigen Pflichtschule fingen Sie mit dem Lehrberuf "Elektrotechnik-Elektro und Gebäudetechnik" an. Am 19.03.2015 schlossen Sie Ihre Ausbildung mit gutem Erfolg ab.

Sie leben mit Ihren Eltern und 2 Geschwistern in einer Gemeindewohnung in Wien.

Sie haben in Österreich noch andere Angehörige. Auch leben noch 2 Brüder und andere Angehörige (Onkel, Schwägerin) im Bundesgebiet.

Sie gingen während Ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet mehreren kurzfristigen Erwerbstätigkeiten nach, wobei die längste Anstellung nur 3 Jahre betrug.

Sie sind derzeit bei der TGB- Technische Gebäudebetreuung GmbH als Elektriker/Elektrotechniker beschäftigt.

Eine nachhaltige Integration am österreichischen Arbeitsmarkt ist ebenso nicht erfolgt, auch wenn Sie immer wieder kurzfristigen Erwerbstätigkeiten nachgingen. Sie sind nicht selbsterhaltungsfähig und wurden straffällig.

Ein Engagement in Vereinen oder eine ehrenamtliche Tätigkeit liegt nicht vor.

Es ist keine tiefer greifende Integration in Österreich erkennbar.

Ihr bisheriges strafbares Verhalten widerspricht jeglicher Form von Integrationswillen.

Zu den Gründen für die Erlassung des Aufenthaltsverbots:

Sie wurden vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen §§ 84 Abs. 4, 107 Abs.1 StGB rechtskräftig verurteilt.

Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass Sie 09.11.2017 in Wien durch das Versetzen mehrerer Faustschläge ins Gesicht, was einen offenen Nasenbeinbruch und einen verschobenen Bruch der Nasenscheidewand zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt haben. Die besondere Gefährlichkeit der Tat begründet sich auf dem Zusammenwirken mit anderen Mittätern und der hohen Gewaltanwendung gegenüber dem Opfer und zeigt Ihr Verhalten eindeutig, dass Sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sind.

Weiters haben Sie Ihre eigene Schwester mit zumindest einer Körperverletzung gefährlich bedroht, indem Sie in zumindest einem Angriff sinngemäß zu ihr sagten, sie werden sie umbringen. Es ist somit nur eine Frage der Zeit bis sich Ihr Verhalten wieder in einer Verletzung eines Dritten manifestiert und ist dies aus spezial- und generalpräventiver Sicht zu verhindern.

[...]"

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen unstreitig auf Grund der Aktenlage des Bundesamtes.

3. Rechtliche Beurteilung

Mit jüngster Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, hat dieser klargestellt, dass auch in Bezug auf türkische Staatsangehörige, welche in den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fallen bzw. daraus ein Aufenthaltsrecht innehaben, als "sonstige Drittstaatsangehörige" gelten und für eine Aufenthaltsbeendigung nur eine Rückkehrentscheidung und gegebenenfalls ein Einreiseverbot in Frage kommen und nicht eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot.

So führt der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung aus:

"[...] Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FPG. Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL).

Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG).

Vor diesem Hintergrund ist nunmehr auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen.

Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht. [...]"

Daraus folgt für diesen Fall:

Gegenständlich hat das Bundesamt gegen einen rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, der ihrer Prüfung nach unter den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fällt, ein Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG erlassen.

Wie sich aus der oa. jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, wurde damit die Rechtslage verkannt und wäre zur Aufenthaltsbeendigung der bP als "sonstige Drittstaatsangehörige" hier allenfalls eine Rückkehrentscheidung mit oder ohne Einreiseverbot zu prüfen.

Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht. [...], so der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung.

Dass es sich bei der bP um eine begünstigte Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG handeln würde und somit doch die §§ 66 ff FPG zur Anwendung gelangen, hat das Bundesamt hier nicht aufgezeigt.

Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zur Gänze zu beheben.

Eine Verhandlung konnte gem. § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Auf Grund gegebener Deutschkenntnisse der bP konnte eine Übersetzung von Spruch und Rechtsmittelbelehrung entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Assoziationsabkommen, Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltsverbot,
Behebung der Entscheidung, Durchsetzungsaufschub, Einreiseverbot,
ersatzlose Behebung, Gefährdung der Sicherheit, Kassation,
öffentliche Ordnung, öffentliche Sicherheit, Rückkehrentscheidung,
Straffälligkeit, strafrechtliche Verurteilung, Türkei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L504.2216636.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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